Erschienen in Ausgabe: No 62 (4/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Stephanie Schmidt
1.Einleitung
Der Begriff der Postmoderne
verdeutlicht einen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sichtbar
gewordenen kulturellen Wandel. „Schon die Konstruktion des Terminus gibt aber
zu erkennen, dass sich >Postmoderne< in ein Verhältnis zur
>Moderne< begibt.“ (Barck 2003:1) Dabei kommen diesem Begriff höchst
unterschiedliche Bedeutungenzu. So „verweist er zunächst auf die Entwicklungen
in den Künsten, die sich von der klassischen Moderne und den historischen
Avantgarden fortbewegen.“ (ebd.) Diese Entfernung von den Idealen der
klassischen Kunst wird vor allem im Bereich der Architektur und Literatur, als
auch in Film, Theaterkunst und Musik deutlich. (Vgl. Uerscheln/ Kalusok 2009:
35) „In enger Kooperation mit massenkulturellen und sonstigen populären
Kunstformen oder Verfahren wurde Postmoderne ein lebensweltliches Phänomen, das
täglich unmittelbarer Anschauung zugänglich geworden ist, insbesondere in
urbanen Kontexten“. (ebd.) Dennoch operiert die „Unterscheidung zwischen
moderner und postmoderner Gesellschaft auf der semantischen Ebene, nicht jedoch
in Hinsicht auf Realitäten“. (Barck 2003:2) Demnach handelt es sich nicht
konkret um einen inhaltlichen Unterschied, sondern eher um eine Differenz in
den Begrifflichkeiten.
„Die Philosophie ist im Vergleich
mit anderen Diskursarten erst spät auf die Postmoderne aufmerksam geworden. […]
So erkennt sie den Ausdruck erst mit Lyotards Veröffentlichung „la condition
postmoderne“ (1979) an.“ (Friesen 1995:7) In dieser proklamiert er das Ende der
großen Erzählungen, „welche den Fortschritt der Geschichte oder die universale
Geltung von Werten fundieren.“ (ebd.) Diese als autoritär verstandenen
Letztbegründungen werden überflüssig, stattdessen wird die Pluralität von
Deutungs- und Erklärungsansätzen anerkannt, wodurch die Diskurse nun als
Sprachspiele (à la Wittgenstein) fortgeführt werden. Die Ästhetik, als
Teildisziplin der Philosophie, erhält im Zuge postmoderner Entwicklungen eine
besondere Rolle. „Die kulturelle Sphäre durchdringt in der Postmoderne die
anderen, im Besonderen tut dies die Massenkultur.“ (Barck 2003:16) „Im Bereich
des Ästhetischen führt das zu dessen Enthierarchisierung – also zu einer
Entdifferenzierung von […] sogenannter ‘high‘ und ‚popular culture‘ “. (ebd. 2)
Damit wird die Ästhetik nicht mehr in ihrer klassischen Lehre vom Schönen
angewendet, sondern öffnet sich für den gesamten kulturellen Bereich – das
Ergebnis ist die „Ästhetisierung der gesamten Lebenswelt.“ Dass damit jedoch
gewisse Probleme verbunden sind, beschreibt beispielsweise Wolfgang Welsch. Da
die Postmoderne praktisch als „ein Umbruch der Verhaltensweisen, der Stile, der
lebensweltlichen Bedeutungssetzungen – auch der lebensweltlich dominanten
Technologien und ihrer Signifikationsweisen [zu verstehen ist], zumal als ein
Eindringen von Virtualität in den Alltag“ (ebd.) und sie sich „ganz entschieden
über die digitalisierten Kommunikationssysteme der näheren Gegenwart entfaltet“
(Barck 2003: 2), sieht Welsch Probleme darin, wie die nun zunehmend
verschwimmenden Grenzen zwischen Virtualität und Wahrheit dennoch deutlich
wahrgenommen werden können. Um den fiktionalen Charakter der Wirklichkeit zu
durchdringen, bedarf es einer neuen Betrachtungs- und Denkweise. Dazu
entwickelt er sein Modell des ästhetischen Denkens, dass eine
wahrnehmungsorientierte Betrachtungsweise beschreibt. (Vgl. Kaesbohrer 2009:44)
Die bereits angesprochene
Digitalisierung der Wirklichkeit, welche sich hauptsächlich aus den
wissenschaftlichen und technischen Fortschritten ergibt, bedeutet aber auch ein
Problem für das menschliche Verhältnis zur Natur. Nicht zuletzt mit der
Industrialisierung begann sich der Mensch zusehends von ihr zu entfernen. Die
Postmoderne, in ihrer Sensibilität und Fokussierung auf die Wahrnehmung,
empfindet nun eine tiefe Entfremdung zur eigenen Natur. Ein möglicher Ausdruck
dieses Empfindens ist, neben philosophischen Konzepten, auch die Kunst, hier im
Besonderen die Gartenkunst. Ganz allgemein beschreibt diese die Gestaltung der
Natur mit künstlerischen als auch landschaftsgestalterischen Mitteln, wodurch
ein Werk entsteht, dessen „Wirklichkeit sich naturnah auf die Wirklichkeit
seiner Kultur bezieht.“ (Beitmann 2009b:1) „Der Garten als Ort der
Geborgenheit, der Arbeit, der Schönheit, des Glücks, der Sinnlichkeit ist
gleichzeitig verbunden mit der Utopie der Versöhnung mit der Natur“. (Beitmann
2009b:39) Der Garten ist also nicht nur der Ausdruck einer Gestaltung derNatur
mit künstlerischen Mitteln, sondern auch immer die Vermittlung eines bestimmten
Blicks auf die Welt und einem bestimmten Verhältnis zur Natur. Welche Bedeutung
das in der Postmoderne hat, soll hier aufgezeigt werden. Anhand der These, dass
die Ästhetisierung der Lebenswelt in der Postmoderne das Ergebnis einer Krise
der modernen postindustriellen Gesellschaft sei und damit des Verhältnisses
zwischen Mensch und Natur, soll im Rahmen dieser Arbeit auf den Ebenen der
philosophischen Ästhetik, der Kunst und der Gartenkunst untersucht werden,
inwieweit die postmoderne Vieldeutigkeit des Ästhetikbegriffs tatsächlich auf
ein krisenhaft gewordenes Verhältnis des Menschen zu seinem Ursprung verweist.
