Erschienen in Ausgabe: No 48 (2/2010) | Letzte Änderung: 23.01.10 |
Kardinal Schönborns Intelligent-Design-Kampagne und die katholische Kirche
von Thomas Junker
Die unversöhnliche Gegnerschaft religiöser Fundamentalisten der wissenschaftlichen Evolutionstheorie gegenüber sei eine Sache der Vergangenheit, werde nur von Außenseitern (den so genannten Sekten) getragen oder sei ein lokales, US-amerikanisches Problem – diese beschwichtigende Einschätzung erwies sich im Sommer 2005 einmal mehr als Wunschdenken und (Selbst-)Täuschung: In einem kurzen Artikel für die New York Times hatte sich der Wiener Kardinal
Abb. 3.1: Reinigung der Volksbibliotheken durch einen katholischen Pfarrer: „Es werde kein Licht“. Die dritte Kerze von links symbolisiert die Werke von Ernst Haeckel, der als „deutscher Darwin“ bekannt war (Berliner Tageblatt vorn 9.10.1903, aus dem Archiv des Ernst‑Haeckel‑Hauses, Jena).
Christoph Schönborn unmissverständlich gegen die moderne, auf Darwins Werken basierende Evolutionstheorie ausgesprochen (Abb. 3.1). Obwohl zunächst nicht ganz klar war, ob er damit die offizielle Linie der katholischen Kirche wiedergab, ließ sich sein Statement nicht einfach übergehen, da er als Vertrauter des gegenwärtigen Papstes gilt. Das Medienecho jedenfalls war beträchtlich und es war geprägt von Irritationen und Widerspruch. Kaum überrascht waren die hellsichtigeren unter den Evolutionsbiologen, da sie die sorgsam gehegte Illusion vom ‚liebenden Einvernehmen’ von Religion und Wissenschaft nie geglaubt, sondern als ‚feige Schlaffheit’ kritisiert hatten. So waren Schönborns Äußerungen vor allem denjenigen ein Dorn im Auge, die den Konflikt verleugnet hatten – ihre Träumereien drohten nun wie Seifenblasen zu zerplatzen.
Seither hat Schönborn
seine Aktivitäten gegen die moderne Evolutionstheorie kontinuierlich und
systematisch fortgesetzt. Die offizielle Internet-Seite der Erzdiözese Wien
führt mehr als 30 Texte aus den Jahren 2005 und 2006 auf, die überwiegend von
Schönborn stammen und seine Sicht von „Schöpfung und Evolution“ dokumentieren (http://stephanscom.at/evolution/).
Dieser Kampagne sollte auch die Fernsehdiskussion mit einer „prominent besetzten
Expertenrunde“ dienen, die am 17. Januar 2006 in der Reihe ‚philosophicum’ vom
österreichischen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Sie stand unter dem Motto: „Schönborn,
Darwin – und kein Ende: Der Streit um die Evolutionstheorie“ und neben Schönborn
selbst beteiligten sich der ehemalige Münchner Ordinarius und Theo-Philosoph
Robert Spaemann, der Klagenfurter Philosoph Josef Mitterer sowie ich selbst für
die AG Evolutionsbiologie. Die Sendung wurde von mehr als 180.000 Zuschauern verfolgt,
was der beste Wert des ‚philosophicums’ der letzten zwei Jahre war. Wie weiter
berichtet wurde, meldeten mehrere deutsche TV-Anstalten Interesse an, die
Sendung auszustrahlen (was allerdings bisher nicht der Fall war). So konnte die
Diskussion nur in Österreich und den benachbarten Regionen verfolgt werden und
der späte Beginn (23 Uhr) hat den Zuschauerkreis weiter begrenzt. Es besteht
allerdings die Möglichkeit, das Video der Sendung online anzusehen (vgl. ‚philosophicum’
2006).
Meine Teilnahme an
der Fernsehdiskussion ermöglichte mir einige aufschlussreiche Beobachtungen
über die Hintergründe und Begleitumstände der Sendung, die normalerweise kaum bekannt
werden, aber von allgemeinerem Interesse sind und deshalb hier geschildert
werden. Zunächst aber ist es notwendig, Schönborns inhaltliche Position zu
skizzieren und mit den offiziellen Stellungnahmen der katholischen Kirche zur
Evolutionstheorie zu vergleichen.
Schönborns
Artikel in der New York Times vom 7.
Juli 2005 hat den Titel: „Finding Design in Nature“ [„Den Plan in der Natur
entdecken“] und lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Die moderne
Evolutionstheorie sei keine Wissenschaft, sondern Ideologie und nicht mit dem christlichen
Glauben vereinbar: „Seit Papst Johannes Paul II. 1996
erklärt hat, dass die Evolution [...] ‚mehr’ sei als nur eine ‚Hypothese’,
haben die Verteidiger des neo-darwinistischen Dogmas eine angebliche Akzeptanz
oder Zustimmung der römisch-katholischen Kirche ins Treffen geführt, wenn sie
ihre Theorie als mit dem christlichen Glauben in gewisser Weise vereinbar darstellen.
Aber das stimmt nicht“ (Schönborn 2005).
So unverblümt
Schönborn an diesem Punkt ist, so wenig präzise ist er an einem anderen.
Vielleicht schreckte er vor den Konsequenzen seiner Aussage zurück, vielleicht
wollte er seinen Anhängern (und Gegnern) die volle Wahrheit (noch) nicht
zumuten. Jedenfalls verschleiert er die Tragweite seiner Äußerungen dadurch,
dass er in seiner Kritik von ‚den Verteidigern des
neo-darwinistischen Dogmas’ spricht. Bei diesem ‚Dogma’ handelt es sich, wie er
weiter erläutert, um die Auffassung, dass die Evolution „ein zielloser, ungeplanter Vorgang zufälliger Veränderung
und natürlicher Selektion“ ist, d.h. um nichts anderes als den Kern der modernen
Evolutionstheorie. Dies ist Schönborn durchaus bewusst, wenn er schreibt, dass
der Begriff ‚Evolution’ von vielen Biologen
[‚mainstream biologists’] gleich bedeutend mit
Neo-Darwinismus verwendet wird.
Da die moderne
Evolutionstheorie in ihren Grundzügen erstmals von Charles Darwin formuliert
wurde (1859), wird sie auch als Darwinismus bezeichnet, in ihren späteren,
modernisierten Varianten auch als Neo-Darwinismus oder Synthetische Evolutionstheorie
bzw. synthetischer Darwinismus (zur Geschichte der Evolutionstheorie vgl.
Junker und Hoßfeld 2001; Junker 2004a, b, Kutschera 2006a). Es ist die einzige
heute wissenschaftlich anerkannte Evolutionstheorie, sie ist eine zentrale
Grundlage der gesamten Biowissenschaften und eine der am besten bestätigten biologischen
Theorien überhaupt. Wenn es Kontroversen bei diesem Thema gibt, dann drehen sich
diese nicht um die Tatsache der Evolution also solche, sondern um Detailfragen.
Kern und integraler Bestandteil der modernen Evolutionstheorie ist das Prinzip
der natürlichen Auslese (Selektion) als wichtigster kausaler Faktor. Auch hier haben
die letzten knapp 150 Jahre intensiver wissenschaftlicher Debatte und
empirischer Forschung zu einem eindeutigen Ergebnis geführt: Die Anpassungen
der Organismen an ihre Umwelt und die Entstehung zunehmend komplexer Merkmale sind
nur durch die natürliche Auslese ungerichteter genetischer Variationen (die wiederum
durch Mutationen und Rekombination entstehen) zu erklären (Mayr 2001; Kutschera
2006a).
