Erschienen in Ausgabe: No 41 (7/2009) | Letzte Änderung: 05.02.10 |
von Stefan Groß
Abstract
Wie in vielen englischen Gärten der damaligen Zeit, wurde auch im Wörlitzer
Gartenreich die regelmäßig-barocke Anordnung der Natur zugunsten des freien
Spiels der freien Formen aufgehoben. Die Natur wurde nicht mehr nach der
geometrischen Methode (more geometrico) gezeichnet und unter das steife
Joch der Architektur gebeugt, sondern als sich selbst erschaffende Kraft oder
Potenz verstanden. Daher suchten die Gartengestalter in Wörlitz den Park als
einen Ausschnitt der kosmischen Wirklichkeit zu gestalten, der das Besondere im
Allgemeinen spiegelt. Diese neuen Gestaltungseinsichten waren aber ohne die
Impulse, die die Philosophie lieferte undenkbar. So waren es Shaftesbury und
Rousseau in erster Linie, die mit ihrem philosophischen Denken dazu wirkmächtige
Impulse lieferten.
1. Einleitung
Wie sehr Philosophie, Theologie und Gartenkunst immer wieder ineinander
verzahnt waren, läßt sich an der Geschichte der abendländischen Zivilisation
ablesen. Aber nicht nur in den jüdisch-christlichen Schriften wird dem Garten
eine große Bedeutung zuteil, auch in den islamischen, hinduistischen und
buddhistischen Texten wird er als Ort religiös-motivierter Sehnsuchtssuche
ausgewiesen. Selbst wenn sich die Religionen bezüglich ihrer Dogmatik, ihren
Riten und ihrer Spiritualität unterscheiden, findet sich bei ihnen allen etwas
Gemeinsames: die Idee vom idealen Garten. Dieser avanciert zum
heilsgeschichtlichen Ort, ist das Refugium von stiller Hoffnung und ersehnter
Vollkommenheit.
Welche Bedeutung philosophische und theologische Texte bei der Anlegung von
Gärten hatten, zeigt auch ein Blick in die mittelalterliche, in die
Renaissance- und Barockgartenkunst. Der Garten als abgeschlossenes Refugium
wurde zum Ort der Kontemplation und darüber hinaus zugleich zum Spiegelbild der
göttlichen Ordnung. Die naturphilosophischen, botanischen und dendrologischen
Forschungen Hildegards von Bingen beispielsweise zeigen, daß es der Mystikerin
nicht nur um ein kontemplatives Leben ging, sondern daß sie die Schöpfung als
ein Abbild des göttlichen Urbildes begriff, das sich wissenschaftlich
klassifizieren und beurteilen lassen mußte
Ebenfalls sind die Gärten der Renaissance ohne die Philosophie des christlichen
Platonikers Ficino und des Philosophen Pico de la Mirandola nicht zu verstehen.
Auch hier führt das Gartenerlebnis den Menschen geradewegs zu Gott, wenn er die
Schönheit der Natur als eine Stufe seiner eigenen Intelligibilität betrachtet,
die es ihm ermöglicht, von Stufe zu Stufe aufzusteigen, um die heiligen
Mysterien zu schauen.
Auch ist der Barockgarten ohne die Philosophie und Theologie des Mittelalters
undenkbar, da er die geometrische Ordnung repräsentiert. Die Methode more
geometrico und die mathesis universalis prägten die Gartengestaltung, die nicht
als liberaler Weltentwurf verstanden werden konnte, sondern als ein
hierarchisches System, das für eine prästabilierte Ordnung stand, die man
entweder als absolutistisch-politische oder als theologisch-dogmatische
interpretierte. Das Sinnbild einer barocken Gartenanlage ist und bleibt das
Versailles von Ludwig dem XIV.
Erst mit der Aufklärung jedoch wird auch die Idee des Gartens als liberaler
Weltentwurf geboren. Wegweisend dafür war der englische Philosoph Anthony
Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury (1671-1713).[1]
Shaftesbury setzte sich zum einen vom Empirismus Lockes kritisch ab,
andererseits ging er hinter Locke und die empirische Erkenntnistheorie zurück,
wenn er auf platonische und neuplatonische Philosopheme innerhalb seiner
Metaphysik und seiner Lehre von der prästabilierten Harmonie zurückgriff.[2]
Aber auch Shaftesbury war es, der bereits vor Kants berühmtem Aufsatz Was
ist Aufklärung die selbstverschuldete Unmündigkeit kritisierte.
Um es vorwegzunehmen: Shaftesbury hat keine Theorie der Gartenkunst vorgelegt,
ihn interessierte die freie Natur, nicht die Gartengestaltung als künstlerische
Praxis. Wie die Neuplatoniker ging auch er davon aus, daß die Natur sich selbst
produziert, daß ihr eine geistige Selbstorganisation zugrunde liegt, weshalb es
ihm zwangsläufig fremdartig erscheinen mußte, die Natur oder Landschaft, wie es
die Gartenkunst tat, zu domestizieren. Gerade in den Versuchen, der Natur eine
dieser nicht immanenten Ordnung vorzuschreiben, sieht er eine Fehlleistung der
Gartenkunst, deren schlechtester Auswuchs eben die französische
Barockgartenkunst bleibt, die der Natur blind ihre Gesetze vorschreibt. Sie
nimmt er zum Anlaß seiner Kritik, denn die Parzellierung, die geometrische
Methode der Begrenzung und Einfriedung, die Reduktion der Natur auf die Ratio
und die damit verbundene Unfreiheit, sind mit dem Gedanken einer poetischen
Naturauffassung unvereinbar.
So verwundert es nicht, daß Shaftesbury am Absolutismus ein
geometrisch-zentriertes Weltbild kritisiert, das Individualität und Freiheit
aufhebt, denn die Natur wird zugunsten der absoluten Form reglementiert.
Dagegen stellt er seinen eigenen Begriff von Harmonie und schreibt: „For
HARMONY is Harmonie by Nature [...]. So is Symmetry and Proportion founded still in Nature“.[3]
„What is BEAUTIFUL is Harmonious and Proportionable: What is Harmonious and
Proportinable, is TRUE; and what is at once both Beautiful and True, is, of
consequence, Agreeable and GOOD“.[4]Harmonie, Proportion,
Symmetrie, Schönheit und Sympathie werden die wichtigsten Kategorien der
Ästhetik und Kosmologie des englischen Liberalen,[5]
denn es ist nichts „stärker in unserem Verstande eingeprägt oder tiefer mit
unserer Seele verwoben als die Idee von Ordnung und Ebenmaß“.[6]
Der göttliche Geist gibt allen Formen ihre Gestalt. Er verleiht nicht nur der
Natur ihre Form, sondern jede dieser einzelnen Formen verdankt ihr Formsein der
Präsenz des Geistes in ihr, denn die Natur ist selbst Vernunft.[7]
Sie entäußert sich als eine Architektur des Ganzen: „Es gibt keine andere
Natur, die etwas hervorbrächte, außer der Natur des Kosmos, daher ist die Natur
des Kosmos vernünftig und daher gibt es ein allumfassendes, vernünftiges und
vorsorgendes Prinzip.“[8] Genau aus diesem Grunde „gibt es einen
höchsten ewigen Geist, ein geistiges Prinzip dieses Ganzen, und dies ist Gott.“[9]
Um die barocke Gartenkunst, die einzelnen Staffagen und Gartenszenen zu
entziffern und zu verstehen, benötigte der Gartenbesucher einen
Entschlüsselungscode, denn die Ikonologie, die hinter den einzelnen Kunstwerken
sich verbarg, war nicht durch den gesunden Menschenverstand zu entziffern.
