Erschienen in Ausgabe: No 45 (11/2009) | Letzte Änderung: 09.11.09 |
Anmerkungen zu Zitaten, Begrifflichkeiten, Rhetorik und Propaganda in den Tagen der Revolution von 1989
von Constantin Graf von Hoensbroech
"Erhöhte
Gefechtsbereitschaft" - so lautete die vom DDR-Verteidigungsminister am 5.
Oktober 1989 für Leipzig ausgegebene Alarmstufe. An die Soldaten der Nationalen
Volksarmee wurden Maschinenpistolen und scharfe Munition ausgegeben. In Dresden
stürmen an diesem Tag Tausende von Menschen den Bahnhof. Mit Tränengas und
Wasserwerfern geht die Polizei gegen die Menschen vor, die sich die Freiheit
erkämpfen wollen - so wie es einige Tausend ihrer Mitbürger bereits getan
hatten und die zum selben Zeitpunkt mit Zügen aus Prag und aus Warschau über
Dresden auf dem Weg nach Westdeutschland unterwegs sind und dabei durch die DDR
rollen. Wenige Tage vor den sich zu dieser Zeit täglich dramatisierenden
Ereignissen hatte Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher in der überfüllten
deutschen Botschaft in Prag zu den rund 4000 ostdeutschen Flüchtlingen seinen
legendären unvollendeten Satz gesprochen: "Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen
mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise…"
Wer die Geschehnisse damals verfolgt hat, wird sich wohl zeitlebens mit einer
Gänsehaut an diese so einzigartige Atmosphäre in den Tagen der deutschen Revolution
von 1989 erinnern. Neben den Ereignissen selbst und den vielen Bildern sind es
aber auch bestimmte Zitate, Äußerungen, Begrifflichkeiten und propagandistische
Rhetorik, die in Erinnerung bleiben und so treffend die Dramatik sowie
schließlich die überragende historische Bedeutung dieser Tage deutscher Zeitgeschichte
illustrieren.
Gleichwohl wurde
der erste berühmte Satz schon lange vor 1989 gesprochen, muss aber doch in
diesen historischen Kontext eingeordnet werden. "Niemand hat die Absicht,
eine Mauer zu errichten", versicherte der DDR-Staatsratsvorsitzende Walter
Ulbricht am 15. Juni 1961 bei einer internationalen Pressekonferenz auf die
Frage nach der möglichen Errichtung einer baulich erkennbaren Staatsgrenze
zwischen Ost- und West-Berlin. Ulbricht war damit der erste, der in diesem
Zusammenhang den Begriff Mauer verwandte. Zwei Monate später, am 13. August,
begann bekanntlich der Bau der propagandistisch auch als "befestigte
Staatsgrenze" - auch dies ein Beispiel für bemerkenswerte Vokabeln aus der
deutsch-deutschen Geschichte - bezeichneten Mauer. Ulbrichts Nachfolger Erich
Honecker versicherte noch am 19. Januar 1989: "Die Mauer wird in 50 und auch
in 100 Jahren noch bestehen."
Nur wenige
Monate später bekam die Mauer ihre ersten Risse. Schließlich rüttelten seit dem
4. September 1989 immer mehr Menschen - anfangs noch zaghaft in Plauen und Leipzig,
dann immer lautstarker mit der Parole "Wir sind das Volk" am "antifaschistischen
Schutzwall", wie das Monument der Teilung im offiziellen DDR-Jargon auch bezeichnet
wurde. Eine kleine, aber in ihrer inhaltlichen Bedeutung fulminante verbale
Veränderung wurde nach dem Jahreswechsel 1989/90 dann die Forderung der Bürger,
als feststand, dass die Mauer mit friedlichen Mitteln zum Einsturz gebracht
worden war: „Wir sind ein Volk!“
Dabei hatte
doch der ehemalige sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow die
DDR-Oberen so eindringlich mit dem Satz gewarnt: "Wer zu spät kommt, den
bestraft das Leben." Der längst zum geflügelten Wort avancierte Ausspruch
ist allerdings öffentlich wohl so nie gesagt worden. Am 7. Oktober, dem 40.
Jahrestag der DDR, lautete der entscheidende Satz seiner in Russisch gehaltenen
Rede vor einer Menschenmenge in Ost-Berlin: "Schwierigkeiten lauern auf
den, der nicht auf das Leben reagiert." Zwar formulierte dies sein
Sprecher Gennadi Gerassimow später gegenüber Journalisten in eigenwilligem
Englisch mit den Worten um "Those who were late will be punished by life
itself". Letztlich war es aber wohl doch Gorbatschow, der, wie er in
seinen Memoiren berichtet, in diesen Tagen in einem vertraulichen Gespräch mit Erich Honecker selbst seine
Aussagen zu dem mittlerweile berühmten Bonmot zusammengefasst hat, um eine
kleine Nuance bereichert: "Wer in der Politik zu spät kommt, den bestraft
das Leben."