Schönborn spricht nun
der Selektionstheorie pauschal die Wissenschaftlichkeit ab und bezeichnet sie als
falsch: „Die Evolution im Sinn einer gemeinsamen Abstammung [aller Lebewesen]
kann wahr sein, aber die Evolution im neodarwinistischen Sinn [...] ist es
nicht“ (Schönborn 2005). Da es sich bei der Selektionstheorie aber nicht um eine
periphere, nebensächliche Spezialtheorie handelt, sondern um ein Konzept, das
auf vielfältige Weise in die allgemeine Biologie und in andere Wissenschaften,
von der Chemie und Molekularbiologie bis zur Paläontologie, eingebunden ist,
trifft seine Kritik die moderne (Natur-)Wissenschaft im Allgemeinen. Wie
Schönborns weitere Ausführungen zeigen, ist dies in der Tat die eigentliche
Stoßrichtung seiner Argumentation. Es geht ihm (und der katholischen Kirche) nicht
primär um die Evolution, sondern um die Tatsache, dass in der zugrunde
liegenden kausalen Theorie – wie in der Wissenschaft allgemein – nur natürliche
Ursachen gelten (Naturalismus).
DerNaturalismus
der Wissenschaft (ebenso wie übrigens der des Alltagslebens) basiert auf
Erfahrungen und einem Induktionsschluss (vgl. auch Bunge und Mahner 2004). Im
Laufe der Menschheitsgeschichte zeigte sich, dass Phänomene, die man ursprünglich für Äußerungen von Geistern und
Göttern gehalten hatte, natürliche Ursachen haben: Das Heulen des Windes in
einer Felswand entpuppte sich nicht als Stimme eines Geistes, Blitz und Donner
nicht als Wutausbruch eines Gottes, sondern jeweils als unpersönliche Naturvorgänge.
Allgemein haben sich Behauptungen für eine religiöse Verursachung (Wunder) in
den Fällen, in denen einegenauere Untersuchung möglich war, regelmäßig in
Luft aufgelöst.
Dieses in der
Geschichte der Menschheit und der Wissenschaft mühsam durchgesetzte Prinzip des
Naturalismus akzeptiert Schönborn nicht, sondern er behauptet, dass man genau
das Gegenteil erkennen kann. Die Evolution, wie die Welt im Allgemeinen, seien
nicht nur durch natürliche Ursachen (Zufall und Notwendigkeit) zu erklären,
sondern werden von Gott gelenkt: „Die katholische Kirche [...] verkündet [...],
dass der menschliche Verstand im Licht der Vernunft leicht und klar Ziel und
Plan in der natürlichen Welt, einschließlich der Welt des Lebendigen, erkennen
kann.“ Dagegen seien „wissenschaftliche Theorien, die
den Versuch machen, das Aufscheinen des Plans als ein Ergebnis von ‚Zufall und
Notwendigkeit’ wegzuerklären, [...] nicht wissenschaftlich“ (Schönborn 2005).
Ergänzend sei
erwähnt, dass eine ähnliche Interpretation der Evolution von der Intelligent Design-Bewegung
verbreitet wird. Ihre Vertreter behaupten, dass die
Vielfalt und Komplexität der Organismen nicht durch einen reinen Naturvorgang
erklärt werden können, sondern Interventionen eines ‚Designers’ beweisen (vgl. Jeßberger 1990; Kotthaus 2003; Kutschera
2004). Die ID-Bewegung ist den 1980er Jahren in den USA entstanden, ihre
zentrale Anlaufstelle ist das Discovery Institute in Seattle. Die Gemeinsamkeit
zwischen der ID-Bewegung und Schönborn ist die Ablehnung der naturalistischen
Evolutionstheorie, Unterschiede bestehen in der expliziten Identifikation des ‚Designers’ mit dem christlichen Gott sowie in der Art und
Häufigkeit seiner Aktivitäten. Jedenfalls soll Mark Ryland, der Vize-President des Discovery Institutes, Schönborn
nicht nur zu seinem Statement angeregt haben, sondern es wurde zudem über eine
Public-Relations-Firma, die auch das Discovery Institute vertritt, an die New York Times weitergeleitet (Dean und Goodstein 2005).
Die Vorstellung, dass
es in der Evolution ein Ziel und einen Plan sowie einen dazugehörigen ‚Designer’
gibt, ist aus Sicht der Wissenschaft obsolet. Die sog. teleologischen und orthogenetischen
Evolutionstheorien waren noch bis in die 1950er Jahre vor allem bei
Paläontologen verbreitet, wurden aber sukzessive widerlegt und die von ihnen beschriebenen
Phänomene wie evolutionäre
Trends im Rahmen des synthetischen Darwinismus erklärt (Junker 2004b).
Während also Schönborn, die
katholische Kirche und angeblich auch die menschliche Vernunft einen Plan in
der Natur erkennen können, leugnet die Wissenschaft seine Existenz. Wenn die
Wissenschaft aber nicht in der Lage sein sollte, ein angeblich ‘leicht und klar’
erkennbares Naturphänomen (‚Ziel
und Plan in der natürlichen Welt’) zu identifizieren, dann handelt es sich entweder
um ein Phantasiegebilde – oder es gibt diesen Plan, dann wäre seine
Unauffindbarkeit durch die Wissenschaft eine Bankrotterklärung, die sie in
ihren Grundfesten erschüttern würde. Weitreichende Erkenntnisse wird man von
ihr jedenfalls nicht mehr erwarten dürfen, sondern höchstens noch, was ihr die katholische
Kirche laut Schönborn zugesteht – die Möglichkeit, sich mit „vielen Details
über die Geschichte des Lebens auf der Erde“ zu beschäftigen (Schönborn 2005).
Historische und
aktuelle Erfahrungen sprechen dafür, dass Schönborn hier nichts anderes als die
allgemeine wissenschaftspolitische Überzeugung der katholischen Kirche
verkündet: Die Wissenschaftler sollen ihren Anspruch und ihr Selbstverständnis
beschränken und sich damit abfinden, dass sie ein „Geschlecht erfinderischer
Zwerge [sind], die für alles gemietet werden können“, wie es Bert Brecht im Leben
des Galilei so plastisch umschrieb. Dies allerdings hätte weit reichende
Konsequenzen, von denen ich an dieser Stelle nur eine in Erinnerung rufen möchte:
Hätten die Wissenschaftler sich an diese Empfehlung gehalten, dann wüsste die
Menschheit bis heute nichts von der Evolution!
Nicht nur Wissenschaftler
werden sich glücklich schätzen, dass dies nicht der Fall war, und dass die
Kirche gegenwärtig nicht in der Lage ist, die von ihr angestrebte geistige
Knechtschaft zu erzwingen. So mag man Schönborns Äußerungen zur Evolution als
unerheblich und irrelevant mit einem Achselzucken übergehen, solange er seine
Meinung nicht mit überprüfbaren Belegen stützen kann (ob er das versucht, werde
ich weiter unten schildern). In gesellschaftspolitischer Hinsicht sieht dies natürlich
wegen des Einflusses der christlichen Kirchen in Schulen, Universitäten und
Medien anders aus. Zu einem intellektuellen Problem werden Schönborns Äußerungen
aber für alle diejenigen, die sich bemühten und bemühen, den Widerspruch
zwischen der modernen Evolutionstheorie und der Religion zu leugnen oder zu
überwinden. Es gab in der Tat nicht wenige Journalisten, Philosophen und Biologen,
die nach der Botschaft des Papstes
von 1996 eine solche Nähe behauptet haben. Ein Beispiel mag an dieser Stelle
genügen.
So hat der Paläontologe
Stephen Jay Gould große Mühe darauf verwandt zu zeigen, dass es zwischen Wissenschaft
und Religion keinen Konflikt geben kann, weil sich beide Wissens- und
Lehrsysteme auf verschiedene Bereiche beziehen: Die Wissenschaft auf den
empirischen Aufbau des Universums, die Religion auf ethische Werte und den
geistigen Sinn unseres Lebens. Er persönlich „glaube mit all seinem Herzen an
ein respektvolles, sogar liebendes Einvernehmen“ zwischen beiden Lehrsystemen (Gould
1997: 61).
