Erschienen in Ausgabe: No 42 (8/2009) | Letzte Änderung: 20.07.09 |
von Borislaw Wankow
Ich verstehe das Bewußtsein nicht. Ich habe nichts Vernünftiges
oder Intelligentes darüber zu sagen.
(Der große Evolutionsbiologe John Maynard Smith im Gespräch mit Robert
Wright1)
Stuart: Was ist Bewußtsein?
Al: Stuart, wenn ich es wüßte, würde ich es dir sicher mitteilen.
(Dialog zwischen Stuart Hameroff und Alwyn Scott2)
Zusammenfassung:
Durch eine Synthese theoretischer Erwägungen und empirischer Erkenntnisse
wird eine Theorie über das Bewußtsein entwickelt. Es werden drei Thesen
aufgestellt: 1. Bewußtsein als nichtphysikalisches Phänomen existiert. 2. In
der Evolution wurde das Gehirn, nicht das Bewußtsein ausgelesen. Subjektivität
hat keine biologische Funktion 3. Nervengewebe bringt notwendig Subjektivität
hervor. Auf dieser Basis wird geschlußfolgert, daß eine Form des
Epiphänomenalismus richtig sein muß. Weiterhin werden die strukturellen und
funktionellen Voraussetzungen für das Vorliegen von Bewußtsein untersucht, und
es wird der Frage nachgegangen, ob anorganische Systeme bewußt sein können.
Abschließend werden Möglichkeiten zur Überprüfung von Theorien über das
Bewußtsein diskutiert.
Eines der größten ungelösten wissenschaftlichen und philosophischen Rätsel
ist das Bewußtsein. Nach Ansicht mancher Philosophen wie Thomas Nagel ist es
mit den bisherigen Mitteln und Methoden nicht möglich, eine Antwort darauf zu
finden. Colin McGinn meint sogar, daß unsere kognitiven Fähigkeiten prinzipiell
nicht ausreichen, um das Körper-Geist-Problem zu begreifen. Auf der anderen
Seite gibt es auch Philosophen wie Daniel Dennett, die behaupten, daß dem
Bewußtsein nichts sonderlich Schwieriges oder Mysteriöses anhaftet und sie es
zumindest grundsätzlich erklärt haben.
Letzterer Anspruch ist vielleicht etwas anmaßend, denn auf viele oder die
meisten philosophischen Fragen gibt es bekanntlich keine definitiven Antworten.
Andererseits sind in der Philosophie oft die Fragen wichtiger und interessanter
als mögliche Antworten. Nach unserer Meinung muß die Philosophie jedoch darüber
hinaus bestrebt sein, Antworten in allgemeiner Form durchzuspielen, die
Grenzen der denkbaren Erklärungen abzustecken. Philosophie ist auch und
gerade rational gezügelte Spekulation. Einen solchen Erklärungsrahmen zu setzen,
ist Thema des vorliegenden Aufsatzes.
Das Problematische am Phänomen „Bewußtsein“
Bewußtsein hat sowohl philosophische als auch naturwissenschaftliche
Dimensionen. Keine der zahlreichen, z.T. sehr ausgeklügelten Theorien in der
Philosophie des Geistes (philosophy of mind) erfreut sich allgemeiner
Zustimmung. Es sollte außerdem zu bedenken gegeben werden, daß mittlerweile
große Wissenschaftler und Nobelpreisträger wie Gerald Edelman, Francis Crick
und John Eccles Erklärungsansätze für das Verhältnis von Gehirn und Mentalem
geliefert haben, die aber nicht allgemein akzeptiert sind. Es handelt sich also
offenkundig in der Tat um ein sehr fundamentales und zugleich sehr vertracktes
Problem.
Wir können uns fragen, woher diese großen Schwierigkeiten bei der Erklärung
des Bewußtseins kommen. Wolf Singer schreibt dazu:
„Die Erforschung des menschlichen Gehirns ist ein
eigentümliches, weil letztlich zirkuläres Unterfangen. Ein kognitives System
versucht sich selbst zu ergründen, indem es sich im Spiegel naturwissenschaftlicher
Beschreibungen betrachtet. Solange es nur um Erklärungsmodelle für sensorische
oder motorische Leistungen geht (...), gleichen die erkenntnistheoretischen
Fragen denen der übrigen Wissensdisziplinen. Ganz anders jedoch, wenn es Ziel
ist, Erklärungen für jene mentalen und psychischen Funktionen zu finden, die
den Menschen ausmachen.“3
John Searle wiederum gibt zu bedenken:
„Bewußte Geisteszustände und Geistesvorgänge haben ein
besonderes Merkmal, das andere Naturphänomene nicht besitzen: Subjektivität.
Gerade an diesem Merkmal liegt es, daß Bewußtsein sich gegenüber den
konventionellen Methoden der biologischen und psychologischen Forschung als so
widerspenstig erweist und für die philosophische Analyse als so höchst
rätselhaft.“4
Theorien über das Bewußtsein
Es gibt eine sehr große Vielfalt von philosophischen Theorien über das
Bewußtsein. Ihre erschöpfende Aufzählung würde den Rahmen dieses Aufsatzes
sprengen. Deshalb begnügen wir uns an dieser Stelle mit einigen Andeutungen.
Nach J.A.S. Shaffer gibt es zwei Typen von Bewußtseinstheorien – subjektive
und objektive bzw. solche, die das Bewußtsein aus der Erste-Person-Perspektive
und solche, die es aus der Dritte-Person-Perspektive beschreiben. Darüber
hinaus gibt es einen Kompromiß zwischen beiden Sichtweisen. Mentale Prozesse
werden im Geiste des Dualismus von Descartes als immateriell, des Materialismus
als materiell und der personellen Theorie (P. Strawson) als weder immateriell
noch materiell aufgefaßt.5
Stephen Priest unterscheidet Dualismus (Platon und Descartes), logischen
Behaviorismus (Hempel, Ryle und Wittgenstein), Idealismus (Berkeley und Hegel),
Materialismus (Place, Davidson ud Honderich), Funktionalismus (Putnam und
Lewis), Zwei-Aspekte-Therie (Spinoza, Russell und Strawson), phänomenlogische
Sichtweise (Brentano und Husserl).6
In den letzten 30 Jahren hat die Philosophie des Geistes eine starke
Entwicklung erfahren. Erwähnt seien an dieser Stelle noch die modernen Ansätze
von Searle (biologischer Naturalismus) und Dennett (multiple Entwürfe).
Die Existenz des Bewußtseins
Welcher der vielen Theorien über das Verhältnis von Körper und Geist ist
beim gegenwärtigen Wissensstand der Vorzug zu geben?
