Erschienen in Ausgabe: No 44 (10/2009) | Letzte Änderung: 28.09.09 |
Richard David Precht, Wer bin ich und wenn ja, wie viele? Eine philosophische Reise, Goldmann Verlag, München (September 2007), 398 Seiten, Broschiert, ISBN-10: 3442311438, ISBN-13: 978-3442311439, Preis: 14,95 EURO
von Heike Geilen
Was sind Gefühle? Was ist Wahrheit? Kann ich wollen, was ich
will? Lohnt es sich, gut zu sein? Darf man Menschen kopieren? Hat die Natur und
letztendlich das Leben einen Sinn?
Das sind nur einige der Fragen, auf die die Philosophie
versucht Antworten zu finden - Antworten letztendlich auf die Frage, was es
bedeutet, Mensch zu sein.
Den Philosophen Richard David Precht begleiteten sie bereits
durch sein ganzes Leben. Aber er musste feststellen, dass es nur sehr wenige
befriedigende Einführungen in die Philosophie gibt.
Was ist eigentlich Philosophie? Was lehren die berühmten
Philosophen? Kann man in klaren Worten sagen, was manche von ihnen oft so
schwer verständlich formulieren? Das vorliegende populäre Sachbuch, das
monatelang auf den Bestsellerlisten zu finden war, lädt ein zu einer Reise quer
durch die abendländische Philosophie. In "Wer bin ich und wenn ja, wie
viele?" unternimmt Precht einen Versuch, den Laien kurz, klar und
verständlich in die philosophischen Fragen des Menschseins einzuführen und
gleichzeitig den Blick auf die Dinge, die im Leben wirklich zählen, zu öffnen.
Bei der Gliederung seines Buches hält er sich an Immanuel
Kant, der die großen Fragen der Menschheit folgendermaßen unterteilte: "Was
kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?" Sie bilden den
sogenannten roten Faden durch die knapp 400 Seiten.
Hat das Leben einen
Sinn?
Precht stellt zunächst die klassische Frage der
Erkenntnistheorie: Was kann man über sich selbst wissen? Doch diese ist heute
nur noch sehr bedingt eine philosophische. "Weitreichend
ist sie vor allem ein Thema der Hirnforschung, die uns die Grundlagen unseres
Erkenntnisapparates und seiner Erkenntnismöglichkeiten erklärt.",
stellt der Autor fest. Die Philosophie erhält hier nur eine beratende Rolle, doch
deren anregenden Beitrag führt er in einer sehr persönlichen Auswahl an der
Erfahrung einer Generation vor, "die
von einem gewaltigen Umbruch geprägt war und die Moderne entscheidend mit
vorbereitet hat." Der Physiker Ernst Mach, der Philosoph Friedrich
Nietzsche, der Hirnforscher Santiago Cajal und der Psychoanalytiker Siegmund
Freud sind die Persönlichkeiten oder Vorreiter des modernen Denkens, die sich
den Kopf über unsere Gefühle, das Unterbewusstsein, die Sprache oder das
Gedächtnis zerbrachen.
Der zweite Teil beschäftigt sich mit Ethik und Moral: Warum
können Menschen überhaupt moralisch handeln? Sind wir eher gut oder böse? Brauchen
wir andere Menschen? Lohnt es sich, gut zu sein? Abtreibung, Sterbehilfe,
Gentechnik und Reproduktionsmedizin kommen unter der großen Frage "Was
soll ich tun?" genauso zur Sprache wie Naturschutz, Umwelt- und Tierethik.
"Denn die vielen praktischen Fragen,
die unsere Gesellschaft heute beschäftigen, warten tatsächlich auf eine
philosophische Antwort.", weiß Precht.
Im dritten Teil "Was darf ich hoffen?" geht es um
die zentralen Fragen, die die meisten Menschen in ihrem Leben beschäftigen.
Liebe, Glück, Freiheit, Gott oder der Sinn des Lebens sind Themen, über die es
sich immer lohnt konzentriert nachzudenken. Auch hier lässt Precht, wie schon
in den vorangegangen Kapiteln, viele bekannte, aber auch weniger bekannte
Philosophen zu Wort kommen, wägt ihre Antworten ab, analysiert, untersucht und
manchmal auch kritisiert diese.
Lernen und Genießen
Auch wenn der Spagat zwischen Wissenschafts- und
Populärlektüre gut gelungen ist, so bleibt Richard David Precht alles in allem
doch ein wenig an der Oberfläche. Zu viel wird in zu rasanter, zu kompakter
Form vermittelt. Ob es beim Leser die Lust am Denken weckt und trainiert bzw. jenem
durch fortschreitende Selbsterkenntnis gelingt, ein bewussteres Leben zu
führen, "mithin also Regisseur
seiner Lebensimpulse zu werden oder, wie Friedrich Nietzsche (für sich selbst
vergeblich) hoffte, 'Dichter' des eigenen Lebens zu sein" wie es sich
der Autor wünscht, bleibt fraglich. Denn für den philosophisch Vorgeprägten
plätschert "das Bächlein" zu seicht dahin, den absolut Unbedarften
hingegen könnte das Buch vielleicht überfordern, auch wenn pointierte
Vergleiche und anschauliche Beispiele immer wieder für eine kurzweilige und
niemals langatmige, sondern erfrischende Reise durch die Geschichte der
Philosophie sorgen.
Letztendlich jedoch kann das amüsante und joviale, dabei trotzdem
gründliche und auf der Höhe des Fachdiskurses geschriebene "Wer bin ich
und wenn ja, wie viele?" anregen, Fragen zu stellen. Und diese Fähigkeit
sollte man sich stets bewahren. "Denn
Lernen und Genießen sind das Geheimnis eines erfüllten Lebens. Lernen ohne
Genießen verhärmt, Genießen ohne Lernen verblödet.", weiß Richard
David Precht.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.