Erschienen in Ausgabe: No. 3 (3/1993) | Letzte Änderung: 21.01.09 |
Eine Rezension von: B. Kanitscheider, Von der mechanistischen Welt zum kreativen Universum
von Bernd Villhauer
Das
von Determinismus und Mechanizismus geprägte Denken der
klassischen Physik wurde treffend im Bild vom allwissenden, alles
vorhersehenden Dämonen eingefangen, das Pierre Simon de Laplace
zeichnete “Eine Intelligenz, welche für einen gegebenen
Augenblick alle Kräfte, von denen die Natur belebt ist, sowie
die gegenwärtige Lage der Wesen, die sie zusammensetzen, kennen
würde und überdies umfassend genug wäre, um die
gegebene Größe einer Analyse zu unterwerfen, würde in
derselben Formel die Bewegung der größten Weltkörper,
wie die des leichtesten Atoms ausdrücken: Nichts würde für
sie ungewiß sein und Zukunft wie Vergangenheit ihr offen vor
Augen liegen.“
Diesem
Optimismus einer allgemeinen Durchschaubarkeit und Kontrollierbarkeit
des Universums, in dem sich der umfassend informierte Physiker an die
Stelle Gottes setzen könnte, wurden im Laufe der Geschichte
schwere Schläge versetzt. Der Paradigmenwechsel in der
Naturwissenschaft, ihre neuen Perspektiven wurden auch bald Thema
interdisziplinärer Auseinandersetzungen. In ihnen ging es um die
philosophische Relevanz der Entwicklungsursprünge
naturwissenschaftlichen Denkens. Aber nicht nur die Beeinflussung der
philosophischen Weltbilder durch Erkenntnisse der
Naturwissenschaften, sondern ebenso die Folgen Philosophischer
Vorstöße waren Gegenstand. Die Geschichte der Philosophie
ist sicherlich auch eine Geschichte von Entdeckungen, die die neu
entstehenden Wissenschaften genutzt und ausgearbeitet haben.
Strukturen und Denkmodelle der Philosophie wurden so, mit exakten
Naturerkenntnissen unterfüttert, zu wissenschaftlichen
Weltbildern. Beispielhaft sei hier F.W.J. Schelling angeführt,
der seiner ‘Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der
Naturphilosophie‘ eine für die Zeit (Anfang des 19.
Jahrhunderts) sehr moderne Begrifflichkeit der evolutionären
Entwicklung einfügte: “Jeder Mineralkörper ist ein
Fragment der Geschichtsbücher der Erde. Aber was ist die Erde?
Ihre Geschichte ist verflochten in die Geschichte der ganzen Natur,
und so geht vom Fossil durch die ganze anorganische und organische
Natur herauf bis zur Geschichte des Universums - Eine Kette.“
Viele
prägnante Beispiele für die Wechselwirkung zwischen
Philosophischer und naturwissenschaftlicher Entwicklung werden in B.
Kanitscheiders Buch ‘von der mechanistischen Welt zum kreativen
Universum - Zu einem neuen philosophischen Verständnis der
Natur‘ beschrieben. Kanitscheider liefert eine kurzgefaßte
diachrone wissenschaftstheoretische Betrachtung. Die Grundgliederung
ist eine geschichtliche: Es werden die begrifflichen Voraussetzungen
der newtonschen Physik umrissen und Poblemfelder beschrieben, die mit
ihren Mitteln nicht ausreichend erhellt werden konnten. Die
ungelösten Probleme werden später neu betrachtet auf der
Grundlage quantenmechanischer und relativitätstheoretischer
Konstruktionen. Vor allem aber die um 1900 einsetzende Revolution der
Physik, die mit der Planckschen Strahlenforschung einsetzt, wird in
ihren Auswirkungen beleuchtet. Neubewertung des Beobachters in der
Quantenmechanik und die damit verbundene
Subjekt-Objekt-Fragestellungen bilden einen orientierenden Leitfaden.
Die Unschärfeprobleme bei der Untersuchung von Elementarteilchen
und die von den Meßentscheidungen des Experimentators
abhängenden Bilder der objektiven Situation lassen den
alten Objektivitätsbegriff als höchst fragwürdig
erscheinen. Niels Bohr: “Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß
der Gegenstand der Physik darin besteht, zu entdecken, wie die Natur
ist, die Physik bezieht sich auf das, was wir im Hinblick auf die
Natur aussagen können“. Dieser zurückhaltenden
Auffassung vom Objektiven steht die subjektivistische
Radikalisierung eines v. Neumann entgegen, welcher die konstitutive
Bedeutung des Bewußtseins für die Ergebnisse der
Quantenphysik betont.
Kanitscheider
ist bemüht, trotz der radikalen Perspektivenwechsel eine innere
Kontinuität der Wissenschaftsgeschichte namhaft zu machen.
Relativierungen und Neubewertungen einzelner methodischer Mittel
sollen keinesfalls zu einer grundsätzlichen Infragestellung des
rationalen Forschungsbegriffes führen. Mit Albert Einstein (von
dessen Weltbild sein 1988 erschienenes Buch handelte) yerteidigt
Kanitscheider eine Grundlinie der Naturwissenschaft, die von einem
starken Objektivitätsbegriff einer Erkennbarkeit und
Mitteilbarkeit der objektiven Weltverhältnisse, sowie einer
kausal-deterministischen inneren Logik ausgeht.
Ganz
und gar gestorben ist der Laplacsche Dämon nicht: “Die
Gesamtsituation der Naturwissenschaft weist darauf hin, daß die
Ontologie mechanistischen Weltbildes durch die Quantenmechanik
drastisch transformiert wurde, die epistemologische Rolle des
Betrachters in der Welt sich hingegen nicht geändert hat. Die
jüngsten Theorieansätze suggerieren, daß das
Objektivitätsideal der neuzeitlichen Naturwissenschaft den
Quantensturm überleben wird“. Gegen Ende des Buches wird
die Abwehrlinie nochmals deutlich markiert: “Von den Freunden
des post-modernen Irrationalismus wird zum Teil mit einer gewissen
Häme der Bruch der Naturwissenschaft mit dem Mechanizismus
proklamiert. Hier liegt ein Fall von Wunschdenken vor. Das
historische Material weist viel stärkere Kontinuität auf
der allgemeinen Verfahrensebene auf, als die Gegner des Rationalismus
wahrhaben wollen“. Dieses Festhalten am Rationalitätsideal
als Teil des Projektes Moderne hebt sich wohltuend von eilfertigen
Verabschiedungen der exakten Wissenschaft und modischen Mythen a‘
la Capra ab.
Auch
die Ergebnisse der Chaos-Forschung werden in erster Linie
hinsichtlich ihrer produktiven Verwendbarkeit geprüft. Fraktale
Geometrie und Analytik chaotischer Situationen sollen das schon zur
Verfügung stehende Instrumentarium verbessern und erweitern.
Kanitscheider nennt hier verschiedene Beispiele aus
wirtschaftlichen und ökologischen zusammenhängen, wo
‘integriertes Chaos‘ stabilitäts- und
erkenntnisstiftend wirksam werden kann.
Für
den philosophisch interessierten Leser wäre möglicherweise
noch ein intensiverer Blick auf die ‘offenen Enden‘ der
neuen Theorien, d.h. auf die nichtintegrierbaren Probleme interessant
gewesen, um zu verstehen, wie die Selbstreflexion der
Naturwissenschaften an ihren gefährdeten Grenzen stattfindet.
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