Erschienen in Ausgabe: No. 35 (1/2009) | Letzte Änderung: 19.01.09 |
von Borislaw Wankow
Zusammenfassung:
Es werden Induktion
und Deduktion bzw. Verifikation und Falsifikation als vermeintlich
grundlegende Verfahren für die Begründung der Wissenschaft
und damit den Erkenntnisgewinn untersucht. Der Schwerpunkt liegt auf
der Kritik von Karl Poppers wissenschaftstheoretischen Ansichten.
Dabei zeigt sich, dass weder Verifikation noch Falsifikation streng
begründbar sind und die wissenschaftliche Forschungspraxis
letztlich Regeln folgt, die (noch) nicht ganz verstanden sind. In
einem letzten Schritt werden Argumente zu Gunsten eines extremen
Nominalismus bei der Rekonstruktion der Begriffe der
Erfahrungswissenschaften vorgebracht, der Erkenntnis unmöglich
macht. Als Ausweg aus dieser Situation wird ein
konventionalistischer Standpunkt angeboten.
Seit
den frühen Tagen der Philosophie, ansatzweise bereits bei
Sokrates, ausgeprägter bei Demokritos und schon ziemlich
ausgereift bei Aristoteles, definitiv aber seit Francis Bacon, dem
Stammvater
des Empirismus, galt die
Induktion,
der Schluss aus empirischen Einzelbeobachtungen auf allgemeine
Sätze (Gesetze), als die grundlegende Methode in den
Erfahrungswissenschaften. Bacon hatte allerdings bereits
eine differenzierte Einstellung zur Induktion, da er
zwischen „gewöhnlicher“ und „wahrer“ Induktion
unterschied.
An
einer Stelle in seinen berühmten „Philosophiae
Naturalis Principia Mathematica“
erklärt auch der große Isaac Newton, dass nach seiner
Auffassung die Induktion die Grundlage wissenschaftlichen Schließens
bildet:
„In
this philosophy particular propositions are inferred from the
phenomena, and afterwards rendered general by induction.“
(1)
John Stuart Mill
vertrat eine radikale induktionstische Position
(„Allinduktionismus“). Für ihn ist die Induktion
die Grundlage allen Wissens.
David Hume erkannte als
erster ganz deutlich, dass die Induktion als Schluss vom Besonderen
zum Allgemeinen, als Aufstellung allgemeiner Gesetze und Theorien auf
der Grundlage endlich vieler einzelner Beobachtungen in der
Vergangenheit rational nicht zu rechtfertigen ist. Selbst wenn die
Sonne bisher stets aufgegangen ist, besteht keine Gewähr, dass
sie auch morgen aufgehen wird. Er bestritt in seinem Skeptizismus die
Gültigkeit des Schlusses von der Vergangenheit auf die Zukunft
und war sich dessen bewusst, dass Kausalität nicht aus der
Erfahrung abgeleitet oder durch diese bestätigt werden
kann, weil sich Beobachtungen lediglich auf die Vergangenheit
beziehen können und keine Garantie für ihre Gültigkeit
in der Zukunft gegeben ist. Andererseits jedoch erheben Naturgesetze
gerade den Anspruch, vor allem Vorhersagen über die Zukunft
machen zu können. Ihre Funktion ist nicht vordergründig,
die Vergangenheit zu erklären. Insofern transzendiert jedes
allgemeine Gesetz die Erfahrung.
Man
kann es auch so formulieren: Der
tiefere Grund für die Unmöglichkeit der Induktion ist
gewissermaßen die Struktur der Zeit mit der faktischen, der
Erkenntnis zugänglichen Vergangenheit und der noch nicht
eingetretenen, offenen und möglicherweise ganz anders
gearteten Zukunft.
Dies hat aber sehr
weitreichende Folgen für die Erkenntnis und die Wissenschaft.
Bertrand Russell ging sogar so weit zu behaupten, dass, falls Hume
Recht haben sollte, es keinen intellektuellen Unterschied zwischen
Normalität und Wahnsinn geben könne.
Der
logische Positivismus, wie er vor allem durch den heute fast
legendären Wiener Kreis in den 20er und 30er Jahren des 20.
