Erschienen in Ausgabe: No 45 (11/2009) | Letzte Änderung: 19.10.09 |
Mark Rowlands: Der Philosoph und der Wolf. Was ein wildes Tier uns lehrt. Berlin (Rogner & Bernhard): 2009. 285 Seiten. EURO (D) 19,90. ISBN: 3807710469.
von Daniel Krause
Mark
Rowlands ist Philosoph, zuletzt an der Universität von Miami.
Seine Leidenschaft gilt den Tieren, Wölfen zumal. Mit einem
Vertreter der Art, Brenin geheißen, hat Rowlands zehn Jahre
zusammengelebt. Nun hat er ein Buch über Brenin geschrieben und
über die Frage, was Menschen von Wölfen lernen sollten. Es
zeichnet sich ab, dass der Der
Philosoph und der Wolf zu
einem der großen Sachbucherfolge des Jahres gerät.
Rowlands
ist sich der Schwierigkeiten der Rede von Tieren sehr wohl bewusst.
Alles andere wäre bei einem Philosophen angelsächsischer,
‚analytischer’ Schulung durchaus erstaunlich: „Sähe
man diese Ausführungen als empirisch gestützte
Mutmaßungen über den wirklichen Inhalt von Brenins
Verstand, dann wären solche Behauptungen eine lächerliche
Vermenschlichung“ (21). Dennoch ist der Wolf nicht das ganz
und gar Andere. Er „erscheint auch [...] als Symbol oder
Metapher für einen Aspekt von mir, der vielleicht nicht
mehr existiert“ (21). Rowlands ist es um die vorurteilsfreie,
gleichsam phänomenologische Beschreibung dessen zu tun, was
sich zeigt – am Verhalten von Menschen und Wölfen. Wo es, über
Beschreibung hinaus, um Erklärungen geht, tritt Darwin auf den
Plan: Wölfisches wie äffisches (menschliches)
Verhalten wird durch Erfordernisse evolutionärer Fitness
begründet.
Das
„Wesen“ der Wölfe – und, im Grunde, ihrer infantilisierten
Abkömmlinge: der Hunde – ist von rückhaltloser
‚Ehrlichkeit’ geprägt. Ein Wolf, so Rowlands, kann nicht
lügen. „Machiavellistische Intelligenz“ ist dagegen das
Wesensmerkmal der Affen, darunter der Menschen. Woher dieser
Gegensatz rührt, ist ungeklärt. (Vor kurzem noch wären,
im Zeichen des Behaviorismus, Kategorien wie ‚Lüge’ als
Anthropomorphismen abgetan worden.) Rowlands bietet diese
Erklärung: Affen (Menschen) paaren sich weit häufiger als
Wölfe. Um ihre Paarungschancen zu verbessern, sind sie
genötigt, andere Gruppenmitglieder zu übervorteilen: „Nur
bei Affen finden wir eine so unnachahmliche Verbindung von Schläue
und Lüsternheit (88).“
Nun
fällt es nicht schwer, auf andere zu zeigen: Schläue und
Lüsternheit, Intrige und Schadenfreude mögen äffische,
menschliche Untugenden sein. (Dies ist Rowlands Kehrreim auf 200
Seiten.) Der gute, kultivierte Mensch jedoch hat diese Defekte
überwunden. Immerhin ist er fähig und willens, solcherlei
Regungen – meistens – niederzuhalten. Aber Rowlands hält
auch für den Gutmenschen ein Kränkung bereit: Mehr noch als
sexuelle Begierde ist das Streben nach Glück ein
menschlicher Makel und Ursprung nicht wenigen Elends: „Ich vermute
[...], dass weder Sex noch irgendwelche Gefühle für
Wölfe eine Rolle spielen. Im Gegensatz zu Menschen jagen sie
nicht hinter Gefühlen, sondern hinter Kaninchen her (183).“
Ein
besonderer Vorzug der Wölfe liegt in ihrer Eleganz:
„Wenn
Brenin trabte, blieben seine Schultern und sein Rücken [...]
flach und auf gleicher Höhe. Aus der Entfernung sah es aus, als
schwebte er ein paar Zentimeter über dem Boden. [...] Der
Kontrast zu dem geräuschvollen, schnaufenden und bleifüßigen
Affen [Mark Rowlands], der neben ihm dahinlief, hätte nicht
deutlicher oder deprimierender sein können. [...] Vielmehr
sollte man, wenn man die Seele des Wolfes – sein Wesen, das was den
Wolf ausmacht – verstehen will, darauf achten, wie er sich
bewegt. Andererseits ist die griesgrämige, unbeholfene
Hektik des Affen, wie ich voller Kummer und Bedauern einsah, ein
Ausdruck der griesgrämigen und unbeholfenen Seele, die sich
hinter jeder Hektik verbirgt (105f).“
Man
könnte nun, mit Blick auf solche Reflexionen, zu bedenken geben,
Der Philosoph und der Wolf
sei alles andere als ein philosophisches Buch – wenn
‚philosophisch’ bedeutet, dass Anthropomorphismen, sentimentale
Regungen, ästhetische Eindrücke ausgemerzt werden.
