Erschienen in Ausgabe: No. 10 (4/1995) | Letzte Änderung: 23.01.09 |
von Christian Danz
An den Ausgangspunkt meiner Überlegungen möchte ich eine Bemerkung
Schellings aus der "Urfassung der Philosophie der Offenbarung"[1] stellen. Schelling schreibt hier im Kontext
seiner Erörterung des trinitarischen Gottesgedankens: "Wir hatten also
zuerst unterschieden den Moment der Tautousie. Der zweite notwendige Moment zur
wissenschaftlichen Entwicklung der Dreieinigkeitslehre ist der Moment der
Heterousie; es folgt 3) der Moment der Homousie, wo die Potenzen zusammengehen.
Ohne ein substantielles Auseinandersein der Potenzen, also ohne Heterousie,
gibt es keinen Übergang zur Homousie. Dies sagt auch Athanasius, von dem
auch Lessing mit Hochachtung spricht, und in dem auch ich keinen so
beschränkten Kopf finde, wie man meinen wollte." (UF, 201)[2]
Die zitierte Stelle, auf die im Folgenden noch eingehender zurückzukommen
sein wird, formuliert einen zentralen Gedanken aus Schellings Rekonstruktion
des trinitarischen Gottesbegriffes. Mit dieser These, daß sich die
Homousie der trinitarischen Personen nicht ohne den Moment eines substantiellen
Auseinanders der Potenzen denken läßt, beansprucht Schelling eine
Lösung des trinitarischen Problems vorzuschlagen, welche von
weitreichenden Konsequenzen ist. Der Gedanke des trinitarischen Gottes fordert
nämlich zum einen, eine Einheit in Dreiheit zu denken, und zwar so,
daß weder die Einheit, noch die Dreiheit aufgehoben werden. Zum anderen
sind die trinitarischen Personen so zu begreifen, daß die Begründung
ihrer Unterschiedenheit nicht zu Unterordnungsverhältnissen führt,
sondern so, daß die Personen, ihrer Unterschiedenheit ungeachtet, gleich
sind.
Die erste dogmatische Fixierung dieses Gottesbegriffes gelang dem noch jungen
Christentum auf den Konzilien von Nizäa (325) und Konstantinopel (381),
bei dessen Durchsetzung der Kirchenvater Athanasius von Alexandrien (295-373),
auf den Schelling in dem wiedergegebenen Zitat verweist, eine entscheidende
Rolle spielte. Schelling scheint, folgt man dem Zitat, eine
Übereinstimmung seiner Theorie mit der des Athanasius zu konstatieren. In
welchem Sinne dies zu verstehen ist, soll Gegenstand meiner Ausführungen
sein.
Schellings Rekonstruktion des Gedankens des trinitarischen Gottes
Für Schelling ist die wissenschaftliche Umgestaltung der
Trinitätslehre auf Grund der Aporien dieses Lehrstückes notwendig.
Führt nämlich einerseits ein Ausgang von der Einheit Gottes nicht zu
drei Personen in dem einen Gott, so gelangt man andererseits nicht zu der
Einheit Gottes, wenn man von drei Personen ausgeht. Erfolgversprechend kann
daher nur ein Weg sein, der um diese Aporien weiß. Schellings Lösung
wurde in dem eingangs wiedergegebenen Zitat bereits angedeutet, nämlich
die Forderung, in der begrifflichen Explikation des trinitarischen
Gottesbegriffes selbst die Momente Tautousie, Heterousie und Homousie zu
unterscheiden und damit der Einsicht Rechnung zu tragen, daß der
trinitarische Gottesbegriff nur dann adäquat gefaßt ist, sofern
Einheit Gottes und Dreiheit der Personen im völligen Gleichgewicht stehen.
Dies bedeutet jedoch, daß eine begriffliche Darstellung von beiden
Aspekten ausgehen müßte, um zu dem geforderten Resultat zu
gelangen.
Den Ausgangspunkt für Schellings Rekonstruktion des trinitarischen
Gottesgedankens bildet seine Theorie des Geistes, welche ich hier in ihren
Grundlinien skizzieren möchte.