Jh. ausgearbeitet wurde, forderte bekanntlich von der Philosophie
strenge Wissenschaftlichkeit und verwarf jede Form von
„Metaphysik“. Zentral war dabei das Prinzip der Verifikation,
etwas später modifizert zur Verifizierbarkeit,
laut welchem der Sinn einer (empirischen) Aussage in der Form ihrer
Verifikation durch Beobachtung besteht. Um nicht als „Metaphysik“
zu gelten, muss demnach die Richtigkeit einer Aussage zumindest
prinzipiell empirisch – durch Beobachtung - erweisbar sein. Das
Verifikationsprinzip liefert
demnach das
Kriterium für die Abgrenzung sinnvoller Sätze von
sinnlosen, „metaphysischen“ Sätzen. Dies hat
Auswirkungen nicht allein auf Philosophie und Metaphysik, sondern
besitzt auch weitreichende Folgen für die Wissenschaftstheorie.
Es erhebt sich die Frage, inwieweit nicht nur philosophische
Aussagen, sondern auch die allgemeinen wissenschaftlichen
Gesetze verifizierbar und damit „sinnvoll“ sind.
Dabei
zeigt sich, dass das Verifikationsprinzip unmittelbar mit dem
Induktionsproblem zusammenhängt. Singuläre
Aussagen (Existenzaussagen) können – zumindest potentiell -
mit der Erfahrung verglichen und sozusagen „endgültig“
verifiziert werden. Dazu ist es erforderlich nachzuschauen, ob
der besagte Sachverhalt besteht bzw. zumindest einen speziellen
Gegenstand zu finden, der die entsprechende Eigenschaft hat.
Hingegen versagt dieses Verfahren bei allgemeinen
(unbeschränkten) Allsätzen. Gerade letztere aber sind
in der Wissenschaft häufig von besonderem Interesse, weil die
Naturgesetze „gleichbleibende
allgemeine Beziehungen – Gesetzmäßigkeiten – zwischen
ausgewählten Bestandteilen der Realität“
darstellen und daher die Form von Universalaussagen haben. (2) Beim
Versuch, einen allgemeinen Satz zu verifizieren, kommt unweigerlich
die Induktion mit all den erwähnten Problemen ins Spiel.
Es gibt eine Reihe von
Ansätzen zur Rechtfertigung der Induktion, die hier nicht im
Detail dargelegt und diskutiert werden sollen. Erwähnt seien die
Versuche von Rudolf Carnap, Carl Gustav Hempel, Hans Reichenbach
u.a., eine besondere induktive Logik aufzubauen. Demnach können
Allaussagen mehr oder weniger gut bestätigt sein, sie würden
also mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gelten.
Peter Strawson setzte
sich für eine „analytische“ Begründung der Induktion
auf sprachphilosophischer Grundlage ein. Seiner Meinung nach ist es
eine analytische Tatsache, dass induktive Schlüsse vernünftig
und gerechtfertigt sind. Der gewöhnliche
Sprachgebrauch von Worten wie „vernünftig“ und
„gerechtfertigt“ impliziere die Anwendung induktiver Methoden.
Einen
anderen Weg beschritt Karl Popper mit seinem kritischen
Rationalismus.
Popper, der Kontakte zum Wiener Kreis unterhielt, jedoch stets seine
Opposition zu den Hauptthesen des Kreises herausgestellt hat, verwarf
die Existenz eines allgemeinen Induktionsverfahrens. Nach seiner
Ansicht ist Induktion nicht begründbar. Einschlägige
Versuche führen entweder zum unendlichen Regress oder zu
einem Apriorismus im Sinne Kants. Popper glaubte vielmehr, im
Prinzip der Falsifikation einen
Ausweg gefunden zu haben: allgemeine Gesetze und Theorien können
zwar nicht aus singulären Sätzen abgeleitet, wohl hingegen
durch singuläre Sätze widerlegt werden, sie
können an der Erfahrung scheitern. Noch so viele Bestätigungen
können eine Theorie niemals völlig erhärten, hingegen
kann aus logischen Gründen bereits ein
einziges empirisches Gegenbeispiel (Beobachtungstatsache)
die gesamte Theorie umstoßen. Worauf beruht die
Möglichkeit der Widerlegung genereller Sätze? Popper
schreibt dazu:
„…neben den Allsätzen
sind vor allem Sätze der Form: „Es gibt einen schwarzen
Raben“, die wir universelle Es-gibt-Sätze nennen, von
Bedeutung. Negiert man einen Allsatz („Alle Raben sind schwarz.“),
so erhält man einen universellen Es-gibt-Satz (und umgekehrt);
z.B. „Nicht alle Raben sind schwarz“ ist äquivalent mit:
„Es
gibt nichtschwarze Raben.“ Da die naturwissenschaftlichen Theorien,
die Naturgesetze, die logische Form von Allsätzen haben, so kann
man sie auch in der Form der Negation eines universellen
Es-gibt-Satzes aussprechen, d.h. in der Form eines
„Es-gibt-nicht-Satzes“.
