Erschienen in Ausgabe: No 45 (11/2009) | Letzte Änderung: 19.10.09 |
von Michael Lausberg
Einleitung
Der Grundinhalt des Rassismus, d.h. eine Über- oder
Unterlegenheit einer bestimmten Menschengruppe gegenüber einer anderen, die als
Abstammungs- oder Fortpflanzungsgemeinschaften mit „artgleichen“ physischen,
psychischen und charakterlichen Eigenschaften aufgefasst wird, ist
wahrscheinlich so alt wie die Geschichte der Menschheit. Die theoretischen
Grundlagen und ihre Ausweitung zu einer Rassenideologie mit
„wissenschaftlichem“ Anspruch findet man erst im Zeitalter der Aufklärung und
der Romantik. Der französische Schriftsteller Arthur de Gobineau gilt als einer
der wichtigsten Theoretiker des modernen Rassismus. Dieser Aufsatz geht der
Frage nach, ob und wie sich die gobinistische Rassentheorie auf das Denken von
Richard Wagner und Friedrich Nietzsche, zwei der bestimmenden intellektuellen
Persönlichkeiten nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871, ausgewirkt
haben.
In dem Aufsatz wird die zunächst eine grundlegende
Skizzierung der Rassentheorie Gobineaus vorgenommen. Danach wird die Wirkung
Gobineaus auf das Denken Wagners und Nietzsches ausgewertet. Im Fazit folgt
eine Zusammenfassung und Bewertung der Untersuchungsergebnisse.
2) Gobineaus
„Essai sur l’inégalité des races humaines“
Gobineaus rassenkundliches Werk „Essai sur l’inégalité des
races humaines“, das in vier Bänden 1852-54 in Paris erschien und eine neue,
international sehr rasch an Einfluss gewinnende Theorie über das Verhältnis
zwischen den Rassen und ihrer Entwicklung aufstellte, besaß zwei historische
Ausgangspunkte.
Der Macht- und Prestigeverlust des Adels im Gefolge der
Französischen Revolution, Urbanisierung, Industrialisierung und den Aufstieg
des dritten und vierten Standes zu politischer Bedeutsamkeit bildeten den
ersten Hintergrund von Gobineaus Rassentheorie. Den Untergang der vormodernen
Welt mit vermeintlich klaren Hierarchien projizierte er in ein Szenario
rassischer Degeneration.
Zweitens stützte er sich auf vermeintliche wissenschaftliche
Erkenntnisse auf dem Gebiet der physischen Anthropologie im 18. Jahrhundert.i Dessen Vertreter waren davon
überzeugt, dass zwischen den anthropometischen Merkmalen wie Schädelform,
Hautfarbe, Körperbau und den Eigenschaften der Intelligenz sowie des sozialen
Verhaltens eine Korrespondenz bestand, die es erlaubte, die Menschen in fest
umrissene Einheiten zu gliedern – die „Rassen“.ii Das Werk „Essai sur l’inégalité des
races humaines“ erschien von 1853 bis 1855, also noch vor Darwins Origin of
Species (1859), so dass von einer Einflussnahme Darwins auf Gobineau nicht
gesprochen werden kann.