Um einen Ausgangspunkt für weitere Betrachtungen zu gewinnen, wird es nötig
sein, zunächst einen Minimalkonsens über das Bewußtsein herzustellen. In
folgenden soll die die Ansicht vertreten werden, daß subjektive mentale
Zustände, was auch immer sie genau darstellen mögen, real existieren.
Das ist die erste zentrale These:
Bewußtsein als ein vom Körper verschiedenes immaterielles Phänomen
existiert.
Denn manche skeptischen bzw. materialistischen Deutungsversuche würden das
bezweifeln. Im Extremfall wird sogar das Bewußtsein wegerklärt oder die
Existenz geistiger, subjektiver Zustände geleugnet (z.B. Feyerabend 1963, Rorty
1965). In letzter Zeit ist unter den Philosophen allerdings eine gewisse
Abkehr von extrem reduktionistischen Positionen zu beobachten.
Dazu ist zu sagen: Die Erforschung und Analyse des Bewußtseins mag so manche
Überraschung parat halten. Es ist aber unplausibel anzunehmen, daß sich unser
Forschungsgegenstand eines Tages als nichtexistent herausstellen könnte. Es
gibt einen Unterschied zwischen unbewußten oder schwach bewußten Zuständen wie
Schlaf, Koma oder Narkose und unserem täglich introspektiv erlebten
Wachzustand. Mehr noch, es scheint verschiedene Grade und Abstufungen von
Bewußtheit zu geben, wie jeder aus eigener Erfahrung weiß.
Wie sich allerdings noch zeigen wird, ist die Existenz von Bewußtsein eine
besondere Art der Existenz. Normalerweise werden mit „wirklich“ oder
„existierend“ Phänomene beschrieben, die Wirkungen auf reale, materielle
Gegenstände ausüben können. Gerade diese Eigenschaft ist aber dem Bewußtsein
nach der hier vertretenen Auffassung abzusprechen. Dennoch ist es unserer
Meinung nach gerechtfertigt, Bewußtsein als existent anzunehmen. Wir müssen uns
ständig vor Augen halten, daß gewisse herkömmliche Konzepte aufgrund der
Spezifik der Philosophie des Geistes nicht im ursprünglichen Wortsinn anwendbar
sind.
Nachdem also die – wenn auch eigentümliche - Existenz des Bewußtseins
prinzipiell anerkannt ist, stellt sich nunmehr die alte Frage nach dem
Verhältnis des Mentalen zum Materiellen.
Die biologische Rolle von Bewußtsein
Die Darwinsche Theorie der natürlichen Auslese liefert die bislang beste
Erklärung für die Herausbildung neuer biologischer Mechanismen. Die
Erklärungskraft des Darwinschen Denkens ist in der Tat sehr groß. Demnach sind
viele Neuerungen in der Evolution mit Selektionsvorteilen verbunden. Die These,
daß Bewußtsein ebenfalls einen Selektionswert hat, führt unweigerlich zu einem
starken Dualismus – einem Interaktionismus, der postuliert, daß Bewußtsein
kausale Kräfte besitzt und auf das materielle Gehirn einwirken kann, ebenso wie
das Gehirn umgekehrt mentale Zustände hervorzubringen und zu beeinflussen
imstande ist.
Der Neurophysiologe R. F. Schmidt macht dazu folgende Bemerkung:
„Wenn aber Gedanken zu Handlungen führen, ist der
Neurophysiologe gezwungen anzunehmen, daß durch Denken die neuronale Aktivität
des Gehirns geändert werden kann, so daß der efferente Ausstrom aus dem
motorischen Cortex zur gewünschten Bewegung führt. Diese Umsetzung von Denken
in Wollen in corticale Impulsmuster bleint allerdings derzeit weit außerhalb unseres
Verständnisses.“7
Diese Passage läßt sowohl dualistische als auch monistisch-materialistische
Deutungen zu. Wenn man „Denken“ im Sinne einer aktiven ideellen Wesenheit
interpretiert, läuft dies auf einen Interaktionismus zwischen Körper und Geist
hinaus. Denken kann aber auch als ein mehr oder weniger materielles Phänomen
verstanden werden, das allerdings besondere kausale Kräfte besitzt. Dazu ist
etwas später mehr zu sagen.Schließlich ist möglich, daß diese Ansicht
einfach falsch ist, daß Denken die neuronale Aktivität überhaupt nicht
beeinflußt, weil das Mentale nur ein Nebenprodukt eben dieser Aktivität
ist. Die Einwirkung auf das Gehirn durch Denken wäre dann eine Illusion.
Die klassische dualistische Auffassung von Descartes geht von der Existenz
einer immateriellen (und unsterblichen) geistigen Substanz aus, was heute kaum
jemand in dieser Form vertritt. Dennoch muß man zugeben, daß der Dualismus
unseren intuitiven Ansichten über den Geist und dem Alltagsverstand am nächsten
kommt. Deshalb muß er natürlich nicht richtig sein. Im Gegenteil – die
dualistische Doktrin birgt große logische und konzeptionelle Schwierigkeiten.8
Einen modernen, sehr ausgefeilten dualistischen Interaktionismus haben im
20. Jahrhundert der Philosoph Karl Popper und der Neurophysiologe John Eccles
verteidigt, der später von letzterem weiterentwickelt wurde. In dieser
Sichtweise besitzt die menschliche Großhirnrinde eine sie gegenüber der
gesamten übrigen materiellen Welt auszeichnende Eigenschaft: Bei bestimmten funktionellen
Zuständen wirkt sie gewissermaßen als Detektor, der für Einflüsse empfindlich
ist, die mit physikalischen Mitteln und Methoden nicht auszumachen sind. Dank
dieser Eigenschaft tritt das Gehirn mit dem “selbstbewußten Geist”
(selfconscious mind) in Verbindung. Der selbstbewußte Geist ist das Phänomen,
das den Abgrund zwischen der materiellen und der geistigen Welt zu überbrücken
vermag.
Diese Hypothese wurde von Eccles in Zusammenarbeit mit dem Physiker Beck
präzisiert. Er postulierte, dass Prozesse auf Ebene der Quantenphysik die
Ausschüttung von Neurotransmittern im synaptischen Spalt bestimmter
Nervenzellen im Gehirn im Sinne eines quantenmechanischen
Wahrscheinlichkeitsfeldes beeinflussen. So sei es dem unphysikalischen
(energie- und masselosen) Geist möglich, auf das materielle Gehirn ohne
Verletzung der Erhaltungssätze der Physik einzuwirken.