So
kann man den Satz von der Erhaltung der Energie auch in dieser Form
aussprechen: „Es gibt kein Perpetuum mobile“(…) Aus diesen
Formulierungen wird deutlich, dass man die Naturgesetze als „Verbote“
auffassen kann: Sie behaupten nicht, dass etwas existiert, sondern
dass etwas nicht existiert. Gerade wegen dieser Form sind sie
falsifizierbar: wird ein besonderer Satz erkannt, durch den das
Verbot durchbrochen erscheint, der die Existenz eines „verbotenen
Vorganges“ behauptet („Der dort und dort befindliche Apparat ist
ein perpetuum mobile.“), so ist damit das betreffende Naturgesetz
widerlegt.“ (3)
Damit
rückt Popper an die Stelle der Verifizierbarkeit die
Falsifizierbarkeit
als neues Abgrenzungskriterium zwischen Wissenschaft und
Nichtwissenschaft bzw. zwischen empirischen und
nicht-empirischen Aussagen nach vorn.1
Nach Popper geht man in der Wissenschaft deduktiv
vor, d.h. man versucht nicht, Theorien zu bestätigen, sondern
sie zu falsifizieren, zu widerlegen. Es erhebt sich allerdings
die Frage, woher die Theorien – die falsifizierbaren
Allsätze - kommen, da sie nach Popper nicht aus der Induktion
stammen können.
Popper
nimmt die wissenschaftlichen Theorien als etwas quasi Gegebenes hin.
Auf jeden Fall sei es keine Aufgabe der Philosophie, das
Zustandkommen neuer Theorien zu untersuchen. Hierfür sei
eher die Psychologie zuständig. Es gibt keinen rational
rekonstruierbaren Weg von der Erfahrung zur Theorie. Aufgabe der
Wissenschaftslogik ist nicht, die Ableitung der Theorien aus der
Beobachtung zu erklären, sondern Möglichkeiten für
ihre Überprüfung aufzuzeigen. Das ist der Kern der
hypothetisch-deduktiven
Methodik,
die postuliert, dass der Mensch fehlbar ist, infolgedessen
unser Wissen stets hypothetischen Charakter trägt und jederzeit
der Widerlegung unterliegt:
„Die übliche Ansicht
von der menschlichen Erkenntnis ist die, dass sie mit Beobachtungen
beginnt. Wir sollten sie durch die Ansicht ersetzen, dass Erkenntnis
stets die Modifikation früherer Erkenntnisse ist. Auf den ersten
Blick scheint diese Auffassung in einen unendlichen Regress zu
führen. Ich glaube nicht, dass sie das in bedenklichem Maße
tut (…) Erkenntnis geht letztlich auf angeborenes Wissen (…)
zurück. Beobachtungen sind immer schon in Begriffen früherer
Erkenntnis interpretiert; d.h. Beobachtungen selbst würden gar
nicht existieren, wenn es kein früheres Wissen gäbe, das
sie modifizieren oder auch falsifizieren könnten.“ (4)
Auf dieser Grundlage
errichtet Popper in seiner Werk „Logik der Forschung“
ein der Tat imposantes wissenschaftstheoretisches Gedankengebäude.
Mehr noch: Man kann sagen, dass das gesamte philosophische Lebenswerk
Poppers mit der Falsifikation steht und fällt. Bei näherer
Betrachtung zeigt sich indessen, dass erhebliche Einwände
gegen die Poppersche Methodologie geltend gemacht werden können.
Karl Friedrich von
Weizsäcker sieht mindestens zwei Schwächen der
Erkenntnistheorie von Popper:
„1.
