Erschienen in Ausgabe: No 43 (9/2009) | Letzte Änderung: 30.08.11 |
von Lutz Rathenow
Schon 1870 lobte Theodor Fontane die Spreewaldgurke. Der humusreiche
Boden im feuchten Spreewald und eine spezielle Gewürz-Mixtur bei der
Zubereitung machen ihren Geschmack aus. Warum hat es nun gerade dieses
Regionalprodukt an die Spitze der ostalgischen Verklärungslisten mit
DDR-Rückerinnerungswert geschafft? Und nicht zum Beispiel die Thüringer
Bratwurst, die zu DDR-Zeiten genauso gern gegessen wurde, wie sie heute
verzehrt wird? Eine brutale Vorstellung für einen Thüringer, jede
DDR-Betrachtung würde mit einer Bratwurstreflexion beginnen, jede
Diskussion zur inneren deutschen Einheit zeigte bratende Thüringer am
Grill. Dazu die Frage, warum sich die Thüringer der Vereinigung mit den
Nürnberger Würstchen widersetzten: die Durchschnittslänge beider
Produkte als neue deutsche Einheitswurst.
Marke DDR
Einige Produkte stehen also für die DDR, andere bleiben Dinge, die es
während der Zeit der DDR (auch) gab. Die regionalen Marken aus der DDR
konkurrieren mit der alles umfassenden Marke DDR, die wiederum aus
einzelnen Teilen besteht und sich doch nicht auf die Summe regionaler
Marken reduzieren lässt.
Zum Beispiel das DDR-Fernsehen. Zu Zeiten des Staates eine Marke von
bescheidenem Gebrauchswert. Was aber waren die DDR-Fernsehquotenhits,
wenn es denn zuverlässige Messungen gegeben hätte? Der Montagabendfilm:
Die DDR besaß die Rechte an den alten UFA-Filmen und lockte mit den
Schauspielerberühmtheiten aus der Nazizeit Leute vor die Ost-Glotze.
Oder Sendungen im Kinderprogramm, die (nicht nur) mit russischen
Märchenfilmen und lustigen Zeichentrickserien brillierten. Oder am
Samstagabend flimmerte der berühmte "Kessel Buntes" als Art
Show-Wundertüte über die meist noch sehr kleinformatigen Bildschirme.
Es traten immer ein Weststar auf und Berühmtheiten aus Osteuropa. Die
eher ungeliebte Marke DDR-Fernsehen also ein Patchwork aus DDR-igem,
scheinbar unpolitischem Nazizeug, sorgsam vorsortierter Westkultur
(Katja Ebstein immer, die Rolling Stones nimmer) und vielen
osteuropäischen Beigaben.
Eine Summe von Wahrnehmungsstörungen
Die Ostalgie ist eine Summe von Wahrnehmungsstörungen und
Entzugserscheinungen von Dingen, die man einmal loswerden wollte. Oder
deren Existenz selbstverständlich und ungefährdet erschien. Beim
Identitätswechsel zwischen DDR-Bürgersein und dem
Einheitsdeutscher-Werden klammert sich die liebe Seele an
Marken-Produkte, die zu DDR-Zeiten keine waren. Dafür gab es sie zu
selbstverständlich - oder zu selten, dann waren sie Mangelware wie
nicht nur das Radeberger Bier. Marken ohne wirklichen Markt sind
merkwürdig, sie wurden ja nicht richtig vermarktet. Es sei denn man
arbeitete laut innerdeutschen Verträgen als Billiglohnland schon damals
westlichen Ketten und Versandhäusern zu.
Das sozialistische Recht
Und wie passt das nun zur Diskussion um den Unrechtsstaat? Der
DDR-Bürger lebte in einem Staat, der stolz darauf war, das
sozialistische Recht eingeführt zu haben. Und die positiven Rechte? Das
Recht auf Arbeit zum Beispiel? Ich sehe den Ingenieur im VEB Carl Zeiss
Jena noch vor mir, wie er Karteikarten mit der Schere zerschnipselt.
Monatelang – es gab keine Arbeit für ihn. Lösen Beschäftigungstherapien
das Problem der Arbeitslosigkeit wirklich?
Zurückkatapultiert in die Weltmarktwirklichkeit
Die DDR war ein Absurdistan zwischen Versklavung und
scheinemanzipierter Wichtigkeit des Einzelnen. Die deutsche Einheit
katapultierte die geschützt und unterdrückt lebenden Ostdeutschen aus
einer Zeitblase in die Weltmarktwirklichkeit zurück. Vorher konnte man
den Staat für alles verantwortlich machen, da er ja für alles
verantwortlich sein wollte. Diese ganze Ostalgie und Nostalgie stellt
vielleicht nur die nachträgliche Verwandlung der DDR in eine in
Marktbegriffe übersetzbare Gesellschaft dar, man will dem Westen
ähnlich gewesen sein. Ihre populärste Marke verlor sie freilich - eine,
deren Verlust die Ostalgie gleich mit kompensieren muss: den Westen. Es
reichte, die Himmelsrichtung an ein Produkt oder Gegenstand anzuhängen,
schon wirkten Schokolade, Pakete oder Autos magisch verwandelt. (Und
erst die West-Reise! Für immer vorbei, nie mehr West-Pakete bekommen!
Höchstens selber welche packen, liebe Ostdeutsche: Wir sind jetzt der
Westen.)
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