Andere
Evolutionsbiologen waren da deutlich realistischer. So kommentierte Richard
Dawkins die päpstliche Verlautbarung folgendermaßen: „In allgemeinerer Hinsicht
ist es völlig unrealistisch zu behaupten, wie es Gould und viele andere tun,
dass die Religion sich vom Feld der Wissenschaft fernhalten und auf Moral und
Werte beschränken wird. Ein Universum mit einem übernatürlichen Wesen wäre eine
grundsätzlich und qualitativ andere Art von Universum verglichen mit einem Universum
ohne ein solches Wesen. Der Unterschied lässt sich nicht umgehen, es ist ein
wissenschaftlicher Unterschied. Religionen machen Existenzbehauptungen und das
bedeutet wissenschaftliche Behauptungen“ (Dawkins 1997: 399).
An die Adresse der
Autoren gerichtet, die den Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion leugnen,
bemerkte er: „Eine feige Schlaffheit des Geistes befällt ansonsten rationale
Menschen wenn sie mit lange etablierten Religionen konfrontiert werden (dagegen,
bezeichnenderweise, nicht in Angesicht jüngerer Traditionen wie Scientology
oder der Moon-Sekte). S. J. Gould [...] ist typisch für eine dominierende
Strömung beschwichtigenden Denkens, bei Gläubigen wie Ungläubigen gleichermaßen”
(Dawkins 1997: 397). Nun, von ‚liebendem Einvernehmen’ zwischen moderner
Evolutionstheorie und katholischer Kirche kann nach Schönborns Stellungnahmen kaum
mehr die Rede sein, wenn die Wissenschaftler mehr sein wollen als
‚erfinderische Zwerge’.
Inwieweit
repräsentiert Schönborn die Haltung der katholischen Kirche? Und, wenn ja, bahnt
sich hier ein Kurswechsel des Vatikans in Sachen Evolution an? Dass letzteres der
Fall ist, wurde von zahlreichen Kommentatoren vermutet. So erschien zwei Tage nach Schönborns Statement in der New York Times ein Artikel mit
Hintergrundinformationen, in dem ein Kurswechsel der katholischen Kirche
unterstellt wurde („Leading Cardinal Redefines Church’s View on Evolution“): „Ein
einflussreicher Kardinal in der römisch-katholischen Kirche, die lange als eine
Verbündete der Evolutionstheorie angesehen wurde, legt nun nahe, dass der
Glaube an die Evolution – wie heute von der Wissenschaft akzeptiert –, mit dem
katholischen Glauben unvereinbar sein könnte“ (Dean und Goodstein 2005).
Wie
Schönborn den Autoren des Beitrags gegenüber erläuterte, seien seine Thesen
zwar nicht vom Vatikan genehmigt worden, er habe aber mit Kardinal Ratzinger
kurz vor dessen Wahl zum Papst gesprochen und dieser habe ihn in seiner Haltung
bestärkt. In der Tat beruft
Schönborn sich häufig und gerne auf den Papst, er betont seine Rechtgläubigkeit
und es würde ihn sicher in große Gewissensnöte stürzen, wenn sich herausstellte,
dass er sich von der Lehrmeinung der Kirche entfernt hat. Wie repräsentativ ist
Schönborn also für die offizielle Haltung des Katholizismus zur
Evolutionstheorie?
Zur Erinnerung: Die
Evolutionstheorie ist eine erstaunlich junge Theorie. Es ist die vielleicht
einzige grundlegende, das Weltbild prägende, naturwissenschaftliche Theorie,
die den Naturforschern der Antike und Renaissance zugänglich gewesen war, aber
von ihnen nicht vorgedacht wurde. Erste vorsichtige Spekulationen über die
gemeinsame Abstammung und die Evolution der Arten publizierte der französische
Naturforscher George Buffon im Jahr 1753. Nur zwei Jahre zuvor war er von den
Theologen der Sorbonne scharf angegriffen worden, weil seine Theorie der
Entstehung der Erde dem „Glauben der Kirche“ widersprach. Er wurde gezwungen,
sich öffentlich von seinen Überlegungen zu distanzieren und u.a. „allgemein auf
alles das zu verzichten, was im Widerspruch zur Erzählung von Moses sein könnte“
(Buffon 1753, pp. vi, xii; Junker 2004a). Für die weitere Entwicklung der
Evolutionstheorie ist dies mehr als ein marginales Detail, denn die allmähliche
Veränderung der Arten erfordert ein kosmologisches Modell, das den engen Zeitrahmen
der biblischen Legenden sprengt. Es ist deshalb kein Zufall, dass die erste
umfassende Evolutionstheorie durch Jean-Baptiste de Lamarck erst 1809
publiziert wurde, d.h. nach der französischen Revolution, als die Kirche einen
großen Teil ihrer Macht verloren hatte. Ein halbes Jahrhundert später gelang es
dann Charles Darwin, die Evolution zu einer anerkannten wissenschaftlichen Theorie
zu machen (1859).
In den folgenden
Jahrzehnten wurde die Darwinsche Theorie gegen zum Teil erhebliche Widerstände durchgesetzt,
die sich ganz wesentlich aus religiösen Quellen speisten. Zwar ging nur ein
Teil der Angriffe direkt von kirchlichen Kreisen aus, aber gläubige
Naturforscher waren durchweg sehr viel kritischer als Agnostiker oder
Atheisten, wobei Ausnahmen die Regel bestätigen (Hull 1973; Junker und Richmond
1996). Offiziell reagierte die Kirche aber zunächst nur indirekt. So enthält
das „Dekret über den katholischen Glauben,“ das 1870 auf dem I. Vatikanischen
Konzil verabschiedet wurde, keine ausdrückliche Stellungnahme zur
Evolutionstheorie. Im Zentrum steht der auch von Schönborn formulierte allgemeine
Anspruch: „Wer nicht bekennt, daß die Welt und alle Dinge, die in ihr enthalten
sind – sowohl die geistigen als auch die materiellen –, ihrem ganzen Wesen nach
von Gott aus nichts hervorgebracht wurden,“ der sei ausgeschlossen (zit. nach Denzinger
1991: 821). Es wird also nichts darüber ausgesagt, wie Gott die Organismen erschaffen haben soll, sondern nur darüber,
dass er sie erschaffen hat.
Im
Prinzip ist dies auch die Aussage des Rundschreibens Humani Generis von Pius XII aus dem Jahr 1950. Hier wird erstmals
(mehr als 90 Jahre nach Darwins Origin of Species) in einer päpstlichen
Verlautbarung die Abstammung des menschlichen Körpers aus dem Tierreich als
Möglichkeit zugestanden. Dies soll aber nur unter Vorbehalt und bei Beachtung
von vier wichtigen Einschränkungen gelten: 1) Die „Freiheit der Erörterung
überschreiten [...] manche in leichtfertiger Vermessenheit, wenn sie sich so
benehmen“, als ob die körperliche Evolution der Menschen „schon ganz und gar
sicher und bewiesen sei“. 2) Für die (menschliche) Seele wird weiterhin eine
unmittelbare Schöpfung durch Gott angenommen. 3) Die Ergebnisse der
Wissenschaft dürfen der „von Gott geoffenbarten Lehre“ weder direkt noch
indirekt widersprechen. 4) Das alles gilt nur unter der Voraussetzung, dass „alle
bereit [sind ...], dem Urteil der Kirche zu gehorchen“ (zit. nach Denzinger
1991: 1097-98).
Die Aussage, dass
Gott die Welt und die Organismen erschaffen hat, wird nicht ausdrücklich
wiederholt, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt. Die Evolutionstheorie
soll also nur eine Hypothese sein, nicht für die Seele gelten, mit der Bibel in
Einklang gebracht werden und die Kirche beansprucht das letzte Wort – dies sind
die zentralen Aussagen von Humani Generis.