Es ist auch nicht möglich, im strengen Sinne ein Gesetz
empirisch zu falsifizieren.
2.
Poppers Theorie erklärt nicht, warum es überhaupt Gesetze
gibt, die überlebensfähig sind.
Popper ist sich im Prinzip der ersten Schwierigkeit
bewusst. Er hebt selbst hervor, dass jede empirische Feststellung,
wie z.B. „hier steht ein Glas Wasser“, den sinnvollen Gebrauch
von Begriffen wie „Glas“ und „Wasser“ voraussetzt. Dieser
Gebrauch ist nur im Kontext gewisser Gesetze möglich, z.B. der
Gesetze, die das Verhalten von festen und flüssigen Körpern
beschreiben. Man kann sagen: Wir wenden implizite Gesetze an, sooft
wir explizite Gesetze falsifizieren. Aber diese Erfahrung schmälert
den faktischen Wert der Falsifikation. Jedes Mal, wenn eine
vorgebliche Erfahrung ein wohlbegründetes Gesetz als falsch zu
erweisen droht, beginnen wir daran zu zweifeln, ob der Gebrauch der
impliziten Gesetze in jener Erfahrung voll gerechtfertigt war.
Historisch gesehen erweisen sich etablierte Theorien als äußerst
unempfindlich gegen empirische Falsifikation; und genau das ist mein
zweiter Einwand gegen Poppers Theorie, dass sie nicht erklärt,
wie diese Stabilität von Theorien möglich ist … Aber wenn
das stimmt, dann verstehen wir bisher in Wirklichkeit weder die
Möglichkeit der Verifikation noch der Falsifikation einer
Theorie durch Erfahrung.“ (6)
Der
Falsifikationismus ist mit einer weiteren Schwierigkeit behaftet.
Popper
sagt, dass
in der Logik eine Allgemeinaussage durch ein
Gegenbeispiel
falsifiziert wird. Hier ist es angezeigt, scharf zwischen der
formalen Logik
und ihrer
Anwendung auf die empirische Realität zu unterscheiden. Logisch
mag ein Gegenbeispiel genügen, um eine Generalisierung zu
falsifizieren.
In den empirischen Wissenschaften verfährt jedoch kein
Wissenschaftler
so, dass
er eine bewährte
Theorie
beim erstbesten Gegenbeispiel aufgibt.
Kein Wissenschaftler würde eine wohlbegründete Theorie
aufgrund
eines
singulärenfalsifizierenden
Ereignisses oder Experiments einfach
verwerfen.
In der Logik mag ein Gegenbeispiel genügen, in der empirischen
Realität hat es wenig Aussagekraft.
Die falsifizierende Beobachtung muss zunächst reproduziert
werden. Das aber würde streng genommen auch nicht genügen,
um die Theorie zu verwerfen. All diese wiederkehrenden
falsifizierenden Beobachtungstatsachen beziehen sich nämlich auf
die Vergangenheit. Um eine Theorie aufzugeben, muss man zeigen, dass
sie die Tests auch
in Zukunft
nicht bestehen wird. Das vermag aber die Falsifikation nicht zu
leisten, weil die Zukunft noch nicht eingetreten und daher offen ist.
Um die Theorie als widerlegt zu betrachten, muss vielmehr
eine potentielle künftige Falsifizierbarkeit der Theorie
vorausgesetzt werden. Damit wird aber wiederum induktiv die
Erfahrung transzendiert. Das
Postulat der Reproduzierbarkeit der Falsifikation in der
Zukunft ist nämlich eine induktive Schlussfolgerung.
Das
hat Alfred
Ayer erkannt.
Er meint,
dass
es unklar ist, warum eine Theorie, die einen Test in der
Vergangenheit nicht bestanden hat, zu verwerfen ist, es sei denn, wir
nehmen an, daß sie denselben Test auch in Zukunft nicht
bestehen wird. Das aber ist in induktiver Schluß. Und selbst
wenn wir den Test nicht als induktive Verallgemeinerung
interpretieren, sondern als analytische Aussage, bei der „derselbe“
nur bedeuten kann „derselbe in allen für den Testausgang
relevanten Kriterien“, könnten wir alle
Tests
über die Zeit, die unterschiedliche Ergebnisse haben, verwerfen
mit der Begründung, daß die Testbedingungen nicht
identisch sind. Doch der Umstand, daß vergangene Tests auch in
Zukunft unter denselben Bedingungen durchgeführt werden können,
ist analytisch nicht wahr. Daher müßten wir unsere
wissenschaftliche Theorien als zusammenfassende
historische Berichte betrachten, die keine Gültigkeit für
die Zukunft
beanspruchen können, was aber normalerweise nicht der Fall ist.