Mitte des 19. Jahrhunderts wurden diese Ansätze von Gobineau
in eine geschichtspolitische Konstruktion umgesetzt, die auf die deutsche
politische Rechte einen außergewöhnlichen Einfluss ausgeübt hat. Das Werk
lieferte erstmals eine umfassende Deutung der Weltgeschichte auf der Grundlage
des Rassenprinzips.iii
Gobineaus Ausgangspunkt war die These, die Menschheit
existiere nur in Gestalt von einigen Großgruppen, „Rassen“, die sich in
vorgeschichtlicher Zeit, also noch im Horizont der Naturgeschichte gebildet und
seitdem ihre Merkmale bewahrt hätten.iv Als Zugeständnis an die katholische
Tradition ging Gobineau zwar von einem gemeinsamen Ursprung aller
„Menschenrassen“ in der Schöpfung aus (Monogenese). Die meisten dieser „Rassen“
waren nach Gobineaus Überzeugung nicht fähig, sich aus eigener Kraft zu
kultivieren. Daegen sprach er „von der Vorsehung bestimmte Familie“, eine
„Edelrace“, von der alles seinen Ausgang nahm, „was es an menschlichen
Schöpfungen, Wissenschaft, Kunst, Civilisation, Großes, Edles, Fruchtbares
auf Erden gibt.“: die „weiße Rasse“ und in ihr speziell: die Arier, die
„Ehrenhaften“v Die „weiße Rasse“ verfügte über ein
„besonderes, kulturförderndes Blut“, das durch Vererbung weitergegeben wurde
und, indem es seine Besitzer mit einem „Monopol der Schönheit, der Intelligenz
und der Kraft“ ausstattete, zugleich gesellschaftlich rangbildend wirkte.vi
Ihre Neigung zu Eroberung, Migration und
Bevölkerungsvermehrung münde aber notgedrungen in zunehmende Mischung mit den
als kulturunfähig bezeichneten „schwarzen und gelben Rassen“. Auf Dauer aber
wären die „Mischungen der Rassen“ verhängnisvoll:vii
„Je mehr in ihnen das ‚leitende Racenelement’, das allein
für Kultur und Geschichte stand, sich völlig in den heterogenen Elementen
auflöste, je dünner der Anteil an arischem Blut wurde, desto schwächer musste
die distanzierende und differenzierende Kraft werden, desto stärker der Trend
zu Einheit und Egalität.“ (…)
Je mehr einer Rasse die Unterscheidung von anderen gelinge,
desto höher sei ihr Fortschritt und ihre Zivilisation. Wenn aber der Drang nach
Eroberung („Attraktion“), der Drang nach Exklusivität („Repulsion“) ablöse,
vermische sich diese aufstrebende „Rasse“ wieder mit fremden, weniger ausdifferenzierten
„Rassen“, was ihren langfristigen Untergang besiegele.
Auf die Zeitalter der Götter, der Heroen und des Adels
folgte nunmehr „die Aera der Einheit“, die nichts anderes sein werde als eine
Nivellierung nach unten, zu einem Zustand, in dem sich alle Menschen gleichen
würden. Dies würde das „Ende der Kultur“, das „Ende des Wachstums“ und das
„Ende der Geschichte“ bedeuten:viii
„Die Völker, nein, die Menschenheerden, werden alsdann, von
düsterer Schlafsucht übermannt, empfindungslos in ihrer Nichtigkeit
dahinleben, wie die wiederkäuenden Büffel in den stagnirenden Pfützen der
pontinischen Sümpfe.“
Maßgebend für sein Denken war die Parallelsetzung von
Klassen und Rassen: Der Adel enthalte die wertvollsten Rassenelemente, das
Bürgertum sei eine Mischrasse und die Unterschichten bestünden aus rassisch
Minderwertigen mit hohen schwarzen und gelben Bestandteilen.
Laut Geulen führte Gobineau in seiner Erklärung der
Rassenmischung zum einzigen Mechanismus von Entwicklung und Fortschritt
überhaupt die seit der Aufklärung zunehmend getrennten Vorstellungswelten der
Geschichte und der Biologie wieder zusammen.ix In der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhundert - zur Zeit der Imperialismus - wurde die Idee eines solchen ewigen
Rassenkampfes umso populärer, je mehr er sich im Konkurrenzkampf der Nationen
und Imperialmächte untereinander und in ihrem gemeinsamen Kampf gegen die
kolonisierten Bevölkerungen manifestierte.
Das 1871 gegründete Deutsche Reich entwickelte erst nach der
Ablösung Bismarcks 1890 unter Kaiser Wilhelm II. mit dem „Neuen Kurs“ eine
imperialistisch orientierte Politik. Im Jahr 1897 forderte der spätere
Reichskanzler Bernhard von Bülow im Reichstag einen deutschen „Platz an der
Sonne“. Diese Prämisse eines nationalen Prestigedenkens sollte die deutsche „Weltpolitik“
bis 1914 prägen.