Im Jahr 1996, ein
knappes halbes Jahrhundert später, kam es dann zu einer neuen päpstlichen
Verlautbarung zur Evolutionstheorie, der vielgepriesenen Botschaft „Christliches
Menschenbild und moderne Evolutionstheorien“ von Papst Johannes Paul II. Erstmals
wird thematisiert, dass es bei den Themen Ursprung des Lebens und Evolution zu
Widersprüchen zwischen der Wissenschaft und den Lehren der Kirche gekommen sei.
Da, wie es heißt, „Wahrheit nicht der Wahrheit widersprechen kann“, muss
entweder die Wissenschaft oder die Kirche Unrecht haben (Johannes Paul II 1997: 381).
Zur ersten der vier
Einschränkungen von Humani Generis findet
sich eine konziliantere Aussage, die viele Zeitgenossen zu der Illusion verleitet
hat, dass sich an der Haltung der katholischen Kirche zur Evolutionstheorie
Grundsätzliches geändert habe: „Heute, beinahe ein halbes Jahrhundert nach dem
Erscheinen der Enzyklika, geben neue Erkenntnisse dazu Anlaß, in der
Evolutionstheorie mehr als eine Hypothese zu sehen.“ Zum zweiten „Fixpunkt“ wird
die Aussage wiederholt, dass der „menschliche Körper [...] seinen Ursprung in
der belebten Materie [hat], die vor ihm existiert. Die Geistseele hingegen ist
unmittelbar von Gott geschaffen“.
Die eigentliche
theoretische Neuerung der Botschaft
ist die Aufspaltung in zwei Typen von Evolutionstheorien, die sich in ihrer
Weltanschauung und Kausalität unterscheiden. So soll es „materialistische, reduktionistische
und spiritualistische Interpretationen“ geben. Da in der modernen
Evolutionstheorie „spiritualistische Interpretationen“ nicht akzeptiert werden,
sondern ausschließlich materielle Ursachen gelten, ist sie der päpstlichen
Terminologie zufolge also materialistisch bzw. reduktionistisch. Auf der
anderen Seite kann man der katholischen Kirche kaum Sympathien für die materialistische
Variante unterstellen, umso mehr für die „spiritualistische“.
Obwohl also kein
Zweifel besteht, welche Variante der Papst für richtig hält, bezieht er an
diesem Punkt interessanterweise nicht ausdrücklich Stellung, sondern gibt vor, das
Urteil „der Philosophie und darüber hinaus der Theologie“ zu überlassen. Lediglich
in Bezug auf den Geist der Menschen wird bekräftigt, dass die materialistische
Erklärung „nicht mit der Wahrheit“ vereinbar sei (Johannes
Paul II 1997: 382-83).
Überblickt man die
Reihe der Stellungnahmen der katholischen Kirche und ihrer Repräsentanten zur Evolutionstheorie
so lässt sich eine zunehmende Akzeptanz der Evolution feststellen und ein
allmähliches Abrücken von der Vorstellung, dass die biologischen Arten getrennt
erschaffen wurden. Der Grund für diesen Meinungswandel – das wird auch ausdrücklich
zugestanden – besteht darin, dass die Wissenschaft überzeugende Beweise für die
Evolution beigebracht hat, und dass die Kirche, wenn sie nicht als völlig
ignorant erscheinen will, diese Situation nolens
volens akzeptieren muss. Wie gezwungen die Akzeptanz aber ist, sieht man an
Schönborns Aussage, dass die Evolution lediglich ‚wahr sein könnte’ („Evolution in the sense of
common ancestry might be true“; Schönborn 2005).
Drei Grundannahmen
der Evolutionsbiologie lehnt die katholische Kirche dagegen weiter strikt ab:
1) Die Evolution soll kein reines Naturphänomen sein, sondern in irgendeiner
Form soll der christliche Gott die Organismen erschaffen haben. Dagegen ist die
moderne Evolutionstheorie a-theistisch. Es war ja gerade Darwins geniale Idee
zu zeigen, wie die Entstehung und Merkmale der Organismen natürlich, d.h. ohne
Gott, zu erklären sind. 2) Im Besonderen gilt dies für die übernatürliche
Herkunft der Seele. Da Menschen eine unsterbliche Seele haben sollen, Pflanzen
und Tiere jedoch nicht, kann es in dieser Beziehung keinen allmählichen
Übergang von Tieren zu Menschen gegeben haben. Dagegen betont die
Evolutionstheorie, dass die Menschen eine Tierart unter vielen sind, und
erklärt die Entstehung ihrer körperlichen und geistigen Merkmale durch einen
natürlichen Evolutionsmechanismus. 3) Der vielleicht entscheidende Unterschied betrifft
die Methode, wie wahre Aussagen generiert werden. Während die Wissenschaft auf die
Erfahrung und die Überprüfbarkeit ihrer Aussagen Wert legt, es sich also gerade
nicht um Dogmen handelt, verweigert die Kirche eine unabhängige Überprüfung ihrer
Behauptungen und verweist auf göttliche Eingebungen.
Die katholische
Kirche hat die Evolutionstheorie also solange wie möglich ignoriert. Als sie
damit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend ins Abseits geriet,
war sie zu einem partiellen Rückzug gezwungen und hat sich – eher widerwillig –
zu einer religiösen Deutung der Evolution durchgerungen. Die empirische Methode
und den Naturalismus der Evolutionsbiologie lehnte sie aber weiter ab. Insofern
stellt Schönborns Statement nicht den von vielen Kommentatoren beklagten
Kurswechsel des Vatikans in Sachen Evolution dar.
Wortwahl und Tenor haben
sich verschärft, aber die grundlegende Aussage bleibt bestehen: Letztlich ist
es der Kirche egal, wie Gott die Organismen erschaffen hat, Hauptsache er hat
sie erschaffen. Insofern haben die Kommentatoren Recht, wenn sie darauf
hinweisen, dass der Katholizismus die Evolution im Sinne einer allmählichen
Veränderung der Arten nicht grundsätzlich ablehnt. Sie haben aber Unrecht, wenn
sie unterstellen, dass damit eine Akzeptanz der modernen Evolutionstheorie verbunden
ist. Als wissenschaftliche Theorie gewährt
sie der religiösen Wundergläubigkeit und damit dem christlichen Gott keinen
Raum. Er ist schlichtweg überflüssig, ein phantastischer Fremdkörper ohne
Relevanz.
Mit seiner Kampagne der
Jahre 2005 und 2006 gegen die Evolutionstheorie betrat Schönborn nur scheinbar
Neuland: Bereits zwei Jahrzehnte zuvor hatte er sich an einem ähnlichen Vorstoß
beteiligt – gemeinsam mit Robert Spaemann und Joseph Ratzinger. Am 26. April
1985 gewährte Papst Johannes Paul II. den Teilnehmern des Symposiums „Christlicher
Glaube und Evolutionstheorie“, zu dem Spaemann nach Rom eingeladen hatte, eine
Privataudienz. Begleitet, unterstützt und „lebhaft begrüßt“ wurde seine Initiative
durch Ratzinger, den damaligen Präfekten der „Glaubenskongregation des Heiligen
Stuhls“, d.h. der Nachfolgeorganisation der römischen Inquisition (Spaemann et
al. 1986: VIII). Unter den Vortragenden waren Spaemann sowie seine Schüler Reinhard
Löw und Peter Koslowski, der katholische Philosoph Hans-Eduard Hengstenberg,
der amerikanische Wissenschaftshistoriker Timothy Lenoir, der Münchner
Theologieprofessor und spätere Kardinal Leo Scheffzcyk sowie Christoph Schönborn,
zu der Zeit Professor für katholische Dogmatik an der Universität Fribourg. Die
Vorträge wurden in einem Sammelband mit dem Titel Evolutionismus und Christentum veröffentlicht; Spaemann verfasste die
thematische Einführung und Schönborn referierte über das Thema „Schöpfungskatechese
und Evolutionstheorie – vom Burgfrieden zum konstruktiven Konflikt“.