Die Induktion
kommt daher erneut ins Bild.
(5)
Ähnliche
Überlegungen äußert auch Robert Nozick:
„Popper
is famous for saying that induction can't be justified, that the only
inferences that data support are to deductive consequences of the
data, and that by deducing some observational consequences of the
hypotheses and checking to see if these hold, we test hypotheses, but
we never have reasons for thinking that a hypothesis that has passed
tests in the past will continue to pass those tests. We have no more
reason for thinking it will than that it won't, or than that some
other heretofore untested hypothesis will pass its future tests. Yet
Popper does believe in the standard practice of testing hypotheses in
a wide variety of circumstances. The degree of corroboration of
hypotheses, according to Popper, is a historical statement about how
severely that hypothesis has been tested.
There is no
justifiable prediction about how the hypothesis will hold up in the
future; its degree of corroboration simply is a historical statement
describing how severely the hypothesis has been tested in the past.
That's Popper's view.
What hadn't been realized in the
literature until now is that merely to describe how severely
something has been tested in the past itself embodies inductive
assumptions,
even as a statement about the past. Of course, Popper accepts the
usual methodological maxims about testing. Testing a hypothesis in a
variety of circumstances or under a variety of conditions constitutes
a more severe testing than simply repeating the same type of test
under very similar conditions. Suppose I look at a certain type of
case: the color of animals of a certain sort in a geographical area.
The hypothesis is that all animals of this sort have the same color.
You say, "OK, let's check it again," and I look in the same
place for another animal of the same species. You say, "Let's
check it again," and I look in the same place. You say, "Let's
check it somewhere else. " And I say, "Why?" A severe
test is checking something in an area or arena where, if the
hypothesis is false, it's most likely to show its falsity, given your
background beliefs. The fact that we don't keep repeating tests in
the same arena is not because the probability of the hypothesis
showing its falsity in other arenas goes up after it has passed tests
in one arena. It's that the probability of its showing its falsity in
that arena goes down after it's been tested there. If that didn't
happen, then the severest test would continue to be in the same
arena… it's a reason for thinking that Popper's theory is
incoherent.“
(6)
Weitere
Einwände gegen Poppers Programm beziehen sich auf folgendes: In
der Wissenschaft
sind
nicht allein Universalaussagen,
sondern,
wie weiter oben erwähnt, auch Existenzaussagen
bedeutsam. Existenzaussagen wiederum können singulär
oder universell sein. Eine singuläre Existenzaussage
wäre z.B. „Die Stadt Wittenberg liegt in Deutschland“. Diese
Aussage ist sowohl verifizierbar als auch falsifizierbar, weil – in
logischem Fachjargon ausgedrückt – ihre Extensionsmenge auf
einen Einzelfall beschränkt ist. Von besonderer Bedeutung
in den empirischen Wissenschaften sind aber zuweilen so genannte
„universelle Existenzaussagen“, bei denen theoretische
Begriffe eine Rolle spielen, wie z.B. „Es gibt außer dem
Sonnensystem andere Planetensysteme“. Während ein
Verifikationist keine Probleme damit hat, weil derartige Sätze
prinzipiell verifizierbar sind, bereiten sie einem konsequenten
Falsifikationisten großes Kopfzerbrechen. Wie kann man eine
universelle Existenzaussage widerlegen? Ihre Falsifikation würde
ja voraussetzen, sämtliche Objekte des Bezugsbereiches zu
untersuchen. In den meisten Fällen bedeutet das, sehr große
Raum-Zeit-Gebiete oder gar die ganze Welt zu überprüfen,
was natürlich nicht möglich ist. Popper hat dies gesehen,
er schreibt dazu:
„Universelle
Es-gibt-Sätze hingegen sind nicht falsifizierbar: Kein
besonderer Satz (Basissatz) kann mit dem universellen Es-gibt-Satz:
„Es gibt weiße Raben“ in logischem Widerspruch stehen (…)
Wir werden deshalb auf Grund unseres Abgrenzungskriteriums die
universellen Es-gibt-Sätze als nichtempirisch („metaphysisch“)
bezeichnen müssen.“(8)
Popper argumentiert
weiter, dass universelle Existenzsätze in den empirischen
Wissenschaften nicht isoliert sind, sondern als Folge von
allgemeinen Theorien aufgestellt werden. Letztere jedoch
sind falsifizierbare Allsätze. Festzuhalten bleibt
nichtsdestoweniger, dass Existenzsätze sich nicht problemlos in
die falsifikationistische Methodologie einfügen.
