Erschienen in Ausgabe: No 47 (1/2010) | Letzte Änderung: 18.12.09 |
„Wer durch Gründe bewogen wird, Gottes Wirklichkeit zu glauben, der kann sicher sein, daß er von der Wirklichkeit Gottes nichts erfaßt hat; und wer mit Gottesbeweisen etwas über Gottes Wirklichkeit auszusagen meint, der disputiert über ein Phantom.“ [1]
von Ulrich Büchler
Abgrenzung: die Hülle des Problems
Das Thema der Theologie erscheint selbstverständlich: es
kann nichts anderes als Gott sein. Wovon sonst sollte sie auch handeln? Schon
der Begriff „Theologie“ - vom altgriechischen theos (Gott) und logos (Rede)
abgeleitet -, legt sie darauf fest, sich als „Rede von Gott“ zu verstehen und
auszuweisen. Doch das jedenfalls, wovon sie immerhin zu handeln vorgibt, ist
alles andere als selbstverständlich. Das Thema „Gott“ wirft Probleme auf. Und
das eigentlich nicht etwa in einem kultursoziologischen Sinne, dass es unter
den Bedingungen der Neuzeit per se problematisch ist, von Gott zu reden: weil
es unzähligen Menschen unendlich fremd ist, den Gedanken „Gott“ überhaupt zu
denken sowie den Begriff „Gott“ auszusprechen und zu hören. Nein, darum geht es
nicht. Und kann es nicht gehen.
Das Problem, das Gott als Thema bereitet, liegt mitnichten
in einer Entfremdung begründet: es ist nicht durch sie verursacht und nicht um
ihretwillen vorhanden. Also auch nicht damit zu lösen oder zu beseitigen, dass
man sich endlich wieder und mehr mit Gott befasst: etwa, indem man in der Bibel
liest, in die Kirche geht und sich im Glauben übt. Weit gefehlt! Wer überhaupt
die Entfremdung von der christlichen Religion für das Problem der Theologie
hält, der irrt kolossal - sie ist nur ein schlichtes Phänomen der Neuzeit: sie
bildet keinesfalls das Problem selbst, sondern allenfalls dessen Hülle. Ein
fassadenhaftes Hemmnis, das maximaldas
Reden von Gott und das Verstehen solchen Redens erschwert, beides aber
mitnichten total infrage stellt. Nein, um all das geht es nicht. Und kann es
nicht gehen.
Eingrenzung: der Kern des Problems
Die Theologie hält ein Problem ganz anderer Qualität
bereit. Jedenfalls für die, die es wirklich wissen wollen und darauf abzielen,
das Problem zu erkennen: zum Kern vorzudringen, statt die Hülle zu umrunden.
Denn während das Phänomen der Entfremdung immerhin objektiv wahrzunehmen ist,
endet jeder Zugriffsversuch auf das eigentliche Problem mit einem Griff ins
Leere. Wie könnte es auch anders sein? Dieses Problem entzieht sich jeder
vernünftigen Feststellung: Gott ist nicht zu objektivieren, weil er keine
empirische Gegebenheit ist, die an sich vorhanden wäre. Also nichts, was sich
im weitesten Sinne direkt oder indirekt als etwas Vorhandenes zu erkennen gäbe.
Genau darauf kommt es zunächst an:
zu begreifen, dass es einen Gott, den es gibt, gerade nicht gibt. Eben darum muss es gehen.[2]
Die Qualität des Problems, mit dem die Theologie - ob sie
will oder nicht -, zu tun hat, stellt sie vor eine schier unlösbare Aufgabe. Um
sich als Theologie auszuweisen, soll und muss sie von Gott reden, obwohl ihr
eigenes Thema alles andere als selbstverständlich ist. Ja, im Grunde ist es ihr
doch selbst fremd. Gänzlich fremd! Und muss es ihr auch sein, seit mit dem
neuzeitlichen Denken exakt das in Zweifel geraten ist, was selbstverständlich
war: das Dasein Gottes - also etwas, das sich jeder vernünftigen Erkenntnis
verweigert. Dieser ontologischeZweifel
ist unmöglich auszuräumen oder nur zu entschärfen. Vielmehr durchdringt er
alles, was mit Theologie zu tun hat: sämtliches Reden von Gott und zugleich sämtliches
Verstehen solchen Redens. Genau das ist der Kern des Problems. Eben darum muss
es gehen.