Höchste kirchliche
Weihen erhielt der Band durch ein „Geleitwort“ von Ratzinger sowie eine
abschließende „Ansprache des Hl. Vaters“, in der der Papst das Ergebnis des
Symposiums folgendermaßen resümiert: „Recht verstandener Schöpfungsglaube und
recht verstandene Evolutionslehre [stehen sich] nicht im Wege: Evolution setzt
Schöpfung voraus; Schöpfung stellt sich im Licht der Evolution als ein zeitlich
erstrecktes Geschehen – als creatio continua – dar“ (Spaemann et al. 1986: 146).
Unter einer ‚recht verstandenen Evolutionslehre’ versteht er eine Version, in
der die von Pius XII im Jahr 1950 verkündeten Einschränkungen akzeptiert werden,
nicht jedoch die Evolutionstheorie im Sinne der heutigen Biologie. Letztere wird
als „evolutionistisches Weltbild“ ausdrücklich abgelehnt.
Nun, ohne diesen so
genannten „Evolutionismus“, die „materialistisch-reduktionistischen Interpretationen“,
das „neo-darwinistische Dogma“, d.h. ohne die moderne Evolutionstheorie wäre
die Menschheit noch so unwissend wie vor 200 Jahren. Auch der Papst wüsste
nichts von der Evolution und wäre gezwungen, die „Phänomene der Natur wie ein
Wilder“ zu sehen (Darwin 1871, 2: 386). So zeugt es schon von Unverfrorenheit,
dass die Kirche sich nun eine Erkenntnis aneignen möchte, zu deren Entdeckung
und Durchsetzung sie nicht nur nichts beigetragen hat, sondern der sie mehr als
einmal Steine in den Weg legte. Die Biologen aber, denen wir diesen Erkenntniszuwachs
auch deshalb zu verdanken haben, weil sie sich nicht an die päpstlichen
Vorschriften hielten, sollen sich wieder aufs ‚Käfersammeln’ beschränken.
Schönborns
Kampagne gegen die moderne Evolutionstheorie sollte auch im ‚philosophicum’ des
ORF am 17. Januar 2006 fortgeführt werden. Ob die Sendung ursprünglich auf seine
Initiative hin zustande kam, entzieht sich meiner Kenntnis, sicher ist, dass
sie nicht gegen seinen Willen ins Programm genommen wurde. Dazu muss man
wissen, dass das ‚philosophicum’ von der Religionsredaktion des ORF (religion@orf.at)
ausgerichtet wird und nicht etwa von der Wissenschaftsredaktion. Religion@orf.at
wiederum ist so etwas wie Schönborns ‚Heimredaktion’, mit der er auf
vielfältige Weise verbunden ist und die bei einer so öffentlichkeitswirksamen
Aktivität kaum etwas ohne seine Zustimmung unternehmen wird.
Man kann sich diese
Verbundenheit eindrücklich vor Augen führen, wenn man im Religionsportal des
ORF (http://religion.orf.at/) bei Seitensuche ‚Schönborn’ eingibt: Am 6. August
2006 ist hier die stattliche Zahl von 1974 Einträgen verzeichnet – d.h.
weniger, aber in der Größenordnung von ‚Jesus’ (3634) und ‚Gott’ (6261). Damit
übertrifft er den Papst, der nur auf 1902 Nennungen kommt, selbst wenn man ‚Ratzinger’
und ‚Benedikt XVI’ (757 bzw. 1145 Einträge) addiert, was sicher einige Doppelungen
beinhaltet.
Ob auf Schönborns
Anregung oder auf eigene Initiative hin, jedenfalls plante das ORF Ende 2005 ein
‚philosophicum’ mit dem Thema „Der Streit um die Evolutionstheorie.“ Am 9. Dezember
2005 wandte sich der zuständige Redakteur an den Vorsitzenden der AG
Evolutionsbiologie, Ulrich Kutschera, und fragte an, ob er bereit wäre, an der
Diskussion teilzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt stand nur die Teilnahme von
Schönborn selbst sowie Gerhard Schwarz als Diskussionsleiter fest, Spaemann war
‚angefragt’, ein vierter Diskussionsteilnehmer noch offen.
Die Wahl des
Evolutionsbiologen Kutschera ist ein Hinweis darauf, dass den verantwortlichen
Redakteuren beim ORF an einer kontroversen Diskussion gelegen war. Er ist einer
der profiliertesten Kritiker des Kreationismus im deutschsprachigen Raum und er
hat in den letzten Jahren durch vielfältige Publikationen und Presseauftritte zu
diesem Thema von sich Reden gemacht (Kutschera 2004). Wie ich später in einem
informellen Gespräch erfahren konnte, gab es noch einen anderen Grund, nach
Deutschland auszuweichen. Während der Vorbereitung der Sendung versuchte man,
einen österreichischen Evolutionsbiologen zu gewinnen, war aber nicht
erfolgreich. Die angefragten Wissenschaftler waren entweder zu dem Termin nicht
verfügbar oder wollten sich nicht öffentlich ‚mit dem Herrn Kardinal’ anlegen. Mit
ähnlichen Äußerungen wurde ich dann in anderem Zusammenhang noch mehrfach
konfrontiert. So jedenfalls musste der ORF sein Budget strapazieren und einen
auswärtigen Gast einladen, wenn man keine zu offensichtliche Werbeveranstaltung
für Schönborn wollte. Andererseits sollte er aber auch nicht zu sehr unter
Druck gesetzt oder gar in eine für ihn peinliche Situation gebracht werden.
Diese Ambivalenz prägte dann auch die weitere Vorbereitung und die Sendung
selbst.
Aus zeitlichen und
vor allem inhaltlichen Gründen lehnte Ulrich Kutschera das ehrenvolle Angebot
zur Teilnahme am ‚philosophicum’ wenige Tage später ab. Aus wissenschaftlicher
Sicht gäbe es weder über die Tatsache der Evolution noch über ihren kausalen
Mechanismus eine Diskussion. Dies werde aber durch den Begleittext zur Sendung
suggeriert, durch den bei Laien „die Botschaft hängen bleibt, dass innerhalb
der Biologie über die Evolution gestritten würde“ (Kutschera 2006b: 19). Es
bestehe also die Gefahr, dass durch seine Teilnahme unwissenschaftliche Konzepte
wie Intelligent Design aufgewertet und beworben werden. In den folgenden Tagen
diskutierten wir intensiv über die Vor- und Nachteile, die mit einem
entsprechenden Auftritt verbunden sind. Auf Nachfrage des ORF hin, ob er einen
anderen Evolutionsbiologen empfehlen könne, nannte er meinen Namen und ich sagte
rund eine Woche später (um den 17. Dezember) telefonisch zu. Ich erwähne das
genaue Datum, weil nach der Ausstrahlung der Sendung in Kreationisten-Kreisen das
Gerücht verbreitet wurde, der Evolutionsforscher Kutschera hätte seine
Teilnahme kurzfristig abgesagt. Tatsache ist, dass er nie zugesagt hatte, dass das
ORF aber den Hinweis zur Sendung (mit seinem Namen) erst unmittelbar vor dem
17. Januar korrigierte.
Was
war von der Diskussionsrunde zu erwarten? Unter sachlichen Gesichtspunkten konnte
man sich wenig bis nichts versprechen, da meine Gesprächspartner keinerlei
fachliche Kompetenz in Sachen Evolutionsbiologie aufwiesen. Wie wenig man
selbst an grundlegender Allgemeinbildung über den Gegenstand der Diskussion –
Darwin und Evolution – voraussetzen kann, hat mich dann doch erstaunt. Obwohl
es also weder eine wissenschaftliche Kontroverse über die Tatsache der
Evolution, noch über den grundlegenden kausalen Mechanismus (das Selektionsprinzip),
noch über den angeblichen Plan in der Evolution gibt, stellt sich dies in der
öffentlichen Wahrnehmung ganz anders dar. Hier
gibt es eine Kontroverse über die Evolution!