Überall bedurfte es des „Vernünftelns“, um den tieferen Sinn der Kunstwerke zu
begreifen. Was hier zu kurz kam, war die sinnliche Natur des Menschen, eben
jenes unmittelbare Erleben und der emotionale Genuß, der sich beim
Naturerlebnis einstellt. Diese Vernachlässigung der sinnlich-emotionalen Seite
der menschlichen Natur war es, die Shaftesbury immer wieder kritisierte; der
Mensch ist in erster Linie beides, vernünftig und sinnlich zugleich. Er ist
mehr als nur die Summe seiner Denkvermögen, aber auch mehr als die Summe seiner
Affekte und seiner Sinnlichkeit. Diese Affekte tiefer zu ergründen, war Aufgabe
und Zweck der sogenannten Affektenlehre.
Mit der Lehre von den Affekten steht Shaftesbury in unmittelbarer Nähe zur
Tradition des englischen Empirismus, denn auch für die Empiriker liefern die
Affekte den materialen Fundus, den der Verstand zur Klassifizierung benötigt,
um mit Hilfe der Vernunft die Einzelerlebnisse in einen universalen Zusammenhang
zu stellen. Wenngleich die Affekte innerhalb der Erkenntnistheorie eine
fundamentale Bedeutung hatten, so war doch der Kosmos nicht auf sie allein
reduzierbar, was Shaftesbury mittels seiner Metaphysik und Kosmologie
unterstrich.
In diesem Zusammenhang polemisierte er – wie später Schelling – gegen die
Vorstellung, daß die Natur nicht mehr sei als ein Konglomerat unbestimmbarer
Gegenstände. Vielmehr verwirklicht sich in der Natur sinnbildlich eine
imaginäre Kraft, oder um mit Goethe zu sprechen, die Idee des Urbildes, das
allen seinen Erscheinungen zugrunde liegt. Die Natur als natura naturata
ist nicht nur ein Attribut der einen Substanz, wie Spinoza glaubte, sondern sie
ist eine freiheitlich-autonome Entfaltung; die Natur bleibt Sinnbild einer
geistigen Ordnung, in der das Schöne und das Gute „zusammenfallen“. Die Idee
dieser moralisch-sittlichen Vollkommenheit findet Shaftesbury dann in der
platonischen Kalokakathia. Diese Vereinigung von Gutheit und Schönheit
bleibt auch für ihn das ausgewiesene Ziel des Menschen, Leitbild seiner
möglichen sittlichen Vervollkommnung innerhalb der endlichen Lebenszeit. Das
Schöne, so die platonische Vorstellung Shaftesburys, spiegelt das Gute wieder,
das in der Schönheit erscheint; das Gute hingegen wird in den Werken der
schönen Kunst versinnbildlicht.
Vom sittlichen Naturalismus Shaftesburys beeinflußt, entwickelte der
Schriftsteller Joseph Addison (1672-1719) seine Vorstellungen vom neuen
Landschaftsgarten. In seiner Schrift On the Pleasures of the Imagination erhebt
er das Natur- über das Kunstschöne. Die Spectator-Nummern 411-421
belegen, daß auch Addison der „natural wilderness“ den Vorzug gab.
Auch Horace Walpole kritisiert, ähnlich wie Shaftesbury und Addison, den
strengen barocken Formalismus, die axiale Anordnung im Sinne der
Zentralperspektive, die Dominanz der Architektur gegenüber der Landschaft und
sieht in der Reglementierung der natürlichen Anlage einen deutlichen
Naturverlust. Anstelle barocker Regelästhetik setzt auch er auf das
Naturgefühl. In seinem Buch Über die englische Gartenkunst schreibt er:
„Der Zirkel und das Winkelmaß wurden in den Pflanzungen mehr gebraucht als der
Baumwärter. Der gerade Gang, die Quadrate und sternförmige Anordnung drückten
jeden Garten fürstlicher oder vornehmer Besitzer ihre unbefriedigte
Einerleiheit auf. Die Bäume wurden geköpft und ihre Seiten weggeschnitten:
Mancher Französische Lustwald gleicht grünen Kasten, die auf Stangen gestellt
sind. Marmorsitze, Lauben und Lusthäuser begrenzten jeden Ausblick, und Symmetrie
war selbst da, wo der Raum zu groß war, um sie auf einen Blick übersehen zu
lassen, so wesentlich, daß, wie Pope bemerkt, jede Allee ihre Schwester hatte,
und die eine Hälfte des Gartens genau die andere abdrückte.“[10]
Deutlicher als Walpole es beschreibt, läßt sich die Kritik an der barocken
Regelästhetik nicht formulieren.
Insbesondere Walpole war darüber hinaus davon überzeugt, daß die
Gartenrevolution, die von England ausging, Europa und seine Gartenkünstler
maßgeblich beeinflussen wird und vermerkte nicht unbescheiden: „that we have
given the true model of gardening to the world“. Wie sehr er recht behalten
sollte, hat die Geschichte des englischen Landschaftsgartens in Europa und
insbesondere in Deutschland gezeigt.
Auch der Dichter und damals wohl berühmteste Literat Englands – Alexander Pope
(1688-1744) – distanziert sich von der französischen Manier Gärten anzulegen,
wenn auch er den politischen Absolutismus infrage stellt und schreibt: „A tree
is a nobler object than a prince in his coronation robes.“
Beeinflußt von Shaftesburys philosophischer All-Einheitslehre vertrat Pope in
seinem Essay on man naturreligiöse Ansichten. Im Unterschied zu
Shaftesbury jedoch suchte er nach einer Synthese zwischen dem Natur- und dem
Kunstschönen, während Shaftesbury daran festhielt, daß es in der freien Natur
weder Kunst noch Gestaltung gab. Im Mittelpunkt seines Hymnus auf die Natur in Die
Moralisten steht nicht die künstlich angelegte ideale Landschaft, sondern
eben die reine Natur mit ihren rauhenFelsen, mit ihren moosigen Höhlen und mit
ihren wilden Wasserfällen. Das Ideal von freier Landschaft einerseits und die
Gartenkunst andererseits bleiben unvereinbar, was Shaftesbury, vom ästhetischen
Standpunkt aus gesehen, veranlaßte, letztendlich sogar einen Misthaufen höher
zu bewerten als einen Kunstgarten.
Insbesondere aber Alexander Popes Garten in „Twickenham“ war es, der vielen
Besuchern zum Idealbild eines englischen Landschaftsgartens wurde, den man gern
kopierte. Er wurde zum Pilgerziel für Adlige und Künstler der damaligen Zeit.
Statt regelmäßiger Ordnung fand sich auch in „Twickenham“ eine unregelmäßige
Gestaltung, die durch das Weglassen des Parterres begünstigt wurde. Die
freistehenden Solitärbäume und die geschlängelte Wegführung verdeutlichten eine
Gestaltungsmethode und Wirkungsabsicht, die auf Überraschung und
Mannigfaltigkeit aus war, auf eine natürliche Naturinszenierung, wie sie sich
bereits vor Pope in Miltons Werk Paradies lost fand.
2. Das Wörlitzer Gartenreich
Shaftesbury zählte zu den meist gelesenen Autoren seines Jahrhunderts. Seine
Ästhetik, seine Naturphilosophie und seine religiöse Naturspekulation waren es,
die auch in Deutschland rezipiert wurden. Sein aufgeklärtes Denken begeisterte
Wieland und Goethe und die Vielzahl von Regenten, die sich den Ideen der
Aufklärung nahe fühlten. Die Planung und Entstehung der englischen Parkanlage
zu Wörlitz verdankt sich so dem Geist der Zeit, denn man will um jeden Preis
dem friderizianischen Rokoko entfliehen. Ohne den Geist von Shaftesbury, Addison
und Pope wären die neuen Gestaltungsmethoden auch im Mikrokosmos Wörlitz
undenkbar gewesen. Der englische Garten in Wörlitz ist und war mehr als nur ein
Architekturpark, obgleich sich in ihm eine Vielzahl von raffiniert
ausgeklügelten technischen Innovationen fanden; er ist in aller erster Linie
ein Garten, der über die Bildungsideale seines Erbauers Auskunft gibt, über
seine Reisen und nicht zuletzt über die von ihm gelesene philosophische und
theologische Literatur.