Dazu wird in einem ersten Schritt die Ebene der Philosophie besprochen, an den
Beispielen Lyotards und Welschs, und in Verbindung damit das Verhältnis von
Ästhetik und Natur, als auch Kunst und Ästhetik. In einem zweiten Schritt wird
auf der Ebene der Gartenkunst die Verbindung von Kunst und Natur besprochen und
diese anhand dreier Beispiele näher erläutert. Den Abschluss bildet eine
kritische Auseinandersetzung mit der eingangs gestellten These und der Frage,
ob die ästhetisierte Lebenswelt als ein gelungener Versuch verstanden werden
kann, um in dem gestörten Verhältnis von Mensch und Natur zu vermitteln.
2. Ästhetik und Natur in der
Postmoderne
Schon immer nimmt der Mensch die
Natur sinnlich war, seine Empfindungen ihr gegenüber sind jedoch abhängig vom
Entwicklungsstand der Gesellschaft, in der er lebt. Anfangs war es das Ziel,
die als brutal empfundene Natur durch ihre Zivilisierung beherrschbar zu
machen. Dieses Vorhaben wurde in ganz unterschiedlichen Ausprägungen vollzogen,
dabei können Prozesse, die im Zusammenhang mit einer hohen technischen und
wissenschaftlichen Entwicklung stehen, als eine starke Domestizierung
verstanden werden. Das Problematische daran war jedoch die gleichzeitige
Entziehung der eigenen Existenzgrundlage, die sich aus dem maßlosen
Unterdrücken der Natur ergab. (Vgl. Dreyer 2006) „Der
Mensch konnte sich zwar im urbanen Bereich von den Naturzwängen befreien,
verkrüppelte dabei aber zugleich seelisch. […] In dieser Situation vermag der
Garten in einem begrenzten Umfang in dieses Vakuum zu treten.“ (Beitmann
2009b:51) Daraus ergibt sich für den Garten die Möglichkeit, dem Widerspruch
zwischen Natur und Kultur, dem sich die menschliche Existenz stets ausgesetzt
sieht, entgegenzutreten.
„Ein
Garten ist zugleich ein naturnahes und eine ästhetisches Objekt. Er bietet für
unsere Wahrnehmung die für unsere innere Gesundheit nötigen Naturreize, und er
erlaubt gleichzeitig der Natur gegenüber eine kreative Haltung. Er stellt immer
ein Gegenüber dar mit einer Vielzahl von Bezugsebenen, intuitive und rationale.
Über die Reibungen mit ihm reift das Ich zu dem was es ist.“ (ebd.)
Der Garten bildet so gesehen eine
Nahtstelle zwischen diesen beiden Welten. „Wenn [der Mensch] darin gestaltend
eingreift, [die Natur] nach seiner persönlichen Bedürfnislage gestaltet, wird
er sich mehr zu der einen oder der anderen Seite schlagen, zu mehr Wildheit
oder mehr Domestikation, zu mehr Bizarrem oder mehr Formalem.“ (ebd. 30) Dabei
lässt sich vermuten, dass auch die verschiedenen Epochen der Gartenkunst eine
jeweils unterschiedliche Zuordnung des Menschen zur Natur ausdrücken. Demnach
könnte man das starke Eingreifen in den natürlichen Raum zu Zeiten der
Renaissance oder des Barock als Ausdruck eines Gefühls der Macht gegenüber der
Natur verstehen. Entwicklungen des 21. Jahrhunderts, wie der Naturgarten oder
auch einige postmoderne Bestrebungen, versuchen jedoch, der Natur wieder freie
Hand zu lassen. Im Zusammenhang damit steht sicherlich das bereits von
Entfremdung bestimmte Gefühl zur Natur. Denn der Garten bleibt stets „eine genutzte
Natur und ist immer Ausdruck einer bestimmten Kultur. In ihm gibt es keine
Natürlichkeit ohne eine gleichzeitige Künstlichkeit.“ (ebd. 50) Doch trotz
dieses stetig mitschwingenden Nutzencharakters des Gartens, ist er seit jeher„in erster Linie ein Zeichen von
Überfluss, von Sinnlichkeit, Schönheit und Lust.“ (ebd. 39) Diese Attribute
verweisen dabei auf verschiedene Kategorien, die mit dem Begriff der Ästhetik
verbunden sind.