Ähnlich wie auf
anderen Gebieten – man denke nur an Astrologie und Wunderheilungen – werden
auch hier abwegige und unwissenschaftliche Ideen mit großem Eifer propagiert. Ein
Grund ist, dass sachliche Argumente in unseren öffentlichen Debatten nur am
Rande eine Rolle spielen. Stattdessen stehen weltanschauliche und politische
Interessen im Vordergrund und als Sieger geht aus den Kontroversen meist
hervor, wer durch Medienpräsenz und –macht bevorteilt wird. Auf dem Gebiet der
Massensuggestion verfügt die Kirche aber sowohl über große historische
Erfahrung als auch über enorme Mittel und ist so in der Lage, ihren notorischen
Mangel an fachlicher Kompetenz mehr als wettzumachen.
Mein Ziel für die
Teilnahme am ‚philosophicum’ konnte unter diesen Voraussetzungen also nur darin
bestehen, die Erklärungskraft und Eleganz der wissenschaftlichen Betrachtung
der belebten Natur so verständlich und eindeutig wie möglich zu vertreten. Dies
hieß zum einen, dass die Zuschauer nicht durch falsches Einvernehmen und ein Übergehen
der Konfliktpunkte in die Irre geführt werden durften, sondern dass die Unterschiede
zwischen der wissenschaftlichen und der religiösen Denkweise möglichst offenkundig
werden sollten. Zum anderen sollten die Zuschauer eine Ahnung davon erhalten, zu
welchen äußerst interessanten Erkenntnissen man durch die wissenschaftliche Methode
kommt und welche Rätsel durch die Evolutionstheorie gelöst wurden, während der religiöse
Ansatz – die Hoffnung auf Wunder und göttliche Eingebungen – sich als unbrauchbar
erwies (Junker 2006). Und schließlich wollte ich demonstrieren, dass
Wissenschaftler bei der Konfrontation mit Vertretern etablierter Religionen durchaus
nicht in Kleinmut verfallen müssen, sondern dass sie allen Grund zum Stolz auf
das schon Erreichte haben und das auch ausstrahlen können.
Die für die Planung
des ‚philosophicums’ verantwortlichen Mitarbeiter des ORF waren also daran interessiert,
dass Schönborn sich kritischen Fragen stellen musste, er sollte ein wenig
‚gezwickt’ werden, aber nicht das Gesicht verlieren, wie man mir sagte. Dies sollte
vor allem durch die Auswahl der Teilnehmer erreicht werden, und zwar vor allem
dadurch, dass man einen aber eben nur einen Kritiker einlud.
Wie bereits erwähnt,
hat sich Robert Spaemann in der Vergangenheit als treuer Gefolgsmann der Kirche
erwiesen und unter ‚Philosophie’ verstand er Zeit seines Lebens die
Wegbereitung und Unterstützung religiösen Gedankenguts. Dies gilt auch für
seine evolutionskritischen Publikationen. Seine konkrete Vorgehensweise beschrieb
er 1986 wie folgt: Durch den „Versuch einer erkenntnistheoretischen und wissenschaftstheoretischen
Bestimmung des Stellenwertes wissenschaftlicher ‚Paradigmen’ und Hypothesen im
Verhältnis zur Wirklichkeit“ soll zunächst „die weltanschauliche Relevanz der
Deszendenztheorie ein[ge]schränkt und ihre Aufspreizung zum ‚Evolutionismus’
kritisiert“ werden. Auf diese Weise sei es dann möglich, „die psychologischen
Voraussetzungen für eine unbefangene Diskussion alternativer Paradigmen [zu
schaffen], ohne diese a priori zu favorisieren“ (Spaemann at al. 1986: 4-5).
Was sich hinter
diesen gespreizten Worten konkret verbirgt, war auch im ‚philosophicum’ zu
beobachten. Hier bemühte sich Spaemann – allerdings mit untauglichen Mitteln –
die Erklärungskraft der Selektionstheorie in Zweifel zu ziehen, ohne ein
konkretes Gegenmodell zu entwickeln. Seine Kritik sollte „die psychologischen
Voraussetzungen für eine unbefangene Diskussion alternativer Paradigmen“
schaffen, d.h. Zweifel an der wissenschaftlichen Erklärung säen, um so den Weg
für Schönborns ‚alternatives Paradigma’, d.h. den göttlichen Plan in der
Evolution, zu bereiten. Dies ist selbstverständlich sein gutes Recht, Spaemann sollte
aber seine Parteilichkeit offen zugeben, statt in höchst unredlicher Weise so
zu tun, als würde er das ‚alternative [d.h. religiöse] Paradigma’ nicht ‚a
priori favorisieren’. Von einem an der Wahrheit interessierten Philosophen jedenfalls
müsste man schon erwarten, dass er die Stärken und Schwächen beider Seiten
beleuchtet. So aber ist seine philosophische Attitüde nur ein rhetorischer
Kniff, der unbefangene Zuschauer in die Irre führen soll.
Spaemann nutzte also
seinen ganzen Scharfsinn, um angebliche Schwachstellen der naturalistischen
Evolutionstheorie, vor allem der Selektionstheorie, in großer Ausführlichkeit
zu erläutern. Zwei Beispiele aus der Diskussion mögen genügen, um zu
dokumentieren, auf welchem Niveau sich seine ‚philosophische’ Kritik bewegte. Wenn
man, so argumentierte er, „einen Riesensack voll Buchstaben auf die Erde“
schütte, so sei es extrem unwahrscheinlich, dass dann dort ein Gedicht von
Hölderlin liege. Damit wollte er beweisen, dass Lebewesen nicht aus zufälligen
Mutationen entstehen können. Dieses ‚Argument’ wird seit dem 19. Jahrhundert von
religiösen Evolutionsgegnern bis hin zu den heutigen Kreationisten mit geringen
Abwandlungen immer wieder aufgewärmt, obwohl – man müsste vielleicht eher sagen:
weil – es auf einem (absichtlichen) Missverstehen der Darwinschen Theorie
beruht.
Darwin und seine
Anhänger haben nie behauptet, dass zufällige Variationen alleine ausreichen, um die Entstehung und Anpassung der Organismen
zu erklären, sondern dazu bedarf es zudem der natürlichen Auslese. Ihre Wirkung
beruht darauf, dass in jeder Generation abhängig von der konkreten Umwelt die am
besten geeigneten Varianten im Durchschnitt häufiger überleben und sich
fortpflanzen, was zu einer allmählichen Veränderung führt. Übrigens wird in
analoger Weise aus einem Sack mit Buchstaben eben doch ein Hölderlin-Gedicht,
wenn man – wie beim Scrabble – die Buchstaben zunächst blind zieht, dann aber
die jeweils passenden auswählt.
In seinem
verzweifelten Bemühen, die Selektionstheorie zu diskreditieren, verstieg sich Spaemann
zu geradezu grotesken Behauptungen. So meinte er: „Merkwürdigerweise wird nie
von den Mutationen geredet, gut, die Genetiker heute reden jetzt ein bisschen
darüber.“ Selbst einem oberflächlichen Zeitungsleser kann es kaum entgangen
sein, dass der Sinn des milliarden-teuren Humangenomprojekts und anderer
Genomprojekte darin besteht, die genaue Abfolge der genetischen Bausteine des
Erbmaterials und ihre Varianten (die Mutationen) zu dokumentieren, um sie auf
ihre biologische Relevanz (z.B. für Erbkrankheiten) und auf ihre selektiven Vorteile
zu überprüfen. Allgemein gab es seit der Entstehung der Genetik und der Mutationsforschung
vor rund 100 Jahren wenige Phänomene,
die die Biologen mehr beschäftigt haben als die Mutationen und heute sind Zehntausende
von Wissenschaftlern auf der Suche nach neuen Varianten.