Eine
widersprüchliche, ja eigentlich pervers zu nennende Szenerie! Während die
SED-Oberen mit viel Politprominenz aus den Staaten des Warschauer Pakts den Tag
der DDR-Staatsgründung im "Palazzo prozzo" oder "Erichs
Lampenladen" feierten, wie der Ost-Berliner "Palast der Republik"
im Volksmund auch spöttisch genannt wurde, gingen auf dem Alexanderplatz sowie
in vielen Städten und Orten Ostdeutschlands die Menschen längst auf die Straße
oder protestierten höchst hintergründig. So kamen etwa in Ost-Berlin am 7.
Oktober illegal gedruckte Scheine eines "Geburtstagsgeldes" mit der
Aufschrift "Vierzig Quark der Deutschen Desinfizierten Republik" in
Umlauf - versehen mit dem Hinweis: "Hierfür bekommt man nichts. Für die
anderen aber auch nichts."
In Greifswald
beispielsweise, eine der ersten Städte im Nordosten Deutschlands, in der
Menschenihrem Wunsch nach Freiheits-
und Bürgerrechten lautstark Ausdruck verliehen, mögen es anfangs nur einige
Hundert Menschen auf den Straßen der ehrwürdigen Universitätsstadt gewesen
sein. Nach dem Friedensgebet im Dom sammelten sie sich im trüben Licht der
Straßenlaternen und zogen durch die grauen Straßen, während sich in den Fensterrahmen
die Konturen von Personen abzeichneten, von denen man nicht wusste, ob sie
Sympathisanten und Unterstützer oder Angehörige der staatstragenden Organe wie Nationaler
Volksarmee, Volkspolizei und Staatssicherheit waren. "Schließt euch
an", skandierten damals die vorpommerschen Demonstranten und klatschten dazu
rhythmisch in die Hände. Nein, „Vorwärts zum 40. Jahrestag der DDR“, wie es auf
einem Propagandaplakat am Wegesrand hieß, zogen diese mutigen Menschen sicher
nicht. Und auch der Botschaft eine Tafel weiter wird wohl keiner dieser
Demonstranten sein Vertrauen geschenkt haben: „Was wir erreicht haben kann sich
sehen lassen. Wir leben in einem Staat, in dem es kontinuierlich vorangeht,
jeder eine Perspektive besitzt, in dem Bürgerwohl obenan steht.“
Es klingt
sarkastisch, doch in einem hatte Erich Honecker wirklich recht, wenn sein aus
der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts entnommener Ausspruch vom 14. August
1989 im wortwörtlichen Sinne gelesen wird: "Den Sozialismus in seinem Lauf
hält weder Ochs noch Esel auf." Denn natürlich waren es nicht Ochs und
Esel, die in die bundesdeutschen Botschaften geflohen waren oder nun auf die
Straßen gingen. Immer mehr Menschen waren es, die sich in diesen Oktobertagen den
Demonstrationen anschlossen und politische Mitsprache und Bürgerrechte und Reisefreiheit
forderten. Was sie am Ende erreicht haben, kann sich wirklich sehen lassen und
fand Eingang in die Geschichtsbücher, war aber sicher nicht das, was die
staatliche Propaganda damals flächendeckend mit ihrem Jubiläumslogo kommunizierte.
Das zeigte eine ,40', von einem satten sozialistischem Rot unterlegten nach
oben gerichteten Pfeil eingefasst. Das
Wappen der DDR füllte dabei den Freiraum der ,0' aus, "Bilanz
positiv" lautete der dazugehörige Slogan.
Viele Kirchen
wie der Greifswalder Dom oder die Nikolaikirche in Leipzig wurden mit ihren
Friedensgebeten Ausgangspunkte oder Horte der revolutionären Bewegung.
Zahlreiche Geistliche wie der als "Revolutionspfarrer" titulierte und
schon zu DDR-Zeiten als unbestechlicher Oppositioneller bekannte evangelische
Theologe Joachim Gauck trugen dazu bei, dass sich das Wunder der Wende ohne
Blutvergießen vollzog. "Meine Arbeit steht voll in der Kontinuität der
revolutionären Bewegung", lautet ein bemerkenswertes Zitat des späteren
"Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der
ehemaligen DDR" und heutigen Vorsitzenden des Vereins "Gegen
Vergessen - Für Demokratie".
Als
SED-Politbüromitglied Günter Schabowski schließlich am 9. November bei seiner
legendären Pressekonferenz auf die Frage nach dem Beginn der neuen
Reisebestimmungen und der Erteilung von Visa zur sogenannten "Ständigen
Ausreise" stammelte "Das tritt nach meiner Kenntnis, ist das sofort,
unverzüglich", gab es kein Halten mehr, die Mauer war durchbrochen.
"Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört", rief der ehemalige
Bundeskanzler Willy Brandt am 10. November 1989 vom Balkon des Rathauses im
Berliner Stadtteil Schöneberg den etwa 30 000 Menschen aus Ost und West zu.
Einen Tag später klammerte sich der wankende Stasi-Minister Erich Mielke in der
Volkskammer hilflos an die entschwindende Macht: "Ich liebe, ich liebe
doch alle, alle Menschen. Ich liebe doch, ich setze mich doch dafür ein."
Die Reaktion des Auditoriums in dieser denkwürdigen Sitzung, zu DDR-Zeiten
schier undenkbar: Der einstmals so gefürchtete und verhasste Stasi-Minister
wurde von vielen Abgeordneten ausgelacht.
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