Eccles wurde zu dieser Auffassung indes vor allem durch seinen religiösen
Glauben, teils durch eine zu buchstäbliche Auslegung der natürlichen Selektion
geführt:
„Nach der biologischen Evolution können mentale Zustände
und Bewußtsein nur dann entstanden sein und sich entwickelt haben, wenn
sie darin ursächlich erfolgreich waren, Veränderungen in neuronalen
Ereignissen im Gehirn mitsamt der daraus resultierenden Verhaltensänderung
hervorzurufen. Dies kann nur dann geschehen, wenn die neurale Anlage des
Gehirns für Einflüsse durch mentale Ereignisse in der Welt der bewußten
Erfahrungen offen ist, denn so lautet das Kernpostulat der
dualistisch-interaktionistischen Theorie.“9
Das ist eine sehr extreme Sicht der Evolution. Es ist ja nicht so, daß jedes
neue biologische Merkmal notwendigerweise einen Auslesevorteil mit sich bringen
muß. John Searle:
„Mit meiner Antwort auf die Frage nach der evolutionären
Rolle des Bewußtseins möchte ich die stillschweigende Annahme zurückweisen,
jede biologisch ererbte Eigenschaft müsse dem Organismus einen Auslesevorteil
verschaffen. Das halte ich für übermäßig groben Darwinismus, und dagegen gibt
es heutzutage jede Menge guter Gründe.“10
Es kann auch evolutionäre Merkmale geben, die neutral sind oder zumindest
keine klaren Nachteile mit sich bringen und keine biologische Funktion
erfüllen.
Gerald Edelman äußert dazu:
„Jede Theorie des Bewußtseins muß außerphysikalische Grundsätze
wie den Dualismus ablehnen und so physikalisch begründet sowie
evolutionsbiologisch schlüssig sein.“11
Um es deutlich zu sagen: Die Darwinsche Evolution spielt sich in der
physikalischen Welt ab. Sie wirkt auf materielle Phänomene. Mentale Zustände
sind aber nach unserer Definition keine materiellen Erscheinungen. Die zweite
zentrale These, die hier vertreten werden soll, lautet deshalb:
In der Evolution wurde nicht das Bewußtsein, sondern das Nervensystem,
das Gehirn ausgelesen.
Bewußtsein als Epiphänomen
Bewußtsein selbst wurde keinem Ausleseprozeß unterworfen, es stellt keine
Adaptation dar. Wenn das richtig ist, kann das Phänomen des Bewußtseins an sich
keinen Überlebensvorteil bieten. Der Vorteil ist auf die Entwicklung des
Gehirns, nicht des Bewußtseins zurückzuführen. Entgegen unserer Intutition
hätte Bewußtsein an sich keine biologische Funktion. Biologisch relevant
wären bloß die neuronalen Mechanismen, die Bewußtsein hervorrufen.
Demzufolge muß das Mentale eine Begleiterscheinung des Materiellen sein.
Der starke Dualismus ist daher zu verwerfen. Da wir aber auf der anderen Seite
die Existenz des wenn auch unphysikalischen Geistes akzeptieren, somit den
Materialismus in seiner konsequenten Form ablehnen, bleiben als
Erklärungsansatz nur Formen des Parallelismus oder Epiphänomenalismus.
Hier wird zugunsten des Epiphänomenalismus plädiert, d.h. der Auffassung,
daß die Materie auf den Geist wirkt, aber nicht umgekehrt. Dabei wäre die
Korrelation zwischen Gehirn und Geist folgendermaßen zu präzisieren: Die
Materie – das Nervengewebe - bringt den Geist hervor und wirkt auf
ihn, psychische Vorgänge jedoch determinieren weder physikalische noch
psychische Ereignisse. Mentale Entitäten sind von physischen nomologisch
abhängig, aber „intrinsisch“, also nicht mit physischen Zuständen identisch
oder auf sie reduzierbar. Es gibt mithin keine besondere „geistige Substanz“.
Der Epiphänomenalismus stellt heutzutage zugegebenermaßen keine sehr
populäre Ansicht in der Philosophie des Geistes dar. Dennoch:
„Epiphänomenalismus mag kontraintuitiv sein, er ist aber
nicht offensichtlich falsch, und wenn ein schlüssiges Argument ihn uns
aufzwingt, sollten wir ihn akzeptieren."12
Und tatsächlich, aus den Prämissen: „1. Bewußtsein als subjektives,
unkörperliches Phänomen existiert.“ und „2. In der Evolution wurde das Gehirn,
nicht das Bewußtsein ausgelesen.“ folgt nahezu zwangsläufig eine Form des
Epiphänomenalismus. Die physikalische Welt bleibt dabei kausal geschlossen,
zugleich wird aber auch der Existenz subjektiver Erlebnisinhalte, z.B. der
berühmten „phänomenalen Zustände“ oder „Qualia“ Rechnung getragen und ihre
Existenz nicht geleugnet. Lediglich die mentale Verursachung wird abgelehnt.
Das ist zugegeben ein Kompromiß, aber immerhin etwas mehr als der reine
Materialismus zu bieten hat.
Philosophie strebt nach Wahrheit, und letztere muß nicht unbedingt mit der
Mehrheitsmeinung oder unserer Intuition zusammenfallen. Es gibt jedoch
sicherlich eine Reihe gewichtiger Einwände gegen den Epiphänomenalismus. Einer
der schwerwiegendsten wurde von Karl Popper folgendermaßen ausgedrückt:
„Eine wichtige Kritik (...) ist diese: Auf Argumente und
unser Abwägen von Gründen angewandt ist die epiphänomenalistische Auffassung
selbstmörderisch. Denn der Epiphänomenalismus muß argumentieren, daß
Argumente und Gründe nicht wirklich zählen. Sie können nicht wirklich unsere
Handlungsdispositionen beeinflussen – zum Beispiel solche zu sprechen und zu
schreiben – noch die Handlungen selbst. Diese sind alle auf mechanische, physikochemische,
akustische, optische und elektrische Wirkungen zurückzuführen. So führt also
das epiphänomenalistische Argument zur Einsicht in die eigene Belanglosigkeit.
Das widerlegt noch nicht den Epiphänomenalismus. Es bedeutet lediglich, daß wir
– wenn der Epiphänomenalismus wahr ist – nichts, was zu seiner Begründung als
Argument zu seiner Unterstützung vorgebracht wird, ernst nehmen können.“13
Viele Forscher und Philosophen scheuen sich aus dem genannten und anderen
Gründen, den Epiphänomenalismus anzunehmen. Demnach wären wir Menschen
tatsächlich nicht viel mehr als sehr komplizierte Automaten und natürlich auch
keine Herren über unser Schicksal. Alles, was nach landläufiger Meinung den
Menschen ausmacht – unsere Gedanken, Wünsche, Hoffnungen, Träume, Empfindungen
– hätten keinerlei unmittelbare Bedeutung für unser Leben. Gedanken an sich
können keine anderen Gedanken und ebenso wenig Handlungen bewirken. Selbst
dieser Text, der zugunsten des Epiphänomenalismus argumentiert, wäre nicht
der „reinen“ Denktätigkeit des Autors, sondern der Neurodynamik seines Gehirns
entsprungen. (Man könnte sich scherzhaft fragen, welchen Sinn hat es dann
überhaupt hat, ihn zu veröffentlichen.) Ein konsequenter Epiphänomenalist muß
diesen Schluß jedoch, der eine reductio ad absurdum zu sein scheint, unter
Umständen akzeptieren.
