Erschienen in Ausgabe: No 49 (3/2010) | Letzte Änderung: 26.02.10 |
Christopher Clark: Preußen – Aufstieg und Niedergang 1600 – 1947. München (Deutsche Verlags-Anstalt): 2007. 896 Seiten. EURO (D) 39.90. ISBN: 3421053928. [Gebundene Ausgabe]. Und: Christopher Clark: Preußen – Aufstieg und Niedergang 1600 – 1947 München (Pantheon): 2008. 896 Seiten. EURO (D) 18,95 ISBN: 3570550605. [Taschenbuch].
von Daniel Krause
Christopher Clarks
Iron Kingdom. The Rise and Fall of
Prussia ist 2006 bei Penguin Group herausgebracht worden. Wenig später
erschien die deutsche Version: Preußen – Aufstieg und Niedergang 1600 – 1947.
Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Deutsche Leser, sofern sie historisch bewandert
sind, werden nicht allzu viel Neues finden. Seit etwa dreißig Jahren liegen mehrere
kompetente Darstellungen zur preußischen Geschichte vor. (Die Berliner
Preußen-Ausstellung des Jahres 1981 im Martin-Gropius-Bau kann als ein
Startsignal des neu erwachten Interesses gelten.) Wer seinen Sebastian Haffner,
Wolf Jobst Siedler oder Joachim Fest gelesen hat, seinen Johannes Kunisch oder
Wolfram Pyta, wird über Preußen im Bilde sein, dies auch mit Blick auf
Wertungsfragen und übergreifende Zusammenhänge: Nur Hinterwäldler machen noch
immer den Fehler, Preußen für Deutschlands Weg zum Faschismus in Haftung zu
nehmen. Längst ist es gängiges Bildungswissen, dass der ‚Tag von Potsdam’ –
das Bekenntnis der ‚preußischen’ Eliten zu Hitler am 21. 3. 1933 – nicht ohne
den 20. Juli 1944 zu begreifen ist (und vice versa); dass die Führungsschicht des
‚Dritten Reiches’ zum größeren Teil dem süd- und westdeutschen und
österreichischen katholischen Milieu entstammte: München und Wien waren die
Brutstätten völkischen Denkens, das rote Berlin war den Hitler und Goebbels
verhasst; dass Preußen im 18. und frühen 19. – und in den zwanziger Jahren des
20. Jahrhunderts, unter sozialdemokratischer Führung – als fortschrittlichste
politische Kraft in Deutschland gelten kann: Berlin hatte niemals ein Ghetto,
statt dessen Moses Mendelssohn und Rahel Varnhagen. Auch der Topos vom
preußischen Militarismus ist zu relativieren: Die preußische Generalität war
immer loyal zur zivilen Regierung, und die Rede vom ‚Bürger in Uniform’
verdankt sich letztendlich der preußischen Reformära des frühen 19.
Jahrhunderts.
All diese Tatsachen sind seit langem bekannt. Das heißt aber nicht,
Christopher Clark hätte dem marktgängigen Preußen-Bild nichts mehr
hinzuzufügen. Seine Einlassungen über Bündniskonstellationen der friderizianischen
oder der Bismarck-Zeit dürften an konziser Präzision ihresgleichen nicht
finden – zumindest im populärwissenschaftlichen Rahmen. Bemerkenswert seine
Darlegungen zur Vergangenheitspolitik der beiden Deutschland nach 1945, zumal
zur Aneignung des ‚preußischen Erbes’ durch die DDR: Seit dem Frieden von
Hubertusburg 1763 ist Russland mehrfach als Preußens Schutzmacht aufgetreten,
und selbst die Sowjetunion pflegte ein – gemessen an Sichtweisen der Westmächte
– erstaunlich differenziertes Preußen-Bild. Die späte ‚Liebe’ der SED zu
Preußen und seinen Militärreformern, die gleichsam als Schutzpatrone der
Nationalen Volksarmee herhalten mussten, überrascht immer wieder aufs Neue:
Preußen als Sündenbock deutscher Geschichte ist eine Erfindung Roosevelts,
Churchills und jener Süd- und Westdeutschen, die sich nach 1945 bequem zu
exkulpieren versuchten. Man denke an Konrad Adenauers heftiges anti-preußisches
Ressentiment...