Sichtung: die Frage
des Interesses
Das Dilemma der Theologie besteht somit darin, sich Gottes
Dasein unmöglich versichern zu können. Daran kommt sie niemals vorbei. Und
damit wird sie niemals fertig: dass ihr Thema objektiv nicht vorhanden ist.
Aber was bedeutet das für sie? Was bleibt ihr überhaupt noch zu sagen, wenn sie
unmöglich von Gott zu reden vermag? Doch eigentlich nichts! Denn logischgefolgert lässt ihr die Unmöglichkeit über
ihn zu reden doch nur die Möglichkeit über ihn zu schweigen. Das wäre nur
konsequent. Und ein authentisches Fanal! Ihr Schweigen wäre eben nichts als ein
Zeugnis neuzeitlichen Denkens: ihr Tribut, dass jener Zweifel an Gottes Dasein
zugleich sie selbst erfasst und sie darum - bevor sie zum sinnlosen Gerede
verkommt - aus Einsicht beschließt, von nun an zu verstummen.
Die angezeigte Logik spricht für sich. Das mag stören und
zu Einwänden bewegen, was aber sachlich irrelevant bleibt. Fakt ist, dass wer
immer sich mit Gott befasst, ihn niemals zu fassen bekommt, solange er ihn bloß
im Interesse objektiven Denkens und Redens zu greifen sucht. Zumal man sich
dann mit so ungefähr allem, nur nicht mit Gott befasst. Anders verhält sich die
Sache erst, sobald man nicht mehr auf Gott reflektiert - sodass er der eigenen
Person alsObjekt gleichsam
gegenübersteht -, sondern auf das je eigene Verhältnis zu Gott. Aufgrund dessen
begibt man sich vom Boden der Objektivität auf den der Subjektivität.[3] Das
erzeugt zunächstauch in der Sache selbst einen
Fortschritt: weg vom Minenfeld des Zweifels und hin zu einem - allem Anschein
nach - vertrauten Terrain.
Bewertung: die
Frage der Dimension
Das eigentliche Problem der Theologie, von Gott zu reden,
birgt also bis auf weiteres zwei Wahlmöglichkeiten: einerseits die über ihn zu
schweigen und andererseits die über das eigene Verhältnis zu ihm zu reden.
Damit wäre zugleich klargestellt, dass mit der Entscheidung zu reden, nur die
Möglichkeit verbleibt, es subjektiv zu tun. Das heißt konkret, wer über Gott zu
reden gedenkt, der muss über sein eigenes Verhältnis zu ihm reden. Durch diesen
subjektiven Ansatz - und nur so - lässt sich der Zweifel an Gottes Dasein ernst
nehmen. Allerdings, dasProblem der Theologie
ist dadurch erst zur Hälfte erkannt: es ist eben nur seine ontologische
Dimension wahrgenommen, seine erkenntnistheoretische dagegen noch ausgeblendet.
Die Überlegung, statt über Gott über das eigene Verhältnis
zu ihm zu reden, erwirkt auch nur zum Schein einen Denkfortschritt.
Erkenntnistheoretisch behauptet sie eine Möglichkeit, die mitnichten besteht:
sie setzt voraus, dass jemand eine Redeposition außerhalb des Themas der
eigenen Rede einnehmen kann.[4] Das
ist praktisch jedoch unmöglich, wenn man selbst in einem direkten, weil
existentiellen Bezug zum diesem Thema steht - was nun hier der Fall ist. Genau
darum kann man auch das eigene Verhältnis zu Gott nicht von außen kommentieren:
als sei man gleichsam unbeteiligt - in einer fiktiv neutralen Position sich
selbst gegenüber. Nein, die Aufarbeitung der ontologischen Frage lässt das
Problem der Theologie kaum schrumpfen.
Klärung: die Frage der Kompetenz
Die strikte Unmöglichkeit, weder über Gott noch über das
eigene Verhältnis zu ihm reden zu können, indiziert freilich nicht einmal die
Gesamtdimension des Problems. Vielmehr ist diese erst erfasst, wenn man sich
bewusst macht, dass es überhaupt ein menschliches Unterfangen bleibt, Gott oder
das eigene Verhältnis zu ihm als Thema zu wählen. Denn was auch immer man
unternimmt, es schafft keine Nähe: es bestätigt nur die Distanz, die entsteht,
indem man sich entweder von Gott oder vom eigenen Verhältnis zu ihm abspaltet
und so eine nichts als irreale Außenposition bezieht. Allein die
Selbsterkenntnis solchen Scheiterns sollte bereits ausreichen, sich
aufzufordern, der eigenen Inkompetenz Respekt zu erweisen.