Ein anderer Einwand lautet, daß ein Epiphänomenalist nicht in der Lage ist,
schlüssig zu beweisen, daß er (introspektive) Kenntnis seiner eigenen
Bewußtseinszustände hat. Denn die Überzeugung, daß er bewußte Erlebnisse hat,
muß selbst durch introspektive Beobachtung, also durch bewußte Erlebnisse
veranlaßt sein. Das käme aber gerade der Verursachung mentaler Zustände durch
andere mentale Zustände gleich, was der Epiphänomenalist ablehnt.
Dazu ist zu sagen: Solche Widersprüche entstehen in der Philosophie des
Bewußtseins oft, und sie sind wahrscheinlich nicht zufällig. Man kann vermuten,
daß jeder Versuch des Subjekts, sich selbst durch Selbstbetrachtungen
„objektiv“ zu erkennen, sozusagen aus der Dritte-Person-Perspektive zu
beschreiben, zu Schwierigkeiten und Widersprüchen führen wird. Das liegt
wahrscheinlich in der Natur der Sache. Die Situation erinnert zum einen an
logische Antinomien wie z.B. dem Lügnerparadoxon, zum anderen an die
Interpretation der Quantenmechanik. Quantenphysiker sind bekanntlich
gezwungen, nichtklassische Phänomene in klassischer Redeweise zu beschreiben,
was unweigerlich Widersprüche zur Folge hat. Gerade deshalb sind in der
Philosophie des Geistes neue Denkansätze gefragt. Ein solcher Ausweg besteht
darin zu postulieren, daß die Trennung zwischen erkennendem Subjekt und Objekt
bei der Introspektion nicht in klassischer Form statthaft ist. Die Aussage „Ich
sehe einen grünen Baum.“ hätte in dieser Sichtweise einen ganz anderen
epistemologischen Status als die Aussage „Ich bin bewußt.“ Die Überzeugung, daß
man bewußt ist, wäre sozusagen a priori oder quasi „angeboren“, ohne weiter
analysiert werden zu können, ohne bewirkt worden zu sein und ohne weiterer
Rechtfertigung zu bedürfen. Daher wäre auch keine „mentale Verursachung“ für
diese Überzeugung nötig.
Eine weitere Möglichkeit, radikale Schlußfolgerungen über die eigene
Ohnmacht sowie vermeintliche Widersprüche des Epiphänomenalismus zumindest abzumildern
besteht in der Hypothese, daß im Gehirn eine besondere Verursachung
stattfindet, bei der neurophysiologische Zustände einander nach besonderen
Regeln bedingen, die den Rahmen des klassischen physikalischen Determinismus
überschreiten. Dann hätte zwar Bewußtsein weiterhin keine besonderen kausalen
Kräfte, wohl aber die ihm korrespondierende Neurodynamik. Robert Nozick stellt
dazu folgende Überlegungen an:
„Eine Möglichkeit ist, daß man sich nicht auf einen
besonderen subjektiven Charakter berufen muß, sondern auf Phänomene und kausale
Prozesse, die „emergent“ sind im Sinne „nicht reduzierbar auf allgemeine
Gesetze, die auch für unbewußte Prozesse gelten.“ Somit könnte es sein, daß man
nicht zu bewußten Aspekten Zuflucht nehmen muß, um Verhalten zu erklären. Es
gäbe ein Kausalgesetz, das es erklärt. Aber dieses kausale Gesetz gilt für
bestimmte Arten komplexer Systeme und ist nicht aus der Verknüpfung von
Kausalgesetzen, die für einfachere Systeme gelten, ableitbar. In diesem Sinne
haben wir keine einheitliche Wissenschaft, aber überall Kausalität. Und in
gewisser Weise könnte man sagen: „Ohne Bewußtsein kann das nicht passieren.“
Das heißt, Bewußtsein bezeichnet die Existenz besonderer kausaler
Eigenschaften, die nicht auf allgemeinere reduzierbar sind (…)Wenn Physiker das
Gehirn auf hinreichend feinkörniger Ebene untersuchen, kann es sein, daß sie
über das Verhalten der Gehirnzustände befremdet sind.“14
Das ist eine interessante und sogar im Prinzip testbare Vermutung, etwas,
das in der Philosophie des Geistes nicht häufig vorkommt. Offenkundig gibt es
also Möglichkeiten, die Schwierigkeiten der epiphänomenalistische Doktrin bis
zu einem gewissen Grade zu entschärfen.
Strukturelle und funktionelle Voraussetzungen des Bewußtseins
Die dritte zentrale These lautet:
Man kann vermuten, daß biologisches Nervengewebe notwendig
subjektive Zustände hervorbringt. Hochentwickeltes Nervengewebe wie das
menschliche Gehirn bringt darüber hinaus eine besondere Art von Subjektivität
hervor - das Ichbewußtsein.
Alle Organismen, die über ein Nervensystem verfügen, könnten daher eine Art
Subjektivität, wenn auch auf verschiedenem, teils sehr niedrigem Niveau
besitzen. Man kann darüber spekulieren, wo die Grenze anzusetzen ist. Besitzt
bereits eine einzelne Nervenzelle eine zumindest ansatzweise Subjektivität?
Oder erscheinen mentale Erlebnisse erst bei Nervenzellverbänden bestimmter
Komplexität? Beim gegenwärtigen Kenntnisstand ist diese Frage nicht zu beantworten.
Es kann lediglich die Hypothese ausgesprochen werden, daß ein Schimmer von
Subjektivität in der Phylogenese zum ersten Mal mit der Ausbildung von
Nervengewebe entsteht. Das würde alle Mehrzeller außer den Porifera (Schwämmen)
und Placozoa (strukturell einfachste vielzellige Tiere) umfassen. Michael Polanyi:
„Wir wissen nicht, auf welcher Stufe der Evolution das
Bewußtsein erwachte. Indem aber mehrzellige Organismen größer werden und ihre
Komplexität mit der Größenzunahme steigt, wird ein Nervensystem ausgebildet,
das immer umfangreichere und feinere Operationen der Selbstkontrolle ausführt.