Noch komplizierter wird
die Situation bei Aussagen, die die logische Struktur einer
Kombination aus Existenzsätzen und Allsätzen besitzen.
Solche Sätze kommen in der Wissenschaft vor und es liegt auf der
Hand, dass sie weder verifizierbar noch falsifizierbar sind.
Endlich können
gegen den Falsifikationismus auch (z.T. grotesk anmutende)
Argumente des „gesunden Menschenverstandes“ vorgebracht werden.
Popper selbst hat die Rolle des gesunden Menschenverstandes in der
Philosophie betont. Wir müssen uns freilich darüber im
Klaren sein, dass bei weitem nicht alles, was uns intuitiv einsichtig
erscheint, auch korrekt sein muss. Vielmehr hat gerade die
Philosophie nachgewiesen, dass vieles nicht so ist, wie es zunächst
erscheint. Dennoch: Kein Falsifikationist springt von einem
Fernsehturm in der Hoffnung, ganz langsam zur Erde zu schweben und
damit die Fallgesetze zu widerlegen. Im Allgemeinen nimmt auch
niemand eine in der Vergangenheit als hochgiftig nachgewiesene
Substanz ein in der Erwartung, nunmehr die chemischen und
biologischen Gesetze zu entkräften und nicht zu sterben. Im
Lichte dieser zwei Beispiele, die sich beliebig vermehren lassen,
erscheint ein praktisches Leben im Einklang mit der
falsifikationistischen Doktrin absurd.
Insofern
sind Induktion und Deduktion problematisch.
Man
ist geneigt, Michael
Polanyi Recht
zu geben,
dass
es
letztlich
keine definitive Regel gibt, nach der Verifikation oder Falsifikation
von Theorien möglich ist. Forschung, Verifikation und
Falsifikation verfahren nach bestimmten Maximen, die nicht präzise
gefasst
werden können. Das nennt Polanyi unseren
wissenschaftlichen
Glauben, der aus der wissenschaftlichen Tradition kommt und nicht
exakt formulierbar ist:
“I
hold that the propositions embodied in natural science are not
derived by any definite rule from the data of experience, and that
they can neither be verified nor falsified by experience according to
any definite rule. Discovery, verification and falsification proceed
according to certain maxims which cannot be precisely formulated and
still less proved or disproved, and the application of which relies
in every case on a personal judgment exercised (or accredited) by
ourselves.” (9)
Unsere
Darlegung war bislang eine negative in dem Sinne, dass Kritik an
gängigen Forschungsprogrammen geübt wurde. Es stellt sich
daher die Frage, ob überhaupt ein kohärentes positives
Programm möglich ist, das diese Widersprüche und
Schwierigkeiten vermeidet. Manche Autoren wie Paul
Feyerabend
bestreiten
grundsätzlich
die Möglichkeit rationaler Kriterien
in der
Wissenschaftstheorie. Das jedoch wäre Thema eines gesonderten
Aufsatzes. An dieser Stelle mag lediglich gesagt sein:
Bedauerlicherweise muss man trotz verschiedener
hoffnungsvoller Ansätze feststellen,
dass
die wissenschaftliche Theorie und Praxis sich
-
derzeit
zumindest
–
anscheinend
nicht
in ein rigides
wissenschaftstheoretisches
Korsett pressen
lässt,
weil sich
letzteres
stets
als zu eng erweist, um der Reichhaltigkeit
und Vielseitigkeit
der Wissenschaft Rechnung zu tragen. Wir
sind wohl gezwungen, uns zur traurigen Schlussfolgerung
durchzuringen: Letztlich
verstehen wir eigentlich noch immer nicht sehr gut, was wir
eigentlich machen, wenn wir Wissenschaft
betreiben.