Der Grund für das Scheitern liegt indes weitaus tiefer. Es
auf bloße Inkompetenz abzustellen, hieße, es sich zu einfach zu machen, da sie
keinesfalls dessen eigentliche Ursachebezeichnet.
Tatsächlich geht es nicht um ungeeignete Mittel und
Methoden, ein Problem zu bewältigen; nicht um falsche Denkansätze, unreife
Haltungen und Überzeugungen; nicht um das, was man als Mensch nur fehlerhaft
hervorbringt. Und überhaupt auch nicht um irgendwelche Fehler oder Mängel, ihre
Qualität und Quantität. Nein, der Versuch, Theologie im wahren Wortsinne zu
betreiben, scheitert mitnichten an allem, was man nur mangelhaft oder nicht zu
leisten imstande ist, was man nur mangelhaft oder nicht kann - sondern ganz
schlicht an dem, was man ist. Der Versuch scheitert am eigenen Menschsein.
Schließung: der Horizont des Denkens
Die Erkenntnis, dass man etwas nicht um eines eigenen
Unvermögens, sondern fundamental um des eigenen Seins willen nicht zustande
bringt, bildet gleichsam den ersten Schritt, um das Problem der Theologie
anders und damit neu zu bewerten: also unter erkenntnistheoretischen Prämissen
voranzuschreiten, um das Problem allein noch existentiell - sozusagen im
tiefsten Sinne existentiell zu fassen. Was nichts anderes heißt, als dass der
Mensch eben nicht nur ein Problem damit hat, über Gott oder das eigene
Verhältnis zu ihm zu reden, sondern: dass er selbst das Problem ist, sobald er Gott oder sein Verhältnis
zu ihm zum Thema macht. Doch: wenn das so zutrifft - wie kann man dann
überhaupt diesem Problemlabyrinth nur entgehen? Welche Denkwege stehen denn
noch offen, um endlich den Ausgang zu betreten?
Der einzige Weg hinaus führt wiederum über eine negative Erkenntnis.
In dem Falle über die Selbsterkenntnis, dass man von dem jedenfalls, was man
selbst ist und hat, nichts aufzubieten vermag, um das Labyrinth zu verlassen.
Insofern stehen auch keine Denkwege mehr offen: sie sind vielmehr samt und
sonders an ihr Ende gelangt - auch wenn dieser Text sich natürlich weiterhin im
Horizont vernünftigen Denkens zu bewegen sucht. Ja, sein Verfasser und gerade
im Moment auch die Leserin/der Leser befinden sich nun am Ende jenes Weges, der
bis hier gedanklich vorgezeichnet ist. Dass man sich aber weder das noch den
Anfang eines anderen, neuen Weges anders, denn als Subjekt in der Abspaltung
vom Objekt vorstellen kann – nun, das ist eben menschlich: das zeichnet
bewusstes Menschsein aus.
Entschließung: der Horizont des Glaubens
Die Aussage vom Ende des bisherigen Denkweges trifft
insofern auf alles zu, was mit dem eigenen Tun als persönliche Möglichkeit
zusammenhängt. Was aber heißt das konkret? Wenn vom Ende aller eigenen
Möglichkeiten die Rede ist - heißt das nicht zugleich auch mit dem eigenen Sein
am Ende zu sein? Was besagt das nun für das Problem der Theologie? Zumal man
doch vom eigenen Sein nicht absehen kann, wenn man vom eigenen Tun redet. Und
in der Tat: davon ist nicht abzusehen, solange man sich - notwendigerweise - im
Aktionsradius des eigenen Denkens bewegt. Womit endlich klar ist, dass wenn von
Gott oder vom eigenen Verhältnis zu ihm die Rede sein soll, dies unmöglich im eigenen Horizont geschehen kann.