Besteht die erste Aufgabe der Philosophie darin, einen schlechthin freien
Anfang zu finden, so ist diese Forderung an die Vollzugsaktualität der
Philosophie selbst rückgebunden.3 Der Weg zum Geist als dem schlechthin
freien Anfang verläuft über eine Thematisierung dessen, was vor dem
Sein ist. Die drei Momente, die sich hier einstellen, das sein
Könnende, das rein Seiende und das sein Könnende, das
im Sein nicht aufhört, das sein Könnende zu sein,
gewissermaßen die Stufenleiter zum Geist, gehen in den Begriff des
Geistes selbst mit ein. Damit ist der Geist strukturiert, und zwar derart,
daß die Momente des Weges zum Geist dessen Binnenstruktur ausmachen.
Vermöge dieser Binnenstruktur ist der Geist eine, wie ich es nennen
möchte, bestimmte Unbestimmtheit.[4] Nach
Schelling ist der bisherige Gang der Untersuchung nur hypothetisch. Da sich
jedoch die Struktur des Geistes im Vollzug der Philosophie einstellte,
nämlich bei der Suche nach ihrem freien Anfang, so wird die hypothetische
Konstruktion eben durch den Vollzug der Philosophie selbst kategorisch. Soll
nämlich Philosophie als schlechthin freie Wissenschaft sein, so ist der
Geist als schlechthin freier immer schon beansprucht. Damit trägt
Schelling dem Sachverhalt Rechnung, daß es keine Externperspektive auf
den Geist geben kann, sondern vielmehr die Struktur des Geistes sich nur der
Thematisierung der internen Perspektive des Vollzuges von Philosophie
erschließt. Die Differenz von Faktum und Reflexion wird damit
hineingenommen in die Explikation des Geistes als schlechthiniger Freiheit, und
zwar derart, daß das durch die Reflexion erschlossene Faktum der
Philosophie die Wirklichkeit des Geistes erweist. In diesem Sinne bemerkt auch
Schelling: "Der Beweis dieses Geistes kann nicht von der Philosophie, sondern
nur durch die Philosophie gegeben werden." (UF, 69, Herv. C.D.)
Diese Differenz von Faktum und Reflexion geht in den Geist als Differenz von
Vollzugsmoment und Bestimmtheitsmoment derart ein, daß der Geist als die
Totalität seiner Momente gedacht werden muß, oder anders formuliert,
daß der absolute Vollzug nur als die Bestimmtheit seiner drei
Bestimmungen ist, ohne in diesen aufzugehen, da beide Relate des
Differenzverhältnisses nicht zur Deckung kommen. Der Geist ist nicht als
der an sich Seiende zu denken, sondern, sofern der Geist gedacht werden soll,
nur als die Totalität seiner drei Bestimmungen: als an sich seiender, als
für sich seiender und als bei sich seiender Geist.
Beim Aufbau der Struktur des Geistes durch die triplizitäre Struktur des
Weges zum Geist ergab sich eine interne Abgeschlossenheit des Geistes, da alle
externen Relationen in dessen interne Struktur aufgenommen wurden. Der von
Schelling geforderte Begriff des Geistes ist daher als eine gehaltvolle
Beziehungslosigkeit zu begreifen oder als absolute Freiheit.
Dieser Begriff des Geistes, wie er sich der Selbstthematisierung der
Philosophie bei der Suche nach ihrem freien Anfang ergab, wird von Schelling
mit dem Gottesbegriff identifiziert und damit in einer lebensweltlichen
Sphäre verortet. "Gott ist ein bloßes Wort, und nur der
Sprachgebrauch kann entscheiden, auf welchen Begriff es eigentlich anwendbar
sei. [...] Über die richtige Anwendung dieses Wortes gibt es wohl keine
urkundlichere Erklärung, als die Gott selbst dem Gesetzgeber Israels
erteilt hat. Moses fragt: 'Wie soll ich dich dem Volke nennen?' - und es wird
geantwortet: `Nenne mich: Ich werde sein, der ich sein werde: dies ist mein
Name." (UF, 88)
Die lebensweltliche Bestimmung Gottes "Ich werde sein, der ich sein werde"
setzt Gott als Freiheit voraus, und zwar derart, daß Gottes Selbstsein im
Vollzug seiner Selbstbestimmung identisch bleibt, oder mit anderen Worten,
daß die Differenz von Gottes Selbstsein und seiner Bestimmung auf Grund
seiner Freiheit identisch bleiben.[5] Damit ist im
lebensweltlichen Kontext der vollzogenen Religion eine Annahme gemacht, die
eine Identifizierung mit der philosophischen Theorie des Geistes erlaubt,
insofern nämlich der Geist gerade als die absolute Freiheit begriffen
wurde, der es völlig gleichgültig ist, so oder anders zu sein.
