Erschienen in Ausgabe: No 43 (9/2009) | Letzte Änderung: 21.08.09 |
von Geraldine Ermisch
In Hans Jonas’ ethischem Hauptwerk Das Prinzip Verantwortung, Versuch einer
Ethik für die technologische Zivilisation erklärt der Autor die Grundzüge und
Eigenschaften traditioneller Ethikformen und verdeutlicht, welche neuen
Anforderungen eine der heutigen technisierten Zivilisation angepasste Ethik an
die Menschheit stellen würde.
Dabei
betont er unter anderem, dass sich der Charakter menschlichen Handelns stark
verändert hat. Es sei vor allem die neue Größenordnung unserer heutigen
Handlungen, die alle bisherigen Grenzen sprenge. Früher hätte zum Einen das
Ziel einer Handlung sowohl zeitlich als auch räumlich „nahe bei der Handlung“[1]
selbst gelegen, zum Anderen wären „der Handelnde und der Andere (...)stets Teilhaber einer gemeinsamen Gegenwart“[2] gewesen.
„Diesen Begrenzungen“, so Jonas, war auch das Wissen, welches notwendig ist,
„um die Moralität der Handlung zu verbürgen“[3]
unterworfen. Der Autor verweist hier auf Kant, der die Meinung vertrat, es bedürfe
‚keiner Wissenschaft oder Philosophie (...), um ehrlich und gut, ja sogar, um
weise und tugendhaft zu sein’,[4] denn, so
Jonas: „Das gut oder schlecht“ einer Handlung „ist völlig
entschieden innerhalb“ eines „kurzfristigen Zusammenhangs“.[5]
Das oben genannte Wissen habe in keiner traditionellen Ethik etwas mit
„theoretischer Wissenschaft“ zu tun sondern es handle sich um „Wissen einer
Art, die allen Menschen guten Willens offen steht“[6].
Zudem sei nach Jonas’ Meinung auch
der Verantwortungsraum, welcher die Handlungen eines Menschen umgibt, auf die
Zeit der Handlung und die unmittelbar davonbetroffenen Personen beschränkt, er ging weder zeitlich noch räumlich
darüber hinaus.[7]
Genau diesen Verantwortungsraum
sieht der Autor nun durch die veränderten Bedingungen, welche eine technisierte
Zivilisation mit sich bringt, erweitert.
Während die Technik früher dem Erreichen „wohldefinierte(r)
naheliegende(r) Zwecke“[8] diente, überholen die heutigen Erkenntnisse und Folgen, welche sich
aus technologischer Weiterentwicklung ergeben, durch „kumulative
Selbstfortpflanzung“ [9]die Handlungsziele Einzelner und betreffen,
zum Beispiel in Form von Umweltzerstörung, letztendlich nicht nur den oder die
„Täter“, sondern die gesamte Menschheit bis hin zu kommenden Generationen.
Kurz gesagt: Die Grenzen unseres
Verantwortungsraumes sind über die Grenzen unseres Wissens hinausgewachsen, es
besteht eine „Kluft zwischen Kraft des Vorherwissens und Macht des Tuns“[10].
Um diese Kluft zu überbrücken,
müsste das Wissen des Menschen laut Jonas „dem kausalen Ausmaß unsere Handelns
größengleich sein.“ Dies sei in den Augen des Autors allerdings gar nicht
möglich, daher betont er die Notwendigkeit einer „Selbstbeaufsichtigung unserer
übermäßigen Macht“.[11]
Der von Hans Jonas im Titel des vorliegenden
Werkes erwähnte „Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation“ kann
meiner Meinung nach bereits an dieser Stelle als gescheitert angesehen werden.
Jonas selbst betont die Notwendigkeit einer Ethik, welche
uns moralische Orientierung geben soll, in einer Zeit, in der die Folgen
unseres Handelns nicht mehr abzuschätzen sind, er ist jedoch nicht in der Lage
einen Weg zu einer solchen Ethik aufzuweisen.
Zwar plädiert er für eine
„Selbstbeaufsichtigung unserer übermäßigen Macht“[12],
doch stellt sich mir die Frage, wie eine solche Selbstbeaufsichtigung aussehen
soll. Wie Jonas bin ich der Meinung, dass es nicht möglich ist, unser
„vorhersehendes Wissen“ an das wissenschaftliche, technologische Wissen
anzupassen. Und zwar aus dem einfachen Grund, dass sich der Mensch meist erst
im Nachhinein der Folgen seines Handelns bewusst wird. Meiner Meinung nach
kommt es zu einer stetigen Parallelverschiebung zwischen Wissen und
Unwissenheit über die Folgen auf Wissen basierender Handlungen. Ist es aber nicht
möglich die genauen Folgen einer Handlung abzuschätzen, nach welchen Kriterien
soll dann durch Selbstbeaufsichtigung über den moralischen Wert einer Handlung
entschieden werden? Hierzu liefert der Autor leider keine Antwort.
Sind die Folgen einer Handlung
grundsätzlich nicht absehbar, so kann diese in keinem Falle moralisch
vertretbar sein.
Die einzige Möglichkeit die
Unwissenheit über mögliche Auswirkungen menschlichen Handelns einzudämmen und
damit den totalen Kontrollverlust zu verhindern beziehungsweise einen neuen,
klar definierten Rahmen für eine Orientierung gebende Ethik zu schaffen, sehe
ich somit im Stillstand der menschlichen Weiterentwicklung. Da dies aber
einerseits gegen die Natur des Menschen geht und andererseits durch ihre
schiere Anzahl nicht durchzusetzen wäre, sehe auch ich keinen Ausweg aus diesem
„neue(n) ethische(n) Problem“.[13]
[1] Jonas, Hans, „Das Prinzip
Verantwortung: Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation“, 3.
Auflage, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993, S. 22.
Soweit
nicht anders angegeben beziehen sich alle folgenden Angaben auf Jonas, Hans, „Das Prinzip Verantwortung: Versuch einer Ethik für die
technologische Zivilisation“
[2] Ebenda, S.23.
[3] Ebenda, S.24.
[4] Ebenda.
[5] Ebenda, S.25.
[6] Ebenda, S.24.
[7] Vgl.,S.25.
[8] Ebenda, S.31.
[9] Ebenda, S.28.
[10] Ebenda.
[11] Ebenda.
[12] Ebenda.
[13] Ebenda, S.28.
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