Die Frage, die daraus folgt, stellt sich schon wie von
selbst: Wie anders um alles in der Welt als im Horizont des eigenen Denkens und
Seins soll dann Theologie im wahren Wortsinne zu betreiben sein? Denn das ist
doch Fakt, dass niemand von sich aus noch ein anderes, zweites Denken und Sein
in Anspruch nehmen kann, kraft dessen sich dann - wie wunderbar - sogar
Theologie betreiben ließe. Nein, die Antwort auf die Frage kann, gleichwohl sie
natürlich im Horizont des eigenen Denkens und Seins - wo denn auch sonst? -
angesiedelt ist, nur lauten: von Gott und vom eigenen Verhältnis zu ihm kann nur im Glauben die Rede sein. Denn der
ist keine Möglichkeit, kein Werk des Menschen, sondern Gottes Werk allein.[5]
Aufdeckung: die
Dialektik des Daseins
Die Aussage, dass nur
der Glauben dazu instand setze, von Gott und vom eigenen Verhältnis zu ihm
zu reden, ist aber genauso nur im Akt
des Glaubens zu treffen und zu verstehen, wie die Behauptung, der Glauben sei
allein von Gott erwirkt. Der Vernunft bleibt diese Aussage unzugänglich. Und
zwar darum, weil das Denken - wie bereits erwähnt - unmöglich Gott oder das
eigene Verhältnis zu ihm als Thema erwählen kann, ohne bloß mit dieser Aktion
bereits die Spaltung von Subjekt und Objekt einzuleiten. Der Glaubensakt
dagegen hebt die Spaltung auf - sofern man sein Entstehen als ein Werk Gottes
erachtet. Als Menschenwerk verkannt, bliebe die Spaltung in Kraft, da man mit
einem Selbsterzeugnis nur wiederum im Labyrinth eigenen Denkens und Seins
verharrt.
Die Wesensart des Glaubens im Gegensatz zum Vernunftdenken
besteht nämlich darin, dass der Glauben gerade nichts ist, worüber man als
Besitz verfügt. Während das aber immerhin zu verstehen ist - dass man etwas
nicht besitzt -, erscheint es doch reichlich paradox, dass man, selbst wenn man
glaubt, im Grunde kein gläubiger Mensch ist. Und doch: streng genommen ist das
so. Denn ein gläubiger Mensch ist man
mitnichten in vergleichbarer Weise wie man nun eben - trotz aller Unvernunft -
ein vernünftiger Mensch ist: das eine
ist man immer schon von sich aus -
das andere niemals von sich aus. Dieser
Dialektik freilich unterliegt man nur im Glauben, zu dem man nicht anders
kommt, als durch Gott selbst: durch sein Wirken, das alles persönliche als ein
allein wirkliches Einlassen auf ihn hervorbringt.
Entbindung: die Dialektik des Erkennens
Der Glauben überwindet daher allein um Gottes Willen die
Spaltung zwischen dem eigenen Selbst als Subjekt und Gott als Objekt, wie sie
für das Denken konstitutiv ist. Versteht man den Glauben im Vollsinne
als ein Werk Gottes, so trägt man selbst zu ihrer Aufhebung nur das bei, dass
man sich auf Gott einlässt. Und selbst dieses Einlassen gibt sich als allein
von Gott erwirkt zu verstehen. Von wem auch sonst? Denn dass man sich kraft
eigener Erkenntnis auf Gott einlässt - das mag doch niemand ernsthaft behaupten.
Oder nimmt das irgendwer für sich in Anspruch: von nun an zu glauben, dass ein
galiläischer Zimmermann vor bald 2000 Jahren durch seinen Kreuzestod alle, die
an ihn glauben, an Gottes Gerechtigkeit und Heil teilhaben lässt. Nun, wer das
meint, der verkehrt den Glauben in eine Variante des Denkens.