Das kleine Fürstentum und seine Stellung innerhalb der europäischen Kultur und
Aufklärungszeit werden meist unterschätzt. Den Konkurrenzkampf mit dem weitaus
berühmteren Weimar kann es, wie einige Interpreten nahelegen, nicht aufnehmen.
Dennoch muß man sich die Blütezeit, die Aufklärung in Dessau, ähnlich
vorstellen wie in Weimar oder in Jena. Dessau und das etwas abgelegene Wörlitz
bildeten zusammen ein geistiges Zentrum Mitteleuropas, hier versammelten sich
die berühmten Geister der Aufklärung. Der kulturelle Austausch wurde auch hier dadurch
möglich, weil es ähnlich wie in Weimar – erinnert sei an Anna Amalia und an
Carl August – einen Regenten gab, der an literarischen, philosophischen,
theologischen und politisch-historischen Themen interessiert war und eine Schar
Intellektueller um sich versammelte. Sind dies im Weimar Anna Amalias in aller
erster Linie Goethe, Wieland, Herder und später Schiller gewesen, die mit ihrer
aufgeklärten Prosa, mit ihren theologischen und sprachphilosophischen
Forschungen den Zeitgeist prägten, so waren es in Wörlitz August Rode, der
Architekt Erdmannsdorff, Hesekiel, Lavater und Gellert.
Wie im benachbarten Preußen, zu dem es eine Haßliebe gab, weil der Dessauer
Fürst von seinem Onkel den Preis der Unabhängigkeit seines kleinen Landes mit
hohen finanziellen Entschädigungen erkaufen mußte, herrschte im anhaltischen
Dessau Religionsfreiheit. Auch hier war man gezwungen, ausländische
Arbeitskräfte einzustellen, was nur dann gelingen konnte, wenn man den vielen
Einwanderern Religionsfreiheit gewährte.
Der Ideal der religiösen Freiheit, wie Shaftesbury es einst vorschwebte, wurde
im Garten dann mittels eines Architekturprojekts umgesetzt, wo dicht
nebeneinander eine jüdische Synagoge, ein griechischer Tempel und eine
christliche Kirche erbaut wurden. Wie sehr Lessing mit seinem Werk Nathan
der Weise und der „Ringparabel“ hierbei eine Vorbildfunktion hatte, ist
nicht zu übersehen.
Der Gartenarchitekt und Planer, Fürst Leopold Franz III. von Dessau, war nicht
nur ein engagierter Verfechter liberaler Ideale, sondern auch daran
interessiert, die mißlich-soziale Not im kleinen Fürstentum zu lindern. Mit dem
Gartenprojekt in Wörlitz verfolgte er daher nicht nur eine Idealisierung der
Landschaft, sondern versprach sich von dieser auch einen sozialen Nutzen für
seine Untertanen. Diese sollten nicht nur dazu angeleitet werden, sich in
Schönheit und Vernünftigkeit zu üben, sondern auch aus der Natur und durch sie
zu lernen. Der ökonomische Aspekt, das an der Elbe brachliegende Land
wirtschaftlich nutzbar zu machen, ging mit der Idealisierung der Natur einher.
Ein anderes großes Vorbild für die Wörlitzer Gestalter war Arkadien. Diese
ideale Landschaft und Hirtenidylle auf der Insel Peloponnes sollte in der
mitteldeutschen Elbelandschaft wieder zu neuem Leben erweckt werden. Die
ausgelassene Heiterkeit und die Schwermut dieser griechischen Ideallandschaft
waren den für die klassische Antike aufgeschlossenen Gartenliebhabern durch die
Werke Johann Winckelmanns vertraut. So wurde Winckelmanns „stille Größe“ und
„heitere Gelassenheit“ zur Maxime der Dessauer Aufklärer, römische und
griechische Philosophen zu auserwählten Vorbildern. Bereits Shaftesbury hatte
immer wieder auf die Nähe zwischen Aufklärung und Antike hingewiesen, auf
Seneca, Marc Aurel, Horaz, Epikur. Ihre Texte, insbesondere die stoischen,
sollten gelesen werden, um das Neue mit dem Alten zu verbinden.
Ganz dem Geist des Engländers verpflichtet, hat August Rode, der Dessauer
Goethe, 1785 eine Auswahl antiker philosophischer Texte und Gedichte
veröffentlicht – darunter Übersetzungen von Lukrez, Catull, Ovid, Lukan und
Vergil. 1791 erschien die Übersetzung der Metamorphosen von Ovid, 1796
die Übersetzung der Architekturlehre Vitruvs.
In Wörlitz – einem der ersten englischen Gärten auf dem Kontinent – suchte der
Fürst, im Unterschied zum benachbarten Preußen, nach eben jener Idealisierung
der Natur, wie sie Shaftesbury vorschwebte, wie sie sich aber auch bei Rousseau
finden ließ. Rousseaus Schriften waren es, die in Dessau und Wörlitz begeistert
gelesen wurden; ihm zu Ehren wurde mit der „Rousseauinsel“ ein Denkmal gesetzt.
Das „Zurück zur Natur“, das Rousseau forderte, und das Ideal vom „contrait
social“ hatten den Fürsten nachhaltig begeistert. Im Jahre 1775 kam es in Paris
dann auch zu dem vom Dessauer Fürstenpaar lang ersehnten Treffen mit dem
Philosophen. Nicht nur ein Blick in die fürstliche Bibliothek zeigt und
untermauert das Interesse des Fürstenpaars an philosophischen Themen, die
Klassiker sind dort ebenso vertreten, wie die neuesten Publikationen aus
England und Frankreich, sondern auch die Wörlitzer Gartenanlagen belegen
eindrucksvoll die intellektuelle Bildung ihres Erbauers.
Eines jener großen Ideale der Aufklärung war die Erziehung. Mittels ihrer
sollte die natürliche Anlage des Zöglings gefördert und nicht ins steife Joch
gebeugt werden. Ziel dieser Erziehung war der freie Bürger in einer freien
Welt. Für die Umsetzung dieser Idee wurde in Wörlitz extra eine Bildungsanstalt
geschaffen, das Philanthropium. Hier lehrten prominente Aufklärer und Erzieher
– unter ihnen Basedow. Dem Geist der Aufklärung verpflichtet, galt es ein
Bildungskonzept zu verwirklichen, das die Diener des Landes zur Mündigkeit
erziehen wollte. Ganz der Maxime Kants verpflichtet, sollten die Anhaltiner aus
den Fesseln der Unbildung, der sogenannten „selbstverschuldeten Unmündigkeit“,
befreit werden – Bildung das dazu verordnete Allheilmittel. Doch so sehr es der
Wunsch des Regenten war, sein Volk zu erziehen, ihm den Geist der Aufklärung zu
vermitteln, der es dann befähigte, sittlich klug zu handeln, eine bürgerliche
Revolution, wie sie in Frankreich und England stattgefunden hatte, in der
tatsächlich der freie Mann regierte, war vom aufgeklärten Monarchen nicht
erwünscht. Die Aufklärung hatte in Wörlitz ihre Grenzen. Zwar sollte Freiheit jeden
Landesbürger zuteil werden, die Souveränität des Fürsten dabei aber nicht in
Frage gestellt.
Dieses Erziehungsideal sollte in den Gartenanlagen mittels eines
ikonographischen Programms, durch Inschriften und Statuen verwirklicht werden,
die Kunstwerke wurden damit zu Bedeutungsträgern. So verwiesen beispielsweise
die Statuen von Lavater und Gellert im „Neumarkschen Garten“ auf die
Tugendhaftigkeit der beiden Literaten. Man hoffte mit diesen Kleinarchitekturen
beim Besucher dessen moralische Gefühle zu erwecken, damit er – durch dieses
Erlebnis vermittelt – sich mit den Texten von Gellert und Lavater beschäftigt.
