Erschienen in Ausgabe: No 54 (8/2010) | Letzte Änderung: 31.07.10 |
von Heike Geilen
„Niemand wird
mir die Erinnerung nehmen können an alles, was uns, unsichtbar für die anderen,
zu einem Paar gemacht hat, vielleicht zu keinem Ehepaar nach dem bürgerlichen
Gesetzbuch, zu keinem Liebespaar im Sinn trivialer Mythen, dafür war zuviel
Trennendes geschehen, aber auch nicht zu einem bloßen Freundespaar, wir waren
Mann und Frau nach unserer eigenen Definition.“ Mit diesen,
teils verbitterten, teils verzweifelten Worten kämpft die Protagonistin in Anna
Mitgutschs neuem Roman um die Anerkennung ihrer 35-jährigen Liebe zu ihrem
geschiedenen Ehemann Jerome, dem sie sich immer noch tief verbunden fühlt. Nach
fünfzehn Jahren der Trennung, in denen sich beide allerdings nie ganz aus den
Augen verloren, sind sie wieder zueinander zurückgekehrt, dieses Mal „nicht mehr auf der Flucht und auf der
Suche, aneinander vorbei und voneinander weg.“ Doch der zarte Neuanfang
wird abrupt beendet, denn Jerome stirbt plötzlich. Die Ich-Erzählerin steht auf
einmal mit einem Wust an ungeklärten Fragen vor einer großen emotionalen Leere.
Trennung
und Tod gehören unbestritten zu den schwierigsten seelischen Erfahrungen eines
Menschen. Am Anfang stehen Schock und Verleugnung. Leere und Schmerz nehmen von
der Seele Besitz, beherrschen das ganze Wahrnehmen und Denken. Später brechen
schmerzhafte Gefühle auf, Rat- und Hoffnungslosigkeit, Angst vor der
Einsamkeit, vielleicht auch Schuld. Der Körper antwortet mit Unruhe oder
Erschöpfung. Man kann sich nicht mehr konzentrieren, isst und schläft zu wenig,
zieht sich von der Außenwelt zurück oder stürzt sich in verschiedenste
Aufgaben. Erst langsam findet der Betroffene wieder zu sich selbst, orientiert
sich neu in seinem Ein-Personenstück mit dem Namen „Anatomie der Trauer“.
Genau
diese Phasen durchlebt auch Anna Mitgutschs Protagonistin. Wie ans Ufer
geschwemmtes Treibgut kommt sie sich vor, „farblos,
morsch, ausgelaugt und unfähig, das Leben wieder aufzunehmen.“ Familie und
Freunde ihres jüdischen Mannes sind ihr in ihrem Leid keine Hilfe, im
Gegenteil: sie erfährt keine Akzeptanz. Teilweise wird ihr sogar Verachtung
entgegengebracht, da sie diejenige war, die vor fünfzehn Jahren das gemeinsame
Haus in Boston, ihren Mann und ihre Tochter Ilana verließ. Doch: „Wir hatten nur ein Leben, es war zu kurz
für alles, was wir von ihm erwarteten. Also mußten wir auseinanderrücken, damit
das, was wir brauchten, darin Platz fand: seine Frauen und meine Bücher, sein
Beruf, der Seßhaftigkeit verlangte, und meiner, der Abwesenheiten mit sich brachte,
seine Sehnsucht nach dem vollkommenen Glück und meine Rastlosigkeit.“
Gibt
es den letzten Augenblick vor dem und einen Zugang zum Tod? Kann man sich ihm
nähern? Wie nimmt man ihn wahr? „Wie
folgt man einem geliebten Menschen in den Tod, ohne das Leben zu verlieren? Wie
holt man ihn zu sich zurück?“ Fragen über Fragen türmen sich auf.
Erinnerungen an scheinbare Nebensächlichkeiten werden auf einmal kostbar. Aber
auch die Furcht sie zu verlieren, ist allgegenwärtig. „Ich sitze auf der Bank mit meiner von der Zukunft abgeschnittenen
Vergangenheit, und das Leben erscheint mir wie ein unergründliches, mit der
Fremdheit des Todes versiegeltes Geheimnis, vor dem mir schaudert.“
Doch
letztendlich findet die Protagonistin der österreichischen Autorin aus ihrem
emotionalen Ausnahmezustand heraus und wieder ins Leben zurück.
Anna
Mitgutsch hat einen ergreifenden, wortgewaltigen und zutiefst emotionalen Roman
geschrieben, dessen Töne „wie Wellen aus Licht und Farbe“ den Leser durch die
Seiten tragen. Aus vielen Erinnerungssplittern, Bildern und vergangenen
Augenblicken versucht sie, ein abrupt zu Ende gegangenes Leben zu
rekonstruieren, Fragen zu beantworten und „Verfehlungen“ zu analysieren. Mit
tiefen menschlichen Innensichten voller suggestiver Sinnlichkeit, atmosphärisch
dichten Örtlichkeitsbeschreibungen und dem unvergleichlichen, ruhigen,
rhythmischen Fluss ihrer Sprache, der mitunter zu einem melancholischen
Parlando auswächst, ist ihr ein wunderbarer Roman gelungen. Auf verschlungenen,
immer wieder unterbrochenen Pfaden analysiert Anna Mitgutsch das Leben ihrer
Protagonistin an der Seite von Jerome. Letztendlich geht es um die
Unvollkommenheit des Menschen: im Leben wie in der Liebe, jedoch ohne zur
Abrechnung zwischen Mann und Frau zu geraten. „Das Leben, das wir uns am Ende vorstellten, als keine Zeit mehr blieb,
war nur ein kurzer Blick auf ein Versprechen, wie es von Anfang an hätte sein
können.“
Fazit:
Auch
wenn Anna Mitgutschs neuer Roman „Wenn du wiederkommst“ den Tod eines geliebten
Menschen zum Inhalt hat, so ist er doch ein hochpoetisches und komplexes
Plädoyer für das Leben. Trauer, Tod, Erinnerung und Sehnsucht, Liebe und
Schuld, Resignation und Aufbruch sowie Wahrung der eigenen Identität sind die
Themen, die die Autorin auf der einen Seite voller Leichtigkeit, auf der
anderen mit großem Tiefgang verarbeitet. Und wie nebenbei gibt sie einen
kleinen Einblick in jüdisches Emigrantenleben in Boston, ergänzt durch einen
kleinen Glossarjüdischer Begriffe am Ende
des Buches.
„Ich weiß, es
war nur unsere kleine, für andere bedeutungslose Welt, die der Tod ausgelöscht
hat, aber für uns war sie groß und umfassend wie das Universum.“ (aus „Wenn du
wiederkommst“)
Anna
Mitgutsch, Wenn du wiederkommst, Luchterhand-Literaturverlag, München
(März 2010), 272 Seiten, Gebunden (ich habe jedoch ein ungebundenes Leseexemplar,
kenne also nicht die Original-Seitenzahl), ISBN-10: 3630873278, ISBN-13: 978-3630873275, Preis:
19,95 EURO
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