Das perfekte Unvermögen, über Gott und über das eigene
Verhältnis zu ihm zu reden, gründet also ursächlich in jenem Unvermögen, sich
aus sich selbst heraus zum Glauben, respektive zu einer christlichen Existenz zu
entscheiden. Beides Unvermögen gehört untrennbar zusammen: es ist die Chiffre
für das eigene, einpolige Dasein im Denken. In ein zweipoliges, ein Dasein im
Denken und im Glauben zugleich, kann es sich - von menschlicher Seite -
nur wandeln, weil die Dialektik des Daseins von einer des Erkennens herrührt:
der Dialektik einer aktiven und passiven Rezeptivität, von Seherkenntnis und
Hörerkenntnis. Kraft der einen begreift man Objekte,
kraft der anderen wird man als Subjekt
ergriffen-in dem Falle
von Gott ergriffen.[6]
Einwirkung: das Wort Gottes
Das Hörvermögen bildet erst die eine menschliche
Grundvoraussetzung, damit der Glauben im eigenen Selbst überhaupt einkehren
kann. Ohne die Fähigkeit zu hören, das heißt, etwas nur auf-nehmen zu können, wäre es a priori unmöglich, sich auf Gott
einzulassen und darum auch unmöglich, nur einen einzigen theologischen Satz auszusprechen. Aber - wen bekommt man
eigentlich zu hören, als dass sich daraufhin ein Glauben entwickeln kann? Nach
allem, was bisher gesagt ist, muss es Gott selbst sein, der sich Gehör
verschafft. Anderenfalls kann kein Glauben entstehen, der Theologie jenseits der Subjekt-Objekt-Spaltung möglich macht.
Der Verweis auf Gott setzt indes voraus, dass er sich
hörbar mitteilt. Wenn freilich - wie es nun hiermit geschieht - behauptet wird,
dass Gott sich allein durch sein Wort kundtut, so gibt sich das wiederum nur im
Glauben zu verstehen. Der Vernunft bleibt es unverständlich, wenn der
Glauben seine eigensten Behauptungen aufstellt: wie etwa, dass dieses eine Wort
zwei Wirkungen zeitigt: eine als Schuld- und eine als Freispruch.[7] Oder,
dass es nur als Freispruch Glauben hervorruft. Ferner, dass es kraft seiner
Zweiheit die eigene Person zuerst zum Sünder und dann zum Gerechten erklärt.
Und schließlich, dass man im Glauben zwar an Gottes Heil teilhat, dabei aber
maximal Sünder und Gerechter zugleich
bleibt.[8] All
das muss der Vernunft als reine Zumutung erscheinen, weil sich ihr Gott in
seinem Wort nicht erschließt.[9]
Entfaltung: das Tun Gottes
Die letzten Ausführungen deuten bereits an, dass sich
wahrhaftige Theologie zwangsläufig im Horizont des Glaubens bewegt. Vorläufig
definiert, bezeichnet Theologie so die im Glauben vollzogene „Rede von Gott“,
die im vernünftigen Denken nicht nachzuvollziehen ist: weil sie sich infolge
der Subjekt-Objekt-Spaltung weder verifizieren noch falsifizieren lässt. Das
aber gewährt dem Glauben keineswegs jeglichen Raum - gleichsam jenseits der
Vernunft - alles zu behaupten, was ihm von Gott und vom eigenen Verhältnis zu
ihm gerade auszusagen beliebt. Nein, das wäre illusorisch. Denn wiewohl nicht
zu bestreiten ist, dass Glauben und Denken weder miteinander übereinstimmen
noch zu vereinbaren sind, so bedeutet das eben nicht, dass der Glauben ein
beliebiges Reden von Gott erlaubt.
Der Glauben ist vielmehr seinerseits in Schranken
gewiesen, die wiederum durch die Spaltung von Subjekt und Objekt vorgegeben
sind. Dazu muss man sich klar machen, dass der Glauben nur als von Gott
erwirkter Glauben die Spaltung überwindet. Sowie dass dieser Glauben allein in
Gottes Wort gründet: jenem Freispruch, der die eigene Person an Gottes Heil
teilhaben lässt - wenn man dieses Wort hört und es glaubt. Die faktischen
Möglichkeiten der Theologie im Glauben von Gott zu reden, beschränken sich
daher um ihrer selbst willen darauf, allein das Heilswirken des Wortes Gottes
zur Sprache zu bringen. Kurzum: die Theologie
kann, will sie der Subjekt-Objekt-Spaltung entgehen, allein von diesem Tun
Gottes am Menschen reden - oder reformatorisch gesagt: sie muss am Rechtfertigungsgeschehen orientiert sein.[10]
Vollbringung: das
Heil des Menschen
Das Problem, das der Theologie durch das neuzeitliche
Denken bereitet ist, gibt ihr insofern umgekehrt Gelegenheit, sich auf das zu
besinnen, was sie als Glaubensrede ausweist: auf das Verhältnis von Gott und
Mensch als dasjenige zwischen Zweien, von denen der eine schuldig ist und der
andere von Schuld freispricht. Die Theologie als Fachdisziplin dagegen
verweigert sich immer wieder derart lästiger Beschränkung, um sich umso eifriger
ans Werk zu machen, dogmatische und ethische Spezialfragen zu umkreisen. Als ob
man sich in einer Ignoranz der Subjekt-Objekt-Spaltung einfinden und einüben
könne, sodass sich abseits des neuzeitlichen Denkens der Glauben an Gott und
die Liebe zum Nächsten thematisieren ließe.