Überall in den älteren, den früh angelegten Partien des Parkes, fanden sich
derartige Staffagen, die auf die Literatur, die Philosophie, die Ästhetik und
Sittlichkeit anspielen. Im ältesten Teil der Gartenanlage, dem „Neumarkschen
Garten“, befindet sich das Labyrinth, hier sollte sich der Parkbesucher
zwischen zwei möglichen Lebenswegen entscheiden. Einerseits ist es der
„gedankenlose mühselige Steig des Menschen ohne Kenntnis und Geisteskultur“.
Andererseits ist es der „geheimnisreiche Pfad der Mysten, der Lehrlinge
erhabener Weisheit, welche ihren Anhängern [...] geheime Aufschlüsse erteilt,
die das Leben durch süße Hoffnungen erheitern“.
Es obliegt dabei dem Rezipienten, einen der beiden Wege zu wählen. Entweder
wählt er mit kluger Umsicht den tugendhaften Pfad oder den der Ausschweifung.
Wird der Weg von Sitte und Tugend gewählt, kommt der Besucher am Ende des
Labyrinths letztendlich ins Elysium, wo Glück und Seelenfrieden herrschen, wo
er im Kreise der tugendhaft Erwählten anlangt. Die Vorstellung eines Reiches
der Geister war aus der Antike bekannt, aber auch in Dantes Göttliche
Komödie und in Fontanelles Gespräche im Elysium ist von der Insel
der Glückseligkeit die Rede gewesen. In Wörlitz erinnerte man sich ihrer durch
das Aufstellen der „goldenen Urne“, die der Fürst zur Erinnerung seiner früh
verstorbenen Tochter errichten ließ. Aber auch die Staffage des
„Warnungsaltars“ und seiner Inschrift, der sich auf der anderen Seite des als
Styx bezeichneten Flußlaufes im Park befindet, verweist darauf, daß ein wahres
Leben in und mit der Natur nur denjenigen möglich ist, die in ihre Mysterien
eingeweiht sind.
Viele der Inschriften, die sich an Ruhesitzen, an Portalen und an Bänken im
Park finden, hatten eine propädeutische Funktion. Diese bestand darin, wie der
Gartentheoretiker Hirschfeld betonte, als „Zusätze bey Gebäuden oder Denkmälern
[...], ihren Ursprung und ihre Bestimmung“ zu erklären.[11]
Darüber hinaus sollten sie „die Ungewißheit der Bedeutung aufheben, und die
Wißbegierde, die bey der Annäherung gereizt wird, auf einmal befriedigen“.[12]
Denn die Inschriften „können bald auf die besondern Schönheiten der Scenen
hinwirken, bald eine nützliche Lehre ins Gedächtniß zurückrufen, oder eine
Empfindung ausdrücken, die dem eigenthümlichen Charakter des Ortes angemessen
und durch ihn selbst veranlaßt ist.“[13]
Statuen und Grabmale hingegen, wie die „Dietrichsurne“ im Schloßpark, sind
Allegorien auf das Leben und den Tod; sie sind Symbole, die auf das Verhältnis
von Endlichkeit und Unendlichkeit, von Vergessen und Erinnern, von
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft anspielen sollten. Auch mit ihnen wollten
die Gestalter an tugendhafte Vorbilder erinnern. So verwiesen
Philosophenstatuen auf das stoische Ideal der Gelassenheit, auf eine reine und
unbeirrbare Lebensführung, sie waren aber auch eine Reminiszenz an die aufgeklärte Politik der Polis.
Insbesondere in der griechischen Polis zeigte sich beispielhaft das politische
Ideal eines aufgeklärten Staates, in dem alle Bürger mit gleicher Freiheit,
gleichen Rechten und gleichen Pflichten ausgestattet, am gemeinsamen Ideal, am
Gemeinwohl, arbeiteten. Bereits der schon erwähnte Kieler Professor für Philosophie
und Autor der berühmten Theorie der Gartenkunst Hirschfeld schrieb dazu:
„Mehr noch interessieren uns Vorstellungen von Menschen, die wirklich gelebt
haben, in der Gestalt, die ihnen eigen war, und die so ganz ihren Charakter
darstellt; Vorstellungen von Menschen, die uns durch die Größe ihres Geistes
und Herzens, durch den Glanz ihrer Talente oder durch die Wohltätigkeit ihrer
Handlungen ehrwürdig sind; die uns durch ihre Schriften zur Weisheit und durch
ihre Geschichte zur Tugend erheben, die großen Dichter und Weisen der Vorwelt.“[14]
Auch die Todesthematik, die Adrian von Buttlar unter dem Stichwort der Transzendenz
beschreibt, wird im Wörlitzer Park bewußt inszeniert. Der Tod als
transzendenter verweist auf die Endlichkeit: Urnen, Grabmäler und Sarkophage,
wie beispielsweise der vor der Wörlitzer Kirche und die „Dietrichsurne“
unterstreichen dies nachhaltig.
Hirschfeld sah in den Inschriften, in den Staffagen und in den Allegorien eine
würdige Form der Erinnerung und des Gedenkens. Kurze Zeit darauf distanzierte
sich bereits der an Kants kritischer Philosophie geschulte Gartentheoretiker
Johann Christian August Grohmann von der sinnstiftenden Erläuterung der
Mahnmale. Mahnmale, so seine Kritik, beschränken die Einbildungskraft, denn es
„muß jede aesthetische Empfindung nur allgemein, in unbestimmten Formeln
ausgedrückt sein, bei welchen der Betrachter immer noch mehr denken kann, und
auch deßwegen ist die Inschrift, wo Dichtung aesthetische Form sein soll,
unzweckmäßig, weil sie alles zu hart, zu bestimmt vorhält.“[15]
Auch Boettiger hält in seiner „Reise“ nach Wörlitz daran fest, daß eine
Allegorie, wie das Wörlitzer Labyrinth, für sich selbst sprechen müßte. „Die
Allegorie ist treffend und deutlich, nur sollte eben deswegen die Inschrift
ganz weggeblieben sein. Denn eine Allegorie, die der Inschrift bedarf, ist
selbst dieser Krücke nicht wert. Und dies urteile ich denn auch über alle die
übrigen Inschriften, die in diesem Labyrinthe hier und da dem Lebenswanderer
zur Warnung und Lehre hingesetzt sind.“[16]
Die vielfältige Verwendung von allegorischen Kunstwerken hat letztendlich auch
die Kritiker auf den Plan gerufen, die in dieser Künstelei eine Überfrachtung
der Natur sahen. Bereits Goethe kritisierte im Triumph der Empfindsamkeit
die Überladenheit der Gärten mit symbolischen und allegorischen Kunstwerken.
Anstatt das unmittelbare Erleben der Natur ganz im Sinne Shaftesburys zu
erfahren, wird der Besucher in ein ikonographisches Gartenprogramm gezwängt,
das ihm seine Gefühlsregungen vorschreibt und diktiert.
Die Kritik an der übersteigerten Verwendung von künstlerischem Zierat hat somit
auch die Gartentheoretiker gespalten. Ihre Kritik richtete sich gegen den
sogenannten „sentimentalischen Garten“, in dem sich jene Vielzahl von Staffagen
und Bedeutungsträgern fand. Mit diesem war eine Annäherung an eine freie und
ungezwungene Naturvorstellung nicht möglich, er war zu artifiziell.
Die von Shaftesbury geübte Kritik an der Überladenheit des Barocks wurde
nunmehr auch auf den „sentimentalischen Garten“ übertragen, denn er drohte, wie
einst der barocke Garten, zu einer rein künstlichen Inszenierung zu verkommen,
zu einem Artefakt naturwidriger Spielereien. Anstelle dieses mit
Literaturzitaten und Reisearchitekturen überfrachteten Gartens trat nun der „klassische
Landschaftsgarten“. Mit diesem wurde in der Mitte der fünfziger Jahre des 18.