Das klassische ästhetische
Empfinden der Natur beruhte auf der Gleichsetzung mit Schönheit und Harmonie.
In ihr vermutete Homer „das Vollendete und Göttliche“, die Pythagoreer
verstanden sie als „das Gesetz, das alles Geschaffene durchdringt“, welches
durch die Proportionen erfahrbar wurde. (Vgl. Beitmann 2009a: 61) Doch mit den
bereits beschriebenen Prozessen der Zivilisierung und Domestizierung veränderte
sich das Verhältnis zur Natur und damit auch die Möglichkeit sie sinnlich zu
erfahren bzw. ästhetisch wahrzunehmen. Ein weiteres Problem hierbei ist
sicherlich die moderne Digitalisierung der Welt, wodurch es immer schwieriger
wird, zwischen real und virtuell zu unterscheiden. Damit muss die Ästhetik,
wenn man sie als die sinnliche Aneignung der Wirklichkeit verstehen will,
aufgrund der modernen Entwicklungen hinsichtlich Technisierung und
Verwissenschaftlichung im Bezug auf die Natur ein neues Konzept zur Bewertung
dieser entwerfen. Die einstige Vorstellung von Harmonie und Vollendung lässt
sich in einem Zeitalter der Umweltzerstörung und hoch entwickelten
Industrialisierung nur schwer aufrecht erhalten. Hinzu kommt die sich in der
Postmoderne entwickelnde Ästhetisierung der Lebenswelt, mittels welcher die
Ästhetik aus dem Bereich der Philosophie und Kunst heraus tritt und nun in die
Alltagswelt Einzug hält. Daraus ergibt sich eine Bedeutungserweiterung des
Ästhetikbegriffs, welche im nächsten Kapitel beschrieben werden soll. Bezogen
auf das Verhältnis zwischen Natur und Ästhetik ist jedoch anzunehmen, dass die
Ästhetisierung der gesamten Umwelt einerseits das Ergebnis eines verlorenen
Zugangs zur Natur ist, anderseits ist anzunehmen, dass dies gleichzeitig den
Versuch darstellt, diesen Mangel zu beheben. Sicherlich bedarf es im 21.
Jahrhundert mit all seinen Errungenschaften und Erkenntnissen einer neuen
Definition davon, was als ästhetisch gilt, wenn man diese Werte nicht mehr
unvermittelt aus der Natur ableiten kann. Jedoch ist kritisch zu hinterfragen,
inwieweit es tatsächlich hilfreich ist, infolge seiner Ästhetisierung das ganz
Alltägliche zum Besonderen zu machen in einer Zeit der schnellen Bilder und
kurzen Halbwertszeiten von Mode und kulturellen Strömungen.
Im nächsten Kapitel sollen zwei
Ansätze zum Umgang der Ästhetik mit ihren neuen Voraussetzungen dargestellt
werden. Dabei soll untersucht werden, wie das Phänomen der ästhetisierten
Lebenswelt in der postmodernen Philosophie wahrgenommen wird, und welche Folgen
daraus für das menschliche Empfinden des Selbst und der Natur abgeleitet
werden.