3) Die Wirkung Gobineaus auf Richard Wagner
Gobinistisches Gedankengut lässt sich an vielen Stellen bei
Richard Wagner nachweisen. In den Bayreuther Blättern erschien schon 1882/1883
auf Veranlassung Wagners eine umfangreiche Zusammenfassung des „Essai sur
l’inégalité des races humaines“ von Hans von Wolzogen. Weiterhin publizierten
die Bayreuther Blätter regelmäßig die Berichte der im Jahre 1894 gegründeten
Gobineau-Gesellschaft.
Der Rassismus bei Gobineau war noch nicht mit dem
Antisemitismus verbunden; diese Verbindung wurde erst durch die
Gobineau-Rezeption im Umfeld Richard Wagners hergestellt. Das Werk Gobineaus
wurde von Karl Ludwig Schemann, einem Mitglied des Bayreuther Kreises um Cosima
Wagner, ins Deutsche übersetzt und nahm Einfluss auf Cosima Wagners
Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain, der Gobineaus Grundgedanken um einen
verstärkten Antisemitismus ergänzte. Schemann interpretiert in Gobineaus Werk
einen „Rassenkampf“ zwischen „Ariern“ und „Semiten“ hinein, obwohl Gobineau
die Juden zur „weißen Rasse“ gezählt hatte.x
Wagner bewunderte die Schrift Gobineaus; ihn faszinierte vor
allem dessen Vision der Arierdämmung. Er distanzierte sich jedoch in zwei
entscheidenden Punkten von Gobineaus Thesen. Erstens lehnte er die standes-
bzw. stammesmäßig geschlossenen Ehen als Mittel zur Bewahrung und Weitergabe
der „Rassennatur“ ab. Außerdem sah er mit der Rassenmischung das kulturelle
Potential der Menschheit als nicht erschöpft an, statt dessen sprach er von
einer Befähigung der Gattung zur Mutation. Angesichts der Vernichtungsgefahr,
mit der die Menschheit aufgrund der Degeneration konfrontiert sei, sei damit zu
rechnen, dass sich die Lebenskraft der Gattung noch einmal verdichte und einen
qualitativen Sprung bewirke. Es sollte nicht nur ein höher organisiertes
Individuum, sondern eine neue Spezies geschaffen werden: den „Erlöser bzw. den
Gottmenschen, in dem sich die Gattung selbst sublimiere“.xi Wagner hat in der „Rassenmischung“
den „Gewinn einer allgemeinen moralischen Übereinstimmung“ gesehen, auf deren
Basis das Kunstwerk der Zukunft gedeihen könne.xii
Richard Wagners Weltbild war geprägt von einer unbestimmten
Sehnsucht nach Aufbruch, Umsturz und Revolution, nach einer meist nicht näher definierten
neuen Form der Kunst und Gesellschaft durch Untergang des Bestehenden.xiii Seine Gedanken waren durchdrungen
von romantischen Aspekten wie der Rückkehr zur Natur und der Ablehnung der
Industrialisierung, sowie nationalistischer Phantasien von der totalen
Homogenität einer „Rasse“ oder eines Volkes.
Wenn seine persönliche Eitelkeit angegriffen wurde oder sich
der erhoffte finanzielle Erfolg nicht einstellte, machte er dafür häufig eine
angebliche jüdische Verschwörung verantwortlich. Die missgünstige Diffamierung
von jüdischen Komponisten wie Giacomo Meyerbeer und Felix Mendelssohn Bartholdy
versuchte er mit Schriften wie „Das Judentum in der Musik“ und dem darauf aufbauenden
„Brief an Gräfin Muchanow“ zu belegen; um diese persönliche Motivation zu
überdecken.xiv
In seinem Werk „Das Judenthum in der Musik“ aus dem Jahre
1869 sprach Wagner ohne notwendigen Bezug auf die musiktheoretische Polemik vom
„natürlichen Widerwillen gegen jüdisches Wesen.” Die angebliche Weltherrschaft
der Juden wird außerdem angesprochen:xv
„Der Jude ist nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge
dieser Welt wirklich bereits mehr als emanzipiert: er herrscht, und wird
solange herrschen, als das Geld die Macht bleibt, vor welcher alles unser Thun
und Treiben seine Kraft verliert”.
