Erschienen in Ausgabe: No. 15 (1/1999) | Letzte Änderung: 26.01.09 |
Feministische Philosophie!
von Miriam-Maleika Müller
Das wurde wahrlich einmal Zeit! Marit Rullmann zeichnet in ihrem ersten
Philosophinnenband über 40 literarische Portraits, der zweite enthält
38 Lebensbilder wissenschaftsphilosophisch wirkender Frauen. Bisher
veröffentlichte Werke zur Philosophiegeschichte oder auch
philosophische Lexika weisen volitiv entweder gar nicht oder aber nur
spärlich hin auf die wissenschaftlichen Arbeiten und Leistungen
weiblicher Philosophen - dies gilt bezeichnenderweise für nahezu
jeglichen Beitrag von Frauen zur Philosophie seit der Antike. Die
Philosophinnen wirken als Korrektiv zu dem somit leicht entstehbaren
Eindruck, weibliches Philosophieren gäbe es erst seit diesem
Jahrhundert, seit sich etwa Hannah Arendt oder Simone de Beauvoir Gehör
verschafften.
Marit Rullmann macht es sich zur Aufgabe, den "verschwiegenen
Anteil der Frauen am philosophischen Geschäft" aufzuzeigen. Die
"vergessenen" Leistungen der Philosophinnen, das entsprechend
eindimensionale Bild, das lediglich männliches Wirken in Philosophie,
Politik und Wissenschaft innerhalb der Philosophiegeschichte
reflektiert, gilt es nicht nur zu kompensieren. Vielmehr erarbeitet das
Werk eine spezifisch feministische Philosophie mit der Zielsetzung,
beide Geschlechter zu thematisieren. Das Verhältnis der Geschlechter
wird zur vorrangigen Frageperspektive der philosophischen Forschung
erhoben. Die Philosophinnen amendieren ein zur Polemik tendierendes
Verständnis, das Forschen nach einer letzten, umfassenden Klarheit und
Wahrheit sei a priori männlich. Die Suche nach Antworten auf
philosophischem Terrain wird von jeher von Männern und Frauen
gleichermaßen bestritten - wobei allerdings stets mitbedacht werden
muß, daß die Entfaltungsmöglichkeiten von Frauen aufgrund der ihr
zugedachten Stellung und ihres damit verbundenen Alltags erheblich
eingeschränkt waren. Die Philosophinnen beenden den gravierenden
Ausschluß von Frauen aus der philosophischen Reflexion, längst
überkommene, fossile Universalitätsansprüche werden mehr als nur in
Frage gestellt und somit die seit Begründung der wissenschaftlichen
Philosophie durch Aristoteles systematisierten Axiome revidiert.
Vertreten sind abendländische Philosophinnen unterschiedlicher
Herkunftsländer und verschiedener philosophischer Richtungen. Eingang
gefunden haben in das Werk auch solche Denkerinnen, die nicht in erster
Linie Philosophinnen waren, sondern z. B. Ärztin wie Dorothea Erxleben
oder Physikerin wie Mme du Châtelet oder Laura Bassi. Darüber hinaus
werden Denkerinnen vorgestellt, deren Arbeit bisher wenig erforscht ist
oder deren wissenschaftlicher Beitrag im philosophischen Diskurs als
nicht unumstritten gilt (so etwa Margaret Cavendish oder Cassandra
Fedele). Der soziokulturelle Hintergrund der jeweiligen
Philosophinnenkarriere wird beleuchtet; eine Einbettung in den
historisch situativen Kontext erfolgt mittels knapp gehaltener, dennoch
unterhaltsam informativ gestalteter Einleitungskapitel, die dem
Rezipienten den thematischen Zugang in Form eines kurzen
philosophiegeschichtlichen Wegweisers erleichtern. Die jeweils
spezifische Situation der weiblichen Philosophen wird in diesen
Eingangskapiteln erörtert. Die Philosophinnen bieten dem Leser
Sichtweisen an, die nicht grundsätzlich konform gehen mit historischen
Traditionen. Die Epoche der Aufklärung bedeutete einen nicht zu
leugnenden Fortschritt - für den männlichen Bevölkerungsteil, de facto
einen Rückschritt für den weiblichen. Dagegen erfährt man, dass ein
Frauenleben im (frühen) Mittelalter mit weitaus mehr Rechten
ausgestattet war, als bisher gemeinhin angenommen.
Mit den Philosophinnen liegt endlich ein Werk vor, das weiblichen
Denkerinnen einen Platz in der philosophischen Wissenschaftsgeschichte
zuteil werden lässt und ihre Kongenialität nicht länger zu vertuschen
sucht. Allerdings kann man sich des leisen Verdachts nicht vollends
erwehren, Quantität könne ein mögliches Auswahlkriterium dargestellt
haben. Insgesamt wäre vertiefende Information innerhalb einzelner
Lebensbilder wünschenswert.
Dennoch: Die Philosophinnen verkörpern eine in der Tat
interessante Einführungslektüre in Werk und Wirkung philosophisch
tätiger Frauen in einer leicht verständlichen, lebendigen wie
anschaulichen Darstellungsform. Philosophiegeschichtliche
Orientierungskapitel und Philosophinnenportraits werden ergänzt durch
ein verständnisförderndes Glossar und ein nach Epochen gegliedertes
Literaturverzeichnis. Die Lektüre lohnt sich (nicht nur) für
philosophisch Interessierte und bietet hoffentlich neben einigem
Dissens- auch anregenden Diskussionsstoff.
Marit Rullmann (Hg.): Philosophinnen. 2 Bde. Suhrkamp Taschenbuch 2877 / 2878. Erste Auflage 1998
Bd. 1: Von der Antike bis zur Aufklärung
Bd. 2: Von der Romantik bis zur Moderne
(jeweils 19,80 DM)
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