3. Ästhetik und Kunst in der
Postmoderne
„Kunst
und Ästhetik befinden sich seit dem 19. Jahrhundert in einer engen
Wechselbeziehung. Nicht nur modifizierte die Ästhetik permanent ihr
Kategoriensystem aufgrund der sich unentwegt verändernden künstlerischen
Praxis; diese rekurriert auch ihrerseits auf die theoretischen Programme, die
in Ästhetiken […] entwickelt wurden.“ (Schneider 2002:17)
Dabei seien sich alle Ästhetiken
der „Historizität der Kunst bewusst; sie reagieren oft seismographisch auf
neuere und neueste Entwicklungen in der Kunst.“ (Schneider 2002:16) Die
Verbindung zwischen einer künstlerischen Ästhetik und der Ästhetik, welche den
philosophischen Gegenstandsbereich bezeichnet, ergibt sich aus dem Rückgang des
ästhetischen Konzeptes auf seinen Ursprung zur „aisthesis“. Nach dieser geht es
um Prozesse der „Empfindung“ und „Wahrnehmung“.Dabei findet eine Umlagerung der
Ästhetik auf eine Lehre der „sinnlichen Aneignung der Wirklichkeit“ statt,
wobei die Kunst einen Teil dieser Wirklichkeit darstellt. (Vgl. Waibl 2009:14)
Im Zusammenhang mit dem Anspruch der Ästhetik, sich mit der ganzen Palette
sinnlicher Qualitäten zu auseinanderzusetzen, entwickelt sich eine ästhetische
Einstellung. (Vgl. ebd. 15) Mittels dieser setzt man sich zur Wirklichkeit in
ein Verhältnis, wobei die Verfeinerung und Erweiterung des sinnlichen Lebens
erzielt werden soll. Das Ergebnis dieser Vertiefung der sinnlichen Erfahrung
eines Objektes ist dann die intensivierte Wahrnehmung. (Vgl. ebd. 16) Dieser
Prozess kann als charakteristisch für die Postmoderne verstanden werden. Dabei
wird infolge der intensivierten Wahrnehmung und der ästhetischen Einstellung
immer häufiger Triviales bzw. Alltägliches in besonderer Weise sinnlichen
wahrgenommen. Diese Tendenz lässt sich in der Geschichte der Kunst bereits in
den 60er Jahren an der „Expansion der Kunst“ erkennen. (Schneider 2002:18)
Durch die Reflexion des ästhetisierten Alltäglichen werden traditionelle Werte
und Normen in Frage gestellt, was letztendlich zu einer Transformation des
Ästhetikbegriffs führte. (Vgl. Schneider ebd.) Es wird davon ausgegangen, dass
es Schönheit an sich als objektive materielle Qualität nicht gibt. Stattdessen
seien die Vorstellungen über sie das „Ergebnis einer sinnerfüllenden
Projektion, […] der sich aus Präferenzen herleitet, welche mit der konkreten
Lebenswelt der Rezipienten, der historischen Ansammlung von Erfahrungen, aber
auch den Wunschvorstellungen und Utopien zu tun haben, die diesen entspringen.“
(Schneider 2002:19) Ausgangspunkt der postmodernen philosophischen Bestrebungen
ist das Frankreich der 1970er Jahre. Vor allem Jean-Francois Lyotard prägte mit
seinem Auftragswerk „Das postmoderne Wissen“ den Begriff der Postmoderne. Aus
seinen Untersuchungen über das Wissen in der Zeit moderner Medien und des
Massenkonsums entwickelt er eine affirmative Ästhetik, die insbesondere die
Ästhetik des Erhabenen in den Vordergrund stellt, um zwischen all dem schnell
Vergänglichen etwas zu bewahren.
In den folgenden Abschnitten
sollen die Konzepte von Lyotard und Welsch erläutert werden. Hervorgehoben
werden soll der Zusammenhang zwischen Kunst und Ästhetik, d.h. seine Erklärung
und Umsetzung, um diesen auf die Gartenkunst in der Zeit der Postmoderne
anwenden zu können.
3.1 Jean- Francois Lyotard -
Ästhetik des Erhabenen
Ausgangspunkt für den
ästhetischen Ansatz Lyotards ist seine Absage an die großen „Meta-Erzählungen“.
Im Zusammenhang mit dem „postmodernen Wissen“ diagnostiziert er eine
konflikthafte Situation dahingehend, dass der wissenschaftliche und
technologische Fortschritt die Realität beeinflusst, was im Individuum
zunehmend ein Gefühl der Überforderung und Ohnmacht entstehen lässt. (Vgl.
Aguado 1994:111) Dabei führte die Heterogenität des Wissens zu einer
zunehmenden Trennung zwischen wissenschaftlichem und erzählendem Diskurs, was
letztendlich eine Dimension erreicht, in welcher die Ordnung der verschiedenen
Metadiskurse illusorisch geworden ist. (Vgl. ebd. 92) Damit wird es nach
Lyotard Zeit, eine De-Legitimation der Meta-Erzählungen anzustreben, zugunsten
einer neuen Art der Legitimierung der verschiedenen Diskursarten. Dabei soll
eine Gerechtigkeit des Widerspruchs zur Regulation der Vielfalt der Diskurse
dienen, welche jedoch durch die Unübersetzbarkeit der verschiedenen
Regelsysteme nicht in ihrem vollen Ausmaß realisierbar ist. (Vgl. ebd. 104) Um
nun die Pluralität der Diskursarten akzeptieren zu können, werden diese zu
Sprachspielen, die in der Lage sind, ihre Regeln und Normen aus den Spielen
selbst abzuleiten. (Vgl. ebd. 92) Weiterhin besteht die Vermutung, dass einige
Diskurse in der ästhetisierten Lebenswelt allein als ein Gefühl wahrgenommen
werden können, sodass sich aus der Diagnose des Widerstreits die Problematik
des Undarstellbaren ergibt, was gleichzeitig die Frage nach der Präsenz
hervorbringt. (Vgl. ebd. 112) Diese Feststellung verlangt nach einer Umstellung
und Anpassung des Menschseins und des Erkenntnisvermögens im Sinne eines
Modells der anaisthesis, wie es Lyotard schon bei Kant und Adorno in der Suche
nach dem Bindeglied zwischen Subjekt und dem Undarstellbaren mittels
ästhetischen Modellen repräsentiert sieht. (ebd.) Bei der Frage nach der
Rezeptivität muss das Erhabene, was stellvertretend für das Undarstellbare,
Unbestimmten, Unbekannte gesetzt wird, aufgegriffen werden, um neue
Empfindungen zu ermöglichen, was einer Erweiterung des Sinnesvermögens und eine
Änderung des Bewusstseins bedarf. Im Zuge dessen eröffnet sich eine neue
Denkweise, welche auch die Tatsachen eines Geschehens akzeptieren kann, die
sich der räumlichen und zeitlichen Darstellung entziehen. Das Erhabene wird zum
neuen Denkmodell. (Vgl. ebd. 94) Im Zusammenhang damit erachtet Lyotard eine
Verbindung zwischen Ästhetik und Kunst als notwendig, da letztere einen Bereich
darstellt, in dem eben diese Bedingungen der Rezeptivität, also Raum und Zeit,
von Bedeutung sind. (ebd. 108)
Allerdings ist das Konzept des
Erhabenen nicht neu. Schon Baumgarten wusste um die Problematik der
Beschreibung des Erhabenen, die sich aus dessen Undarstellbarkeit ergibt. Es
ist und bleibt eine Erfahrung, die nicht durch ein Wort oder Begriff
ausgedrückt, sondern ein Zustand, der allein als Gefühl erfahren werden kann.
