Erschienen in Ausgabe: No. 3 (3/1993) | Letzte Änderung: 21.01.09 |
Überlegungen zu Adam Heinrich Müller, dem theologischen Politiker der Romantik
von Bernd Villhauer
Im
Münchner Theatiner-Verlag erschien 1923 ein Buch, das
verschiedene Werke Adam Müllers unter dem Titel ‚Schriften
zur Staatsphilosophie’ zusammenfaßte. Der Band enthält
ein Vorwort des Jesuiten P. Erich Przywaras, zusammengestellt und
herausgegeben wurde er von Rudolf Kohler und veröffentlicht
“mit kirchlicher Druckerlaubnis“. Politisch-theoretisch
interessierte Anhänger des katholischen Konservativismus waren
es vor allem, die die Theorien Müllers nach dem 1. Weltkrieg in
Umlauf brachten und ihm eine kurzfristige Bekanntheit verschafften.
Für die Rezeptionsgeschichte ist vor allem der Name Othmar
Spanns (1878-1950) erwähnenswert, der auch in der von ihm
herausgegebenen Buchreihe ‚Die Herdflamme’ im Gustav Fischer
Verlag (Jena) Müller vielfach würdigte. In dieser Reihe
erschienen die wichtigsten Schriften Müllers und wurden von
Spann und seinen Mitarbeitern kommentiert und weitergedacht. Müller
paßte gut in die Diskussion um politisch-ökonomische
Ordnungsmodelle eines starken Staates, die von Leuten wie Sombart
(‚Deutscher Sozialismus’) und Spengler beherrscht wurde. Hier war
ein Denker, der einen einheitlich gegliederten und harmonischen
christlichen Staat propagierte und so einen Gegenentwurf zu den
chaotischen Verhältnissen der Weimarer Zeit zu bieten schien.
Die Idee eines Staates, der keinem diskutierbaren Entschluß
unterlag, der nicht konstruiert wurde, sondern sich als göttliche
Notwendigkeit, als Teil einer umfassenden Weltharmonie, gleichsam wie
von selbst schuf, fiel bei den Kritikern der Republik auf fruchtbaren
Boden. Wenn wir heute diesen romantischen Politiker und sein Werk
betrachten, müssen wir, glaube ich, die Entstehungsbedingungen
modernen ökonomischen Denkens der Aufklärung in der
Wechselbeziehung zwischen romantischer Geste und kritisch-rationalem
Zugriff sehen. Bei Müller muß der Blick auf den
Naturrechtsbegriff und die Entstehung des Staates gerichtet werden.
Aufklärerische politische Theorie nimmt in verschiedener Weise
die Konstruktion einer naturrechtlichen Ausgangssituation zum Anlaß,
jeweils gegenwärtige staatliche Zustände zu hinterfragen.
Es wird ein Bild des ‚eigentlichen Menschen’ und seiner
Rechtsverhältnisse gezeichnet, aus denen sich die Bildung eines
Staates als Notwendigkeit ergibt.
Wichtig
ist hierbei, wie das ‚eigentlich’ Menschenbild gewonnen wird,
d.h. in welcher Weise werden die ‘Verunreinigungen’ der
Geschichte abgelöst; wie wird von den bestehenden staatlichen
Zuständen in der Analyse abgesehen. Bei Thomas Hobbes finden wir
wohl am deutlichsten den Bezug zur Experimentalsituation: So wie
die physikalischen Körper idealisiert und formalisiert werden
müssen, wie man hier ein klares durchschaubares Milieu schafft,
werden auch die sozialen Verhältnisse auf eine Modellsituation
reduziert. Erst nach der Abstraktion lassen sich Bewegungs- und
Formgesetze für den sozialen Menschen finden und läßt
sich die naturrechtliche Konstruktion entwickeln. Müller nun
lehnt die ‚Zergliederung’ des Staates und das Absehen von
geschichtlich gewordenen Zuständen ab. Für ihn sind mit dem
Gott-Mensch-Verhältnis, der Gestalt der Welt als erschaffener
schon bestimmte staatliche Zustände legitimiert und immer
keimhaft vorhanden. Die Familie ist der Ort, wo diese Grundanlagen
dauerhaft zum Ausdruck kommen. Von hier aus soll ein Staat
strukturiert werden.