Seine Schrift schließt mit folgenden Worten an die Juden:xvi „Aber bedenkt, dass nur Eines eure
Erlösung von dem auf euch lastenden Fluche sein kann: die Erlösung Ahasvers, -
der Untergang!”
Durch praktisch alle Opern Wagners zieht sich wie ein roter
Faden der Hass auf das Jüdische, wenn auch in den frühen weniger offensichtlich
und bestimmend.
Seine Opern waren „treue mythologische Widerspiegelungen dessen zu sein, was er
in seinen Aufsätzen als eine durch das Jüdische verdorbene deutsche Welt
beklagt, von welchem sie durch ‚Vernichtung’ oder ‚Untergang’ erlöst werden
müsse.“xvii
Seit 1850 hat er die "Vernichtung" oder den
"Untergang" des Judentums gefordert. Es stellt sich aber die Frage,
ob Wagner von "Vernichtung des Judentums" im übertragenen oder
wörtlichen Sinne meinte. Wagners Weltbild in seinem letzten Lebensjahrzehnt ist
von der Überzeugung durchdrungen, dass die revolutionäre deutsche Lösung der
Judenfrage die Vertreibung sein müsse, da eine Assimilation unmöglich sei. In
Cosimas Tagebuch ist zu lesen:xviii
„Die Zeitung bringt wieder Nachrichten von Hetzen gegen die
Juden in Rußland, und R. meint, es gäbe nur das, Äußerung der Volkskraft, und
sagt: Gobineau hat recht, sie fühlen - die Russen -sich noch als Christer.“
Houston Stewart Chamberlain entwickelte sich zu einem großen
Anhänger Richard Wagners, engagierte sich in den Wagner- Vereinen von Paris und
Wien, schrieb ein Buch über Wagners Musikdramen und lieferte Beiträge für die
Bayreuther Blätter. Spätestens als er 1908 Richard Wagners Tochter Eva
heiratete und nach Bayreuth übersiedelte, rückte er in den engeren Kreis der
Wagnerianer auf.xix
In seinem Werk „Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts“xx aus dem Jahre 1899 übernahm
Chamberlain von Gobineau die Deutung der Weltgeschichte mit Hilfe des
"Rassenprinzips", das er jedoch allein auf den Antagonismus von
Ariern und Juden zuspitzte.xxi Die „arisch- germanischen Völker“
wären die einzige kulturschöpferische „Rasse“, während die Juden als „Gegenrasse“
das Prinzip der Zersetzung verkörperten. Laut Chamberlain löse Rassenmischung
kulturellen Verfall und politischen Machtverlust aus. Chamberlain listete
historiographische und ethnologische „Belege“ auf, die den Niedergang großer
Reiche von der Völkerwanderung bis in die Gegenwart aus einer Steigerung des
semitischen Blutanteils erklären.
Er spricht nicht von der unaufhaltsamen Degeneration einer
reinen „Urrasse“, vielmehr sei „Rassenzucht“ ein historisch offener Prozess.
Mit der Identifikation des Schicksals der „arischen Rasse“ und der Weltmission
des Deutschtums schmeichelte er dem imperialistischen Sendungsbewusstsein der
Ära Wilhelms II. Sein Monumentalwerk wurde zu einer der wichtigsten Schriften
seiner Zeit; Chamberlain fand ein breites Echo in Teilen des Bildungsbürgertums
auch außerhalb völkischer Kreise.xxii
Der Antisemitismus war in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts ein zentrales Medium der Selbstverständigung in einer sich
verändernden Zeit. Das Modell des souveränen Nationalstaates geriet durch Imperialismus
und Globalisierung und durch eine zunehmende Dynamik innergesellschaftlicher
Klassenkonflikte unter Druck geriet und schien nicht mehr die gegenwärtigen
Probleme lösen zu können. Der souveräne Nationalstaat wurde als tragfähiges
Ordnungsmodell immer mehr in Frage gestellt.xxiii
Immer mehr setzte sich dieser angenommene und
rassentheoretisch hergeleitete Gegensatz zum Judentum als eine Art neue
Weltdeutung in weiten Teilen des deutschen Bürgertums fest. Mit Recht hat man
ihn rückblickend als einen übergreifend gültigen „kulturellen Code“ vor allem
bürgerlicher Selbstverständigung im Kaiserreich bezeichnet.xxiv
4) Die Wirkung Gobineaus auf Friedrich Nietzsche
Die Vorstellungen Gobineaus stießen auch bei Friedrich
Nietzsche auf Resonanz. In der Schrift
„Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“, stellte
er eine Beziehung zwischen dem Prometeus-Mythos und dem arischen Wesen her.