Schließlich
können aber auch weitere, und zwar nunmehr sehr grundlegende
Einsprüche gegen die Möglichkeit von Induktion und
Deduktion angemeldet werden. Man könnte nämlich das
methodologische Prinzip aufstellen, dass die philosophische
Analyse zunächst stets auf der maximal fundamentalen Ebene mit
der geringst möglichen Zahl an Voraussetzungen,
Axiomen und Vorurteilen anzusetzen hat. (Freilich muss man sich dabei
vor Augen halten, dass ein völlig ursprünglicher,
vorurteilsfreier Standpunkt unmöglich ist.)
Philosophie bedeutet nach dieser Auffassung, in einem ersten
Schritt so
prinzipiell und tief wie möglich denken.
Eine
derartige fundamentale Analyse indes zeigt, dass alle Empiristen,
aber auch die im weiteren Sinne zu ihnen gehörenden kritischen
Rationalisten Popperscher Prägung streng genommen „zu weit
oben“ angesetzt und zu viel als (in der Sinneserfahrung) gegeben
angenommen haben. Die Struktur der Zeit verhindert nämlich nicht
allein Induktionsschlüsse in einem weiteren Sinn, dass
nämlich allgemeine Schlüsse unmöglich werden,
sondern sie vereitelt gewissermaßen sogar singuläre
Aussagen und sogar wissenschaftliche Basissätze und
Begriffe. Denn jede noch so elementare Aussage und jeder Begriff
enthält ein mehr oder weniger allgemeines Element. Um
beispielsweise den Begriff „Sonne“ sinnvoll verwenden zu
können, ist eine Invarianz des Begriffes über die Zeit
nötig. Es gibt ja nicht „die Sonne an sich“ in der
Erfahrung, sondern lediglich eine zeitliche
Abfolge von Sinneseindrücken,
die mit dem Begriff „Sonne“ umschrieben und unter diesem Begriff
verallgemeinert
werden. Wir wissen aber genau genommen nicht, ob hinter dem Konstrukt
„Sonne“ tatsächlich etwas in der Zeit Beharrendes steht. Die
Sinneserfahrung, die laut Empirismus die Grundlage allen Wissens
bildet, zerfällt insofern in einzelne Eindrücke, die
durchaus nicht „elementar“ oder „atomar“ im Sinne des
logischen Atomismus zu sein brauchen. Es gibt nämlich keine
reine Erfahrung, sämtliche Observationen sind „theorie-beladen“
(Sellars). Sinneseindrücke sind immer (hoch)komplex, aber
nichtsdestoweniger singulär
infolge
der Struktur der Zeit, die von der Vergangenheit in die Zukunft
fließt. Natürlich kann es sehr große Ähnlichkeit
bis hin zur scheinbaren Identität zwischen den Sinneseindrücken
geben. Auf logischer Ebene sind aber alle Sinneseindrücke
einzigartig.
Die Welt ist eine
Ansammlung
von losgelösten, unwiederholbaren, singulären Eindrücken,
Erlebnissen
und mentalen
Zuständen. Ob es objektive, in der Zeit beharrende
Gegenstände und ihnen korrespondierende Begriffe gibt, können
wir nicht wissen. Das
ist ein sehr extremer nominalistischer Standpunkt. Nun setzt aber
geordnetes, strukturiertes Wissen in jedem Fall doch Wiederholungen
voraus, denn ohne Wiederholung, die Identität der Objekte
voraussetzt, lässt sich kein wissenschaftliches Fundament aus
„Basissätzen“ konstruieren. Wenn es aber keine wie auch
immer geartete Wiederkehr und daher keine Begriffe gibt, wird
Wissenschaft unmöglich.
