Erschienen in Ausgabe: No 52 (6/2010) | Letzte Änderung: 30.05.10 |
von Lutz Rathenow
Vergangenheit wird heute nicht aufgebarbeitet, sondern
gewinnbringend recycelt. Schriftsteller und Bürgerrechtler Lutz Rathenow
analysiert die erinnerte DDR - als Marke und Medienprodukt.
Der Markt fand seine möglichen Überlebenswege für eine
DDR nach der DDR. Es strömen die Besucher aus aller Welt seit zwei Jahren ins
kleine, aber geschickt inszenierte DDR-Museum in Berlin, um sich die ganz
normale DDR anzusehen. Der junge Museumsgründer aus dem Westen macht das nicht
schlecht. Diese DDR rechnet sich wirtschaftlich - viele Nie-DDR-Bürger wollen
da hinein, wo viele Landeseinwohner vor 1989 hinauswollten - zumindest eine
Westreise lang.
Zukunftsnutzung der
recycelten DDR-Teile
Der Osten als Erlebnisergänzung für den Westen, das scheint seine Zukunft zu
sein. Zum Beispiel: Die steigende Zahl von marktwirtschaftlich umgerüsteten
Panzerübungsplätzen, auf denen ehemalige Offiziere und Unteroffiziere
Fahrunterricht oder Panzerausfahrten für Interessenten anbieten. Immer mehr
westdeutsche Besucher und -innen buchen gern solche Abenteuer-Wochenenden. Die
verwestlichte DDR-Nostalgie sortiert alles noch einmal neu – allein nach der
Maxime: Welche DDR-inspirierten Produktangebote interessieren? Keine
Vergangenheitsaufarbeitung – sondern Zukunftsnutzung der recycelten DDR-Teile.
Raritäten gesamtdeutsch
herausputzt
Wer aus dem Westen kam, musste keine moralischen Bedenken haben, wenn er den
Osten als abgewirtschaftete Gerümpelbude betrachtete, aus der man Raritäten
hervorgräbt und sie gesamtdeutsch herausputzt. Vom ersten Tag nach der
Maueröffnung an suchten Wessis die DDR heim, um ihre Brüder und Schwestern
davor zu warnen, sich ja nicht vom Westen über den Tisch ziehen zu lassen. Die
als politische Berater – oft aus der Gewerkschaftsecke kommend - den
antikapitalistischen Blick schulten. Sie alle haben an einem Produkt
mitgewirkt, das schon in den 90er-Jahren zur erfolgreichsten
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der neuen Bundesländer wurde.
Nein, man kopierte nie die dröge Werbearbeit aus der DDR, 'man' und viel 'frau'
schufen sich ein marktwirtschaftliches Umfeld von Zuarbeitern im Bereich
politische Bildung, Werbung und der Kreativindustrie neu. Aber erst durch
Energiespritzen wie Oskar Lafontaine oder Bodo Ramelow und die Verwandlung der
SED/PDS in die Linkspartei steht die Marke für Deutschland.
Vom Westen aufgewertet
Was da bei der Wahl punktete, ist nicht mehr die alte DDR, ist auch noch
nicht die DDR-isierte Bundesrepublik; das lebt und denkt in einem
hoffnungsübervollen Raum dazwischen, eine globalisierte Ostalgie verkörpernd.
Im Grunde hat die nachholende Boulevardisierung der DDR-Geschichte (zu
DDR-Zeiten gab es keinen medienöffentlichen Klatsch und Tratsch) nicht nur
Show-Stars, sondern auch Teile der politischen DDR-Elite menschlicher,
interessanter, auf jeden Fall unterhaltsamer gemacht. Ein schönes Beispiel: der
erste DDR-Bürger im Weltraum - Sigmund Jähn. Diese Weltraumfahrt imponierte
Menschen im Osten, die vorgestanzten Sätze des Offiziers Jähn danach kaum.
Heute darf er als gar nicht so politischer Mensch einfach populär sein.
So hat der Westen die DDR trotz vieler kritischer Einzelanalysen im Grunde
aufgewertet. Selbst ihr Böses scheint spannend zu sein. Lebt die DDR nur Dank
der immer neues altes Material verbrauchenden westlichen Mediengesellschaft
überhaupt nur weiter?
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