Danach äußerte Nietzsche in der „Genealogie der Moral“, „daß die Eroberer- und
Herren-Rasse, die der Arier, auch physiologisch im Unterliegen ist.“.xxv
Er sah „Rasse“ sowohl als etwas Geschichtliches wie etwas
Natürliches an.xxvi Sie konnte ein Produkt der Natur
sein, wie es die blonden Arier der europäischen und indischen Frühzeit waren.
Aber sie konnte auch das Resultat von künstlich-gewollten Veredelungsvorgängen
sei, die an „unrein“ gewordenen, d.h. gemischten oder gekreuzten Populationen
ansetzten. Diese künstlich-gewollte Rassenbildung schien ihn die bedeutendere
zu seinxxvii:
„ Es gibt wahrscheinlich keine reinen, sondern nur
reingewordene Rassen, und diese in großer Seltenheit (…) Die Reinheit ist das
letzte Resultat von zahllosen Anpassungen, Einsaugungen und Ausscheidungen, und
der Fortschritt zur Reinheit zeigt sich darin, daß die in einer Rasse
vorhandene Kraft sich immer mehr auf einzelne ausgewählte Funktionen
beschränkt, während die vordem zu viel und oft Widersprechendes zu besorgen
hatte: (…) weshalb reingewordene Rassen immer auch stärker und schöner geworden
sind.“
Für ihn sind „die Griechen (…) das Muster einer
reingewordenen Rasse und Kultur“; diesem Beispiel gilt es nachzuahmen und „eine
reine europäische Rasse und Kultur“ zu schaffen.
Nietzsche verlangte die Züchtung eines neuen Adels, einer
Herrenrasse:xxviii
„Es wird von nun an günstige Vorbedingungen für
umfänglichere Herrschaftsgebilde geben, deren Gleichen es noch nicht gegeben
hat. Und dies ist noch nicht das Wichtigste: es ist die Entstehung von
internationalen Geschlechts-Verbänden möglich gemacht, welche sich die Aufgabe
setzten, eine Herren-Rasse heraufzuzüchten, die zukünftigen ‚Herren der
Erde’; - eine neue ungeheure, auf der härtesten Selbst-Gesetzgebung aufgebaute
Aristokratie, in der dem Willen philosophischer Gewaltmenschen und
Künstler-Tyrannen Dauer über Jahrhunderte gegeben wird: eine höhere Art
Menschen, (…)“
Diese künstlich-gewollte Rassenbildung selbst stellte sich
Nietzsche nach den Erkenntnissen der aufkommenden wissenschaftlichen Eugenik
vor. Die neue Elite sollte in Anlehnung an Platon fernab von den anderen
Ständen planvoll herangezüchtet werden.
