Erschienen in Ausgabe: No. 15 (1/1999) | Letzte Änderung: 26.01.09 |
Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999, 411 Seiten, ISBN: 3-7728-1900-1
von Stefan Groß
Während
sich viele wissenschaftliche Arbeiten auf die Frühphilosophie
Fichtes konzentrieren, die sich als genialische Fortführung der
Transzendentalphilosophie Kants lesen läßt, rückt zunehmend
Fichtes Spätphilosophie in den Mittelpunkt der Erforschung des
Deutschen Idealismus. Der Grund dafür war dessen neue Theorie vom
Absoluten, die für einen Strukturwandel in seinem Denken zu stehen
schien. Inwieweit Fichtes Theorie sich als diese Fortführung seiner
frühen Philosophie lesen läßt, zeigt nun eine neue Arbeit, die im
Frommann-Holzboog-Verlag vorliegt.
„Begreifen
des Unbegreiflichen“ – unter diesem Blickwinkel nähert sich
Christoph Asmuth in seiner Dissertation dem späten Fichte. Die
Wissenschaftslehre von 1804, Zweiter Vortrag, die er in aller
Gründlichkeit beleuchtet, stand immer wieder im Mittelpunkt eines
akademischen Diskurses, der insbesondere von den Fichte-Exegeten
Wolfgang Janke, Jürgen Stolzenberg, Günter Zöller und Reinhard
Lauth geführt wurde.
In der
Fichteforschung wird seit Jahren heftig darüber gestritten, ob es
sich bei der späten Wissenschaftslehre um eine modifizierte
Lehre handelt, in der Fichte seine ursprünglich an Kants
Transzendentalphilosophie angelehnte Denkart zugunsten einer Theorie
vom Absoluten eintauschte, die schließlich in einer Philosophie des
Transzendenten kulminierte. Man sprach in diesem Zusammenhang auch
von einer „Kehre“. Um diese These zu untermauern, wurde gern auf
den Atheismusstreit verwiesen, der Fichte seine Professur an der
Jenaer Universität kostete. Ab 1804 und in den Folgejahren kam es
dann, so die Argumentation, die in neuerer Zeit auch von Edith Düsing
vertreten wird, zur Kehre in Fichtes Denken. Nunmehr steht nicht mehr
das Ich als absolutes im Mittelpunkt, das sich sein Nicht-Ich setzt,
sondern Gott oder das Absolute, das als indifferentes Eines
interpretiert wird, und das sich letztendlich auch auf die
neuplatonische Tradition des Einen bei Plotin zurückführen läßt.
Maßgeblich geprägt wurde dieses Fichte-Bild von Hans Michael
Baumgartner, der auf Parallelen und Unterschiede zwischen dem
Neuplatoniker Plotin und Fichte hingewiesen hatte. Fichtes Ich wurde
in dieser Interpretation zum Bild des Absoluten, das jenseits
desselben ist, was letztendlich auch bei Fichte auf eine negative
Theologie zulaufen sollte, denn sein Absolutes sei, wie noch
Baumgartner betonte, jenseits von allem (έπέκεινα πάντων).
Die
Wissenschaftslehre war das ausgezeichnete Projekt Fichtes, das dieser
seit 1794 verfolgte. Diese verstand er als diejenige und wahrhaftige
Philosophie, die über das Wissen als Wissen Auskunft zu geben habe,
und die damit den Status einer letzten Wissenschaft innehat, aus der
alles endliche Wissen entweder abzuleiten oder auf diese hinzuführen
habe.
Daß
die Annäherung an Fichtes späte Schriften kein leichtes Unterfangen
ist, unterstreicht Asmuth immer wieder, der dann auch auf das
Verhältnis von philosophischer Rede und Popularphilosophie
aufmerksam macht. Während Fichte, der ein glänzender Rhetoriker
gewesen ist, sich in seinen Vorlesungen zur Wissenschaftslehre
eines immanenten Sprachstils bedient, der oft bei seinen Zuhörern
auf Unverständnis stieß, ist die Anweisung zum seligen Leben,
wie Asmuth ausführlich dokumentiert, eben in einem moderaten Stil
geschrieben. Hier, so zeigt Asmuth in aller Deutlichkeit, verzahnt
sich immanentes Denken mit Fichtes Verständnis einer Philosophie als
verständlicher und zu verstehender Wissenschaft, was sich
insbesondere dann zeigt, wenn dritte, vierte und fünfte Vorlesung
der Anweisung betrachtet werden.