Der vierte
Diskussionsteilnehmer stand zum Zeitpunkt meiner Zusage noch nicht fest. Im
vorbereitenden Telefongespräch mit dem Verantwortlichen des ORF kam auch dieser
Punkt zur Sprache und man sagte mir, dass man gerne eine Frau dabei hätte. Dies
war sicher eine gute Idee, zugleich verwies ich aber darauf, dass die Runde mit
Schönborn und seinem Unterstützer Spaemann bei nur einem Vertreter der Wissenschaft
sehr ungleich besetzt sei, und nannte zwei kompetente Evolutionsbiologinnen,
die in Frage kämen. Dieser Vorschlag wurde jedoch nicht aufgegriffen und da man
offensichtlich auch sonst keine geeignete Frau finden konnte, wurde als vierter
Diskutant der Klagenfurter Philosoph Joseph Mitterer eingeladen.
Mitterer versteht
sich als Anhänger des Wissenschaftsphilosophen Paul Feyerabend, wie dieser
argumentiert er gegen die Möglichkeit einer allmählichen Annäherung an die
Wahrheit und für ein ‚Anything Goes’. Da er die Unterscheidung zwischen Sprache
und Wirklichkeit, zwischen Aussage und Gegenstand für falsch hält, soll es
Wahrheit im Sinne einer richtigen Aussage über die Realität nicht geben können.
Die traditionellen Erkenntnisinstanzen – Wissenschaft oder Philosophie – sind
demzufolge reine Argumentationstechniken, mit deren Hilfe beliebige Aussagen
gerechtfertig werden können (Mitterer 2001). Aus Mitterers Sicht sind also die
Evolutionstheorie und religiöse Schöpfungsideen miteinander unverträgliche, aber
gleichermaßen beliebige Aussagensysteme, deren Anspruch auf ‚Wahrheit’ nur der
Überredung dient.
Letztlich war Mitterer
der Inhalt der Diskussion also egal, seine Rolle würde darin bestehen, souverän
auf einer Meta-Ebene über den anderen Diskutanten zu schweben und beiden Seiten
zu sagen, dass ihre Wahrheitsansprüche nicht eingelöst werden können. Da aus
seiner Sicht die religiösen (und wissenschaftlichen) Ideen über die Evolution
weder richtig noch falsch sein können, beschränkte er sich darauf, Schönborn dafür
zu kritisieren, dass „die katholischen Wissenschaftler“ „am meisten schockiert“
gewesen seien, weil er sie mit seinen Thesen in Gewissensnöte gebracht habe. Wie
zu erwarten ließ Schönborn diese Kritik kalt und auch einem Außenstehenden
hätte bekannt sein können, dass die katholische Kirche auf die Befindlichkeiten
ihrer Anhänger normalerweise wenig bis keine Rücksicht nimmt, wenn sie ihre
Wahrheiten und Normen verkündet.
Mitterer
repräsentierte also all diejenigen, die den Konflikt zwischen moderner
Evolutionstheorie und religiösen Schöpfungsideen am liebsten unter den Teppich
kehren würden und kritisierte aus diesen Grunde nicht nur Schönborn, sondern
äußerte sich auch abfällig über Richard Dawkins, der sich – wie eingangs erwähnt
– einem faulen Kompromiss verweigert hatte. Wenn es aber wahre und falsche
Aussagen über die Welt gibt – wovon nicht nur die Wissenschaftler im Normalfall
ausgehen –, dann wird die Behauptung alle
Aussagen seien beliebig, de facto zu einer Unterstützung der Lüge und des
Irrtums, da sie im Gegensatz zur Wahrheit nichts verlieren.
In der Sendung tat
sich Mitterer noch durch einige humoristische Äußerungen hervor, wurde aber
ansonsten von beiden Seiten ignoriert, da er nichts zum Thema beitragen konnte
und wollte. Beim ORF hatte man sich von ihm eine mild kritische Position
erhofft. In einem Vorgespräch machte er aber deutlich, dass er nicht bereit
sei, etwas Substantielles gegen den ‚Herrn Kardinal’ vorzubringen. So rief mich
der Moderator Gerhard Schwarz kurz vor der Sendung an und bat mich, nicht auch
noch klein beizugeben. Nachdem man sich bemüht hatte, das Kräftegleichgewicht
zugunsten von Schönborn auszurichten, drohte nun die Diskussion ihren
kontroversen Charakter vollends zu verlieren – immerhin sollte es ja ein ‚Streit
um die Evolutionstheorie’ werden. Ich versicherte Gerhard Schwarz, dass ich
keinesfalls vorhätte, Mitterers Beispiel zu folgen.
Die Diskussion wurde
einen Tag vor der Ausstrahlung, am Morgen des 16. Januar aufgezeichnet, es
handelte sich also nicht um eine Live-Sendung. Das ausgestrahlte und im
Internet verfügbare ‚philosophicum’ entspricht aber der ungekürzten Diskussion,
sie wurde lediglich um den Vorspann ergänzt. Gleich zu Beginn führte Schönborn
den Mitarbeitern des ORF und den Mit-Diskutanten seine besondere Wichtigkeit noch
einmal vor Augen. Während wir anderen bereits mehr als eine Stunde vor
Aufzeichnungsbeginn versammelt waren, geschminkt und instruiert wurden, traf er
erst wenige Minuten vor Beginn ein. Zugleich wurde verlautet, dass es keinesfalls
zu Verzögerungen kommen dürfe, da Schönborn sofort nach der Aufzeichnung einen weiteren
dringenden Termin wahrnehmen müsse. Ganz so dringend scheint der Termin aber
nicht gewesen zu sein, denn tatsächlich legte er dann keinerlei Eile an Tag,
sondern ließ es sich nicht nehmen, die Diskussion mit mir (und den anderen
Teilnehmern) fortzuführen, bis ich mich der Kaffeebar zuwandte (ausschnittsweise
ist auch diese „Backstage“-Diskussion im Internet verfügbar).
Zu Schönborns
Auftritt im ‚philosophicum’ mögen einige allgemeine Beobachtungen genügen. Zum
einen reklamierte er für den christlichen Gott nicht nur die einmalige
Schöpfung der Genesis, sondern mit folgender Stelle aus dem Matthäus-Evangelium
einen totalen Macht- und Kontrollanspruch: „Welchen Wert hat schon ein Spatz
auf dem Dach? […] Trotzdem fällt keiner tot zur Erde, wenn es euer Vater nicht
will. Bei euch sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt“ (Matthäus 10,
29-30). Auf der anderen Seite weigerte er sich aber, diesen totalen Machtanspruch
auch nur mit einem einzigen überprüfbaren Beispiel aus dem Bereich der
Evolution zu belegen und wischte die Aufforderung damit beiseite, dass man „natürlich“
„das Eingreifen Gottes“, ein Design und einen Plan nicht „mit den strengen
Methoden der Naturwissenschaften feststellen“ könne. (Dies ist selbst aus
seiner Sicht nicht konsequent, da er meint, dass die angeblichen Wunder von
Lourdes „glaubwürdig“ nachgewiesen wurden.)
Wie aber soll die
Wissenschaft etwas beweisen, was es höchstwahrscheinlich gar nicht gibt? Es
wäre vielmehr an Schönborn gewesen, wenigstens einen einzigen Beleg für ‚Ziel
und Plan’ in der Evolution, für ein einziges Wunder beizubringen, und beispielsweise
auf meine Frage, warum sein Gott die
Dinosaurier vor rund 65 Millionen Jahren vernichtet hat, eine Antwort zu geben
(Junker 2004c). Nur an einer Stelle wurde er konkreter. Auf die Frage, ob Aids
eine Strafe Gottes sei, antwortete er, dass die „selige Mutter Teresa“ dies ausdrücklich
abgelehnt habe. Hier war auf einmal nicht mehr davon die Rede, dass „unser
Vater“ alles unter Kontrolle hat und für die verhängnisvollen Mutationen
sorgte. Und woher wissen wir das alles? Weil die ansonsten nicht als Autorität
in Sachen humanpathogene Viren bekannt gewordene albanische Nonne Agnes Gonxha
Bojaxhiu (‚Mutter Teresa’) eine göttliche Eingebung hatte. Schönborn verkündete
also einen totalen Machtanspruch seines Gottes, der aber gleichzeitig wissenschaftlich
unüberprüfbar ist und bei negativen Beispielen (wie Krankheiten) auch gar nicht
gelten soll. Was soll man zu so etwas sagen? Der Berg kreißte und gebar – nein,
keine Maus, auch keinen toten Spatz, nicht einmal einen todbringenden Virus –
sondern nur heiße Luft.