Jahrhunderts eine zweite Gartenrevolution eingeläutet. War die erste Revolution
die englische Gartenkunst selbst, die sich von der barocken Gartenkunst
absetzte, so kam die zweite einer Renaturalisierung des „sentimentalischen
Gartens“ gleich.
Insbesondere der Gartenarchitekt Lancelot Brown in England ist es gewesen, der
die Epoche des „klassischen Landschaftsgartens“ einläutete. Brown überarbeitete
nicht nur die frühen sentimentalisch gehaltenen Gartenpartien, sondern er
gestaltete sie unter dem Aspekt ihrer möglichen Nutzbarkeit. Ästhetik und
Nützlichkeit, wie sie Goethe später in den Die Wahlverwandtschaften
forderte, gingen in Browns Schöpfungen schon eine Synthese ein. Statt
künstlicher Landschaftsgestaltung nutzte der englische Architekt die
vorgegebene Landschaft aus, die nicht modelliert wurde, wo also keine
künstlichen Wälle oder Seen um der Erlebnishascherei willen errichtet worden
sind.
Browns Naturalisierungskonzept, die zweite Gartenrevolution, wurde dann auch
bei der späteren Gestaltung und bei den weiterführenden Ausbauten der Wörlitzer
Anlagen berücksichtigt. Die Partien „Weidenheger“ und „Neue Anlagen“ sind
allesamt Schöpfungen im Stile Browns, Reminiszenzen an die freie Natur, die
auch die spätere Generation von Landschaftsgestaltern, wie Fürst
Pückler-Muskau, Lenné und Sckell tief beeinflußten. Bei ihren Gartenschöpfungen
stand die unverbaute Natur an erster Stelle, denn sie kann, wie Shaftesbury
forderte, den besten Beitrag zur sittlichen Erziehung des Individuums leisten.
Vom Erziehungsgedanken verabschiedete man sich auch in Wörlitz letztendlich
nicht ganz. Der Park stand, im Unterschied zu vielen englischen Anlagen, die
nur ihren Besitzern, den reichen Finanziers und dem Adel zugänglich waren, von
Beginn an allen Bürgern offen.
Wie Shaftesbury im Selbstgespräch sich fest in den Kopf gesetzt hatte,
daß seine Wissenschaft durch die Kunst des Argumentierens dazu führen könne,
daß man seinen „Rat annimmt, falls er etwas taugt“,[17]
verfahren auch die Gestalter in Wörlitz. Literatur-Zitate und Kunstwerke sollen
zwar belehren, können aber darüber hinaus frei interpretiert werden. Wie das
Kunstwerk also letztendlich zu interpretieren war, überließ man dem Gartenbesucher,
der seine Einbildungskraft, Verstandestätigkeit und Urteilskraft zu Rate ziehen
mußte.
Zwar waren auch Gartenführer in Mode, in Wörlitz der von Rode, doch die freie
Interpretation und Kritik war immer auch mit assoziiert. Der berühmte „taste of
ridicule“, der Sinn oder der Geschmack für Kritik, wurde zum Gradmesser beim
Umgang und der Beurteilung der Kunstwerke, denn ganz der Maxime Shaftesburys
verpflichtet, kann nur jene Schöpfung einen Anspruch auf Kunst erheben, durch
die der Mensch in die Lage versetzt wird, kritisch auf sich selbst zu
reflektieren.
Auch dann wird der Einfluß Shaftesburys sichtbar, wenn das gesamte
Gartenkonzept in Wörlitz in den Blick kommt. So verschieden die einzelnen
Gartenpartien auch gewesen sind, stand hier die Kunst im Mittelpunkt, dort die
Natur, letztendlich sollten auch die Anlagen um Dessau ein Gesamtkunstwerk
werden. Die einzelnen Kompositionen sollten dem Ganzen nicht widersprechen,
sondern die Verschiedenheit in der Einheit, das Besondere im Allgemeinen verdeutlichen.
Einheit und Vielheit waren Kategorien der platonischen und neuplatonischen
Metaphysik, die auch in der spätantiken „Ästhetik“ eine zentrale Rolle bei der
Beurteilung des Schönen gewannen, denn je einheitlicher ein Kunstwerk war,
desto vollkommener seine Schönheit. Diese Lehre von der Einheit und
Verschiedenheit hatte Shaftesbury in seiner Kosmologie und in seiner
Harmonienlehre aufgegriffen, die auch für die Landschaftsgestalter eine
zentrale Rolle spielte.
Schönheit wurde auch für sie Einheit in der Mannigfaltigkeit, Vereinigung
verschiedener disparater Elemente, die sich in einer höheren, eben harmonischen
Einheit miteinander verbinden. Diese vereinheitlichende Ordnung oder Harmonie,
die sich als zentraler Gedanke schon in der christlichen Theologie von
Augustinus und später bei Pseudo-Dionysius Areopagita und dem schon
angesprochenen Ficino fand, wird auch dadurch noch hervorgehoben und
unterstrichen, da man nicht nur den Wörlitzer Park als diese Einheit begriff,
sondern die Vielzahl der kleinen, um Dessau gelegenen Gärten in das
Gesamtkonzept Landschaftsgarten Anhalt integrierte – das gesamte Fürstentum
sollte ein Landschaftsgarten sein.
Diesem Wunsch, einzelne Landschafts- oder Parkpartien systematisch einzuordnen,
hatte Shaftesbury bereits in seinem Hauptwerk Die Moralisten vor Augen,
als er schrieb: „Sicher ist nichts unserem Geiste stärker eingeprägt oder mit
unserer Seele enger verwoben als die Idee oder das Gefühl von Ordnung und
Ebenmaß.“[18]
„[...] alle Dinge, die Ordnung haben, auch Einheit des Plans haben und in eins
zusammenlaufen“, da sie „Teile eines einzigen Ganzen oder für sich vollständige
Systeme sind“, bilden eine ideale Ordnung ab. „So verhält es sich bei einem
Baum mit all seinen Zweigen, einem Lebewesen mit all seinen Gliedern, einem
Gebäude mit all seinen äußeren und inneren Verzierungen. Was ist denn gar eine
Melodie oder ein Instrumentalsatz oder jedwedes vorzügliche Musikstück anderes
als ein gewisses System von ebenmäßig abgestimmten Tönen?“[19]
Die Ordnung, von der Shaftesbury hier spricht, ist nicht die Ordnung des
Barocks, sondern die der Natur selbst immanente. Mit der Kritik am
Gestaltungsprinzip „formal mockery of princely gardens“ schwingt beim
englischen Liberalen auch immer eine Kritik am für ihn nicht zu tolerierenden
politischen Absolutismus mit, in dem die Freiheit des einzelnen Menschen
unterdrückt und in ein Korsett von Zwängen gepreßt wird. Die Natur selbst ist
es, die das Individuum zu Freiheit und Sittlichkeit befähigt. Das ästhetische
Naturerlebnis und das religiöse Gefühl im Einklang mit dem Kosmos zu stehen,
auf diesen als vernünftiges Wesen zu reflektieren, bilden zusammen eine Einheit
und tragen letztendlich zur moralischen Verbesserung des Menschen bei, da das
Landschaftserlebnis diesen besser zu erziehen vermag als eine gesellschaftliche
Institution es je kann. So heißt es in Eine Untersuchung über Tugend und
Verdienst: „Die Weisheit, welche die Natur regiert und die erste und
oberste Macht in ihr ist, hat es daher so eingerichtet, daß es dem persönlichen
Interesse und Wohle jedes einzelnen entspricht, zum allgemeinen Wohle zu
wirken. Hört er auf, dies zu tun, so handelt er im gleichen Maße gegen sich
selbst und hört damit auch auf, sein eigenes Glück und Wohlergehen zu
befördern. Er wird deshalb zu seinem eigenen Feind. Er kann auch keine andere
Weise gut zu sich selbst sein oder seinen eigenen Interessen dienen als
dadurch, daß er das Wohl der Gesellschaft, also das Ganze, von dem er selbst
ein Teil ist, im Auge hat.“[20]
Auch der Dessauer Fürst geht wie Shaftesbury davon aus, daß dem Menschen ein
angeborener moralischer Sinn immanent ist – der moral sense. Diesen zu
verwirklichen, darin sehen beide, der Potentat und der Philosoph, das
anzustrebende Ziel jedes einzelnen Menschen und jeder Zivilisation, denn die
„Tugend, die von allen Vortrefflichkeiten und Schönheiten die oberste und
liebenswerteste ist“, ist „die Stütze und Zierde aller menschlichen Dinge.“ Sie
ist „die Kraft, die Gemeinschaften aufrecht erhält, Einheit, Freundschaft und
gute Verhältnisse zwischen den Menschen bewahrt, die Kraft, durch die ganze
Länder genau so wie einzelne Familien blühen und glücklich sind und deren
Fehlen dazu führt, daß alles Anmutige, Hervorragende, Große und Edle zugrunde
geht und zerfällt, daß also diese einzigartige Eigenschaft, die so vorteilhaft
für die ganze Gesellschaft und die Menschheit im allgemeinen ist, sich als
ebenso nützlich für das Glück und Wohl jedes einzelnen Geschöpfes erweist und
dasjenige ist, durch das allein der Mensch glücklich sein kann und ohne das er
stets unglücklich sein muß“.[21] Dieses Idealbild, das Shaftesbury am
Ende seiner Untersuchung über Tugend und Verdienst zeichnet, hatte auch
der Dessauer Regent verinnerlicht, sich selbst als weiser Landesvater verstehend,
der seinen Untertanen ein friedliches Miteinander zu ermöglichen hoffte und zu
garantieren suchte.