Das Erlebnis dieser Art der Erfahrung beschreibt die Unmöglichkeit, darüber
erhaben zu sein. (Vgl. Aguado 1994:13) Damit wird bereits auf das schwierige
Verhältnis zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem verwiesen. (Vgl. ebd. 14) Bei
der kantischen Analytik des Erhabenen in seiner Unmöglichkeit der Darstellung
meint Lyotard eine Parallele zum Widerstreit zu erkennen. (Vgl. ebd. 105) Im
Geschmacksurteil der Kritik der Urteilskraft beschreibt Kant, wie sich die
Notwendigkeit eines neuen Denkvermögens aus dem brüchig werden des einstigen
Naturverhältnisses ergibt. So verliere sich das ehemals Schöne in der
Übereinstimmung mit der Natur in dem Gefühl, dass diese mit zunehmender Größe
und Macht die bisherigen Maßstäbe übersteige. Kant geht davon aus, dass das
Subjekt jedoch über die Natur erhaben sei (Vgl. ebd. 95) und nach dieser
Erhabenheit stets verlange, was sich in einem Begehren äußert. Erkennt das
Subjekt nun, dass dieses Begehren sich auf etwas bezieht, was sich einer
Darstellung verweigert, entsteht ihm ein Mangel, der zu einer Lähmung der
Erkenntniskraft führt. (Vgl. ebd. 96) In Anlehnung an die kantische
Sprachphilosophie und die transzendentale Ästhetik ergibt sich für Lyotard der
Widerstreit aus einer Empfindung, welche auf das begriffliche Greifbarwerden
der sinnlich wahrgenommenen Ereignisses wartet, und dabei feststellen muss,
dass dieses nicht eintreten wird, aufgrund der Nicht-Übersetzbarkeit des reinen
Gefühls in eine Sprache. (Vgl. ebd. 106) Die Analytik des Erhabenen beschreibt
dabei nun ein Gefühl, das auf die ursprüngliche Empfindung verweist, die über
das bisherige Raum-Zeit-Schema hinausgeht. (ebd.) So besteht auch in den
Sprachspielen, in die Lyotard die Diskurse umgedeutet hat, stets etwas, das
darauf wartet, zum Ausdruck gebracht zu werden. Dabei konfigurieren nun aber
die enthaltenen Sprachcodes die Wirklichkeit, und entscheiden damit was Subjekt
und Objekt ist, alles andere bleibt unübertragen. (Vgl. ebd. 106) Für Adorno
wird das Erhabene zum Sinnbild einer Sehnsucht nach dem Verlorenen (Vgl. ebd.
14), wobei hier auf das Ende der großen Erzählungen, das zerstörte Naturgefühl
im postindustriellen Zeitalter und die verschwimmenden Grenzen zwischen
Realität und Virtualität hingewiesen werden kann. Weiterhin steht die Sehnsucht
auch im Zusammenhang mit dem pluralen Denken und dem bereichsübergreifenden
Konzept der gesellschaftlichen Ästhetisierung. (Vgl. ebd.) Dabei versucht die
Ästhetik Adornos die Möglichkeiten der Darstellung offen zu halten, um das
Subjekt aus seiner „Notlage“ zu befreien. (Vgl. ebd. 99) Zu diesem Zweck
überträgt er das Erhabene auf den Bereich der Kunst, damit sie als Vermittler
für das entfremdete Verhältnis zwischen Mensch und Natur, infolge der
Beherrschung und Manipulation, fungieren kann, indem sie an die einst
mimetische Beziehung der beiden erinnert. (Vgl. ebd. 100) Dabei vermag die
Erfahrung des Erhabenen eine Befreiung im doppelten Sinne: einerseits erfolge
aus dieser eine engerer Kontakt zwischen Subjekt und Natur, wobei ersterem
seine Naturhaftigkeit wieder bewusst wird; und anderseits würde damit die Natur
von der Macht des Subjekts befreit, was sich jedoch nachteilig für das Erhabene
auswirkt. (Vgl. Aguado 1994:101) Damit sieht Adorno im Erhabenen die letzte
Möglichkeit für ein anderes Verhältnis von Mensch und Natur, und damit auch für
Individuum und Gesellschaft, sowie für Materie und Form des Denkens im
dialektischen Gegensatz von Subjektivität und Objektivität. (Vgl. ebd. 99ff.)
