Erschienen in Ausgabe: No 42 (8/2009) | Letzte Änderung: 17.07.09 |
von Constantin Graf von Hoensbroech
Muss der ordnungspolitische Rahmen der Sozialen
Marktwirtschaft neu gefasst werden? Oder hat der derzeitige staatliche
Interventionismus in der Ökonomie die Grundprinzipien der Jahrzehnte lang
erprobten und bewährten Wirtschaftsordnung zugunsten eines konzeptionslos
anmutenden Krisenmanagements nicht längst in den Hintergrund gedrängt? Drängt
staatliche Regulierung den Markt immer weiter zurück, weil die Grundprinzipien
der Sozialen Marktwirtschaft als Leitfaden einer konzeptionellen
Wirtschaftspolitik nicht mehr erkennbar sind? „In den gegenwärtigen Debatten
findet man eigentlich keine ernstzunehmende Gruppe, die sich nicht hinter die
Soziale Marktwirtschaft stellt, aber alle haben unterschiedliche Vorstellungen
darüber, nach welchen Regeln eigentlich gespielt werden soll“, fasst Werner
Görg den Kern der aktuellen Debatte zusammen, die von vielen längst als
grundlegende Systemdebatte geführt wird. Auch Görg sieht das so, wobei der
erfahrene Unternehmer - von der Kölner Industrie- und Handelskammer (IHK) mit
dem Adelspräsikat eines Botschafters für die Soziale Marktwirtschaft
ausgestattet - immer wieder selbst darüber erstaunt ist, dass das so gekommen
ist: „Dass ein eigentlich normaler Vorgang, nämlich die Bereinigung des Marktes
nach dem Platzen einer Blase, letztendlich zu einer Systemdebatte führt, ist
doch höchst verwunderlich.“
Die Verwunderung mag sich angesichts des Befundes noch
steigern, dass die Debatte über die Soziale Marktwirtschaft deutscher Prägung
eigentlich alternativlos geführt wird, weil es eben,außer der längst gescheiterten
sozialistischen Planwirtschaft, keine Alternative gibt. „Die Soziale
Marktwirtschaft ist nicht nur ein geeignetes Modell in der Krise, sie bleibt
vor allem das Modell für die Zeit nach der Krise“, betont in diesem Sinne denn
auch beispielsweise der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Walther
Otremba. Der Blick in die Geschichte der Sozialen Marktwirtschaft liegt da
nahe. Schließlich wurde sie seinerzeit von ihren geistigen Vätern bewusst als
Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre sowie die totalitären
Folgen eines Laisser-Faire-Kapitalismus konzipiert. Auch aus der Finanzmarktkrise
werde die Soziale Marktwirtschaft gestärkt hervorgehen, prognostiziert der
Staatssekretär, „weil sie kein starres Modell ist und ihre ordnungspolitischen
Grundsätze wie Wettbewerb und offene Märkte, Freiheit, Verantwortung und
sozialer Ausgleich zeitlos sind“.
Das Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft tut Not, zumal
es längst nicht mehr selbstverständlich ist. Ausgerechnet zu ihrem 60.
Geburtstag wurde der Vertrauensverlust offenkundig. Laut einer
Allensbach-Umfrage gaben sich nur knapp über 30 Prozent der Befragten als
Unterstützer der Sozialen Marktwirtschaft zu erkennen. Nicht genug damit kommt
nun auch noch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung hinzu: Seit Wochen
führen deutsche Ökonomen eine heftige Debatte über die Ausrichtung der Volkswirtschaftslehre
im Zusammenhang mit der Besetzung von Lehrstühlen an verschiedenen deutschen
Universitäten. Während die eine Seite in der stark mathematischen Ausrichtung
des Fachs eine zeitgemäßere und vor allem international wettbewerbsfähigere
Form des Fachs erkennen, befürchten die Kritiker, dass eine solche Position zur
Preisgabe eines Denkens in gesamtwirtschaftlichen und übergeordneten
ordnungspolitischen Zusammenhängen führen wird. Dieser Streit, und mehr noch
möglicherweise sein Ausgang, bezieht seine übergeordnete Relevanz neben dem
inneruniversitären Aspekt eben auch aus der bedeutenden Tatsache, dass sich die
Frage nach der zukünftigen Bedeutung einer wissenschaftlich fundierten und in
der Praxis erprobten wirtschaftspolitischen Beratung neu definiert. „Berater
oder Rechenkünstler?“, brachte kürzlich eine deutsche Wirtschaftszeitung die
Debatte treffend auf den Punkt.
Auch die IHK Köln nahm dieser Tage den mittlerweile auch als
„Ökonomenstreit“ medial ausgetragenen Diskurs zum Anlass, über die Krise im
Allgemeinen und die Politikberatung im Besonderen zu diskutieren und dabei nach
den Grundsätzen einer modernen und zukunftsfesten Wirtschaftspolitik zu fragen.