Der Wörlitzer Park war aber nicht nur der Ort, in welchem ein geselliges
Miteinander möglich war, sondern wo es dem einzelnen Subjekt auch gestattet
sein durfte, sich in die Welt der Einsamkeit zurückzuziehen. Diese
Zurückgezogenheit in Stille und Einkehr ermöglichte es auch, das Gesehene
bewußter zu verarbeiten, was letztendlich zu einer Intensivierung des
Gefühlshaushalts führte, zur Selbstreflexion und zum möglichen intimen Gespräch
mit dem Wesensverwandten, wie es Shaftesbury in Die Moralisten
wirkungsmächtig in der freien Natur in Szene gesetzt hatte. Die Rückzugsorte im
Wörlitzer Park, die diese Einsamkeit ermöglichen sollten, waren kleine Eremitagen,
Grotten und Einsiedeleien. Doch sollte diese Einsamkeit nicht dazu führen, sich
von der Gesellschaft und Geselligkeit abzukoppeln, sondern durch die läuternde
Stille sollte jenes, sich seiner selbst bewußt werdende Ich erneut und
moralisch gefestigter in die Bande der Geselligkeit zurückbegeben. Der Common
sense verlangt, wie Shaftesbury betont, nicht in dieser Einsamkeit zu
verweilen, weil damit zugleich das Ideal einer sittlichen Gesellschaft
aufgehoben wird. Moral sense und common sense sind miteinander zu
vermitteln, und zwar so, daß die innere moralische Stimme des Gewissens mit dem
Gemeinschaftssinn einhergeht. Diese harmonische Einheit herzustellen, dazu kann
das Naturerlebnis motivieren, denn die Erkenntnis der panharmonischen Ordnung
bleibt das in die Einheit verlagerte Wechselspiel von Individuellem und
Allgemeinem. Wie der göttliche Geist harmonisch die Welt ordnet, stiftet der
einzelne Mensch jene Einheit von Individualität und Geselligkeit.
Insbesondere der Genfer Philosoph Jean-Jacques Rousseau hat nicht nur mit seiner
Naturphilosophie und Gesellschaftskritik einen maßgeblichen Anteil zur ersten
Gartenrevolution beigetragen, sondern auch bei ihm rückte das Thema Einsamkeit
immer dann in den Mittelpunkt, wenn das einsame Subjekt und seine produktive
Einbildungskraft bedacht wurden. Diese Einsamkeit ermöglichte nicht nur, zum
höchsten Glück aufzusteigen, sondern in der Einsamkeit gelang die tatsächliche
Identifikation mit der Natur am besten. Wie beim Traum, wo Wirklichkeit und
Illusion wechselseitig ineinandergreifen, soll es das Ziel der
Gartenträumereien sein,die Vorstellung einer besseren Welt hervorzurufen, wie
es allein die produktive Einbildungskraft vermag.
Nicht umsonst spricht man bei Rousseau von einer Wahrnehmungs- oder Wirkungsästhetik,
die sich von der Gehaltsästhetik eines Goethe oder Schiller unterscheidet, denn
dort ist es die Urform (Goethe) oder der gesetzgebende Verstand (Schiller),
dessen Regularien die ästhetische Urteilskraft motivieren.
Für Rousseau spannt sich die Moralität erst dort in die Seele ein, wo nicht der
Verstand allein regiert, sondern wo es zu einem Wechselspiel zwischen
Einsamkeit, Einbildungskraft, Betrachtung und empirischer Anschauung kommt –
reine Wirkungsästhetik also.
Die moralgebende Kraft, die der Einbildungskraft innewohnt, ist es auch, die
Sulzer und Hirschfeld immer wieder faszinierte. Auch für diese Denker wird sie
zur kreativen Instanz, die einen wesentlichen Beitrag zu einem wahrhaft
harmonischen Naturerleben beisteuert. So beschreibt Hirschfeld in seinerTheorie
der Gartenkunst ausführlich die Bedeutung und den Stellenwert der
Einbildungskraft: „Bewege durch den Garten stark die Einbildungskraft und die
Empfindung, stärker als eine blos natürlich schöne Gegend bewegen kann.“[22]
Damit diese Wirkung erzielt und die Einbildungskraft produktiv werden kann,
bedarf es einer Gartenkunst, die der rezpierenden Sinnlichkeit entgegenkommt.
Die Aufgabe des Gartenkünstlers besteht demnach darin, daß mittels einer schön
gestalteten Natur jene Wirkungen erzielt werden können. Die Beförderung der
Einbildungskraft wird damit zu einer zentralen Wirkungsabsicht der
Gartengestaltung, deren Stellung innerhalb der Wirkungsästhetik dann auch enorm
aufgewertet wird. Dieser Aufwertung der Einbildungskraft steht ein negativer
Begriff derselben gegenüber, wie er noch in der Deutschen Metaphysik von
Wolff zu finden ist, denn hier wurde die Einbildungskraft nur als
reproduzierendes und nicht als aktives Vermögen vorgestellt. So heißt es auch
in Wolffs Vernünfftige Gedancken von Gott, Der Welt und der Seele des
Menschen, auch allen Dingen überhaupt: „Die Vorstellungen solcher Dinge,
die nicht zugegen sind, pfleget man Einbildungen zu nennen. Und die Kraft der
Seele, dergleichen Vorstellungen hervorzubringen, nennet man die
Einbildungs-Kraft.“[23]
Erst Sulzer kam, gegen Wolff und Kant sich wendend, in seinem Artikel über die
„Einbildungskraft“ zu einer neuen ästhetischen Bewertung derselben.