Wie
Asmuth mit Fichte festhält, läßt sich die Wissenschaftslehre nicht
von außen ergründen und lehren, sie nötigt vielmehr und fordert
dazu auf, diese selbst zu vollziehen. Fichtes Vorlesungen sind ganz
dieser Erziehung zur Wissenschaft gewidmet. Deutlich wird dabei, wie
er zeit seines Lebens um eine Präzisierung seiner Gedanken bemüht
ist, wobei sich zeigt: Fichte will keinen philosophischen Dogmatismus
vom Katheder verkünden, sondern zur Genese, zum Nachvollzug seiner
Gedanken aufrufen. Genesis ist sein letztes Wort. Die
Wissenschaftslehre bleibt damit nicht faktisch, sondern wird zur
absoluten Reflexion, zum lebendigen „Durch“, an dessen Ende kein
abstraktes Sein wie im absoluten Realismus steht. Rechtverstandener
Idealismus und Realismus schließen einander nicht aus, sondern sie
werden in eine höhere Einheit gehoben, in einen höheren Idealismus
oder Realismus.
Daß
Einheit auch bei Fichte das höchste Ziel aller Philosophie ist, die
die Vielheit in sich vereinigt und aus sich heraus begründet,
unterstreicht auch Asmuth, wenn er den deutschen Idealisten in die
Traditionslinie von Platon und Aristoteles stellt. Daß aber Fichte
seine ursprüngliche Transzendentalphilosophie zugunsten eines
unbestimmten Absoluten aufgegeben habe, weist Asmuth in aller
Deutlichkeit zurück. Fichtes Wissenschaftslehre von 1804
bleibt Ich-Philosophie, der es vorrangig um das Absolute als
absolutem Wissen geht, was nichts anderes heißt: Die späte
Wissenschaftslehre unterscheidet sich von den frühen und
immer wieder begrifflich modifizierten Lehren lediglich durch eine
neue Terminologie. Das Absolute ist nicht das platonische Eine oder
der christliche Gott, sondern das Ich als göttliches, als Prinzip
allen Ich-Wissens.
Diese
Erkenntnis des Absoluten im und als Ich vollzieht sich mittels der
Setzung und Aufhebung des Begriffs, denn der Begriff muß gesetzt
sein, damit er negiert werden kann. Das Absolute kommt daher nicht
als transzendentes Wesen ins Spiel, sondern als vom Ich in der
Negation gesetztes. Von einem mystischen Sich-Verlieren in den
Ungrund, wie Fichtes Spätphilosophie oft gedeutet wird, davon
distanziert sich Asmuth in aller Schärfe, wenn er schreibt: „Sich
dem Absoluten anheim zu geben, sich in das Absolute mystisch zu
versenken oder auch nur das Absolute in einer intellektuellen
Anschauung zu schauen, ohne von der Möglichkeit Gebrauch zu machen,
wiederum davon zu wissen, ist für Fichte letztendlich Dogmatismus.
Das selbstvergessene Ausharren bei den Sachen – und seien diese
rein intelligibel – verfehlt die Sache“ (371).
Gleichwohl,
so die Forderung Fichtes, die Wissenschaftslehre von allen
äußerlichen Hinblicken distanzieren und abstrahieren muß, was
zumindest der Form nach neuplatonisch klingt, führt diese
Abstraktion keineswegs in den Kosmos intelligibilis, sondern siedelt
zwischen dem Absoluten und der Erscheinung. Sie ist daher „weder
ausschließlich in der Erscheinung noch ausschließlich im Absoluten“
(18).
Auf das
Wissen des Absoluten ist, wie Asmuth mit Fichte unterstreicht, nicht
zu verzichten. Eine Philosophie vom Absoluten bliebe aber unmöglich
und schließlich sinnlos, wenn sich das Absolute dem Wissen
prinzipiell entzieht. Soll daher das Absolute nicht als toter Rest,
wie im Realismus gesetzt sein, so bedarf es eines Wissens, das
zugleich Bewußtsein, Selbstbewußtsein, ist. Fichtes Philosophie
bleibt, dies unterstreicht Asmuth auch, wenn er das Verhältnis
zwischen Schelling und Fichte beleuchtet, dem er sich im siebenten
Kaptitel zuwendet, „ein Denken der Reflexion“.
Kurzum:
Asmuths Buch „Begreifen des Unbegreiflichen“ gibt einen
hervorragenden Einblick in ein schwer zugängliches Kapitel des
Deutschen Idealismus, was nicht zuletzt seiner klaren Sprache zu
verdanken ist, die schwer verständliche Passagen Fichtes nicht nur
in die heutige gängige philosophische Terminologie transformiert,
sondern die komplexen Originaltexte auch gut kommentiert. Es ist für
all jene höchst lesenswert, die sich selbst von einem anderen
Interpretationshorizont an Fichtes späte Schriften annähern, die
beispielsweise den aus dem sächsischen Rammenau stammenden Denker
als genialen Vollender einer Metaphysik des Einen in der
Platon-Nachfolge zu deuten suchen.
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