Erschienen in Ausgabe: No 52 (6/2010) | Letzte Änderung: 30.05.10 |
von Heike Geilen
„Wenn Sie
einen Schriftsteller lesen, der keine Nachtseite hat, so handelt es sich um
leichte Kost.“ Diesen Satz prägte der italienische Autor Giorgio
Manganelli und fast scheint es, dass er damit den in Chile geborenen, in Mexiko
aufgewachsenen und in Spanien zu literarischem Weltruhm gelangten Roberto
Bolaño meinte.
Nachtseiten
konnte Bolaño wohl einige verzeichnen, und schenkt man den Legenden über den
2003 mit nur fünfzig Jahren verstorbenen Autor Glauben, so hat er sich gewissermaßen
in der Stunde seines Todes in die unbestrittene Leitfigur der jüngeren
lateinamerikanischen Literatur verwandelt. Er soll unter Pinochet im Gefängnis
gesessen, in den siebziger Jahren in Mexikos Hauptstadt ein wildes Leben
zwischen Drogen und literarischer Avantgarde geführt und nach seiner
Übersiedlung nach Spanien von der Hand in den Mund gelebt haben. Auch das Bild
eines gefährlichen, Gewalt verherrlichenden und ein nihilistisches Weltbild
vermittelnden Menschen prägte er.
Ein
bisschen Wahrheit ist wohl, wie bei allen Legenden und Mythen, immer vorhanden.
Vor allem in seinem mit dem höchsten lateinamerikanischen Literaturpreis
belohnten Roman „Die wilden Detektive“ kann man diesem Mythos auf fast jeder
Seite begegnen. Doch auch die anderen Erzählungen Bolaños bevölkern fanatische,
kompromisslose, gleichzeitig aber auch verzweifelte und am Rande des Suizids
stehende Helden, die sicherlich untrügliche Wesenszüge des Autors tragen, aber
trotzdem viele surrealistische Elemente beinhalten.
Sicher
konnte man sich bei Bolaño nie sein, aber zweifelsohne zeichneten ihn drei
wesentliche Charakterzüge aus, wie Heinrich v. Berenberg (Übersetzer,
Herausgeber und Verleger) im Vorwort zu diesem Buch ausweist: „sein Witz, seine Unerschrockenheit und
seine überwältigende Liebenswürdigkeit.“
„Exil
im Niemandsland“ ist, wie der Untertitel es verrät, eine fragmentarische
Einführung in das Schaffen eines großen Schriftstellers und eine Annäherung an
einen nicht immer leichten Charakter. Noch einmal soll der Herausgeber dieses
schmalen Buches zu Wort kommen, der die Grundessenz dieses Bandes treffend
umreißt: „Die hier gesammelten Texte
wurden in der Absicht zusammengestellt, aus den verstreuten Artikeln, Essays
und Feuilletons, die sich nach seinem Tod im Nachlass und in den
verschiedensten Zeitungen und Zeitschriften fanden, ein literarisches
Lebensbild zu skizzieren, und zwar eines, welches die Mischung aus Dichtung und
Wahrheit widerspiegelt, die ein so bezeichnender Zug in Bolaños Leben war.“
In
vier Teile ist die fragmentarische Autobiografie gegliedert. Im ersten
Abschnitt finden sich einige der großen und programmatischen Essays, die
diverse Lieblingsthemen Bolaños behandeln: das Exil, die Einheit der
lateinamerikanischen Diaspora und die lateinamerikanischen Autoren. Der zweite
Abschnitt versammelt Kolumnen, die der Autor zwischen 1999 und 2002 für
Tageszeitungen schrieb, der dritte bietet eine Auswahl von Reisebildern und
literarischen Momentaufnahmen aus seiner zweiten Heimat - Spanien, an der Costa
Brava. Den Abschluss bildet ein Interview, das Bolaño wenige Tage vor seinem
Tod für die mexikanische Ausgabe des Playboy gab.
Fazit:
Geistreich,
voller Esprit, messerscharf und zuweilen unbändig komisch, so war Roberto
Bolaño zu Lebzeiten. Die in dem vorliegenden Band „Exil im Niemandsland“
versammelten Texte gewähren eine wunderbare Annäherung und Einführung an das
Schaffen und Werk eines leider viel zu früh verstorbenen großen
lateinamerikanischen Schriftstellers.
Roberto
Bolaño
Exil im Niemandsland
Fragmente einer Autobiographie
Aus
dem Spanischen von Kirsten Brandt und Heinrich v. Berenberg
Berenberg
Verlag, Berlin (2008)
160
Seiten, Gebunden
ISBN-10:
3937834265
ISBN-13:
978-3937834269
Preis:
19,00 EURO
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