An Nietzsches Idee, Rassen eher als Ergebnisse einer
bewussten Züchtung denn als Naturprodukte aufzufassen, knüpften vor allem die
rechten Intellektuellen der „Konservativen Revolution“xxix an.xxx (…) Moeller van den Bruck bezog
sich darauf in seiner Zurückweisung rein biologischer Rassentheorien. Die
Verhältnisse innerhalb der Gesellschaft und zwischen den Völkern sollten auf
der Grundlage des „Überlebenskampfes“ nach sozialdarwinistischen Prinzipien
ausgetragen werden..xxxi Edgar Julius Jung unterschied
zwischen höher- und minderwertigen Rassen und wollte eine neue Aristokratie nur
aus den ersteren schaffen.xxxii Hans Blüher sprach von einer
„Primärrasse“, die seit Anbeginn der Schöpfung existierte und ihre herausragenden
Qualitäten auf dem Wege der Vererbung weitergab. Die „germanischen Rassenart“
nehme hier einen hegemonialen Platz, speziell die Deutsche.xxxiii
Zunächst hatte Nietzsche Wagner in seiner frühen Schrift
„Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ noch als Erneuerer deutscher
Kultur gefeiert und ihm in seinen „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ einen eigenen
Essay „Richard Wagner in Bayreuth“ gewidmet. Diese Verehrung schlug spätestens
1879 nach Wagners vermeintlicher Hinwendung zum Christentum in „Parsifal“ in
Feindschaft um. Seitdem warf er Wagner Dekadenz und ein „undeutsches” Wesen vor
machte sich über das geistige Niveau der Wagnerianer in Bayreuth lustig. In seiner
Spätschriften „Nietzsche contra Wagner“ wiederholte er seine Angriffe und
Vorwürfe der „décadence“:xxxiv
„Denn der Parsifal ist ein Werk der Tücke, der Rachsucht,
der heimlichen Giftmischerei gegen die Voraussetzungen des Lebens, ein
schlechtes Werk. – Die Predigt der Keuschheit bleibt eine Aufreizung zur
Widernatur: Ich verachte jedermann, der den Parsifal nicht als Attentat auf die
Sinnlichkeit empfindet.“
5) Fazit
Gobineau ging von einem gemeinsamen Ursprung aller
„Menschenrassen“ in der Schöpfung aus. Doch ihre Verbreitung über die gesamte
Erde und die Anpassung an unterschiedliche Lebensräume habe zu einer
Ungleichheit der „Rassen“ geführt. Zivilisatorisch hochstehende Fähigkeiten
besitze allein die „weiße Rasse“, insbesondere die „Arier“. Ihre Neigung zu
Eroberung und Bevölkerungsvermehrung führe aber zu einer zunehmenden
Mischung mit den als kulturunfähig titulierten „schwarzen und gelben Rassen“,
was eine Nivellierung und Kulturlosigkeit zur Folge hätte.
Die Ideen Gobineaus stießen im vormodernen Deutschland
sofort auf breite Resonanz. Sowohl bei Richard Wagner und als auch bei
Friedrich Nietzsche ist gobinistisches Gedankengut nachzuweisen.
Die Verbindung von Gobineaus Rassentheorie mit dem
Antisemitismus wurde erst durch die Gobineau-Rezeption im Umfeld Richard
Wagners hergestellt. Wagner entfernte sich in zwei entscheidenden Punkten von
Gobineaus Lehrsätzen. Er lehnte die standes- bzw. stammesmäßig geschlossenen
Ehen als Mittel zur Erhaltung und Weitergabe der „Rassennatur“ ab. Weiterhin
sah er mit der „Rassenmischung“ die kulturelle Leistungsfähigkeit der
Menschheit als nicht erschöpft an, sondern sprach von einer Befähigung der
Gattung zur Mutation.
In der Weiterentwicklung der Ideen Gobineaus sprach sich
Nietzsche für eine künstlich-gewollte Rassenbildung, die auf die neuen
Erkenntnisse der Eugenik auszurichten war, aus. Nietzsche entwickelte den
Gedanken der Züchtung einer „Herrenrasse“, die eine höhere Art Menschen
ausbilden sollte.
6) Literatur
- Biddiss, M.: Father of Racist Ideology. The Social and
Political Thought of Count Gobineau, London 1970.
- Blüher, H.: In medias res. Grundbemerkungen zum Menschen,
Jena 1919.
- Breuer, S.: Ordnungen der Ungleichheit- die deutsche
Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945, Darmstadt 2001.
- Chamberlain, H.S.: Die Grundlagen des Neunzehnten
Jahrhunderts, München 1899.