Dieser Begriff Gottes, wie er bisher skizziert wurde, bildet den Ausgangspunkt
und das erste Moment für die Rekonstruktion des trinitarischen
Gottesgedankens, nämlich die "Tautousie, d.i., der Moment der wesentlichen
Einheit, indem die Einheit, die nachher als Persönlichkeit gesetzt wird,
dem Wesen nach behauptet wird." (UF, 195) Dieses Moment in der Explikation des
trinitarischen Begriffes Gottes entspricht dogmen- und theologiegeschichtlich
dem Sabellianismus, worauf Schelling in diesem Zusammenhang auch hinweist.6 Der
bislang explizierte Gottesbegriff als absolute Freiheit, der
theologiegeschichtlich den Gehalt des Sabellianismus rekonstruiert, trägt
an sich selbst jedoch den Makel der Unbestimmtheit, insofern er sich bisher nur
als bestimmte Unbestimmtheit explizieren ließ. Gleichwohl markiert dieser
Moment einen notwendigen Schritt zur Rekonstruktion des trinitarischen
Gottesgedankens, da, wie Schelling immer wieder betont, wir den Geist gar nicht
anders denken können als in der Totalität seiner Momente und wir ihn
andererseits denken müssen, sofern wir der Forderung:
"]Freiheit ist unser und der Gottheit Höchstes" (UF, 79)
genügen wollen. Aber eben auch auf Grund dieser Forderung können wir
nicht bei dem bislang explizierten Gottesbegriff stehen bleiben, sofern dieser
zwar eine absolute Freiheit namhaft macht, diese sich jedoch nur um den Preis
eines Widerspruches behaupten läßt. Folgende Überlegung soll
dies verdeutlichen. "Der Gott, in cujus potestate omnia sunt, ist der ganze
Gott - nicht eine Gestalt Gottes, sondern Gott in absoluter, vollkommener
Persönlichkeit, bei der alles steht, penes quam omnia sunt, die allein was
anfangen kann [...]. Diese absolute Persönlichkeit können wir, eben
weil sie das alles Anhebende, Urhebende ist, den Vater auch philosophisch
nennen." (UF, 156)[7]
Mit dem Begriff Vater wird von Schelling der Selbstvollzug Gottes im Hinblick
auf die Totalität seiner Momente in den Blick genommen, und d.h. in Bezug
auf das Selbstsein Gottes als Einheit und die sich aus diesem Selbstvollzug
ergebende Binnendifferenzierung seiner Momente. Denn die Tathandlung, in der
sich Gott zur Selbstbestimmung bestimmt, läßt sich nur so denken,
daß das an sich Sein seines Wesens zum für sich Sein erhoben wird,
womit die Struktur der bestimmten Unbestimmtheit aufgehoben ist. Im Hinblick
auf die zweite Gestalt, die durch diesen Vollzug unmittelbar negiert wird,
spricht Schelling von Zeugung.8 Zwei Aspekte sind für diesen Begriff
konstitutiv. Zunächst, daß durch die Zeugung eine Asymmetrie in die
bisherige Struktur kommt und daß zum anderen diese Asymmetrie als in sich
gegenläufig verstanden werden muß. Der Selbstvollzug, in dem sich
Gott Schelling zufolge als Vater begreifen läßt, setzt eine
Asymmetrie, welche für den Gedanken des trinitarischen Gottes ruinös
wäre, als er diesen Gedanken über ein einliniges
Bedingungsverhältnis aufbaut. Damit wäre jedoch die geforderte
Gleichheit der trinitarischen Personen aufgehoben und ein Subordinatianismus
etabliert.9 Sollen jedoch die trinitarischen Personen eigenständig und ein
Subordinatianismus ausgeschlossen sein, so darf diese Asymmetrie nicht bleiben.
