Erschienen in Ausgabe: No. 34 (4/2008) | Letzte Änderung: 17.05.13 |
von Martha Giertz und Constantin Graf von Hoensbroech
„Da,
wo der gelbe Fleck ist und worauf ich mit dem Finger deute, da tut es
mir weh“, merkte der kranke Albrecht Dürer über sein
Selbstporträt von 1510 an. Ein außerordentliches Werk,
etabliert es doch wohl erstmals in der Kunstgeschichte die
Auseinandersetzung mit der eigenen Befindlichkeit als Topos
künstlerischen Schaffens. Diesem Eingriff der Kunst in den
alltäglichen und existenziellen Alltag nachzuspüren, dazu
lädt die Ausstellung „schmerzhaft genial – Künstler und
ihre Krankheitsbilder“ ein. Reflexionen und Erlebnismuster über
ein Thema, das eigentlich alle betrifft und betroffen macht, werden
in der von der Berliner Agentur Damm und Lindlar kuratierten Schau
befragt. Aber speziell eben die Wahrnehmung und den Umgang eines
Künstlers mit der existenziellen Erfahrung von Krankheit und
Schmerz im Allgemeinen und im Persönlichen. So kann die in der
lichten Ausstellungshalle der WGZ BANK Düsseldorf großzügig
präsentierte Ausstellung denn auch für jeden einzelnen
Besucher die Frage nach der individuellen körperlichen und
seelischen Befindlichkeit ebenso aufwerfen wie auch die
unausweichliche - vielleicht auch schmerzliche - Frage nach dem
persönlichen Verhältnis zum Phänomen Krankheit
reflektieren.
Dabei
werden die Besucher sehr emotional darauf angesprochen, sich diesen
Reflexionen am Beispiel der Künstler Albrecht Dürer,
Francisco de Goya, Lovis Corinth, Ernst Ludwig Kirchner, Anton
Räderscheidt, Horst Janssen, Daniel Spoerri, Katarzyna Kozyra
und Giovanni Manfredini zu stellen. Bewusst wurden in der
übersichtlich konzipierten Schau, die den Mut hat, Originale und
Repros nebeneinander in einer spannenden Hängung korrespondieren
zu lassen, Künstler ausgewählt, in deren Biografien und
Lebenszeiten sich eigene existenzielle Erfahrungen ebenso
wiederfinden wie die Beeinflussung durch herausragende Daten der
Zeitgeschichte. „Über die Bilder lässt sich so mehr
erfahren als nur ein erster und manchmal einziger Blick“, hebt der
Kunsthistoriker Jochen Boberg das Charakteristikum der Ausstellung
gegenüber vergleichbaren, meist opulenten Präsentationen
hervor. Günter Herzog, Professor für Kunstgeschichte sowie
Direktor des Zentralarchivs
des internationalen Kunsthandels (ZADIK),
ergänzt in diesem Zusammenhang: „Das Verdienst einer
Ausstellung wie ,schmerzhaft genial’, in der es bewusst um das
Thema von Künstlern und ihren Krankheitsbildern geht, ist es,
dass ein wesentlicher Aspekt der Kunst wieder aufgegriffen wird, der
vielfach in den Hintergrund getreten war: eben der heilende Aspekt
von Kunst und künstlerischem Schaffen. Es ist doch allgemein so,
dass in vielen Kulturen dem künstlerischen und kreativen Tun,
oft auch erst einmal unabhängig von ästhetischen
Gesichtspunkten, eine therapeutische Wirkung zukommt. Siehe
beispielsweise auch die Berufung eines Joseph Beuys auf den
Schamanismus mit seinen Wirkungen in psychisch-physischer Hinsicht.“
Kann
Kunst, kreatives Tun heilen? Ulrike Damm, Kuratorin der Ausstellung,
ist skeptisch, ob durch das künstlerische Schaffen tatsächlich
so etwas wie Selbstheilungsprozesse stimuliert werden können.
„Gleichwohl haben Künstler, die schwer krank waren oder sind,
eben durch ihre Kunst etwas, an dem sie sich festhalten und dadurch
möglicherweise anders den Umgang mit Krankheit bewältigen
können.“ Ein authentisches Beispiel hierfür gibt Gisele
Räderscheidt, die hochbetagte Witwe von Anton Räderscheidt
(1892 bis 1970), einem der prominentesten Vertreter der Neuen
Sachlichkeit. Wie der gebürtige Kölner nach einem
zerebralen Schlaganfall zum künstlerischen Tun zurückfand,
beschreibt seine Witwe wie folgt: „Es hat sehr lange gebraucht, ehe
er wieder tätig wurde. Ich hatte ihm einen Zeichenblock gekauft
und er fing zunächst an, auf den Knien völlig unleserlich
zu zeichnen. In vielen kleinen Schritten wurde er wieder künstlerisch
tätig. Aber es war ein anderes Leben für ihn als vorher.