- Colli, G./Montinari, M. (Hrsg.): Friedrich Nietzsche. Sämtliche
Werke, 15. Bände, München 1988.
- Deschner, G.: Gobineau und Deutschland. Der Einfluss von
Gobineaus „Essai sur l’inégalité des races humaines“ auf die deutsche
Geistesgeschichte 1853-1917, Erlangen 1968.
- Field, G. G.: Evangelist of Race. The Germanic Vision of
Houston Stewart Chamberlain, New York 1981.
- Fischer, J.M.: Richard Wagners „Das Judentum in der
Musik“, Eine kritische Dokumentation als Beitrag zur Geschichte des
europäischen Antisemitismus, Frankfurt/Main 2000.
- Geulen, C.: Geschichte des Rassismus, München 2007.
- Gobineau, A.: Versuch über die Ungleichheit der
Menschenracen, 4. Bände, 2. Auflage, Stuttgart 1902-1904.
- Hartwich, W.-D.: Richard Wagners ästhetische
Herrschaftsform. Zur Soziologie der „Bayreuther Idee“, in: Faber, R./Holste, C.
(Hrsg.): Kreise-Gruppen-Bünde, Würzburg 2000, S. 307-328.
- Jung, E. J.: Die Herrschaft der Minderwertigen, 3.
Auflage, Berlin 1930.
- Large, D. C.: Ein Spiegelbild des Meisters? Die
Rassenlehre von Houston Stewart Chamberlain, in: Borchmeyer, D. (Hrsg.):
Richard Wagner und die Juden, Stuttgart 2000, S. 144-159.
- Osterhammel, J.: Kolonialismus. Geschichte, Formen,
Folgen, München 1995
- Rose, P.L.: Wagner und der Antisemitismus, Zürich 1999.
- Pfahl-Traughber, A.: „Konservative Revolution“ und „Neue
Rechte“. Rechtsextremistische Intellektuelle gegen den demokratischen
Verfassungsstaat, Opladen 1998.
- Schemann, K.L.: Gobineaus Rassenwerk: Aktenstücke und
Betrachtungen zur Geschichte und Kritik des „Essai sur l’inégalité des races
humaines“, Stuttgart 1910.
- Schlechta, K. (Hrsg.): Friedrich Nietzsche. Sämtliche
Werke in drei Bänden, München 1966.
von Klemperer, K.: Arthur Moeller van den Bruck, in: Neue
Deutsche Biographie, Band 17, Berlin 2004, S. 650-652.
- Weiner, M.A.: Antisemitische Fantasien. Die Musikdramen Richard
Wagners, Berlin 2000.
- Young, E:J.: Gobineau und der Rassismus. Eine Kritik der
anthropologischen Geschichtstheorie, Meisenheim am Glan 1968.
i Young, E:J.: Gobineau und der
Rassismus. Eine Kritik der anthropologischen Geschichtstheorie, Meisenheim am
Glan 1968, S. 15.
ii Breuer, S.: Ordnungen der
Ungleichheit- die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945,
Darmstadt 2001, S. 48.
iii Biddiss, M.: Father of Racist Ideology. The Social and Political
Thought of Count Gobineau, London
1970, S. 12.
iv Breuer, Ordnungen der Ungleichheit-
die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945, S.49.
v Gobineau, A.: Versuch über die
Ungleichheit der Menschenracen, 4. Bände, 2. Auflage, Stuttgart 1902-1904 (Band
I, S. 81, Band, II, S.8,13, und 185).
vi Ebd. Band I, S. 42 und 284.
vii Breuer, Ordnungen der Ungleichheit-
die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945, a.a.O., S. 49.
viii Gobineau, Versuch über die
Ungleichheit der Menschenracen, a.a.O., Band 4, S. 319.
ix Geulen, C.: Geschichte des
Rassismus, München 2007, S. 72.
x Schemann, K.L.: Gobineaus
Rassenwerk: Aktenstücke und Betrachtungen zur Geschichte und Kritik des „Essai
sur l’inégalité des races humaines“, Stuttgart 1910.
xi Breuer, Ordnungen der Ungleichheit-
die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945, a.a.O., S. 51.
xii Hartwich, W.-D.: Richard Wagners
ästhetische Herrschaftsform. Zur Soziologie der „Bayreuther Idee“, in: Faber,
R./Holste, C. (Hrsg.): Kreise-Gruppen-Bünde, Würzburg 2000, S. 307-328, hier S.