Bemerkenswert
scheint mir, wie Müller die Abstraktion des Bildes vom Bürger
zu vermeiden sucht. Hierzu bedient er sich scheinbar der analytischen
Mittel der aufklärerischen Philosophen und Ökonomen. Die
Spanne der Eigenschaften, die für die staatsbildende und
-erhaltende Fähigkeit des Menschen wesentlich sind, wird
bei ihm aber viel weiter gefaßte auch bezieht er Sphären
des menschlichen Lebens mit ein, die bei anderen ungenannt bleiben,
so wie die des religiösen Erlebens, der Innerlichkeit.
In
seinem Aufsatz ‘Von der Teilung der Arbeit und vom geistigen
Kapital‘ bemüht er sich, eine wissenschaftliche Sicht von
Kapitalströmen und Arbeitsprozessen mit einem
mittelalterlichen-korporativen Konzept zu vereinen. Viele solcher
versuche enden in heutzutage naiv klingenden Begriffsbildungen und
Scheinlösungen. Aber nicht die Antworten, die Müller gibt,
gehen uns hier an, sondern sein Ansatz.
Daß
dieser fruchtbar gemacht werden kann, wird beispielsweise beim Thema
‚Ökologisches Wirtschaften’ deutlich. Die
Wirtschaftstheorie, wenn sie Umweltproblematik wirklich so ernst
nehmen will, wie diese es verdient hätte, kommt nicht umhin, für
alle Bereiche Rechnungen über den Stoff- und Energieaustausch
mit der natürlichen Umgebung aufzumachen. Wirtschaftsordnungen
müssen immer stärker von ihren Grenzen her, von ihren
Schnittstellen mit der Biosphäre her, begriffen werden.
Menschliche Ökonomie ist nur ein untergeordneter Aspekt der
umfassenderen Ökologie; ein klares Bewußtsein darüber
steht aber noch aus.
Obwohl
Müller diese Problematik in der uns heute bekannten Form, in
ihrer ganzen Bedrohlichkeit noch nicht kannte, bietet er doch
analytische Mittel, die den vielfältigen Wechselbeziehungen
gerecht werden können. Die Vorstellung von der großen
Verbundenheit korrespondiert mit den zahlreichen Einheits- und
Harmonisierungsbestrebungen innerhalb der Romantik. In
seiner Abhandlung ‘Versuch einer neuen Theorie des Geldes‘ (Jena
1922 in der Sammlung ‘Die Herdflamme wieder aufgelegt) kommt dies
so zum Ausdruck: „So nun beginnt alle Einsicht in die Haushaltung
einer Nation, mit der deutlichen und sichern Erkenntnis der von der
Vorsehung in allen menschlichen Geschäften angeordneten
unendlichen Gegenseitigkeit, Bezüglichkeit und Bedinglichkeit.
Wer also über die Nationalhaushaltung gründlich reden,
sicher urtheilen, oder sie förderlich regieren will, der muß
zuförderst einsehen, daß er es überall mit
Verhältnissen und Wechselwirkungen zu thun hat, daß er
nichts Einzelnes thun kann, ohne zugleich das Ganze
zu afficieren, daß er den sächlichen Reichthum oder den
reinen Ertrag der einzelnen Productionen nicht verändern kann,
ohne zugleich auch auf der anderen Seite die persönliche und
productive Kraft des Staates Zu verändern; kurz, daß er
zuerst und vor allen Dingen streben müsse, nach einer
beständigen, umsichtigen und allseitigen Gerechtigkeit gegen
alle gleich wesentlichen und untereinander innig verschränkten
Glieder der großen Familie“.