Insofern sind sowohl
der klassische als auch der logische Empirismus als auch der
kritische Rationalismus von Popper zu wenig kritisch in der Prüfung
ihrer eigenen Grundlagen. Nelson Goodman hat z.B. den Versuch
unternommen, die Wissenschaft auf der Grundlage eines
starken Nominalismus („Partikularismus“), in dem lediglich
Individuenvariablen vorkommen, aufzubauen. Aber auch er ist
sozusagen nicht hinlänglich konsequent, weil er
Wiederholungen zulässt, die die Identität der verwendeten
Begriffe und damit der ihnen korrespondierenden empirischen Objekte
über die Zeit voraussetzen. (10) Der tiefsinnige Kritiker der
„Dogmen“ des Empirismus, Willard Van Orman Quine, setzt ebenfalls
zunächst zu viel voraus und beginnt seine Analyse auf einer
höheren Ebene als möglich und wünschenswert gewesen
wäre. (11)
Im Übrigen sind
diese Gedankengänge so neu nicht, wie so oft in der Philosophie
sind bereits in der Antike solche oder ähnliche Überlegungen
angestellt worden. Heraklit behauptete, dass alles im Fluß und
der Veränderung begriffen sei und man deshalb niemals zwei Mal
in denselben Fluß steigen könne. Noch radikaler soll sich
Kratylos geäußert haben, weil er meinte, dass man noch
nicht ein Mal in einen Fluß steigen könne, da er bereits
während des einen Schrittes dem Wandel unterliege. Der Weltfluß
kann nicht in Worte gefasst werden. Als Konsequenz daraus zog der
Philosoph den Schluss, dass man allenfalls stumm dasitzen und ein
wenig den Finger rühren könne.
Wir wollen aber nach
Möglichkeit mehr als lediglich sitzen und ein bisschen den
Finger bewegen und müssen uns demzufolge fragen, ob und wie,
falls diese Analyse stimmt, Wissen und Wissenschaft doch noch möglich
sind. Der einzige Ausweg scheint konventionalistischer Natur zu sein
– wir postulieren, dass hinter unseren Begriffen, mit denen wir die
Welt der Sinneseindrücke beschreiben, relativ stabile und in der
Zeit beharrende Objekte stehen, die gewissermaßen mit sich
selbst identisch sind. Das bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass
diese Begriffe willkürlich sind, noch dass die hinter ihnen
stehende Realität ein Konstrukt unseres Verstandes darstellt. Es
ist sehr wahrscheinlich, dass zumindest manche unserer Theorien
zumindest Ausschnitte der Wirklichkeit wenigstens teilweise korrekt
widerspiegeln. Es sollte lediglich darauf hingewiesen werden, dass
die vertiefte kritische Prüfung der Grundlagen unseres Wissens
überraschende Einsichten zu Tage fördern kann.
Literaturverzeichnis
(1)
Isaac Newton, Philosophiae
Naturalis Principia Mathematica
1687, translated
byAndrew
Motte 1729,
http://members.tripod.com/~gravitee/genschol.htm
(2)
Horst Meyer, Interview
und schriftliche Befragung,
Oldenbourg, S. 19
(3)
Karl Popper, Logik
der Forschung,
Tübingen 1989, S. 39 f.
(4)
ders., John Eccles, Das
Ich und sein Gehirn,
München Zürich 1982, S. 505.
(5)
Carl Friedrich von Weizsäcker, Die
philosophische Interpretation der modernen Physik,
Nova Acta Leopoldina, Halle (Saale), 1986, S. 10.
(6)
Vgl. G.H.R. Parkinson (Hrsg.), An
Encyclopaedia of Philosophy,
London 1989, S. 211.
(7)
Robert Nozick, http://www.trinity.edu/rjensen/NozickInterview.htm
(8)
Karl Popper, Logik
der Forschung,
Tübingen 1989, S. 40.
(9)
Michael Polanyi, The
Stability of Believes,
http://www.missouriwestern.edu/orgs/polanyi/mp-stability.htm
(10)
Vgl. Nelson Goodman, The
Structure of Appearance,
Harvard UP
1951
(11)
Williard Van Ormand Quine, Two
Dogmas of Empiricism,
http://www.ditext.com/quine/quine.html
Zum
Autor:
geboren 1963 in Sofia, Studium der Medizin, Pädagogik und
Philosophie in Berlin und Sofia, zur Zeit wissenschaftlicher
Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sofia, zahlreiche eigene
Veröffentlichungen zur Philosophie und Politikwissenschaft sowie
diverse Übersetzungen.
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