Zum anderen läßt sich der Gedanke eines einseitigen
Bedingungsverhältnisses nur um den Preis eines Widerspruches denken, da
die unbedingte Aktivität zur Darstellung ihrer Aktivität einer
Passivität bedarf. Damit gerät jedoch die unbedingte Aktivität
in Dependenz von der bedingten Passivität, woraus erhellt, daß die
Aktivität als an sich selbst doppelsinnig verstanden werden muß,
nämlich als Duplizität von Aktivität und Passivität. Folgt
man diesen Überlegungen, dann läßt sich ein Verständnis
von Schellings Begriff Zeugung gewinnen, der genau die Funktion hat, die sich
durch den Selbstvollzug Gottes einstellende momentane Asymmetrie zu
überführen in eine neue Symmetrie.
In diesem Sinne schreibt Schelling, "so muß man anerkennen, daß
auch hier schon der ]Sohn notwendig ist zur Gottheit des
Vaters, zu seiner Freiheit und Herrlichkeit, so daß die Gottheit
des Vaters ohne den Sohn nicht möglich wäre; ferner, daß die
absolute Freiheit des Vaters ohne den Sohn nicht möglich wäre" (UF,
161).
Dem Vollzug, in dem sich Gott zum Vater bestimmt, korrespondiert damit der
Vollzug, indem sich die zweite Gestalt zum Sohn bestimmt. Beide Vollzüge
können jedoch nur als wechselseitige Bestimmung gedacht werden, sollen die
trinitarischen Personen als eigenständige und in einem Gleichgewicht
gedacht werden, in dem eine Unterordnung der einen unter die anderen
ausgeschlossen ist.
Der mit Zeugung namhaft gemachte Moment im Aufbau des trinitarischen
Gottesgedankens wird von Schelling Heterousie genannt und rekonstruiert unter
theologiegeschichtlichem Aspekt Arianismus und Tritheismus.[10] So sehr die hier namhaft gemachte momentane
Asymmetrie isoliert betrachtet auch den trinitarischen Gottesgedanken zersetzen
würde, so wichtig ist sie jedoch für die Genese der Bestimmtheiten
des trinitarischen Gottesgedankens selbst. Ermöglicht doch dieser Gedanke
die Gestalten des absoluten Geistes als für sich seiende und damit als
selbständige zu denken. Nach Schelling besteht gerade hierin die Pointe
des Begriffes der Zeugung.11 Durch die Zeugung wird der Sohn nicht als
unmittelbar wirklich gesetzt, sondern lediglich in die Möglichkeit, sich
als Sohn zu verwirklichen. Denn bisher haben wir es, so Schelling, noch gar
nicht mit Personen im trinitarischen Gott zu tun, sondern nur mit der Potenz
des Vaters, des Sohnes und des Geistes, die durch den Selbstvollzug Gottes als
Potenzen gesetzt wurden.
Die Selbstverwirklichung der zweiten Gestalt, so der Tenor von Schellings
Aussagen, ist zu verstehen als die Selbstbestimmung des Sohnes zum Sohn. Da
dies von Schelling in dem komplexen Gefüge der Potenzen gedacht wird, so
daß bei der Thematisierung jeder Potenz die anderen mitgedacht werden
müssen, stellt die Verwirklichung des Sohnes als Sohn zugleich die
Verwirklichung des Vaters als Vater und des Geistes als Geist dar. Denn die
Verwirklichung der zweiten Gestalt ist zu begreifen als Negation ihrer
Negation, die durch die Erhebung der ersten Gestalt ins für sich Sein
resultierte. Vermittels dieses Vollzuges der Negation wird die erste Gestalt
wieder als an sich Sein gesetzt, jedoch so, daß in dieses Setzen die
Selbstständigkeit der Gestalten mit eingeht. Damit ist die momentane
Asymmetrie aufgehoben in eine Symmetrie der drei Gestalten, da die
Verwirklichung des Vaters als Vater von der Selbstverwirklichung des Sohnes als
Sohn abhängt. Der Vater ist damit nicht wirklich ohne den Sohn, denn, so
Schelling, "der Begriff des Vaters ist ein korrelativer Begriff - er ist erst
wirklicher Vater im wirklichen Sohne" (UF, 183).