„Einbildungskraft. (Schöne Künste.) das Vermögen der Seele die Gegenstände der
Sinnen und der innerlichen Empfindung sich klar vorzustellen, wenn sie gleich
nicht gegenwärtig auf die würken. [...] Insgeheim erstreckt sich der Begriff
dieser Fähigkeit noch etwas weiter, indem man ihr auch noch das zuschreibt, was
wir die Dichtungskraft genannt haben.“[24] Diese wird dann zu
derjenigen Kraft, die „Vorstellungen von Gegenständen der Sinnen und der innern
Empfindung, die man nie unmittelbar gefühlt hat, in sich hervorzubringen“
vermag.[25]
Es war aber nicht nur das Thema Einsamkeit, das die aufgeklärten Dessauer mit
dem Namen Rousseau verbanden. Es war insbesondere der anti-gesellschaftliche
Effekt, den die aus seiner Kulturtheorie herauslasen und –filterten. Für
Rousseau war es die Kultur gewesen, die den Menschen verrohte, seine Gefühle und
Sitten abgestumpfte und aufhob. Doch auch die Dessauer wollten nicht die letzte
Konsequenz aus Rousseaus Kulturkritik ziehen und in den ursprünglichen
Naturzustand zurückkehren. Selbst wenn man extra Einsiedler beschäftigte, die
in den Grotten des Parkes vom einsamen Leben in der Natur kündeten, so
verbanden die Wörlitzer damit eben nicht das radikale „Zurück zur Natur“,
sondern sie suchten zu beweisen, wie viel Bedürfnisse der Mensch entbehren
könnte, um dennoch glücklich und zufrieden zu leben.
Mit dem anti-kulturellen Effekt ging das Ideal einer asketisch-spartanischen
Lebensweise als Tugendideal einher, wie sie nirgends besser verwirklicht werden
konnte als in der Zurückgezogenheit des Landlebens. Wie Goethe später in seinem
Wohnhaus im Park an der Ilm, sehnte sich auch der Dessauer Fürst nach
ungestörter Ruhe, die ihm die Selbstfindung erlaubte, und wo er fern des
höfischen Alltags ohne Etikette als freier Bürger leben konnte. Dieses
Lebensideal – dafür stand letztendlich Rousseau Pate. Wie Cicero, Seneca,
Plinius und Wieland lebte der Fürst in Wörlitz ganz für sich und für sein
Privatvergnügen. „Er hielt da nicht Hof und hatte nur eine geringe
Dienerschaft, einen Kammerdiener, zwei Lakaien, Koch und Reitknecht und zwei
Vorbereiter um sich. Er betrachtet sich am liebsten wie einen englischen Lord,
der, sich auf einige Zeit von Staatsgeschäften zurückziehend, im Kreise seiner
Familie das Landleben genießt. Täglich speiste er im Gotischen Haus, wo er in
engen aber kostbar in mittelalterlicher Art ausgestatteter Räume wohnte, im
Sommer in der Turmkammer, wo nur sechs Personen Platz hatten. Kamen vornehme
Freunde oder fürstliche Personen zum Besuch nach Wörlitz […] war große Tafel im
Schlosse, [...] dann machte der Lord dem Fürsten Platz.“[26]
So sehr das Thema Einsamkeit bei der Landschaftsgestaltung nachdrücklich
Wichtigkeit erlangte, gehörte auch das gesellige Miteinander dazu, das sich in
einer ausgeprägten Festkultur offenbarte. Die Feste am „Drehberg“, an dem
jährlich zum Geburtstag der Fürstin Luise Festspiele für die gesamte
Bevölkerung veranstaltet wurden, sind dafür ein sinnbildliches Zeichen. Die
hier zelebrierte Festkultur erinnerte an griechische und römische Vorbilder,
denn gemäß der Maxime „ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper“ legte
der Fürst großen Wert auf die Verbindung von Spiel und Festlichkeit in einer
als frei empfundenen Umgebung. Das Spielen und Feiern in der Natur, dies zu
ermöglichen und seine „Untertanen“ daran teilhaben zu lassen, war Ausdruck und
Spiegelbild der Menschenfreundlichkeit des Dessauer Regenten.
3. Schluß
Durch die Liebe zur Natur, durch die Erziehung an und durch den Park oder die
Landschaft, die beim Gartenbesucher geweckt werden sollte, erhofften sich die
Gestalter, ganz im Sinne Schillers, eine Ästhetisierung, die letztendlich dazu
führt, daß sich das Individuum, durch die Schönheit vermittelt, zu einem
sittlichen Weltbürger formt und frömmt. Bereits Kant unterstrich, wenngleich er
nicht den Optimismus Schillers in Sachen Ästhetik teilte, der mit seinen
ästhetischen Briefen Sinnlichkeit und Gesetzlichkeit synthetisieren
wollte, die Nähe zwischen dem Gefühl für das Naturschöne und dem guten Willen.
In seiner Kritik der Urteilskraft heißt es: „Ich räume zwar nun gerne
ein, daß das Interesse am Schönen der Kunst [...] gar keinen Beweis einer dem
Moralischguten anhänglichen, oder auch nur dazu geneigten Denkungsart abgebe.
Dagegen aber behaupte ich, daß ein unmittelbares Interesse an der Schönheit der
Natur zu nehmen (nicht bloß Geschmack zu haben, um sie zu beurteilen) jederzeit
ein Kennzeichen einer guten Seele sei; und daß, wenn dieses Interesse habituell
ist, es wenigstens eine dem moralischen Gefühl günstige Gemütsstimmung anzeige,
wenn es sich mit der Beschauung der Natur gerne verbindet.“[27]
Moses Mendelsohn gar wird den Genuß des Naturschönen auf die Idee der
göttlichen Vollkommenheit zurückführen, die sich in der Natur offenbart. Denn
das Schöne der sinnlichen Erscheinungen als Vollkommenheit zu fassen, trägt bei
ihm theologische Grundzüge, die das harmonische Verhältnis der Menschen
untereinander – angesichts des Naturschönen – in eine Abhängigkeit vom idealen
Bezug des Menschen von Gott versetzt.
Nicht nur die Themen von Einsamkeit und Ästhetisierung waren es, für die die
Philosophie Pate stand, sondern auch wenn es darum ging, das Gefühl des
Erhabenen und des Schönen beim Gartenbesucher hervorzurufen, blieb ein Rekurs
auf diese unverzichtbar. So zielte der Gartenarchitekt Chambers auf der
britischen Insel ganz auf die Wirkung des Erhabenen, während der schon
angesprochene Lancelot Brown das künstlerisch Schöne und das Naturschöne
vordergründig bei seinen Gestaltungsmaßnahmen berücksichtigte. Auch im
Wörlitzer Gartenreich kamen die ästhetischen Kategorien des Schönen und
Erhabenen immer wieder zur Anwendung.
Beides, die hervorgerufene Wirkung, die das Schöne oder das Erhabene beim
Betrachter auslöst, ist ohne Edmund Burke und dessen Gefühls- oder
Wirkungsästhetik undenkbar. Burke zählte nicht nur zu den einflußreichsten
Empiristen der damaligen Zeit, sondern er hat die Unterscheidung zwischen dem
Erhabenen und dem Schönen am sorgfältigsten gezogen. So verwundert es nicht,
daß bedeutende Vertreter der Philosophie und Ästhetik wie Kant, Schiller,
Solger und Vischer in ihm den Repräsentanten der ästhetischen Typologie sahen.
Die sinnliche Wahrnehmung bleibt für Burke ausschlaggebend für die
Emotionalität des Individuums. Das Schöne steht dabei als Grundinstinkt für die
Selbsterhöhung, das Erhabene stimuliert die Selbsterhaltung. In seiner Schrift Philosophische
Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenden und Schönen
heißt es: „Alles, was auf irgendeine Weise geeignet ist, die Idee von Schmerz
und Gefahr zu erregen, das heißt alles, was irgendwie schrecklich ist oder mit
schrecklichen Objektiven in Beziehung steht oder in einer dem Schrecken
ähnlichen Weise wirkt, ist eine Quelle des Erhabenen; das heißt, es ist
dasjenige, was die stärkste Bewegung hervorbringt, die zu fühlen das Gemüt
fähig ist.“[28]
Das Schöne hingegen wird als Wohlgeordnetheit, Sympathie und Harmonie bestimmt.