Bereits vor 400 Mio. Jahren, auf einer Stufe, die heute durch die Würmer
repräsentiert wird, hatten unsere Vorfahren ein größeres Ganglion am Vorderende
ihres verlängerten Körpers ausgebildet (...) So finden wir die kraniale
Dominanz vorweggenommen, die die charakteristische Lage des Geistes im
menschlichen Körper bewirkt.“15
Sicher besitzt nur der Mensch ein voll ausgebildetes Selbstbewußtsein. Die
Kluft zwischen Mensch und Tierreich ist aber möglicherweise nicht so groß, wie
zuweilen angenommen. Auch Organismen, von denen wir glauben, daß sie rein
reflektorisch auf die Umwelt reagieren, könnten eine mehr oder minder
ausgeprägte Subjektivität besitzen. Bewußtsein ist nicht plötzlich in der
Phylogenese mit dem Menschen und seinem großen Gehirn aufgetaucht, sondern hat
sich graduell herausgebildet.
Das ist eine mögliche Antwort auf die Frage, warum es in der Evolution keine
Alternative zur Ausformung bewußter Strukturen gab. Vielleicht existierte eine
solche Möglichkeit auf einem sehr frühen Stadium. Eine unbewußte Alternative,
die evolutionär u.U. ebenso vorteilhaft wäre, war aber nach dem Aufkommen von
Nervenzellen einfach nicht mehr vorhanden. Neueste Erkenntnisse legen übrigens
nahe, daß das Nervensystem nur einmal in der Geschichte des Tierreiches
entstanden ist.
Manche Autoren glauben, daß nicht nur die belebte Materie - das Nervengewebe
-, sondern jede Form von unbelebter Materie bis herunter zu den kleinsten
Bausteinen beseelt ist, über ein Protobewußtsein verfügt. Diese Doktrin wird
bekanntlich „Panpsychismus“ genannt.
Die Annahme, daß Materie eine Eigenschaft haben muß, die potentiell
Bewußtsein hervorbringen kann, ist fast trivial. Das Nervensystem macht in
unserer Sichtweise nämlich gerade von dieser Eigenschaft Gebrauch. Es ist aber
unplausibel anzunehmen, daß alles in der Natur promentale Eigenschaften
besitzt. Bewußtsein ist nämlich ein offenbar sehr fragiles Phänomen. Bereits
relativ leichte Veränderungen in der elektrischen Aktivität des Gehirns führen
zu völliger Bewußtlosigkeit. Um Bewußtsein zu erzeugen, ist ein sehr komplex
strukturiertes Organ wie das Gehirn nötig, daß zudem komplizierte dynamische
Aktivitäten ausführen muß. Angesichts dessen ist es ziemlich abwegig zu
glauben, daß unbelebte Gegenstände wie Steine, Tische oder Atome über Vorformen
von Bewußtsein verfügen.
Wenn das stimmt, kann ein organisches Gehirn niemals ein „Zombie“ (Kirk
1974, Dennett 1991, Chalmers 1995), also ein innerlich leerer Automat ohne
Subjektivität sein. Jeder Versuch, ein „seelenloses“ Gehirn aus Nervenzellen
aufzubauen, das alle Funktionen eines natürlichen Gehirns erfüllen kann, muß
scheitern, da Subjektivität solchen Systemen notwendigerweise anhaftet.
Nervensystem und Bewußtsein können nicht abgetrennt werden!
Gerhard Roth übt folgendermaßen Kritik am Epiphänomenalismus:
„Was nichts bewirkt, kann auch naturwissenschaftlich
nicht erfaßt werden (...)Diese Behauptung des Epiphänomenalismus wäre dann
bewiesen, wenn es tatsächlich oder zumindest im Prinzip gelingen würde, die
Erlebniszustände in irgendeiner Weise von den normalerweise gekoppelten
neuronalen Prozessen abzutrennen, ohne daß sie ihre spezifische Wirkung
verlören. Dies wäre zum Beispiel dann gegeben, wenn bei der Einnahme bestimmter
Drogen vorübergehend unser Bewußtsein ausgelöscht wäre, wir aber dennoch neue
sprachliche Inhalte erfassen oder komplizierte Handlungen erlernen könnten (wie
sich später herausstellen würde). Dies ist jedoch nach allem, was man aus dem
Alltagsleben, der Neuropharmakologie und der Narkoseforschung weiß, nicht der
Fall.“16
Wenn aber unsere These richtig ist, dann sind neurophysiologische und
psychologische Prozesse nicht im Sinne Roths entkoppelbar. Ein solcher
Eingriff, bei dem das Bewußtsein ausgeschaltet würde, der Mensch aber weiterhin
agierte, als hätte er Bewußtsein („Zombie“), sollte unmöglich sein. Es ist
nicht so, daß Bewußtsein ursächlich für das adäquate Funktionieren des Gehirns
ist. Vielmehr gilt: jedes Gehirn, das adäquat funktioniert, bringt auch
Bewußtsein hervor. Narkose ist aber ein Eingriff in die materielle, neuronale
Maschinerie des Gehirns. Das Gehirn verliert dadurch gerade seine besonderen
„bewußtseinerzeugenden“ Eigenschaften.
Ein Organ wie das menschliche Gehirn ist also in der Tat, wenn man so will,
etwas Besonderes. Dadurch kommt etwas Neues, Nichtmaterielles in die bis dahin
rein physikalische Welt – das Bewußtsein. Wir können aber noch einen Schritt
weitergehen und sagen, daß bereits Nervenzellen und Nervengewebe besondere
Merkmale haben müssen. Neuronen oder Neuronenverbände rufen notwendigerweise
subjektive Zustände hervor. Möglicherweise tritt schon auf Ebene einzelner
Nervenzellen Subjektivität in das materielle Universum. Das von Wissenschaftlern
und Philosophen geforderte „wissenschaftliche Weltbild“, der universelle
Wirkungszusammenhang aller Dinge und Prozesse in der Welt bleibt dabei
unangetastet. Die Welt bleibt physikalisch geschlossen. Die Evolution hat nicht
das Bewußtsein, sondern das materielle Gehirn ausgelesen. Das Hirn seinerseits
bringt (vermutlich notwendigerweise), quasi als eine Art Naturgesetz, als
Nebenproduktgeistige Phänomene hervor. Nervengewebe ist kraft
besonderer, wiewohl derzeit noch unbekannter Merkmale untrennbar mit mentalen
Zuständen verbunden. Mentale Zustände ihrerseits wirken jedoch nicht auf die
materielle Welt zurück. Sie sind real, aber kausal nicht wirksam.
Sie sind ein Aspekt der Welt ohne kausale Effizienz. Für uns Menschen freilich
macht unsere Subjektivität, unser Bewußtsein die ganze Welt aus.
Um Bewußtsein im Sinne des menschlichen Bewußtseins, also höhere Psychologie
hervorzubringen, genügt jedoch nicht einfach eine Ansammlung von Nervenzellen.
