Erschienen in Ausgabe: No 56 (10/2010) | Letzte Änderung: 27.09.10 |
von Lisz Hirn
“Die Welt [...] besteht im wesentlichen aus Dingen, die
Gebilde von Menschenhand sind; und diese Dinge, die ohne den Menschen nie
entstanden wären, sind wiederum die Bedingung menschlicher Existenz. Die
Menschen leben also nicht nur unter den Bedingungen, die gleichsam die Mitgift
ihrer irdischen Existenz überhaupt darstellen, sondern darüber hinaus unter
selbstgeschaffenen Bedingungen, die ungeachtet ihres menschlichen Ursprungs die
gleiche bedingende Kraft besitzen wie die bedingenden Dinge der Natur [Anm.: L.
Hirn: und der menschlichen Natur]. Was immer menschliches Leben berührt, was
immer ihn es eingeht, verwandelt sich sofort in eine Bedingung menschlicher
Existenz.”[1]
Die Welt entwickelt sich rasend schnell: Technologien,
Medien, Staaten... Aber entwickelt sich der Mensch genauso schnell wie seine
Erfindungen? Welche Auswirkungen hat die Globalisierung auf das Verständnis von
Mensch und Mensch-Sein? Was sind Ziele, Werte und Visionen des Menschen von
heute beziehungsweise was können sie sein? Wir haben unglaublich viele
Möglichkeiten zu handeln - dank Technologie und Forschung, dass sich uns mehr
denn je die Frage stellt: Was sollen wir jetzt tun? Wie
sollen wir mit dem uns zur Verfügung stehenden Potenzial umgehen?Der österreichische
Physiker und Philosoph Franz Moser bringt die Problematik auf den Punkt,
wenner schreibt:
“Das Umgehen mit unseren, das sind jenen tierhaften,
biologisch-genetischen, über Jahrmillionen erworbene Eigenschaften, die zufolge
eines ungeordneten freien Willens nicht im Einklang mit
dem Universalgesetz stehen, wird eben durch das Wissen allein nicht
wesentlich einfacher. Wir bleiben, was wir sind. Erst durch die Änderung
unserer Zielvorstellung können wir den Weg, auf dem wir uns entwickeln, neu
gestalten. Es geht also letztlich um die Normen, um die Werte, um die Ethik.
Erst aus einer Ethik, die in Übereinstimmung mit dem Universalgesetz ist,
können unsere Leitlinien für unser tägliches Bemühen resultieren.”[2]
Genau diese Ethik steht zur Debatte. Das kürzlich erschienene
Buch „Global Humanism – Möglichkeiten und Risiken eines neuen
Humanismusmodells“ versucht dem Rezipienten die Möglichkeiten und Risiken eines
neuen, ethischen Modells, des Global Humanism, das den Menschen als globales
Wesen in den Mittelpunkt stellt, aufzuzeigen. Wie Kant können wir heute noch
fragen: Was kann der Mensch erkennen? Was soll der Mensch tun? Was darf er
hoffen? Und vor allem: Was ist der Mensch? Was sind seine Aussichten im
ausgehenden 21. Jahrhundert? Auf diese philosophisch-anthropologischen Fragen
werden mögliche Antworten - mit dem Schwerpunkt Ethik - untersucht und der
Reihe nach der Kritik unterzogen.
Der „Global
Humanism“ zielt auf folgende Punkte ab:
+die
Korrekturvon Vorurteilen und Klischees
im Bereich des Zwischenmenschlichen
+ das
allgemeine Handeln soll das Wohlergehen des einzelnen Menschen als auch der
menschlichen Gemeinschaft fördern
+die
Entwicklung philosophischer Universalien und/oder der Begründung von
zwischenmenschlicher Toleranz (insbesondere aufgrund der jeweils festgestellten
und erklärten Gemeinsamkeiten und Unterschiede)
+die
Vermittelung von Respekt der Würde und der Persönlichkeit jedes Menschen
+ein
humanes Miteinander in einer globalen menschlichen Kultur, in der Frieden und
Menschlichkeit verpflichten undkulturelle Besonderheiten weiter bestehen und Geltung besitzen
+die
Weiterentwicklung der menschlichen Gesellschaft, so dass diese wiederum die
Höherentwicklung bzw. Entfaltung des einzelnen Menschen gewährleisten kann
+eine
anwendbare ethische Orientierung anzubieten, die nicht nur in einem nationalen
bzw. kulturellen, sondern in einem globalen Gefüge funktioniert
Das
Buch setzt sich mit einem redundanten geisteswissenschaftlichen Gebiet der
Philosophie auseinander, sodass es an Megalomanie heranreichen würde, dieses
für vollständig abschließbar zu halten. Im Gegenteil ist diese Arbeit als ein
offenes System, wenn nicht sogar als gedanklicher Entwurf anzusehen, der seine
Qualität durch theoretische Weiterentwicklung und Adaption sowie durch die
Anwendung in der Praxis beweisen muss:
“Philosophie und Philosophieren unterscheiden sich also von
anderen Disziplinen und Praktiken, indem sie sich in ihren Mitteln der
Meinungs- und Verhaltensbildung auf Argumente beschränken und auf jede
Gewalt(androhung) verzichten. Sie setzen ausschließlich auf friedliche
Problemlösungen. Dies ist letztlich vor allem Ausdruck ihres stets
selbstkritischen Vorgehens.”[3]
Worauf zielen das Buch und seine Autorin ab? Möglichkeiten
und Risiken eines neuen Humanismusmodells gilt es zu zeigen und in
wissenschaftlich und philosophisch adäquater Weise zu erörtern. Weiter gilt es
dem Anspruch gerecht zu werden, sowohl für den philosophischen Laien als auch
für den professionellen Philosophen verständlich zu sein und den thematischen
Diskurs anzuregen. Dabei geht es darum, in Kürze in die Thematik einzuführen,
ohne ausufernd zu werden. Lapidar ausgedrückt: Es soll ein Rahmen zur
Diskussion geschaffen werden.
“Ein menschliches Wesen ist ein Teil des Ganzen, das wir
>Universum< nennen, ein in Raum und Zeit begrenzter Teil. Es erfährt sich
selbst, seine Gedanken und Gefühle als etwas von allem anderen Getrenntes -
eine Art optischer Täuschung seines Bewußtseins. Diese Täuschung ist für uns
eine Art Gefängnis, das uns auf unser persönliches Verlangen und unsere
Zuneigung für einige wenige und nahestehende Personen beschränkt. Unsere
Aufgabe muß es sein, uns aus diesem Gefängnis zu befreien.”[4]
Das Buch versucht sich als Generalschlüssel.
[1] ARENDT,
Hannah: ³2005. Vita activa oder vom tätigen Leben. München/Zürich:
Piper, S. 18ff.
[2]MOSER, Franz: 1989. Bewusstsein in Raum und Zeit. Die
Grundlagen einer holistischen Weltauffassung auf wissenschaftlicher Basis.
Graz: Leykam, S. 265.
[3] PAUL,
Gregor: 2008. Einführung in die Interkulturelle Philosophie. Darmstadt:
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 16.
[4] Albert
Einstein zitiert in: WILBER, Ken: 1984. Halbzeit der Evolution. Bern/München/Wien:
Scherz, S. 20.
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