Dies geschieht in der Tat nicht.
(Der Titel
des englischen Originals ist in dieser Hinsicht ‚entlarvend’: The
Philosopher and the Wolf: Lessons from the Wild on Love, Death and
Happiness.)
Aber: Was bedeutet
‚philosophisch’? Ist es sinnvoll festzulegen, welcher
Darstellungsformen Philosophen sich bedienen dürfen? Wer
Dialoge, Anekdoten, Essais ausschließen möchte, muss Plato
und Montaigne verstoßen...
Rowlands
ist sich des gelegentlich idiosynkratischen Charakters, des
Bekenntnishaften seiner Darstellung durchaus bewusst. Auch eine
gewisse Voreingenommenheit zugunsten des Wolfes ist
festzustellen. Der Wolf erscheint als durchweg edles Tier: „Intrigen
und Betrug bilden den Kern der sozialen Intelligenz von Menschenaffen
und Affen [...]. Im Wolfsrudel gibt es kaum Intrigen und Betrug
(79).“ Jene wölfischen Handlungsweisen, die weniger
sympathieheischend scheinen, werden en
passant abgehandelt:
„Wir
verbrachten jenen Sommer [...] auf dem Grundstück meiner Eltern
in West-Wales. Da Brenin eine sofortige Abneigung gegen die Deutschen
Doggen meiner Eltern, Bonnie und Blue, empfand, mussten wir uns in
dem Wohnmobil am Ende des Gartens niederlassen. Denn innerhalb
von Stunden nach unserer Ankunft hatte Brenin mehrere Male versucht,
Blue zu töten (138f).“
Mark Rowlands ist bemüht, sein ‚wölfisches’
Erfahrungswissen umzulegen auf die Frage nach dem guten Leben des
Menschen:
„Was ich lernte, war im Grunde die
Antithese der Religion. Religion verlässt sich immer auf
Hoffnung. Als Christ oder Muslim hegt man die Hoffnung, des Himmels
wert zu sein. Als Buddhist hofft man, vom großen Rad des Lebens
und Todes befreit zu werden und das Nirwana zu erreichen. [...]
Hoffnung ist die Gebrauchtwarenverkäuferin der
menschlichen Existenz: sehr freundlich, sehr überzeugend.
Aber man kann sich nicht auf sie verlassen. Das Wichtigste in unserem
Leben ist das Ich, das zurückbleibt, wenn die Hoffnung versiegt.
[...] Alles, was wir haben, [...] wird die Zeit uns wegnehmen. Aber
was die Zeit uns nie rauben kann, ist die Person, die wir in unseren
besten Momenten waren (272).“
Nicht
ohne Belang ist (wie stets) die sprachliche Seite: Die Qualität
der Übersetzung ist leider durchwachsen. Manche
Formulierung findet sich hart an der Grenze des grammatikalisch oder
idiomatisch Erlaubten. Darüber hinaus begegnen unglücklich
gewählte Worte wie „Sonderbehandlung“ (221).
Wer die materielle Situation von Übersetzern kennt, kann sich
ausmalen, unter welchem Zeitdruck die deutsche Fassung zustande
gekommen sein mag ...
Dennoch:
Dieses Buch ist wichtige Lektüre. Dies träfe selbst dann
zu, wenn sämtliche ethischen Überlegungen Rowlands
unstimmig wäre: Jede
Übung in Empathie
mit den Tieren ist kostbar. Viel wäre erreicht, wenn wir nur
lernten, Tiere zu sehen.
Mark Rowlands führt ein Wort aus dem Roman Milan Kunderas an,
Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins:
„Die wahre moralische Prüfung
[...] äußert sich in der Beziehung der Menschen zu denen,
die ihnen ausgeliefert sind: zu den Tieren. Und gerade hier ist es
zum grundlegenden Versagen des Menschen gekommen, zu einem so
grundlegenden Versagen, dass sich alle anderen aus ihm ableiten
lassen“ (123).“
Angesichts
des Infernos, das wir Tieren tagtäglich mit staunenswerter
Ignoranz bereiten, stellt sich die Frage: Warum lesen Menschen Bücher
wie Der Philosoph und der
Wolf ? Warum rührt
uns dieses Buch?
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