Lyotard greift dieses Verständnis für die Rolle der Kunst auf. So sieht er
zwischen der ethischen Problematik der Gerechtigkeit und der Fragestellung der
Avantgarde bestimmte Zusammenhänge. Insbesondere die minimalistischen
Darstellungsmöglichkeiten und die damit einhergehende Veränderung der
ästhetischen Rezeptivität erscheinen ihm bedeutsam für die Frage nach der
Darstellung und der Möglichkeit der Repräsentation. (Vgl. ebd. 107)Da er die
Kunst als den Bereich erkennt, in dem der Raum einen besonderen Stellenwert
besitzt, verbindet er diesen mit dem Problem der Undarstellbarkeit. Dabei
dränge sich die Frage nach dem „Jetzt“ auf, da sie das Wissen von etwas
Gegebenem, dass eigentlich nur gefühlt werden kann, in seiner
Nicht-Darstellbarkeit und damit seinem Nicht-Sein stellt. (Vgl. ebd. 109) Hier
offenbart sich allerdings die Unfähigkeit der Kunst, die Präsenz des Erhabenen
anders als in seiner Abwesenheit darzustellen, wodurch sie jedoch in die
Ästhetik mit eingeschlossen wird. Infolge der Unabhängigkeit von Raum und Zeit
ist das Unbestimmte zu einer formlosen Materie geworden, die nur als Ereignis
begegnen kann. (Vgl. ebd. 114) Dabei wird die Stimme der Präsenz zu einer
Erinnerung an all das, was die Gesellschaft und Kulturschaffende durch
Beschleunigung und Technologisierung verdrängt haben. (Vgl. ebd. 115) Aber
durch die Kraft der kapitalistischen Gesellschaft, überzeugend ihren
unaufhaltbaren technischen Fortschritt zu versichern, können auch Wissenschaft
und Technologie immer abstraktere Wirklichkeiten konstruieren, somit wird die
Ästhetik des Erhabenen zu seiner Verbindung von kapitalistischer Gesellschaft
und Kunst. (Vgl. ebd. 109)
Zusammenfassend lässt sich sagen,
dass die Ästhetik Lyotards als philosophisches Erklärungsmodell auf die
Problematik des Undarstellbaren hinweist. Die Kunst wird vor die
Herausforderung gestellt, die Unmöglichkeit darzustellen. Im Bezug auf den
ursprünglichen aisthesis-Begriff erkennt Lyotard für die Postmoderne eine
anaisthestische Verschiebung, die sich in der Zerstörung der
Wahrnehmungsfähigkeit und damit einer Unempfindsamkeit äußert, welcher er mit
seiner Ästhetik des Erhabenen entgegenwirken will. (Vgl. ebd. 105) Dabei wird
das Erhabene in verschiedenen Varianten aus der Problematik des Undarstellbaren
entwickelt. Zunächst beschreibt es den Kampf um das Unbestimmte, welches nach
Bestimmung sucht, daraus wird eine formlose Materie, die nach einem neuen
Zustand sucht und daran schließt sich die Präsenz an, die sich nur noch fühlen
lässt, was nach einer Empfindung ohne etwas Gegebenes verlangt. (Vgl. ebd.
115/116) Damit versteht sich die Ästhetik des Erhabenen als eine Erinnerung an
das Unsagbare, als ein Gefühl, dass auf einen Mangel hinweist. Mit einer
erhöhten Sensibilität in der Wahrnehmung sei es jedoch möglich, das Unbestimmte
zumindest zu erahnen. (Vgl. Aguado 1994:106) Das Problem hierbei ist jedoch die
alltägliche Selbstverständlichkeit, dass stets etwas auf ein anderes folgt,
welche auch gesellschaftlich bedingt ist. Damit erhält die Kunst die Aufgabe,
gegen das Vergessen des Gefühls zu kämpfen, indem sie zur Präsenz verpflichtet
ist. Da sich diese aber nicht darstellen lässt, wird die Präsenz zu einem Sein,
das nicht ist und damit neue Möglichkeiten der Darstellung und Formen sucht.
(Vgl. ebd. 109) Lyotard empfiehlt ein kontemplatives Denken, welches die
Anästhetik vor die Ästhetik stellt und die Ethik zum Absoluten macht. (Vgl.
ebd. 116)
3.2 Wolfgang Welsch -
Ästhetisches Denken
Welsch sieht in der zunehmenden
Ästhetisierung der Lebenswelt Anlass zu einer Erweiterung des Ästhetikbegriffs.