Mit Werner Görg saß dabei ein Unternehmer auf dem Podium, der sich in seiner
beruflichen Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender der Gothaer Versicherungsgruppe
in erster Linie mit mathematischen Steuerungsmodellen befasst. „Aber die
Absolutheit dieser Modelle ist nicht richtig, weil sich eben bestimmte Aspekte
darin nicht abbilden lassen“, sagte der Kölner IHK-Vizepräsident und fragte:
„Wo ist der Praxisbezug solcher Modelle?“ Seiner Ansicht nach seien gerade
Unternehmen mit großer Finanzausstattung in ihrer Steuerung mit der Vielzahl
spezieller Modelle überfrachtet. Quantitative Modelle seien für die
Unternehmenssteuerung zwar wichtig, aber: „Die Mitarbeiter müssen sie selber
auch verstehen.“ Die Einbindung der Mitarbeiter und deren Verständnis für die
Geschäftspolitik, wie sie beispielsweise „in der guten deutschen Tradition“
durch Aufsichts- und Betriebsräte gewährleistet sind, gehören für den
Unternehmer Görg ebenso zu Elementen einer Sozialen Marktwirtschaft wie die
ordnungspolitischen Dimensionen von Verantwortung, Haftung, Gemeinwohl- vor
Individualinteresse.
Wie kann aber Vertrauen mathematisch dargestellt werden? Die
Antwort ist einfach: „Vertrauen lässt sich eben nicht mit Hilfe eines Modells
erfassen“, wie Professor Juergen B. Donges betont. Der Direktor des Instituts
für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln sowie langjährige Vorsitzende
des Sachverständigenrates lehnt eine Spezialisierung der Volkswirtschaft zwar
nicht grundlegend ab, numerische Größen dürften aber nicht zum Nennwert erhoben
werden. Es könne nicht sein, dass Studenten die Universität verließen und
nichts über das ordnungspolitische Regelwerk, wirtschaftswissenschaftliche
Ideengeschichte, Institutionen, Partikularinteressen und politische
Entscheidungsträger wüssten. Donges, der bekannt dafür ist, dass er seit Jahren
vehement darauf hinweist, wie nach seiner Meinung gegen Grundprinzipien der
Sozialen Marktwirtschaft verstoßen wird – Subventionen, Protektionismus,
Rentenschutzklausel, Gesundheitsfonds und andere staatliche Interventionen –,
betont andererseits, warum gerade die Soziale Marktwirtschaft die am besten geeignete
Wirtschaftsordnung für die Zukunft ist, wenn fundamentale Grundprinzipien
respektiert werden: bei den Unternehmen die Einheit von Gewinnchance und
Verlustrisiko, bei den Bürgern die Bereitschaft zur Selbstverantwortung sowie
beim Staat die Pflege guter gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen für
unternehmerische Investitionen und die damit verbundene Schaffung von
Arbeitsplätzen.
Achim Wambach, Professor am Staatswissenschaftlichen Seminar
der Universität zu Köln, warb für mehr forschungsbasierte Politikberatung.
Gerade weil sich die volkswirtschaftliche Forschung in den vergangenen
Jahrzehnten sehr spezialisiert habe, müsse die wirtschaftspolitische Beratung
neue Wege gehen und aktuelle Methoden und Erkenntnisse nutzen und auf
wirtschaftspolitische Fragestellungen anwenden. Dazu gehört aber eben auch die
Lektüre der wirtschaftswissenschaftlichen Klassiker, wie Patrick Adenauer
hervorhob. Der Unternehmer sowie Präsident des Vereins „Die Familienunternehmer
– ASU“ hob hervor: „Wirtschaftspolitik und Volkswirtschaft sind keine rein
mathematischen Wissenschaften, sondern haben viel mit dem Denken in Ordnungen
zu tun.“ Der Enkel des ehemaligen Bundeskanzlers plädierte aber auch dafür,
dass „man neben der klassischen Ordnungspolitik auch eine Ordnungspolitik
hinsichtlich Währung und Haushalt benötigt".
Den Appell an die Wissenschaft nahm Staatssekretär Otremba
mit seinen Worten auf: „Die Politik erwartet von den
Wirtschaftswissenschaftlern, anspruchsvolle Theorien allgemeinverständlich zu
formulieren und ihrer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe gerecht zu werden, bei
der Gestaltung von Rahmenbedingungen für eine marktwirtschaftliche Ordnung zu
helfen.“ Herbert Ferger, Hauptgeschäftsführer der IHK Köln, fasste die
Diskussion in dem schönen Satz zusammen: „Zwar sagen alle, dass die Soziale
Marktwirtschaft der Wegweiser ist, aber dazu brauchen wir eben auch
Wegweisung.“
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