Adam
Müller wurde vielfach vorgeworfen, Arbeit und Kapital
willkürlich so gefaßt zu haben, daß ihre
staatserhaltende und nationalökonomisch stabilisierende Funktion
alle anderen überlagere. Ohne Kenntnis der wahren Zusammenhänge
habe er nur nach wirtschaftlicher Untermauerung für seinen
idealen Ständestaat gesucht. Zum Vorgehen Müllers schreibt
Karl Marx (im 3. Band des ‘Kapitals‘, S. 411, MEW): “Das
Verfahren unseres Müller ist für die Romantik in allen
Fächern charakteristisch. Ihr Inhalt besteht aus
Alltagsvorurteilen, abgeschöpft von dem oberflächlichsten
Schein der Dinge. Dieser falsche und triviale Inhalt soll dann durch
eine mystifizierende Ausdrucksweise ‘erhöht‘ und poetisiert
werden“.
Die
Schwäche der anti-ökonomischen, gegen Smith und seine
Schule gerichteten Neudefinitionen ist aber auch eine Stärke.
Das Regelsystem der Wirtschaft wird nicht künstlich isoliert,
sondern in seinem Austausch mit den staatlichen oder psychologischen
Grundbedingungen begriffen. Dies verhindert, daß Müller zu
ehernen Gesetzen der der wirtschaftlichen Entwicklung nach
physikalischem Vorbild gelangt, wie die Regel von der fallenden
Profitrate mit ihrer eschatologischen Funktion. Am Kapitalbegriff
Müllers läßt sich zeigen, daß ökonomische
‘Unschärferelationen‘ eine durchaus erkenntnisfördernde
Wirkung entfalten können. Im angesprochenen Aufsatz ‘Von der
Teilung der Arbeit und vom geistigen Kapital‘ beispielsweise
spricht er von Zwei Formen des Kapitals, eine nennt er ‚geistiges
Erfahrungs-Kapital’, welches durch Sprache, Rede und Schrift
realisiert und in Bewegung gesetzt wird‘, die andere ein
‘physisches Waren-Kapital, welches durch Metallgeld, Kredit und
Handel mobilisiert wird‘. Die große Bedeutung des Wissens und
der Kreativität für wirtschaftliche Entwicklungen, die erst
in der neueren Ökonomie gewürdigt wird, ist hier
angesprochen.. Es ist einfach notwendig, Müller gegen seine
Intention zu lesen. -
Nicht
ein harmonisch geschlossenes Bild der Verhältnisse für die
Ewigkeit ist für uns von Interesse.
Die Texte sind da am bedeutendsten und werfen am meisten für
Wirtschaftssoziologen, Ökologen und Sozialphilosophen ab, wo sie
nur das Feld zu klären versuchen und vertrauten ‘Facta der
Nationaloeconomie‘ in einem anderen facettenreicheren,
‚romantisierenden’ Licht erscheinen lassen.
Zwei
Dinge noch abschließend: Adam Heinrich Müller entwickelte
einen Theorieansatz, der die Bedeutung von Informationsflüssen
in wirtschaftlichen Zusammenhängen aufgreift, die Sprache ist
ihm auch Wirtschaftsgut. Außerdem ermöglicht ihm sein
stets auf den harmonischen und organischen Zusammenhang gerichtetes
Interesse, die Bedeutung der Rohstoff- und Energie -
Austauschprozesse zu thematisieren. So gelangen wir ins Herz der
Thematik allen ökologischen Denkens von Volkswirtschaft und zwar
gerade nicht über einen Katalog umweltpolitischer
Wünschbarkeiten, die an ökonomische Systeme gerichtet
werden, sondern über ein neues, besseres Verständnis der
selbstregulierenden oder aus dem Ruder gelaufenen Prozesse. Das
nächste Jahrhundert, das unter dem Zeichen des ökologischen
Gedankens stehen wird, könnte uns eine Wiederentdeckung
Müllerscher Ansätze aus purer Notwendigkeit bringen.
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