So könne nicht mehr nur das Schöne und die Kunst Gegenstand der Bewertung sein,
sondern es bedarf einer Zurückführung auf die Tradition Baumgartens, d.h. auf
die Aisthesis als Begriff für Wahrnehmung, Empfindung, Gefühl und Erkenntnis.
Damit wird das Spektrum aller sinnlich erfahrbaren Phänomene mit
eingeschlossen, sowie die sich daraus ergebenden Gedanken. Anders als
Baumgarten bezieht Welsch jedoch auch das Profane, das Hässliche und insgesamt
das Alltägliche als wahrnehmbare Phänomene mit ein. Er versteht die Ästhetik
als eine kritische Theorie und Praxis, die um Spezifizitätsbewusstsein,
Partialbewusstsein, Wachsamkeit, Aufmerksamkeit und Anerkennungstendenzen des
Übersehenen, Überhörten und Unerhörten kämpft, d.h. um die latenten
ästhetischen Strukturen. (Vgl. Kaesbohrer 2009: 42f.) Aufgrund der Selektivität
der Wahrnehmung und ihrer Neigung zum schematischen Denken müsse der
ästhetische Diskurs als Theorie der sinnlichen Wahrnehmung auch das
dialektische Verhältnis zwischen Ästhetik und Anästhetik darstellen. (Vgl.
Diaconu 2005: 43) Anästhetik darf nicht verstanden werden als etwas Un-Schönes,
sondern als das Gegenteil des Ästhetischen im Sinne der Empfindungslosigkeit
oder auch als Unmöglichkeit der Sensibilität. (Vgl. Dianocu 2005:44) Diese
Kategorie ist bedeutsam im Zuge der Beherrschung und Manipulation der Natur im
Zeitalter moderner Technologien, welche den Menschen immer weiter von der Natur
entfremden. Dem entgegenzuwirken versucht das ästhetische Denken durch eine
Sensibilisierung der Wahrnehmung. (Vgl. Kaesbohrer 2009:43)
Das Modell des ästhetischen
Denkens stellt dabei den Versuch dar, die Wahrnehmung komplexer Phänomene zu
erfassen. Dies wird notwendig aufgrund der Beobachtung Welschs, dass einerseits
schon längst eine semantisch Verschiebung des Ästhetikbegriffs stattgefunden
hat, was er nachweist an der ästhetisierten Lebenswelt, in welcher anlässlich
der Verbreitung von Simulationsprozessen durch die (neuen) Massenmedien die
Wirklichkeit nicht mehr als einheitlich und fest, sondern als virtuell und
formbar erscheint – das ästhetische Denken sei dabei das Instrument einer
postmodernen Philosophie mit ästhetischer Prägung, mittels welchem der
fiktionale Charakter der Wirklichkeit erfasst werden kann. Andererseits sieht
er auch die Aktualität ästhetischen Denkens als Hinweis für die zum allgemeinen
Prinzip gewordene Ästhetik. Dabei nimmt Welsch auch Bezug auf Lyotard und
dessen Konzept, welches die Vieldeutigkeit des Ästhetikbegriffs durch
Verbindung kunsttheoretischer und philosophischer Ansätze aufzeigt. (Vgl.
Kaesbohrer 2009: 43)
Doch wie konstruiert Welsch nun
sein Modell einer erweiterten und sensibilisierten Wahrnehmung? Im Mittelpunkt
des Denkens stehen das Wahrnehmen und die Imagination, mittels welcher die
komplexen Phänomene erfasst werden können. Die Fähigkeit zur Wahrnehmung und
Empfindung bildet den Ausgangspunkt jeden Erkenntnisgewinns. So existiere kein
Sinn ohne Wahrnehmung. Nimmt ein Beobachter nun einen subjektiven
Sinneseindruck wahr, entwickelt sich daraus eine imaginativ erdachte Sinnvermutung.
Diese ist zuerst nur eine Behauptung ohne Wahrheitsanspruch und kann frei
interpretiert werden. Dabei entsteht eine bildhafte Vorstellung der
Wirklichkeit, die auf der eigenen Phantasie beruht. Durch weitere
Detailbeobachtungen kann diese zu einer generalisierenden Interpretation
ausgeweitet werden, was als imaginative Expansion beschrieben wird. Daraus
ergibt sich infolge der gedanklichen Zuspitzung des Wahrgenommenen die
Möglichkeit, Aussagen über Gesellschaftzustände zu treffen. Im weiteren Verlauf
dieses intuitiven Denkprozesses werden die erworbenen Gedankenbilder anhand von
weiteren Beobachtungen der Umgebung überprüft. Dabei wird der „Bildausschnitt“
vergrößert und eine Vernetzungsstruktur der vielzähligen Einzelbeobachtungen
entsteht. Es ergibt sich die Möglichkeit, die beobachteten Einzelphänomene zu
verallgemeinern, wenn diese die Sinnvermutung bestätigen können und der
Interpretation entsprechen. Das Ergebnis ist eine Gesamtsicht des betreffenden
Phänomenbereichs, der durch eine ästhetische Grundierung und Reflexion
gekennzeichnet ist. Die Wahrnehmung hat dabei zu imaginativen Gedanken geführt,
die in ihrer Zusammenführung ein Gesamtbild ergeben, was gleichzeitig das
Grundbild für neue Erkenntnisse liefert. Diese müssen jedoch durch einen
weiteren imaginativen Reflexionsprozess greifbar gemacht werden. (Vgl. ebd.