Schelling bezeichnet diesen Moment in der Rekonstruktion des trinitarischen
Gottesgedankens als "Homousie", insofern wir es hier mit drei Personen zu tun
haben, die als jeweils eigenständige in keinem
Unterordnungsverhältnis begriffen sind, da die Verwirklichung der Einen
von der Verwirklichung der Anderen abhängt und umgekehrt. Da Schelling den
Aufbau der Bestimmtheiten des trinitarischen Gottes an der Forderung der
Freiheit orientiert hatte, ist das Verhältnis von Einheit und Dreiheit im
Gottesbegriff als Realisierung des Begriffs der Freiheit zu begreifen. Der
Begriff des trinitarischen Gottes stellt Begriff und Vollzug der Freiheit dar,
insofern die Freiheit nur im Vollzug wirklich, jedoch ohne Bestimmtheit nicht
zu verstehen ist. Freilich ist die Trinität als bestimmter Begriff der
Realisierung der Freiheit nicht so zu verstehen, als würde die Freiheit
dadurch hypostasiert. Vielmehr gilt auch hier, wie für den Begriff des
Monotheismus, daß die Einheit Gottes keine unmittelbare Vernunftwahrheit
darstellt und sich demzufolge nur behaupten läßt.12
Zusammenfassung
Abschließend möchte ich das Resultat meiner Überlegungen kurz
zusammenfassen und darauf eingehen, wie die eingangs von Schelling selbst
konstatierte Übereinstimmung mit Athanasius zu verstehen ist. Schelling,
so zeigte sich, beruft sich auf einen zentralen Gedanken von Athanasius, den er
in der Philosophie der Offenbarung von 1844/45 so wiedergibt:
"]ΜF ›œOí O+/- [13] Der Gedanke des Homousios beansprucht eine
Identität von Verschiedenen, und insofern sind Vater und Sohn nur dann
dasselbe, wenn sie nicht dieselben sind. Vater und Sohn müssen mithin als
unterschiedene und selbständige Personen gedacht werden können, soll
der Gedanke des trinitarischen Gottes gedacht werden. Athanasius brachte diesen
Gedanken auf die Formel, der Vater ist nicht Vater ohne den Sohn, und Schelling
folgt ihm hierin, indem das Resultat seiner Rekonstruktion des trinitarischen
Gottes genau auf diesen Gedanken hinausläuft.14 Wenn Schelling jedoch im
Anschluß an die eben zitierte Stelle bemerkt: "]Dieß ist
durch unsere Entwicklung erreicht" (XIV, 71), so ist dies nicht nur als
Bestätigung der athanasianischen Formel zu verstehen, sondern darüber
hinaus, ebenso als Kritik an Athanasius. Denn sosehr Athanasius auch betont,
daß der Vater nicht wirklich ist ohne den Sohn, und damit implizit eine
substantielle Differenz beider voraussetzen muß, sowenig kommt dies bei
ihm auf Grund seiner Option für die Sache des
ìHÎÎÔnÇÎÑ und seiner Frontstellung
gegenüber dem Arianismus explizit zur Darstellung. Zwar versteht er das
Theorem von der ewigen Zeugung des Sohnes von der korrelativen Begründung
des trinitarischen Gottesgedankens aus, jedoch steht diese korrelative
Begründung ohne den expliziten Gedanken einer substantiellen Differenz
tendenziell in der Gefahr, von der These der ewigen Zeugung aufgehoben zu
werden.[15] Damit ist aber, so Schelling, der
Begriff der Zeugung selbst aufgehoben, da "jene Zeugung per necessitatem, jene
bloß notwendige Zeugung, keine eigentliche Zeugung" ist (UF, 168), weil
das Gezeugte "außer dem Zeugenden sein" (ebd.) muß, sofern der
Begriff der Zeugung erfüllt werden soll. Nur eine substantielle Differenz,
und d.h. ein für sich Sein des Gezeugten, ermöglicht ein
Verständnis der Zeugung als einem freien Geschehen, da nämlich eine
einsinnige Bedingung des Gezeugten durch das Zeugende die Freiheit aufheben
würde.