Durch die Auswahl der
Diskussionsteilnehmer und die Rahmenbedingungen des ‚philosophicums’ schien sichergestellt,
dass es zu einer gelungenen Inszenierung für Schönborn und seine Kampagne gegen
die moderne Evolutionstheorie werden würde. Schönborn würde die dominierende Figur
sein und er war bestens präpariert und auch bereit, diese Rolle auszufüllen. Womit
er aber offensichtlich nicht gerechnet hatte, war, dass ich nicht gewillt war,
bei dieser Darwin-feindlichen Inszenierung mitzuspielen. Mein Eingangsstatement
machte dies unmissverständlich klar: Weder das Thema des ‚philosophicums’ noch
die in dem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen haben etwas mit offenen Problemen
der modernen Biowissenschaften zu tun. Hier gibt es keinen ‚Streit um die
Evolutionstheorie’ im Sinne der in der Ankündigung genannten Fragen: „Folgt die
Evolution einem intelligenten Design, hat sie einen Plan, eine Richtung und ein
Ziel?“
Nach allem was wir heute
wissen, sind diese und ähnliche Konzepte überflüssig, falsch und
unwissenschaftlich. Sie sind überflüssig, weil die Selektionstheorie die
Entstehung und Merkmale der Organismen erklären kann. Sie sind falsch, weil
sich ein Plan oder eine Richtung der Evolution weder nachweisen noch plausibel
machen lässt. In welchem Sinn kann man beispielsweise von einem ‚Plan’ sprechen,
wenn die Dinosaurier erst entstehen und dann 200 Millionen Jahre später wieder vernichtet
werden? Und schließlich sind sie unwissenschaftlich, weil sie in der Regel
Aktivitäten eines übernatürlichen Wesens unterstellen, der Wunderglaube aber in
der Wissenschaft aus den genannten Gründen keinen Platz hat. Um es auf den
Punkt zu bringen: Ein Schöpfergott ist ebenso überflüssig wie ein Donnergott.
Die Lebewesen und ihre Merkmale lassen sich wissenschaftlich erklären, wie das
bei Blitz und Donner auch der Fall ist.
Indem ich die
geplante anti-evolutionäre Inszenierung ohne Umschweife als das
charakterisierte, was sie ist – als Kampf der mittelalterlichen
Wundergläubigkeit gegen Aufklärung und Wissenschaft –, änderte sich die Konstellation
auf einen Schlag. Schönborn und Spaemann mussten nun ihr ganzes Arsenal an
Überredungs- und Verwirrungskünsten aufbringen, um diese Thesen zu
neutralisieren. Ihr größter Vorteil war dabei das personelle Ungleichgewicht.
Unter der Voraussetzung, dass jeder Diskutanten annähernd gleiche Redezeit hat,
was auch in etwa der Fall war, entstand alleine dadurch eine Schieflage, dass
Schönborn und Spaemann zu zweit auftraten. Zudem konnten sie so die aus Kriminalfilmen
hinlänglich bekannte ‚good cop’–‚bad cop’-Strategie verfolgen: Den ‚bad cop’
spielte Spaemann, indem er die Evolutionstheorie aggressiv attackierte, während
Schönborn die väterlich-begütigende Rolle übernahm und verkündete, dass alle Menschen
von seinem Gott „gewollt“ seien. Inwieweit es mir trotzdem gelang, die Ziele meiner
Teilnahme am ‚philosophicum’ zu erreichen, mögen die Leser und Zuschauer entscheiden
(s. Kommentar in Kutschera 2006 b).
Nach der Sendung erhielt ich eine ganze Reihe ermutigender Zuschriften und
Rückmeldungen von Evolutionsbiologen, von Wissenschaftlern aus anderen Bereichen
und von interessierten Laien, so dass ich recht zuversichtlich bin, dass das
‚philosophicum’ nicht, wie von Schönborn geplant, seine Kampagne gegen die
moderne Evolutionstheorie befördert hat, sondern dass ich ihm einen – wenn auch
bescheidenen – Stein in den Wege legen konnte. Hier eine Auswahl aus den Reaktionen:
–
„[...] ich möchte Ihnen zu Ihrem Fernsehauftritt im Österreichischen Fernsehen
am 17.1.2006 (‘Philosophicum’)gratulieren und für Ihre
Diskussionsbeiträge danken. Es war ein Genuss, Ihnen zuzuhören!“
–
„Mir hater leid getan, der alte Mann [Spaemann], weiler sich Mühe
gegeben hat, aber sein jugendlich kesser [...] Gesprächspartner von der
Tübinger Uni [... konnte] nicht verstehen, dass es da überhaupt ein Thema gibt.“
–
„[...] wenn ich nicht völlig im Irrtum bin, hatte ich gestern Abend das
Vergnügen, Sie im ORF2 in einer Diskussion mit den Herren Schönborn, Spaemann
und Mitterer zu erleben. Herr Prof. Albert aus Heidelberg hat mich auf diese
Sendung hingewiesen. Wir hatten anfänglich die Befürchtung, dass Sie als
Naturwissenschaftler auf die heute bei Theologen und religiös eingestellten
Philosophen [verbreitete] Argumentation herein fallen würden, dass Aussagen
über Gott und naturwissenschaftliche Welterklärung friedlich nebeneinander
bestehen könnten.
Es war eine Wohltat,
zu sehen und zu hören, dass Sie diesen schleimigen Pfad nicht gegangen sind.
Bewundernswert war auch die Gelassenheit, mit der Sie die Umgarnungsversuche
des Kardinals und die nun etwas abgestandenen Aussagen von Herrn Spaemann
parierten.“
–
„Spaemanns bildreiche Reiterationen des Grundgedankensder Erst- und
Zweitursachen, sowie Schönborns Zitatenschatz und gelegentlich seelsorgerlicher
Duktus wirkten zweifellos bestechend für jene, die so etwas gerne hören,
blieben aber auffallend blass für alle, denen keine Glaubensevidenz gegeben
ist.“
–
„Ich möchte mich herzlich für Ihren Auftritt in der ORF Sendung Philosophicum
bedanken. Als jemand, der selbst allzuoft mit Kreationisten [...] in den Ring
steigt, möchte ich Ihnen meine Anerkennung und Bewunderung zum Ausdruck
bringen, dass Sie bei all den rhetorischen Windbäckereien von Schönborn und
Spaemann [...] so ruhig bleiben konnten. [...] Wenn ich an die Aussagen Schoenborns
denke, sehe ich nicht wirklich einen Unterschied zu der Stammtischmeinung eines
Dorfpfarrers, vielleicht mit lustigen semiwissenschaftlichen Vokabeln gespickt.
Und Spaemann ... wie kann ein dermaßen ignoranter und katastrophal ungebildeter
Mensch einen Lehrstuhl für Philosophie erhalten? [...] Bei uns in Österreich
ist das Problem ähnlich. [...]
Ich danke Ihnen nochmals
für Ihren Auftritt (und auch für das in Schutz Nehmen von Dawkins; er wird
leider schon von vielen Verteidigern der Evolutionstheorie als Bauernopfer
dargebracht) und wünsche Ihnen für weitere Aktionen alles Gute!“
Diese Kommentare und
meine Erfahrungen dokumentieren, wie selten religionskritische Äußerungen in
den Massenmedien mittlerweile geworden sind, sie zeigen aber auch, dass
vieleMenschen sich davon nicht beeindrucken lassen und dem wissenschaftsfeindlichen
Kreuzzug mit Widerstand begegnen.
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