Ich habe bei meinem Mann den therapeutischen Charakter der Kunst und
die Kunst als eine Form der Rehabilitation erlebt. Dies sah auch der
behandelnde Arzt so, und so erklärten sich für ihn auch
physische Fortschritte wie die, dass sich die starke Beeinträchtigung
der Sehkraft auf dem linken Auge therapiert habe.“ Dabei macht
Günter Herzog noch auf einen ganz anderen Umstand aufmerksam,
der bei Räderscheidt wie bei dem ebenfalls in der Ausstellung
vertretenen Lovis Corinth von Bedeutung ist, weil beider Werke von
den Nationalsozialisten als „entartet“ gekennzeichnet worden
waren: „Die Ausstellung und ihr Thema nehmen damit auch etwas von
jenem faden Beigeschmack, mit denen oftmals, besonders in der
nationalsozialistischen Zeit, Kunstwerke in Zusammenhang mit
Krankheit diskreditiert worden sind.“
Hoch
spannend ist aber auch, wie mancher der neun Künstler in seiner
Biographie und seinen Werken die Frage nach der über die
irdische Welt hinausweisende Botschaft oder Überzeugung
aufwirft. Sei es etwa Albrecht Dürer, der sich in einem
berühmten Selbstbildnis als Christus stilisiert, weil Gott den
Menschen „nach seinem Bilde“ geschaffen hat. Sei es in den Werken
von Giovanni Manfredini (Jahrgang 1963), der als junger Mann bei
einem Unfall schwerste Brandverletzungen erlitt. „Nur Liebe“ sagt
der Italiener auf das Stichwort Lebenswillen. In seinen Arbeiten wird
der Umgang mit seinem entstellten Körper und den Schmerzen
thematisiert - Werke, die bewusst beim Betrachter die Assoziation zum
Leiden eines – oder des? - Gekreuzigten hervorrufen, Werke, die
„wie Metamorphosen des Individuums erscheinen“, beschreibt es
Kunsthistoriker Boberg. Für Ulrike Damm ist es „mit Sicherheit
eine starke spirituelle Dimension“, die Manfredini beeinflusst. Auf
das Stichwort „Zukunft“ antwortete ihr der Künstler: „Kurz
vor dem Leben, kurz vor dem Nicht-Leben.“
Die
Schau will aber nicht plakativ die Schreckensbilder der Krankheit
dokumentieren, sondern den kreativen Umgang damit verdeutlichen.
Daniel Spoerri (Jahrgang 1930) collagiert beispielsweise die
Instrumente der Heilkunst und Katarzyna Kozyra (Jahrgang 1963)
arbeitet ihre inzwischen überwundene Krebserkrankung auf. Thomas
Ullrich, Vorstandsmitglied der WGZ BANK, betont dabei auch den
spannenden Bogen, der in den Alltag des Bankgeschäfts gespannt
wird. „Kunst gehört zur Unternehmenskultur unseres Hauses.“
Schließlich seien Kreativität, Innovationskraft und der
Blick auf den Menschen nicht nur Elemente der Kunst, sondern auch des
Alltags. Ob er auf Dürers „Hieronymus im Gehäuse“
anspielt? Die Darstellung zeigt den Heiligen in der Beschäftigung
mit sich selbst, im Einklang mit der Natur und im Bewusstsein des
Todes. Fast 500 Jahre alt ist dieser berühmte Kupferstich, der
den kreativen, innovativen Umgang mit den existenziellen Facetten des
menschlichen Lebens umfasst. Umso spannender ist es beim Rundgang,
die weitere Entwicklung in dieser Hinsicht durch die Jahrhunderte
vorgeführt zu bekommen. Bis hin zu der mutigen Frage, ob durch
diese Kunstwerke möglicherweise eine Ästhetik der Krankheit
und des Leidens angenommen werden kann. Bemerkenswert, und vielleicht
auch Mut machend, ist der Hinweis des renommierten Kölner
Immunbiologen Gerhard Uhlenbruck. Er nannte nach seinem Rundgang
durch die Ausstellung Menschen, die sehr bewusst mit ihrem Leiden,
zumal dem chronischen umgehen, „genial schmerzhaft“.
Ausstellung
bis 12. Dezember, mo bis fr 9 bis 17 Uhr, WGZ BANK Düsseldorf,
Ludwig-Erhard-Allee 20.
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