Mit dem Ideal des Schönen verbanden die Gartengestalter immer wieder das
bukolische Ideal der Hirtenlandschaft und die Pittoreske, wie sie sich
idealtypisch in den Landschaftsbildern von Nicolas Poussin, Claude Lorrain,
Salvator Rosa, Gaspard Dughet finden ließ. Diese ideal-gemalten Landschaften,
die der Schönheit geweiht waren, wurden dann auch in den Gärten nachgebaut. Die
Malerei wurde oft zum Vorbild der Landschaftsgestaltung, was sich auch heute
noch exemplarisch in den Gärten von Stowe und Stourhead zeigt. Wie sehr den
Besitzer von Stourhead – Henry Horare – Claude Lorrains Küste mit Äneas auf
Delos inspirierte, wird dort ganz deutlich.
Auch in Wörlitz verbanden die Schöpfer mit der Idee des Schönen vorrangig
Kleinarchitekturen, wie den „Floratempel“, die „Luisenklippe“, den
„Venustempel“ und den „Englischem Landsitz“, mit dem Erhabenen hingegen das
Moment der Überraschung. Dieser Effekt der Überraschung, der mit dem Affekt des
Überwältigtseins einhergehen sollte, verbunden mit dem inszenierten Erschrecken
vor dem „Unbekannten“, vor dem „Unendlichen“ und vor dem „Großen“, sollte beim
Gartenbesucher mittels der Staffagen des Vesuvs und durch die Kettenbrücke, die
zur „Mystischen Partie“ führt, hervorgerufen werden. Die Inszenierung der Natur
war auf das Erleben und Erfühlen der Dimension der Unendlichkeit angelegt, denn
wie man schon bei Burke lesen konnte, führte das Erlebnis des Unendlichen
mittelbar zum Gefühl des Erhabenen. „Die Unendlichkeit ist eine weitere Quelle
des Erhabenen, wenn sie nicht [...] der Riesigkeit zuzurechnen ist.
Unendlichkeit hat die Tendenz, den Geist mit derjenigen Art frohen Schreckens
zu erfüllen, die die eigentümlichste Wirkung und das sicherste Merkmal des
Erhabenen ist. Unter den Dingen, die zu Objekten unserer Sinne werden können,
gibt es schwerlich irgendwelche, die in Wahrheit und ihrer eigen Natur nach
unendlich sind. Aber da das Auge bei vielen Dingen nicht fähig ist, die Grenzen
wahrzunehmen, sind diese Dinge scheinbar unendlich und bringen dieselben
Wirkungen hervor, als ob sie es wirklich wären.“[29]
Nur: Den Gedanken, daß das Unendliche das Erhabene impliziert, dies hatte der
englische Philosoph keineswegs mit der Gartenkunst in Verbindung bringen
wollen, sondern mit der Natur und deren gewaltigen Landschaftsformationen.
In Wörlitz, so muß man resümieren, und dies war auch letztendlich die Kritik
vieler Gartenästheten, schlug dieser Versuch letztendlich fehl, denn mittels
Staffagen und künstlichen Erdwällen das Gefühl der Erhabenheit wachzurufen, war
doch nicht mehr als eine ästhetische Spielerei. Die Gartenkunst konnte das
Gefühl, das den Wanderer in der freien Natur überkommt, nicht ersetzen. Darauf
hatte schon Goethe früh hingewiesen und die Nachahmungssucht heftig kritisiert.
Die Schilderungen, die Goethe von seinen Landschaftserfahrungen während seiner
Schweizreisen beispielsweise gibt, waren schließlich mit dafür ausschlaggebend,
daß eine Parkgestaltung nach den Maximen des Erhabenen zusehends an Wirkmacht
verlor. Das in Freiheit erlebte Landschaftsgefühl, so wie es von Shaftesbury
beschworen wurde, siegte letztendlich über einen bloßen Ästhetisierungswillen,
die Romantik trat zugunsten der klassischen Sicht auf die Natur in den
Hintergrund zurück.
Immer waren es diese romantischen Gefühlsspielereien, die nicht nur Goethe die
Freude an einer Gartenkunst verdarben, die auf diese Affekthascherei aus war.
Selbst wenn Goethe in seinen ästhetischen Schriften größtes und gesteigertes
Interesse auf die Wahrnehmung und die Visualität legte, auf das Sehen, das
aller künstlerischer Tätigkeit vorausgeht, so hatte er dabei doch nicht die
verspielte Garten- und Wirkungsästhetik im Blick, sondern das reine
Naturerlebnis, von dem es zu lernen gelte. Gärten, so zumindest für den Goethe
der späteren Weimarer Jahre, erlangten letztendlich nur noch für die Botanik
eine herausragende Bedeutung.
[1]Friedrich A. Uehlein, Kosmos
und Subjektivität, Lord Shaftesburys Philosophical Regimen, Freiburg, München
1976. Shaftesbury wird zitiert: Anthony Ashley Cooper, Third Earl of
Shaftesbury, Standard Edition, Sämtliche Werke, ausgewählte Briefe und
nachgelassene Schriften, In englischer Sprache mit deutscher Übersetzung,
herausgegeben, übersetzt und kommentiert von W. Brenda, G. Hemmerich, W. Lottes
& E. Wolff, 6 Bde., Stuttgart 1984ff.
[2] Fritz P. Hager, Aufklärung,
Platonismus und Bildung bei Shaftesbury, Bern, Stuttgart, Wien 1993, S. 79.
[3] Shaftesbury, Soliloquy, I, 1, S. 286.
[4] Shaftesbury, Miscellaneous Reflections, I, 2,
S. 222-224.
[5] Shaftesbury, Die Moralisten,
S. 148f.
[6] Shaftesbury, A.a.O., S. 107.
[7] Shaftesbury, A.a.O., S. 72.
[8] Shaftesbury, Philosophical Regimen, S. 15.
[9] Shaftesbury, A.a.O., S. 16.
[10] Horace Walpole, Über die englische
Gartenkunst, Übersetzt von August Wilhelm Schlegel, hg. v. Frank Maier-Solgk,
Heidelberg 1994, S. 18.
[11] Christian Cay Lorenz
Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Bd. III, Hildesheim, Zürich, New York 1985, S. 154.
[12] Ebda.
[13] Ebda.
[14] Hirschfeld, Theorie der
Gartenkunst, Bd. III, S. 131.
[15] Johann Christian August
Grohmann, Neue Theorie der Gartenkunst, Zwei Bände, Bd. 2, Leipzig 1797, S.
46f.
[16] Carl August Boettiger, Reise
nach Wörlitz 1797, Aus der Handschrift ediert und erläutert von Erhard Hirsch,
Wörlitz, Oranienbaum 1988, S. 22.
[17] Shaftesbury, Selbstgespräch
I, I, S. 43.
[18] Shaftesbury, Die Moralisten
II, 4, S. 234.
[19] Ebda.
[20] Shaftesbury, Eine
Untersuchung über Tugend und Verdienst, S. 161.
[21] Ebda.
[22] Christian Cay Lorenz
Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Bd. I, Hildesheim, Zürich, New York 1985,
S. 155f.
[23] Christian Wolff, Vernünfftige
Gedancken von Gott, Der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen
überhaupt, Achte, und hin und wieder vermehrete Auflage, Halle 1741, S.
130.
[24] Johann Georg Sulzer,
Allgemeine Theorie der schönen Künste, 4 Bände, Neue vermehrte Auflage, Bd. II,
Leipzig 1786/87, S. 10.
[25] Johann Georg Sulzer,
Allgemeine Theorie der schönen Künste, 4 Bände, Neue vermehrte Auflage, Bd. I,
Leipzig 1786/87, S. 459.
[26] Reil, F., Leopold Friedrich
Franz, Herzog und Fürst von Anhalt-Dessau, Nach seinem Leben und Wirken,
Wörlitz 1990, S. 113f.
[27] Immanuel Kant, Kritik der
Urteilskraft, in: Kant Werke V, Darmstadt 1983, § 42, S. 395f.
[28] Edmund Burke, Philosophische
Untersuchungen über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen,
Hamburg 1980, S. 72.
[29] A.a.O., S. 110.
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