Erschienen in Ausgabe: No 43 (9/2009) | Letzte Änderung: 21.08.09 |
von Wolfgang Molitor
Herr Hörstel, ist der Krieg bald vorbei?
Das können wir hoffen, doch so
schnell geht das nicht. Die Taliban misstrauen den USA und erwarten klare
Angebote. Wer möchte, dass die Kampftätigkeit aufhört, muss einen Abzugsplan
vorlegen und sich exakt daran halten. Zunächst jedoch wollen die USA Ende März
eine riesige Konferenz mit allen Nachbarn Afghanistans und allen Geberländern
und Truppenstellern abhalten. Das Ergebnis dieser Aussprache wird vermutlich
noch kein fester Abzugsplan sein – aber in diese Richtung könnte es gehen.
Werden die Taliban nicht wieder sofort versuchen, Afghanistan zu
überrennen, wenn sich die Nato zurückzieht?
Das wird auf der Konferenz mit
Sicherheit intensiv diskutiert. Zunächst einmal müssen jedoch die Modalitäten
eines Abzugs geklärt werden – darüber hat Obama noch kein Wort verloren, er hat
nicht einmal das Wort Abzug benutzt. Die USA werden sicher versuchen, in Kabul
eine starke Präsenz zu behalten. Das wird schwierig werden, weil die Taliban
auf vollständigen Abzug bestehen. Wir können jedoch davon ausgehen, insbesondere
nach den jüngsten Äußerungen der Taliban durch Mullah Mohtasem, dass die
Taliban gelernt haben und nicht noch einmal alle Andersdenkenden unterjochen werden.
Vertrauen Sie den Taliban? Und wenn die Taliban dann wieder Macht haben
– bleibt es dann bei dieser Liberalisierung?
Davon können wir ausgehen.
Mädchenschulen wurden auch in der Talibanzeit gebaut und betrieben, nicht jeder
Taxifahrer wurde für seine Musikkassetten im Auto verprügelt. Jetzt hat Mullah
Omar durch sein Führungsmitglied Mohtasem, das im Spitzengremium der Taliban
für Politik und Kultur zuständig ist, Strafen angedroht, wenn die neuen Regeln
von seinen eigenen Leuten nicht eingehalten werden. Auch wenn wir zweifeln –
die Taliban und alle größeren und kleineren Machthaber in Afghanistan nehmen das
bitterernst.
Aber welche Regierung will denn mit Herrn Mohtasem Kontakt aufnehmen?
Mehr oder weniger alle
Besatzungsmächte in Afghanistan reden bereits jetzt irgendwie mit den Taliban –
nur mit sehr wenig Erfolg und keinem öffentlichen Echo und oftmals an der
falschen Stelle. Das Entgegenkommen der Taliban in den letzten Jahren wurde bei
uns oftmals säuberlich verschwiegen. Vielleicht will die öffentliche Ernennung eines
hochrangigen Verhandlungspartners die Nato-Regierungen dazu bewegen, endlich
vernünftige Gesprächskanäle einzuhalten. Denn ein wichtiger Kritikpunkt an
Obamas Standpunkt ist ja, dass er das Militär verhandeln lassen will – und nur mit
gemäßigten Taliban. Offen gestanden gibt es die gar nicht. Friede muss mit
Mullah Omar gemacht werden, sonst wird es keinen geben. Und der schließt auch
nur dann Frieden, wenn alle fremden Truppen abziehen.
Noch mal: Wer wird diesen Verhandlungsweg nutzen – und ist ein
kompletter Truppenabzug überhaupt realistisch?
Ich bin nicht autorisiert, Namen
zu nennen – aber es gibt Interessenten, auch aus unseren Regierungsparteien.
Und zum vollständigen Truppenabzug: Mullah Mohtasem hat in einem neueren
Interview auf die Kräfte hinter den Taliban und dabei indirekt auf China
verwiesen. Die Chinesen stützen die islamische Bewegung in Afghanistan seit
mindestens 30 Jahren – und sind sehr verlässliche gute Bündnispartner. Die Zeit
spielt für die Taliban und ihre motivierten Kämpfer. Mullah Omar steht nicht
unter Druck, wir schon. Es wird einen kompletten Abzug geben, schneller, als
wir denken.
Ist das denn ratsam? Verunsichert das nicht unsere Verbündeten in- und
außerhalb Afghanistans, auch wegen der Terrorgefahr?
Nichts verunsichert mehr als acht
Jahre Misserfolg. Obama macht offenbar wirklich reinen Tisch, sein jüngstes
Interview hat daran gar keinen Zweifel gelassen. Und vergessen wir nicht, dass
Afghanen bisher an internationalem Terror nie Anteil hatten – und dazu auch
nicht neigen.
Aber wie steht es dann mit der El Kaida, die in Afghanistan mit den
Taliban kooperiert?
Die Taliban sind zu Kompromissen
bereit, werden jedoch diese Kämpfer nicht einfach ausliefern. Auch Pakistan
spielt eine Rolle und hofft ebenfalls auf eine nachhaltige Lösung. Zum Glück
scheint Obama das anzustreben. Wir müssen uns nicht fürchten, wenn wir wachsam
bleiben – und konstruktiv, ohne zu versuchen, Machtansprüche durchzusetzen,
auch in Palästina.
Was hat das damit zu tun?
Das Palästinaproblem motiviert 50
Prozent des El-Kaida-Nachwuchses.
Fragen von Wolfgang Molitor
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