Erschienen in Ausgabe: No 45 (11/2009) | Letzte Änderung: 17.10.09 |
von Guido Horst
Es ist eine Zahl, die den deutschen Bischöfen auf ihrer jüngsten
Vollversammlung gar nicht gefallen hat: Die Austritte in Deutschland aus der
katholischen Kirche sind im Jahr 2008 dramatisch gestiegen, von 93.667 im Jahr
zuvor auf 121.155. Im Jahre 2006 waren es noch 84.389. Das sind mittelgroße Städte, die die Kirche jedes Jahr
verliert. Und im vergangenen Jahr war diese Stadt besonders groß. An dem
jüngsten Aufreger kann es nicht gelegen haben: Der „Fall Williamson“ erhitzte
erst in diesem Jahr die Gemüter. Der neuerliche Anstieg der Austrittszahlen – nach der Wahl des deutschen Papstes hatte
sich die Kurve deutlich abgeflacht – dürfte wohl eher auf die aufziehende
Wirtschaftskrise zurückzuführen sein. Denn in Deutschland ist anders als
sonstwo auf der Welt das liebe Geld ein Grund, seiner Kirche den Rücken
zuzukehren. Der Fluch der Kirchensteuer. Wer irgendwann in einer nicht sehr
noblen, aber menschlich vielleicht verständlichen Panikreaktion seine
finanziellen Nöte mit dem Austritt aus der Kirche zu lindern versucht, der
braucht später ein ordentliches Stück Courage und Energie, um diesen Schritt mit einem Wiedereintrittsverfahren
rückgängig zu machen. Der Kirchensteuer verdanken viele ihre bequemen
Arbeitsstellen, wo in anderen Ländern ehrenamtliches Engagement vonnöten wäre.
Auch in den Missionsländern hat
„San Marko“ viel Gutes bewirkt. Aber die Kirchensteuer war
auch tausendfach der Grund, Getaufte in einem schwachen Augenblick von ihrer
Kirche wegzuführen und dann für immer in der Eiswüste der Glaubensferne zu
belassen.
Viele, die wegen des Geldes aus der Kirche ausgetreten sind,
gehen trotzdem weiter zur Kirche und sagen sich, so ein bisschen Steuer könne doch
nicht über ihr Verhältnis zu Gott entscheiden. An den Kirchenportalen fragt
schließlich kein Küster nach dem Steuerbescheid.
Diese Reaktion drückt auch etwas Menschliches aus: Wenn die
Kirche als beitragspflichtiger Verein empfunden wird, setzt man sich direkt mit
dem Herrn im Himmel in Verbindung, der mit seinem Handeln und seiner Lehre hier
auf Erden eigentlich klar zu verstehen gegeben hat, dass jeder die Gnadengaben,
um die er bittet, unverdient, das heißt umsonst erhält – und nicht gegen Geld.
Viel hat die konfessionelle Mitgliedssteuer dazu beigetragen,
der katholischen Kirche in Deutschland das verstaubte Ansehen zu geben, so
etwas wie ein Verein zu sein. Da muss schon ein Rebell wie Peter Seewald
kommen, um auf über siebenhundert Seiten neu zu erzählen, worum es bei Kirche
geht: um Jesus Christus. Um ein Steuer, das man herumreißt - und nicht um eine
Steuer, die man zahlt. Seewald hat das Flaggschiff der Theologen und
Schriftgelehrten wie ein Pirat geentert. Natürlich ist auch sein Buch schon reparaturbedürftig
wie ein alter Kahn, doch es ist geschmeidig schnell und man kann Seewald nur
wünschen, dass die kirchensteuerfinanzierten Theologen sich seiner
Herausforderung stellen, in deren Labors Jesus von Nazareth zu einer Schimäre verkümmerte.
Wo der gekreuzigte Sohn Gottes immer mehr einem aufgepitschtem Schmetterling
glich. Das mag jetzt nicht das ausgeklügelte kirchenrechtliche oder
fundamentaltheologische Argument sein: Aber wer die großen Jesus-Bücher liest –
wie das von Romano Guardini, Klaus Berger oder unserem Papst –, der spürt einfach, dass das Ereignis, das mit Jesus Christus begann, meilenweit
entfernt ist von der steuerbürokratisch organisierten Körperschaft „katholische
Kirche“, wie sie sich in Deutschland zwar aus ganz bestimmten historischen Umständen
herausgebildet hat, aber eher zu Vereinen und Hilfsorganisationen passt als zum
Leib Christi.
Im Evangelium geht es um Gratuität, um unverdientes Empfangen,
um Freiwilligkeit, um eine ganz andere Logik als die der Zöllner und
Steuereintreiber. Wer den Ruf empfängt und ihm folgen will, der gibt alles hin –
und nicht nur ein paar Prozent der Einkommenssteuer.
Die Kirchensteuer stellt die Gemeinschaft der Getauften auf
eine Ebene mit den Gewerkschaften oder einem Sportverband: Man wird Mitglied,
zahlt seinen Beitrag – und wenn einem die Nase des Präsidenten nicht mehr
passt, tritt man halt wieder aus. Ist es Zufall, dass die katholische Kirche in Deutschland von den Politstrategen
der Republik heute genauso behandelt und „gepflegt“ wird wie die anderen „gesellschaftlichen
Großgruppen“? Noch. Wenn die Kirche weiterhin pro Jahr eine mittelgroße Stadt
verliert, ist sie bald nicht mehr wichtig. Ende September hat Papst Benedikt Tschechien
besucht, ein Land, in dem es Regionen gibt, die weitgehend atheistisch sind.
Und der Politstratege, der die Konfessionen nur als öffentlich-rechtliche
Körperschaft wahrnimmt, mag mit Blick auf diese Regionen über die Kirche denken: Es geht auch ganz gut ohne.
Guido Horst ist Chefredakteur des Vatikan-Magazins (www.vatican-magazin.de)
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.