314ff.
xiii Vgl dazu die im Jahre 1849
erschienene Schrift „Die Kunst und die Revolution“ in Weiner, M.A.:
Antisemitische Fantasien. Die Musikdramen Richard Wagners, Berlin 2000.
xiv Fischer, J.M.: Richard Wagners „Das
Judentum in der Musik“, Eine kritische Dokumentation als Beitrag zur Geschichte
des europäischen Antisemitismus, Frankfurt/Main 2000, S. 15.
xv Zitiert aus Ebd., S. 68.
xvi Ebd., S. 73.
xvii Rose, P.L.: Wagner und der
Antisemitismus, Zürich 1999, S. 267.
xviii Ebd., S. 274.
xix Field, G. G.: Evangelist of Race. The Germanic Vision of Houston Stewart Chamberlain, New York 1981, S. 43ff.
xx Chamberlain, H.S.: Die Grundlagen
des Neunzehnten Jahrhunderts, München 1899 .
xxi Large, D.C.: Ein Spiegelbild des
Meisters? Die Rassenlehre von Houston Stewart Chamberlain, in: Borchmeyer, D.
(Hrsg.): Richard Wagner und die Juden, Stuttgart 2000, S. 144-159, hier S.
146f.
xxii Deschner, G.: Gobineau und
Deutschland. Der Einfluss von Gobineaus „Essai sur l’inégalité des races
humaines“ auf die deutsche Geistesgeschichte 1853-1917, Erlangen 1968, S. 154.
xxiii Geulen, Geschichte des Rassismus,
a.a.O., S. 88.
xxiv Osterhammel, J.: Kolonialismus.
Geschichte, Formen, Folgen, München 1995, S. 24.
xxv Schlechta, K. (Hrsg.): Friedrich
Nietzsche. Sämtliche Werke in drei Bänden, München 1966, Band 2, S. 776f.
xxvi Breuer, Ordnungen der Ungleichheit-
die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945, a.a.O., S. 52.
xxvii Schlechta, Friedrich Nietzsche,
a.a.O., Band 1, S. 1182.
xxviii
Colli, G./Montinari, M. (Hrsg.): Friedrich Nietzsche. Sämtliche Werke, 15.
Bände, München 1988, Band 9, S. 87f.
xxix Die „Konservative Revolution“ ist
eine in der Weimarer Republik bedeutend gewordene geistig-politische Bewegung,
die sich sowohl von den liberalistischen Ideen von 1789 und des 19.
Jahrhunderts wie von bloßer Restauration abzugrenzen suchte. In Deutschland
waren Träger der „Konservativen Revolution“ völkische, jungkonservative,
nationalrevolutionäre und bündische Gruppen sowie die Landvolkbewegung, von
denen viele in ihren antiparlamentaristischen und antidemokratischen Tendenzen
zu Wegbereitern des Nationalsozialismus wurden. Vgl. dazu Pfahl-Traughber, A.:
„Konservative Revolution“ und „Neue Rechte“. Rechtsextremistische
Intellektuelle gegen den demokratischen Verfassungsstaat, Opladen 1998, S.
58.
xxx Breuer, Ordnungen der Ungleichheit-
die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945, a.a.O., S. 54.
xxxi von Klemperer, K.: Arthur Moeller
van den Bruck, in: Neue Deutsche Biographie, Band 17, Berlin 2004, S. 650-652,
hier S. 651.
xxxii Jung, E.J.: Die Herrschaft der
Minderwertigen, 3. Auflage, Berlin 1930, S. 126.
xxxiii
Blüher, H.: In medias res. Grundbemerkungen zum Menschen, Jena 1919, S. 5.
xxxiv Colli/Montinari, Friedrich Nietzsche, a.a.O., Band 6, S. 3.
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