Diese müssen offenbar nach bestimmten Prinzipien verschaltet sein und sich in
einem bestimmten funktionellen Zustand befinden. Solche selbstorganisierten
Ordnungszustände des Gehirns sind dann dem Bewußtsein äquivalent (Singer).
Exakte notwendige und hinreichende Bedingungen für das Vorliegen von
Bewußtsein sind beim gegenwärtigen Wissensstand nicht angebbar, dennoch können
wir aufgrund der bisherigen empirischen Erkenntnisse die Analyse etwas
verfeinern:
1. Bewußte Gehirne müssen offenkundig aus Nervenzellen aufgebaut sein. Denn
selbst große Ansammlungen von Körperzellen wie das Herz oder die Leber zeigen
keine Anzeichen von Subjektivität. Vermutlich können beispielsweise
Herzmuskelzellen oder Leberzellen kein Bewußtsein hervorbringen. Wir können
jedoch vorerst leider nicht sagen, welche Spezifik der Nervenzellen ursächlich
für Subjektivität ist. Offenkundig haben Neuronen und Neuronenverbände
zytologische, histologische und physiologische Besonderheiten, es ist aber
unklar, was ihre differentia specifica gegenüber anderen Zellen und Gewebe
ausmacht. Colin McGinn glaubt allerdings, daß wir niemals in der Lage sein
werden, die für die Entstehung von Bewußtsein verantwortliche besondere
Eigenschaft des Gehirns zu erkennen. Das ist eine sehr pessimistische Sicht,
auf die wir noch zurückkommen.
2. Das Gehirn muß einen bestimmten Komplexitätsgrad, d.h. eine Mindestanzahl
von Elementen und Verknüpfungen aufweisen. Nach Schätzungen besteht das
menschliche Gehirn aus ca. 1010 bis 1011 Neuronen, die
ca. 1014 Verbindungen untereinander aufweisen. Bisweilen ist sogar
von 1015 bis 1016 Verbindungen die Rede (Hubel 1971).17
Marvin Minski hatte geschätzt, daß lediglich 106 optimal verknüpfte
Neuronen notwendig wären, um eine Maschine zu schaffen, die alle wichtigen
grundlegenden Operationen ausführen kann. 1012 Elemente wären seiner
Ansicht nach mehr als genug für Intelligenz (wobei jedoch Intelligenz
sicherlich nicht mit Bewußtsein gleichzusetzen ist).18
3. Um höhere Subjektivität in Form von Bewußtsein hervorzubringen, müssen
die Nervenzellen nicht nur eine bestimmte Mindestanzahl sowie eine Mindestzahl
von Verknüpfungen untereinander aufweisen, sondern vermutlich auch nach
bestimmten Prinzipien verschaltet sein. Ein diffuser Nervenzellverband ist
wahrscheinlich nicht in der Lage, höheres Bewußtsein zu erzeugen. In den
Gehirnen höherer Tiere ist zwar letztlich alles mit allem verbunden, sie zeigen
nichtsdestoweniger eine sehr ausgeprägte innere Differenzierung und
Strukturierung. Traditionell wird die Großhirnrinde (Cortex) als „Sitz“ der
Persönlichkeit und des Ichbewußtsein angesehen. Dies ist im Lichte der neuesten
Forschung nicht aufrechtzuerhalten. Bewußtsein wird nur durch Zusammenspiel
corticaler und subcorticaler Strukturen möglich. Es gibt im Gehirn kein
allgemeines Konvergenzzentrum, das als Ort des Bewußtseins identifiziert werden
könnte. Gerhard Roth:
„Bewußtsein entsteht also nur dann, wenn das ARS-System
den Cortex hinreichend „wachgemacht“ hat und wenn das Raphe-System und das
Locus-coeroleus-System das unbewußt Wahrgenommene – aus welchen Gründen auch
immer – als hinreichend neu und/oder wichtig bewertet und dies über die
aufsteigenden Fasern dem Cortex mitgeteilt hat. Der Cortex kann nicht von sich
aus, ohne diese Systeme, Bewußtsein erzeugen.“19
Es ist mithin nicht einfach mit einer großen Anzahl von Nervenzellen getan.
Die Hirnrinde an sich hat bereits sehr viele Elemente (Neurone), ist aber für
sich allein noch nicht zu Bewußtsein fähig. Damit ist aber nicht gesagt, daß
die Organisation der Nervenzellen in Gehirnen, wie sie sich in der Evolution
herausgebildet hat, die einzige Möglichkeit für die Erzeugung von Bewußtsein
ist. Es sind vielleicht strukturelle und funktionelle Variationen innerhalb
einer bestimmten Bandbreite möglich.
4. Bewußtsein ist nicht allein Resultat bestimmter statischer Strukturen,
sondern verdankt seine Existenz dynamischen Prozessen innerhalb dieser
Strukturen. Das menschliche Gehirn ist bekanntlich Quelle besonderer
elektrischer Aktivität, die sich im Elektroencephalogramm (EEG) widerspiegelt.
Sein konkreter Entstehungsmechanismus ist noch mit einigen Fragezeichen
versehen. Nichtsdestoweniger hat es eine wichtige diagnostische Bedeutung in
der Medizin. Es zeigt sich, daß eine zu schwache elektrische Aktivität des
Gehirns, wie sie z.B. im Koma auftritt, nicht mit Bewußtsein vereinbar ist.
Dasselbe gilt für Zustände gesteigerter Aktivität, wie sie bei epileptischen
Anfällen vorkommen. Bewußtsein erfordert infolgedessen eine mittlere Aktivität
der an seinem Zustandekommen beteiligten Strukturen.
Über die konkreten neurophysiologischen Mechanismen, die dem Bewußtsein
zugrunde liegen, gibt es eine Reihe konkurrierender Hypothesen Erwähnt seien:
synchrone Oszillalationen verschiedener Hirnregionen (Singer); neuronaler
Darwinismus (Edelman); Detektorneurone (Crick und Koch); selbstreferentielle
Strukturen mit besonderer Rolle der sogenannten NMDA-Synapsen (Flohr). Es gibt
auch Versuche, die Quantenmechanik in die Erklärung des Bewußtseins einzubeziehen:
Bohm, Eccles/Beck, Chalmers, Bernroider, Stapp, Penrose, Hameroff u.a.
