Erschienen in Ausgabe: No 69 (11/11) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Peter Lemar
Nietzsches Gedanke der ewigen Wiederkehr hat
längst ewig andauernde Diskussionen und Kontroversen ausgelöst,
und es ist wie mit allen Dingen: Auf der einen Seite gibt es die
Anhänger und Befürworter, auf der anderen die Widersacher
und Kritiker. Das muss auch so sein, denn wir leben nun mal in einer
dualistischen Welt der Gegensätze. Doch die Idee der ewigen
Wiederkehr ist nicht neu. Schon die alten Griechen und vor ihnen die
Inder und Chinesen sprachen vom ewigen Kreislauf der Dinge, von der
Wiederholung als die ewige Sanduhr des Daseins, die immer wieder
umgedreht wird.
Die
Gegner der Wiederkehr-Theorie haben Nietzsche vorgeworfen, er habe
seine These nicht stichhaltig untermauert, also nicht
naturwissenschaftlich bewiesen. Sie haben recht. Nietzsches Postulat
ist rein intuitiv, philosophisch – nicht wissenschaftlich.
Aber auch wissenschaftliche Theorien können in Anbetracht der
Schwere des Themas nur kapitulieren. Denn alle Apparate und Energien,
die zum experimentellen Nachweis irgend einer kosmologischen These
vonnöten wären, übersteigen auf absehbare Zeit alle
irdischen Möglichkeiten. Deshalb haben wissenschaftliche
Theorien nicht mehr und nicht weniger empirische Beweiskraft als
andere. Man muss sich also damit abfinden, dass die Wahrheit einer so
allumfassenden Theorie wie der Wiederkehrtheorie nicht an ihre
Beweisbarkeit gekoppelt ist, was besagt, sie lässt sich im
Gödelschen Sinne auch gar nicht beweisen. Allerdings gibt
es Indizien, die in der Summe den einen oder anderen Fall nahe legen.
So auch im Falle Nietzsches.
Ein
erstes Indiz für die Richtigkeit seiner Theorie ist ein Begriff,
der ursprünglich aus der Thermodynamik stammt, nämlich
der Begriff der Entropie. Entropie kommt aus dem Griechischen und
heißt so viel wie Umwandlung. Damit ist die Umwandlung von
etwas Physikalischem in Information gemeint. Ursprünglich diente
dieser Begriff als abstraktes Modell zur Beschreibung zyklischer
Vorgänge. Jeder 4-Takt-Otto-Motor ist zum Beispiel ein
zyklisches System, das nach Durchlauf eines Zyklus wieder in seinen
Anfangszustand zurückkehrt. Dabei gibt es Wärme ab und
leistet Arbeit. Heute bezieht sich Entropie auf alle mikro- und
makrosopischen Objekte und gilt als Maß für den
Informationsgehalt eines Systems. Gießt man beispielsweise
Milch in eine Tasse Kaffee, dann ist die Milch nicht sofort
gleichmäßig im Kaffee verteilt. Angenommen, sie hat sich
gerade mal in einer Hälfte der Tasse ausgebreitet, dann ist die
andere Hälfte noch ohne Milch. Erst nach einer bestimmten Zeit
haben sich Milch und Kaffee vollständig vermischt, was man durch
das Rühren mit einem Löffel beschleunigen kann. Der Löffel
versetzt das System Milch-Kaffee sozusagen in einen Zustand
größtmöglicher Entropie, weil die Unordnung jetzt
riesengroß ist. Überall in der Tasse gibt es unzählige
Vermischungsmöglichkeiten. Man kann also sagen, dass der
geordnetere Anfangszustand für uns mehr Information
bedeutete, weil wir wussten, dass sich in einer Hälfte der Tasse
noch gar keine Milch befand. Die Entropie war zu diesem Zeitpunkt
relativ klein. Daher gilt: Jedes abgeschlossene System strebt immer
einen Zustand maximaler Entropie an und diese Entropiezunahme
ist verantwortlich für die Zeitrichtung. Entsprechend verhält
sich unser Universum. Es dehnt sich aus, die Entropie nimmt zu und
Tassen mit heißem Milchkaffee kühlen sich ab. Dieser
Prozess ist irreversibel, das heißt, unumkehrbar. Es sei denn,