Schellings Bemerkung gegenüber der athanasianischen Gestalt der
Trinitätslehre `dies ist durch unsere Entwicklung erreicht' und die von
ihm konstatierte Übereinstimmung mit Athanasius ist daher im Sinne einer
kritischen Rekonstruktion zu verstehen. Athanasius' These, daß der Vater
nicht wirklich ist ohne den Sohn, ist, so Schelling, nur dann konsistent zu
explizieren, wenn man momentaner Häretiker ist, nämlich Sabellianer
und Arianer. Eine erfolgversprechende Theorie der Trinität läßt
sich demnach nur als `Ketzergeschichte' rekonstruieren. Dies scheint auch die
Meinung Schellings zu sein, wenn er bemerkt: "Das wahre System enthält die
falschen Systeme als Momente in sich. Keines der verschiedenen Systeme war an
sich absolut falsch; jedes ist nur dadurch falsch, daß es mehr als
bloßer Moment sein will - es ist wahr, solange es den Moment nicht
überschreitet." (UF, 179)]
1F.W.J. Schelling, Urfassung der Philosophie der
Offenbarung. Hrsg. v. W.E. Ehrhardt, Hamburg 1992 (im Folgenden zitiert als UF
und Seitenangabe). Schellings Werke werden im Folgenden nach der von K.F.A.
Schelling veranstalteten Gesamtausgabe in 14 (XIV) Bänden, Stuttgart
1856-1861, zitiert.
2Vgl. auch XIV, 70f.
3Vgl. hierzu UF, 57 u. 69.
4Vgl. UF, 62: "Denn es ist gefaßt, und es ist nicht
gefaßt."
5Angemerkt sei hier, daß damit ein wesentlich praktischer Sinn von
Identität beansprucht ist. Vgl. hierzu die Untersuchung von S. Peetz, Die
Freiheit im Wissen. Eine Untersuchung zu Schellings Konzept der
Rationalität, Frankfurt a.M. 1995.
6Vgl. UF, 195f.
7Daß der trinitätstheologische Begriff `Vater' hier als
philosophischer Begriff erscheint, hat seine Vorlage in Platon, Timaios 28c, wo
Platon vom Urheber und Vater spricht. Angemerkt sei hier nur, daß diese
Stelle für die Theoriebildungen der Kirchenväter von großer
Bedeutung war.
8Vgl. UF, 157.
9Eben dies kritisiert auch Schleiermacher an dem Begriff Zeugung und seiner
Verwendung zur Konstitution der immanenten Unterschiede der trinitarischen
Personen. Vgl. F. Schleiermacher, Der christliche Glaube (1820/21), KGA I/7,2,
S. 368 (=[[section]] 190, 1) und [[section]] 171, 2 der Glaubenslehre 1830.
10Vgl. hierzu UF, 196ff.
11"Nun kann aber die Handlung, in welcher ein Wesen ein anderes Wesen sich
homogen außer sich, unabhängig von sich so setzt, daß das
gesetzte nicht unmittelbar wirkt, sondern so, daß es in einem notwendigen
und unablaßbaren actus sich selbst zu verwirklichen genötigt ist -
eine Handlung solcher Art kann mit keinem andern Ausdruck, als mit dem Begriff
`Zeugung' bezeichnet werden." UF, 157
12Vgl. UF, 146.
13In dieser Form läßt sich die von Schelling angegebene Formulierung
jedoch bei Athanasius nicht verifizieren. Vgl. jedoch Ps.-Athanasius, De
Trinitate, PG 28, 1133.
14Wenn W. Pannenberg in seiner Dogmatik bemerkt, daß der Begriff der
Selbstunterscheidung in der Trinitätstheologie seit dem 19. Jahrhundert
zwar verwendet wird, jedoch "fast durchweg einseitig im Sinne der
Hervorbringung einer zweiten und dritten Person der Gottheit durch den Vater",
so mag dies für die Theologie zutreffen, philosophischerseits ist ihm
jedoch von Schelling her, wie sich gezeigt hat, zu widersprechen. Vgl. hierzu
W. Pannenberg (1988), S. 340 Anm. 170. Daß Schellings
Trinitätskonzeption oft in dem von Pannenberg kritisierten Sinne
verstanden wurde, kann nach den hier ausgeführten Überlegungen nur
als eine einseitige Interpretation verstanden werden. Zu solch einseitigen
Interpretationen vgl. etwa W. Kasper, Das Absolute in der Geschichte.
Philosophie und Theologie der Geschichte in der Spätphilosophie
Schellings, Mainz 1965, S. 271ff. und H. Holz, Spekulation und Faktizität.
Zum Freiheitsbegriff des mittleren und späten Schelling, Bonn 1970, S.
395ff.
15Vgl. hierzu die Diskussion des Axioms `gignere est naturae, creare
voluntatis' UF,
167f. und XIII, 327f.
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