Erschienen in Ausgabe: No 43 (9/2009) | Letzte Änderung: 21.08.09 |
von Constantin Graf von Hoensbroech
Zu Beginn dieses Artikels muss
ein Geständnis stehen. Der Verfasser räumt ein, dass auch er wieder viele
Fernsehübertragungen von der Tour de France gesehen hat. Nicht genug damit.
Auch die Weltmeisterschaften der Leichtathleten sind Teil seines passiven Sportprogramms.
Ein Sportinteressierter und praktizierender Breitensportler ist ohnehin immer
aktiv dabei.
Schließlich ist die
spannungsgeladene Verdichtung eines hochleistungssportlichen Wettkampfs in
einen scheinbar einzigartigen und unwiederbringlichen Augenblick von derart
großartiger Faszination und Emotionalität, dass selbst für viele streng
rationale Sportsfreunde die so notwendigen Antworten auf die quälenden Fragen,
warum beispielsweise ein unter schwer wiegendem Dopingverdacht stehender Fahrer
die Tour gewinnen darf oder wie die schnellsten Frauen und Männer der Welt mit
überhöhter Geschwindigkeit in rund 40 Schritten die 100 Meter der Tartanbahn
mit durcheilen können, zunächst einmal irrelevant erscheinen. Dabei wird das
Gefühl, zumal in sporthistorischen Momenten, eben mittendrin und nicht nur
dabei zu sein, noch durch die aufwendigen technischen Möglichkeiten der
medialen Übertragungen verstärkt. Selbst der Reporter des ZDF ließ sich nach
dem 100-Meter-Lauf des Jamaikaners Usain Bolt von der allgemeinen
Selbstbesoffenheit mitreißen und fragte rhetorisch, wen in diesem Moment
eigentlich interessiert, wie dieser unglaubliche Weltrekord wohl zustande
gekommen sein mag.
Genau hier aber beginnen jene
Kernfragen, die das Selbstverständnis des Spitzensports im Besonderen, aber
auch des Sports im Allgemeinen in seiner Vitalität berühren: Dürfen wir
glauben, was wir sehen? Können wir bestimmte Leistungen ohne Weiteres als die
Früchte eines harten Trainingsprogramms identifizieren? Kann eine sportliche
Leistung tatsächlich so sein, wie sie eigentlich nicht sein kann? Wollen und
sollen wir das glauben? Dass diese Fragen in den letzten Jahren immer
unerbittlicher gestellt wurden, hat sich der Spitzensport selbst zuzuschreiben.
Die vielfach auffallenden Lücken im weiten Zuschauerrund des Berliner
Olympiastadions mögen auch als Indiz dafür gewertet werden können, dass die
Distanz zwischen Spitzensportlern und ihrem Publikum mittlerweile so gewachsen
ist, dass viele Sportbegeisterte eben nicht mehr bereit sind, die allgemeine
Glaubwürdigkeitskrise des Spitzensports mit dem Kauf teurer Eintrittsbillets zu
unterstützen.
Soll sich der leistungs- und
hochleistungsorientierte Sport aber nicht noch weiter von seinem Wert und Sinn
verabschieden, müssen die bohrenden Fragen nach der Glaubwürdigkeit sportlicher
Leistungen und Trainingsmethoden immer wieder von Neuem gestellt werden -
gerade weil es eben derzeit keine befriedigenden Antworten darauf gibt und die
so notwendige Selbstreinigung des Sports, zumal bestimmter Kernsportarten, im
Einzelnen nur unzureichend oder gar nicht stattfindet. Die spontane Freude über
die aktive oder innere Teilnahme an einer der schönsten Nebensachen der Welt
wird von der Schere im Hinterkopf abgeschnitten. Natürlich: Den Einsatz
unerlaubter Mittel hat und wird es immer wieder geben. Die zur inoffiziellen
Leistungsschau der Pharmaindustrie verkommene Tour de France oder die
unappetitlichen Methoden der Jahre lang ach so unverdächtigen Reiter sind nur
besonders prominente Beispiele für die Fülle von Unfairness und Sportbetrug,
wie es sie wohl schon in der Antike gegeben hat. Dass sich die - vorerst
vorläufige - Siegerin des 800-Meter-Laufs der Frauen eingehender Untersuchungen
zur eindeutigen Identifizierung ihrer unverwechselbaren Weiblichkeit
unterziehen lassen muss, mag da noch als pikante Skurrilität schubladisiert
werden können.
Gleichwohl: Umso wichtiger ist
es, die in den vergangenen Jahren so sehr erschütterte Überzeugung von den
Grundwerten des Sports sowie den mittlerweile zur Hoffnung degradierten
Glauben, dass sich die immer noch weit überwiegende Mehrheit der Sportler eben
zu diesen bekennt, wiederherzustellen und den Sport aus seiner Sinnkrise zu
führen. Die Bereitschaft zu diszipliniertem Training und gesundem
Leistungswillen, der ehrliche Umgang miteinander, der faire und saubere
Wettkampf um das beste Ergebnis, die Akzeptanz eines verbindlichen Regelwerks
sowie persönliches Engagement bis hin zur Vorbildfunktion sind konstitutive
Werte eines sportlichen Selbstverständnisses, an denen sich auch eine
Gesellschaft orientiert und mit denen sie eben - freilich unter weiteren
Wertmaßstäben - zu einem hohem Maß zusammengehalten wird. Darin liegt die
gesellschaftliche Bedeutung und Verantwortung des Sports mit seinen
vielfältigen sozialen, integrativen und kommunikativen Potenzialen.
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SanktLorenz 22.08.2009 17:53
Es geht um Geld,um sehr viel Geld! Für den Sportler, seinen Beratern, seinem gesamten Umfeld und letzlich auch für die Pharma-industrie incl. der Medizintechnik, die Dopingvergehen erst ermöglichen bzw. vertuschen können. Solange 22jährige mittels sportlicher "Leistung" zum Millionär aufsteigen können, wird es keinen sauberen Sport mehr geben. Und da die Dopingfahnder mit ihren Möglichkeiten weit hinterherhinken, bleibt nur eines: Dopingfreigabe! Das wäre ehrlich und würde den Umgang der Gesellschaft mit dem Leistungssport neu ordnen.