Anorganische Gehirne und künstliche Intelligenz
Wird man eine Maschine bauen können, die denken kann? Können Computer bewußt
sein? Unseres Erachtens wissen wir heute noch nicht genug, um eine eindeutige
Antwort auf diese Frage geben zu können. Nichtsdestoweniger sind, zumindest
hypothetisch, folgende Möglichkeiten denkbar:
a) Aus noch unbekannten Gründen können lediglich biologische Systeme aus
Nervengewebe etwa in der Art des menschlichen Gehirns Träger von Bewußtsein
sein. Nervenzellen und Gehirne hätten in einer solchen Sichtweise besondere
Eigenschaften, die sie von allen anderen Arten belebter und unbelebter Materie
unterscheiden.
b) Selbst wenn im Prinzip die künstliche Modellierung sämtlicher Hirnfunktionen
auf höherer oder niederer Ebene gelingen sollte (was, sofern überhaupt möglich,
ausnehmend schwierig sein dürfte), könnte noch immer a) wirksam sein und ein
anorganisches, artifizielles System hätte kein Bewußtsein. Möglicherweise ist
biologisches Nervengewebe eben in der Tat für die Existenz von Bewußtsein
unerläßlich.
c) Jedes hinreichend komplexe System, gleichgültig ob organischer oder
anorganischer Natur, das nach bestimmten, einstweilen im Detail noch
unbekannten Prinzipien, die nicht unbedingt die Prinzipien des Aufbaus
organischer Gehirne zu sein brauchen, funktioniert, kann Träger von Bewußtsein
sein. Es gibt möglicherweise sehr allgemeine Baupläne, so daß organische
Gehirne nicht in allen Einzelheiten künstlich kopiert zu werden brauchen, um
trotzdem Bewußtsein zu erzeugen. Über derartige Prinzipien ist wenig bekannt.
Komplexität allein genügt vermutlich nicht. Wahrscheinlich können z.B. die in
der Literatur zuweilen halb scherzhafterweise als Beispiel bemühten Bierdosen,
und mögen sie noch so zahlreich und miteinander verschaltet sein, keine
künstliche Intelligenz produzieren.
Die Ansicht, daß künstliche Intelligenz möglich ist, erfreut sich bei
modernen Kognitionswissenschaftlern und Computerspezialisten großer
Beliebtheit.
Demnach ist es nur eine Frage der Zeit, bis unsere Computer einen
Komplexitätsgrad erreicht haben, der nicht nur Intelligenz, sondern sogar
Subjektivität im Sinne von Bewußtsein erzeugt. Epiphänomenalisten wird
ebenfalls die Ansicht zugeschrieben, daß menschliches Verhalten und kognitive
Leistungen im Prinzip durch Computer simuliert werden können, da ja Bewußtsein
für das Funktionieren in der materiellen Welt überflüssig ist. Es kann aber
sein, daß wir damit ganz falsch liegen. Zum einen könnte es sich als unmöglich
erweisen, sämtliche Funktionen eines natürlichen Gehirns künstlich zu
imitieren. Nervenzellen könnten etwas Eigentümliches besitzen, das man mit
elektronischen Elementen nicht nachbilden kann, das sowohl für die
Funktionsweise des Gehirns als materielles Objekt als auch für die
Existenz von Bewußtsein unumgänglich ist.
Das menschliche Gehirn mit seinen etlichen Milliarden Elementen (Neuronen)
ist ein äußerst kompliziertes System und zudem der bislang einzige bekannte
Träger höherer psychischer Funktionen. Darüber hinaus ist ein jegliches der
Bauelemente (Neurone) des Gehirns seinerseits ein sehr komplexes Gebilde, das
über Kontakte (Synapsen) mit Tausenden anderer ähnlich komplizierten Strukturen
verbunden ist, was den künstlichen Nachbau und die Nachahmung der Hirntätigkeit
ein auf absehbare Zeit schwieriges Unterfangen erscheinen läßt. John Eccles:
„So erreicht die Moduloperation (in der Großhirnrinde)
Komplexitätsgrade, die jede Vorstellung überschreiten und auch grundsätzlich
anders als die integrierten Schaltkreise der Elektronik arbeiten.“20
Es wird manchmal behauptet: Falls es Funktionen orgnischer Gehirne gibt, die
Computer nicht ausführen können, wäre der Nachweis geliefert, daß die
physikalische Welt nicht geschlossen ist und Bewußtsein kausale Kräfte hat. Der
Epiphänomenalismus wäre damit widerlegt. Das ist ein Fehlschluß. Die Unmöglichkeit
der künstlichen Simulation der Gehirntätigkeit würde nichts über die Funktion
von Bewußtsein, sondern lediglich über Computer aussagen. Es ist möglich, daß
Computer aufgrund der Spezifik ihrer Bauelemente prinzipell nicht in der Lage
sind, sämtliche Funktionen natürlicher Gehirne zu erfüllen. Und selbst wenn sie
es könnten, könnten sie dennoch „seelenlos“ sein. Organische seelenlose
„Zombies“ sind also vielleicht unmöglich, wohl aber ist es vorstellbar, daß
anorganische Systeme alle Funktionen des Gehirns ausführen und doch „Zombies“
sind.
Hier taucht allerdings ein weiteres zentrales Problem der Philosophie des
Geistes auf: Wie ist überhaupt das Vorliegen von Subjektivität testbar?
Testbarkeit von Hypothesen über das Bewußtsein
Wir verfügen heute über keine schlüssige metawissenschaftliche Theorie, die
die Funktionsweise der Wissenschaft erklären würde. Um es kantisch zu
formulieren: Die Möglichkeit der Wissenschaft ist (noch) nicht ganz verstanden.
Dennoch sollte es möglich sein, sich über ein paar allgemeine Grundsätze zu
einigen.
Man kann davon ausgehen, daß Gesetze und Theorien, wie auch immer sie
zustande kommen mögen, in den Erfahrungswissenschaften letztlich irgendwie mit
der Realität verglichen werden. Ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit muß zumindest
prinzipiell empirisch - durch Beobachtung und Experiment - erweisbar sein.
Andernfalls sind sie vielleicht wahr, aber „metaphysisch“. Das jedoch ist
gerade das problematische Moment an vielen Hypothesen über das Bewußtsein.
Objektive, Dritte-Person-Beobachtung bezieht sich stets auf die physikalische
Welt. Bewußtsein wird aber oft, auch im vorliegenden Fall von uns, als
„privates“, nichtphysikalisches Phänomen beschrieben. Wie ist es möglich, eine
nichtphysikalische Erscheinung objektiv mit physikalischen Mitteln zu
untersuchen? Wir können strenggenommen immer nur das Gehirn, aber nie das
Bewußtsein erforschen! Dieser Punkt hat immer wieder Anlaß zu skeptischen und
agnostischen Schlußfolgerungen gegeben.
Das ist auch der Grund, weshalb Theorien über das Bewußtsein fast
unweigerlich ein „metaphysisches“ Moment anhaften wird: subjektive Zustände
sind nicht ohne weiteres durch naturwissenschaftliche Methoden erfaßbar. Wie
kann man mittels Beobachtungen auf das Vorhandensein von Bewußtsein schließen?
Es ist z.B. möglich, daß jemand behauptet, bewußt zu sein und doch unbewußt
ist. Andererseits kann jemand den Anschein erwecken, unbewußt zu sein und doch
bewußt sein.
