Erschienen in Ausgabe: No 52 (6/2010) | Letzte Änderung: 30.05.10 |
Julia Friedrichs: Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen. München (Heyne): 2009. 256 Seiten. EURO (D) 7,95. ISBN: 3453601122.
von Daniel Krause
Wie die Faust aufs Auge, so passt Gestatten: Elite. zum Geist
dieser Tage: Elitenschelte allerorten. Die Medien schmähen Esser, Middelhoff
und Ackermann, mithin die ‚Führungsschicht’ der deutschen Wirtschaft. Erinnern
wir uns: Franz Müntefering hatte auswärtige Investoren im Frühjahr 2005 mit
„Heuschrecken“ verglichen. Die Wortwahl machte mehr Sensation als die Sache
(Hedgefonds): Tiervergleiche, zumal mit Ungeziefer, waren im politischen
Sprachgebrauch nach 1945 nicht üblich gewesen. Heute, in „Krisenzeiten“, sind
solche Skrupel betreffend die Ausdrucksweise kaum noch verbreitet: Polemik
wider Eliten ist zum Gemeinplatz geworden – und Gestatten: Elite. hat
es innerhalb weniger Wochen zum Bestseller gebracht. Wenige Bücher scheinen so
passgenau – und dabei so nüchtern und sachlich – Material zur Elitenschmähung
bereitzustellen.
Paul Nolte, liberal-konservativer ‚Vordenker’, hat zu bedenken gegeben,
Julia Friedrichs befasse sich mit den ‚falschen’ Eliten: jenen, die sich der
eigenen Karriere verschrieben, ohne ernstlich ums Gemeinwohl besorgt zu sein.
Verantwortungsbereitschaft sei anderswo, in politischen Akademien und
Stipendienorganisationen, zu finden. Dieses Bedenken hat einiges für sich: Mit
Friedrichs’ Entscheidung, unter ‚Elite’ zuerst (wenngleich nicht ausschließlich)
Porsche fahrenden Managementnachwuchs – „selbst ernannte[n] Wirtschaftselite“
(36) – zu begreifen, war, scheint es, der ungünstige Gesamteindruck schon
vorgezeichnet.
Freilich: Jenen, die sich ums Gemeinwohl sorgen, ist die Vokabel ‚Elite’
wenig genehm. Die Nolteschen Eliten würden sich kaum mit den Worten Gestatten:
Elite. vorstellen: Zu unschön sind die Konnotationen von Dünkel,
Selbstsucht und Eitelkeit. So gesehen tut Julia Friedrichs recht, sich auf die
„selbst Ernannten“ zu verlegen. Deren Denkungsart und Gebaren kommt in Sprüchen
wie diesen bestens zur Geltung: „Bietet dir das Leben eine Zitrone, mach
Limonade daraus.“ (32) Dies äußert ein Rhetorikcoach, der jungen Eliten zu
sprechen beibringt.
In einem Punkt ist Widerspruch anzumelden. Julia Friedrichs bietet einen Abriss
zur Geschichte des Begriffs ‚Elite’ (39ff), vom 18. Jahrhundert, als auf
französischen Märkten Luxuswaren als ‚Elite’ deklariert werden, über
soziologische Klassiker des 19. Jahrhunderts (Le Bon et alii) und den
Faschismus zur deutschen Gegenwart, für die ein politisch gewolltes Revirement
des Elitendiskurses unter Schröders Kanzlerschaft konstatiert wird. Gewiss hat
die Autorin Recht zu behaupten, dass elitäres Denken im Deutschland der
Nachkriegsjahrzehnte verpönt war:
„Die Eliten hatten versagt. Angetrieben durch eine
unmenschliche Ideologie und durch die Gier nach grenzenloser Macht, töteten sie
Millionen von Menschen, vernichteten den Glauben an die Kraft der Zivilisation,
machten es unmöglich, jemals wieder von Hirten, von Führern, von Auserwählten
zu sprechen.“ (42)
Damit ist das Selbstbild der deutschen Nachkriegsgesellschaft treffend beschrieben.
Allerdings fehlt ein wichtiger Hinweis: Die Stabilität der nationalsozialistischen
Herrschaft beruhte vor allem auf ihren egalitären, anti-elitären Merkmalen. Die
überkommenen Eliten aus Kaiserzeit und Republik wurden teils verfolgt, teils
in den neuen Staat mit einbezogen und dadurch still gestellt. Soziale
Mobilität und allerlei Gefälligkeiten für Mittel- und Unterschicht sicherten
den Fortbestand der „Volksgemeinschaft“ bis zum Schluss. Götz Aly (Hitlers
Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, 2005) hat diese
Zusammenhänge eindringlich dargestellt. Wenn Nachkriegsdeutschland Weltkrieg
und Holocaust Eliten zuschrieb, liegt Sündenbockdenken und bequeme
Selbstexkulpation vor.
Ein Weiteres: Recht häufig vergleicht Julia Friedrichs den Lebensstil der
ökonomischen Eliten mit ihrem eigenen, uneitlen Dasein als freischaffende
Journalistin, wohnhaft in einer Berliner WG. Im Sinne des Kontrasts ist diese
Vorgehensweise zweifellos sinnvoll. Allerdings wird sie arg strapaziert, mit
immer den gleichen Gesten und Floskeln. Bei aller Sympathie möchte der Leser
scheu fragen, ob nicht zu viel des Guten getan wird; ob die Autorin nicht allzu
bereitwillig die Rolle des Kannitverstan, des Außenseiters und Underdog
annimmt:
„Verwirrt laufe ich über das Schlossgelände. Ich sehe eine
Studentin in einem Designerkostüm, die sich die auf dem Campus ausgestellten
Sportwagenmodelle anschaut. Neben mir gehen ein paar Erstsemester, die den
Rhetorikvortrag [siehe oben] extrem inspirierend fanden. „Und du?“, wollen sie
wissen. Ich mag nichts mehr sagen. Hinter uns auf dem Parkplatz knallt es
plötzlich. Ein Student, der das Taxi für die VIPs fährt, ist mit dem gemieteten
Rolls-Royce gegen einen Stehtisch gefahren.“ (33)
Zugegeben – die selbst gewählte ‚Froschperspektive’ wird zuverlässig
konterkariert durch nachdenklich-selbstbewusste Stellungnahmen Julia Friedrichs’
zur eigenen Lebensweise: Schlussendlich ist diese dem Lebensstil der Eliten
vorzuziehen.
Ein Letztes: Klärungen zum Begriff der Gerechtigkeit und zur Beschaffenheit
einer gerechten Gesellschaft, sind von Gestatten: Elite nicht zu erwarten.
Julia Friedrichs scheint zu anzunehmen, Gerechtigkeit setze die gleichmäßige
Verteilung von Gütern voraus, unabhängig vom Leistungsvermögen des Einzelnen.
Man nennt dies ‚Sozialismus’. Die Diskussion, ob diese oder eine
marktwirtschaftliche Ordnung vorzuziehen sei, führen andere Autoren, darunter
John Rawls, Richard Rorty, Amartya Sen, Martha Nussbaum. Julia Friedrichs
immerhin bietet reiches Anschauungsmaterial zu einem Teilaspekt des großen
Themas, in vergnüglicher, aber sehr ernsthafter Form. Das ist nicht wenig.
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