Christopher Clark bringt wenige neue Einsichten aufs Tapet: Woher rührt der
beachtliche Erfolg dieses Buches? Er dürfte Clarks Fähigkeiten als Erzähler und
Stilist geschuldet sein: einer überaus ökonomischen, dichten Darstellungsweise,
dem souveränen Blick für Zusammenhänge über Zeiten und Grenzen hinweg und dem
sorgfältig abwägendem Urteil. Auch frappiert die Unbefangenheit des Autors: Der
Brite (recte: Australier) Clark verfügt über jene gesunde Distanz, die es
gestattet, vergangenheitspolitisch prekäre Erscheinungen sine ira et studio –
und ohne Konzessionen ans vermeintlich politisch Korrekte –, gleichsam mit
unbefangenem (nicht: naivem) Blick zu betrachten, mit anderen Worten: Preußen
aus politischen Debatten des Tages zu lösen und elegant zu historisieren. So
gereicht es Clark zur Ehre, dass er nicht Schlachtenlärm und weltpolitische
Durchblicke, nicht Urteil und Wertung ans Ende seiner Erzählung stellt, sondern
Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg (1862ff), einen
nüchtern-liebenvollen Blick aufs preußische Kernland und Nachlass zu Lebzeiten
Preußens. Wer hätte vor dreißig Jahren gedacht, dass es möglich sein würde,
(unter anderem) ‚anekdotisch’ von preußischer Geschichte zu schreiben –
wenngleich ohne Verniedlichung und gespielte Harmlosigkeit?
Ein Wort zur deutschen Ausgabe: Das Übersetzerteam – Richard Barth, Norbert
Juraschitz und Thomas Pfeiffer – hat vorzügliche Arbeit geleistet. Das
sprachliche Niveau liegt weit über dem Durchschnitt von Übersetzungen im
Bereich Sachbuch. Dies gilt mit Blick auf terminologische wie idiomatische
Richtigkeit. Auch sind die Sätze ‚gut gebaut’, d. h., sie entfalten sich, ohne
zu holpern und stolpern. Dass dieses eine Übersetzung ist, wird über weite
Strecken kaum spürbar, und wenn es etwas zu bemäkeln gibt, ist es einzig die
zuweilen dubiose Platzierung der Kommata. (Dergleichen kann das Lesevergnügen
kaum schmälern.) Es ist bedauerlich – wenngleich verständlich –, dass die
Leistung der drei Übersetzer von Rezensenten selten gewürdigt wurde:
Christopher Clarks unstrittige schriftstellerische Bravour hat ihr Werk
überstrahlt.
Preußen, während zweier Jahrhunderte eine prägende Kraft europäischer
Geschichte, hat 1947 – oder früher: 1871 – aufgehört zu existieren. Es ist
Erinnerung, nichts sonst, darin der Habsburger Monarchie gleich. Recht besehen
stellt sich Preußen noch chimärenhafter dar als Österreich, welches
gewissermaßen fortexistiert, wenngleich in zwergenhafter Schrumpfung und unter
republikanischen Bedingungen. Preußen ist gleichsam ein mitteleuropäisches
Atlantis – mit dem wesentlichen Unterschied, dass es ‚wirklich’ war, bevor es
Mythos wurde:
„Im öffentlichen Bewusstsein ist Preußen mit der Erinnerung an militärische
Erfolge verbunden: Roßbach, Leuthen, Leipzig, Waterloo, Königgrätz, Sedan.
Doch im Laufe seiner Geschichte stand Preußen mehrmals am Rande seiner
politischen Auslöschung: während des Dreißigjährigen Krieges, während des
Siebenjährigen Krieges, und noch einmal 1806, als Napoleon die preußische Armee
vernichtete [...]. Die Kehrseite des unerwarteten preußischen Aufstiegs war
ein bleibendes Gefühl der Verwundbarkeit, das die politische Kultur Preußens zutiefst
geprägt hat. Dieses Buch beschreibt, wie Preußen entstanden ist und wie es
unterging. Nur wenn man diese beiden versteht, wird nachvollziehbar, warum ein
Staat, der einst in den Köpfen so vieler Menschen einen so bedeutenden Platz
eingenommen hat, ebenso restlos wie abrupt von der politischen Bühne verschwinden
konnte, ohne dass ihm jemand eine Träne nachgeweint hätte.“ (16)
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