In Zusammenhang damit hat A.M. Turings “Imitationsspiel” mit einer Maschine
Berühmtheit erlangt: Wenn wir uns mit einer Maschine unterhalten, ihr Fragen
stellen und die Antworten wie die eines Menschen ausfallen, dann müssen wir der
Maschine Bewußtsein zuerkennen. Stanislaw Lem beschreibt das so:
“Wir können nicht die vollständige Gewißheit (als Beweis)
darüber erlangen, daß die Maschine denkt und denkend ihre Zustände als Psyche
durchlebt, denn immer kann man ja mutmaßen, daß es sich nur um Simulation
handele, die äußerlich vollkommen ist und deren inneres Korrelat eine Leere von
vollkommener “Seelenlosigkeit” ist.21
Das ist so, weil “Bewußtsein” ein nur subjektiv, introspektiv erlebbarer
Zustand ist, bei dem wir nie wissen können, “welche Erfahrungszustände die
andere Seite der Losung “Bewußtsein” unterschiebt.“22
Möglicherweise wird daher beim Körper-Geist-Problem immer ein Rest
unerklärbar bleiben. Beck: „Wissenschaft kann ihrem Wesen nach (...) keine
Antwort auf Fragen in Zusammenhang mit dem Bewußtsein geben.“23
Einflußreiche „antimetaphysische" Strömungen haben immer wieder von
der Philosophie strenge Wissenschaftlichkeit im Sinne empirischer
Überprüfbarkeit gefordert. Sie sind in diesem Anspruch zu weit gegangen. Was
bliebe denn von der Philosophie, wenn man das spekulative, metaphysische Moment
aus ihr verbannen würde? Gerade die höchsten Fragen über Gott, den Menschen,
das Bewußtsein und die Welt, die traditionell dem Feld der Philosophie
zugeordnet werden, entpuppen sich oft als empirisch unzugänglich. Wo ich nichts
Sicheres wissen kann, bleibt die Wahl, nicht darüber zu reden (und mit Wittgenstein
zu schweigen), oder aber zu spekulieren.
Diese Spekulationen indessen müssen kontrolliert sein, also der Logik und
den wissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung tragen. Vielleicht sind wir aber
in unseren Schlüssen zu voreilig und werfen die Flinte zu schnell ins Korn.
Angesichts dessen, daß wirklich seriöse Hirnforschung erst seit rund 100 Jahren
betrieben wird, sollten wir uns mit mehr Geduld wappnen. Der große
Neurophysiologe John Eccles:
„Wir befinden uns jedoch bei unserem Vorhaben, das Gehirn zu
begreifen, noch in einem sehr frühen Stadium, denn dies bedeutet, die äußerste
Wissensschranke, die der Mensch versuchen kann zu durchdringen. Ich sage
voraus, daß ein derartiges Unterfangen noch Hunderte von Jahren in Anspruch
nehmen wird.“24
Literaturverzeichnis:
(1) http://meaningoflife.tv/video.php?speaker=maynard%20smith&topic=complete
(2) http://www.quantumconsciousness.org/penrosehameroff/sonoran.html
(3) Wolf Singer, Der Beobachter im Gehirn, Frankfurt am Main, 2002, S. 9.
(4) John Searle, Die Wiederentdeckung des Geistes, Suhrkamp, 1996, S. 113.
(5)J.A.S. Shaffer, Philosophy of Mind, Englewood Cliffs,
N.J., 1968, chp. 2-4, zitiert nach Азаря Поликаров, Философска Одисея,
Sofia, 1999, S. 140.
(6)Stephen Priest, Theories
of the Mind, Penguin Books, 1991.
(7) Schmidt Thews, Physiologie des Menschen, Berlin Heidelberg New York
Tokyo, 1985, S. 115.
(8) Es gibt ein hübsches Gedankenexperiment von David Chalmers „How
Cartesian Dualism Might Have Been True“ http://consc.net/notes/dualism.html
über eine künstliche simulierte Umwelt mit simulierten künstlichen Wesen, die
sich laut einem Programm in dieser Umwelt bewegen. Wenn sie über die Welt
spekulieren, werden sie gewisse Regelmäßigkeiten finden, die sie als
physikalische Gesetze interpretieren würden. Sie würden vermutlich annehmen,
daß auch sie selbst diesen Gesetzen unterworfen sind, was aber nicht wahr wäre.
Ihr „mentales“ Leben würde ganz anderen Gesetzen unterliegen, weil es in einem
Computer in einem anderen Universum stattfände. Daher könnten sie leicht zum
Schluß gelangen, daß sie selbst keinen kausalen Gesetzen unterliegen. Wenn sie
versuchen würden, in ihre Köpfe zu schauen, fänden sie bloß eine leere
Schachtel. Dann bliebe ihnen der Ausweg, einen immateriellen Geist in sich
selbst zu postulieren. Die Moral ist nach Chalmers, daß der cartesische
Dualismus nicht so abwegig und konzeptuell problematisch ist, wie man zumeist
denkt.
(9) John Eccles, Wie das Selbst sein Gehirn steuert, Berlin Heidelberg,
1994, S. 28.
(10) John Searle, Die Wiederentdeckung des Geistes, Suhrkamp, 1996, S. 127.
(11) Gerald Edelman, Naturalizing
consciousness: A theoretical framework,
http://www.pnas.org/content/100/9/5520.full
(12) David Chalmers, The
Conscious Mind: In Search of a Fundamental Theory, Oxford:
Oxford University Press., 1996, S. 159.
(13) Karl. R. Popper, John C. Eccles, Das Ich und sein Gehirn, München
Zürich, 1989, S. 105.
(14) http://www.trinity.edu/rjensen/NozickInterview.htm
(15) Michael Polanyi, Personal
Knowledge, Chicago,
1974, S. 388.
(16) Gerhard Roth, Das Gehirn und seine Wirklichkeit, Frankfurt/
Main, 1996, S. 294.
(17) Проблемът СЕТI, Sofia, 1979, S. 112.
(18) Ebd., S 112 f.
(19) Gerhard Roth, Das Gehirn und seine Wirklichkeit, Frankfurt am
Main, 1996, S. 231.
(20) Karl. R. Popper, John C. Eccles, Das Ich und sein Gehirn, München/
Zürich, 1989, S. 298.
(21) Stanislaw Lem, Imaginäre Größe, Berlin (Ost), 1976, S. 73.
(22) Ebda., S. 73.
(23) F. Beck, Quantum brain
dynamics and consciousness. In The Physical Nature of Consciousness, Hrsg. van
Loocke, Benjamins, Amsterdam,
2001, S. 83-116., S. 109 f.
(24) John Eccles, Das Gehirn des Menschen, München Zürich, 1976, S. 10.
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