das Universum gelangt irgendwann an einen Punkt, wo die Ausdehnung
zum Stillstand kommt und in eine Kontraktion umschlägt. Dann
würde es zusammenstürzen und die Expansion würde von
vorn beginnen. Bei einem solchen zyklischen Universum bliebe die
Entropie exakt gleich. Inzwischen gehen Physiker davon aus, dass das
Universum tatsächlich weder Anfang noch Ende hat. Es ist eine
Art Blase im Schaum unzähliger Universen und – vergleichbar
mit Ebbe und Flut – in einem zyklischen Tanz mit einem
Schattenuniversum gefangen. Bis in alle Ewigkeit. Demzufolge ist die
„Wiederkehrzeit“ nur eine Frage der Zeit. Aber würde sich
dann tatsächlich alles noch einmal genau so wiederholen wie es
schon einmal war? Warum nicht jedes Mal etwas anders? Die Antwort
ist: Es kann sich nur so und nicht anders wiederholen, weil die
Information, die einmal da ist, schon immer da war und auch immer da
sein wird. Sie geht weder verloren noch ändert sie sich. Sie
bleibt immer dieselbe. Ein Beispiel: Die Information für einen
Baum z, der zur Zeit x an einem Ort y im Universum steht, geht auch
nach dessen physischer Vernichtung und der Vernichtung des gesamten
Zyklus des Universums nicht verloren, das heißt, er wird nach
Durchlauf eines erneuten Zyklus wiederauferstehen. Mit all seinen
Parametern x, y, z, die mit ihm verknüpft sind. Denn die
Wirkungsweise des Universums ist alokal, was bedeutet, dass alles mit
allem zusammenhängt. Auch die Daten eines jeden Menschen –
gewissermaßen die unsterblichen Seelen – gehen nie verloren.
Sie sind Bestandteil der Matrix und für immer und ewig an den
Raum gekoppelt. So wie die Daten eines Computerprogramms auch
nach dem Herunterfahren des Betriebssystems beziehungsweise des
Rechners erhalten bleiben.
Der
amerikanische Physiker Frank Tipler geht sogar so weit, anzunehmen,
dass sich unser Universum in jedem Falle wiederholen wird, und zwar
am Ende der Zeit, wenn der Mensch den sogenannten Omegapunkt erreicht
hat, nämlich den Punkt, an dem er selber zu Gott geworden ist.
Dann würde er das gesamte Universum als Emulation, also als
künstliches Gebilde, wiederauferstehen lassen. Aber ganz gleich,
was das Universum ist, ob es künstlich ist oder nicht, das
ändert nichts am Prinzip der ewigen Wiederkehr.
Die
Konsequenz ist versöhnlich und erschreckend zugleich: Wir kommen
zwar alle wieder, aber immer als der Gleiche, der wir schon waren und
demzufolge immer sein werden. Und wenn wir im Vorleben ein Krieger
und im Nachleben ein Spieler waren, dann gilt für sie, was für
die ganze Kette gilt. Insofern lastet auf jeder Tat, die wir tun oder
unterlassen eine unsägliche Verantwortung, was Nietzsche das
schwerste Gewicht nannte. Denn alle Dinge sind dem mildernden
Umstand ihrer Vergänglichkeit entrissen. Das Sprichwort
Zeit heilt alle Wunden ist dann ebenso wahr wie falsch, denn
die Zeit reißt diese Wunden auch immer wieder von neuem auf.
Wenn sich jede Sekunde unseres Daseins unendliche Male wiederholt, so
schreibt Milan Kundera in seinem Buch Die unerträgliche
Leichtigkeit des Seins, dann sind wir an die Ewigkeit genagelt
wie Jesus Christus ans Kreuz. Dann ist der Augenblick, wie Nietzsche
meinte, der Schnittpunkt, wo der lineare Zeitverlauf in eine
immerwährende Wiederholung von Vergangenheit und Zukunft
umschlägt.
Also
sprach Zarathustra:
„Und
diese langsame Spinne,
die im Mondschein kriecht,
und dieser
Mondschein selber,
und
ich und du im Torwege,
zusammen flüsternd,
von ewigen
Dingen flüsternd,
müssen wir nicht ewig wiederkommen?“
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