Die Illusion, über alles
reden zu können, sollte Anlass genug sein, ihr unmissverständlich zu
widersprechen. Das wäre auch für die Theologie eine konkrete Aufgabe! Deutlich
zu machen, dass man über Gott und sein Wort genauso nicht reden kann, ohne sich
von dem, worüber man redet, sogleich zu entfernen, wie über das von Gott
erwirkte Heil, das man in Gestalt des Glaubens empfängt und in Gestalt der
Liebe weitergibt. Nein, auch dieses Heil ist wie Gott selbst keine Gegebenheit,
nichts Vorhandenes, was dem Denken zugänglich ist. Sondern: es ist nur je und
je wirklich im Akt des Glaubens und
des Liebens selbst.[11] Wie
auch Gott nicht anders erfahrbar ist, als im Einlassen auf ihn, das er gewiss
erwirkt.
[1] Rudolf Bultmann, Glauben
und Verstehen 1, Tübingen 1933/1993, S. 26
[2] Vgl. Dietrich Bonhoeffer,
Akt und Sein, Transzendentalphilosophie und Ontologie in der Systematischen
Theologie, Gütersloh 1931, S. 94
[3] Zur Unterscheidung
zwischen objektivem und subjektivem Denken siehe Sören Kierkegaard,
Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den philosophischen Brocken
Erster Teil, Gütersloh 1988 (2. Aufl.), S. 190f
[4] Vgl. Rudolf Bultmann,
Glauben und Verstehen 1, Tübingen 1933/1993, S. 26; Glauben und Verstehen 3,
Tübingen 1961/1993, S. 120f
[5] Johannesevangelium 5, 29;
Zum Glauben als Werk Gottes bei Luther siehe die Darstellung bei Paul Althaus,
Die Theologie Martin Luthers, Gütersloh 1983 (6. Aufl.), S. 51ff
[6] Zur Seh- und Hörerkenntnis
vgl. Rudolf Bultmann, Glauben und Verstehen 3, Tübingen, 1961/1993, S. 107f, der zumindest das wissenschaftlich
motivierte Sehen allerdings als rein rezeptiv und uninteressiert darstellt.
[7] Reformatorisch besehen
handelt es sich dabei um die Dialektik von Gesetz
und Evangelium;vgl. hierzu Paul Althaus, Die Theologie Martin
Luthers, Gütersloh 1983 (6. Aufl.), S. 218 - 238; Gerhard Ebeling, Luther,
Tübingen 198, (4. Aufl.), S. 120 - 136
[8] Paul Althaus, Die
Theologie Martin Luthers, Gütersloh 193 (6. Aufl.), S. 211 - 213
[9] Zum Verhältnis von Glauben
und Denken vgl. Gerhard Ebeling, Luther, Tübingen 1981 (4. Aufl.), S. 78 - 99,
259 - 279
[10] Martin Luther grenzt das
Thema der Theologie drastsich ein: „Eigentlicher Gegenstand der Theologie ist
der schuldige und verlorene Mensch und der rechtfertigende und rettende Gott.
Was man außerhalb dieses Gegenstandes sucht, ist Irrtum und leeres Gerede in
der Theologie.“ WA 40 II, 327, 11f.
Dazu auch Wilfried Herrmann, - „Von Gott können wir nur sagen, was er an uns
tut“ -, Die Wirklichkeit Gottes, 1914,
in Schriften zur Grundlegung der Theologie,ThB 36/II, Bd
2 hg. v. Peter Fischer-Appelt, 1967, (290 - 317), S. 314
[11] Vgl. Rudolf Bultmann,
Glauben und Verstehen 1, Tübingen 1933/1993, S. 26f; Glauben und Verstehen 3, Tübingen 1961/1993,
S. 120f
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