43/44)
Zusammengefasst lässt sich sagen,
dass Welsch die Erweiterung der Ästhetik außerhalb der Kunstphilosophie
fordert, indem
„die
vielfältigen Dimensionen der gegenwärtigen Ästhetisierung und der Wahrnehmung
thematisiert werden; dazu zählen die urbane, industriell-kommerzielle
Gestaltung der Realität, die Lebensstilformen, die Derealisierung und
Manipulierung der Wirklichkeit durch die neuen Medien und ihre Rückwirkungen auf
den Alltag, die Anästhetik und die Reorganisation der Wahrnehmung im Sinne der
immer deutlichen Reorientierung vom Visualprimat weg und der Revalidierung
nicht-elektronischer Erfahrungen (etwa durch die Rückkehr zur Natur und die
Wiederentdeckung des Körpers) und nicht zuletzt die Implikationen dieser
umgreifenden Abläufe auf die Kunst.“ (Diaconu 2005:45)
Im nächsten Kapitel soll
aufgezeigt werden, wie die Kunst in der Postmoderne und speziell der Ästhetik
bewertet wird. Dabei wird am Beispiel der Gartenkunst die Bedeutung der Natur
aufgezeigt. Es soll anhand von Beispielen verdeutlicht werden, wie ästhetische
Maßstäbe die Gestaltung der Natur beeinflussen und im Garten, als verkleinerter
Ausschnitt der Welt, das postmoderne „Weltbild“ gedeutet werden kann.
4. Kunst und Gartengestaltung
in der Postmoderne
Die Bedeutung der
Gartengestaltung ergibt sich aus dem menschlichen Verhältnis zur Natur. Über
die Formung und der damit verbundenen Auseinandersetzung mit dieser gelangt die
Naturhaftigkeit des Menschen in sein Bewusstsein, was besonders in der Zeit
eines gestörten Naturverhältnisses bedeutsam ist. (Vgl. Koppe 2004: 194) „Jeder
Mensch besitzt einen tiefen Bezug zur Natur. Seine biologische Natur ist von
ihr abhängig. Diesem Bezug ein Gesicht zu geben, das ist die Aufgabe der
Gartenkunst.“ (Beitmann 2009a: 10) Damit steht hinter jeder Gestaltung ein
bestimmter Zeitgeist, welcher sich aus dem zeit- und kulturabhängigen
Verständnis der Natur ergibt. Dieser geistige Gehalt kann jedoch nur intuitiv
wahrgenommen werden, was einem gewissen Maß der Sensibilität in der Wahrnehmung
bedarf. Bei einem rein rationalen Zugang würden sich schon von Beginn an einige
Inhalte dem Bewusstsein entziehen. (Vgl. Beitmann 2009b:33) Daraus ergibt sich
die Notwendigkeit einer ästhetischen Betrachtung als sinnliche Wahrnehmung der
Natur. Diese Möglichkeit besteht in der Verbindung von Kunst und Natur, wie sie
die Gartenkunst in einmaliger Weise vermag. Die Aufgabe der Kunst ist es dabei,
zwischen Mensch und Natur zu vermitteln, in einer Zeit der zunehmenden
Entfremdung aufgrund der menschlichen Naturbeherrschung und – manipulation.
(Vgl. Koppe 2004: 192)„Jede Gartengestaltung beinhaltet ökologische, soziale
und ästhetische Aspekte, die zueinander in Beziehung gesetzt werden. Durch sie wird
eine neue emotionale, subjektive Welt zu einem Gesamtkunstwerk mit einer
eigenen gestalterischen Sprache zusammengestellt. Sie schafft reale
Ausdrucksformen der menschlichen Beziehung zur Natur.“ (Beitmann 2009b: 5)
Daran zeigt sich, dass in einem künstlerisch gestalteten Garten eine Sicht der
Welt zum Ausdruck kommt, die über die Darstellung einer idealisierten Natur
gleichzeitig auch auf die bestehenden Probleme und Situationen hinweist. Doch
welcher Kriterien bedarf es, damit eine Gestaltung als Kunst verstanden werden
kann? Denn das Pflanzen eines Beetes oder der Zuschnitt einer Hecke in einer
bestimmten Form allein kann es nicht sein. Wichtig ist hierfür einerseits der
schon erwähnte geistige Gehalt, der hinter der Gestaltung steht; weiterhin bedarf
es einer ästhetischen Auseinandersetzung hinsichtlich vier Dimensionen: mit dem
Raum, mit der Natur, mit den sinnlichen Bedürfnissen der Menschen und mit der
Funktion bzw. dem Gebrauch. In der Postmoderne findet dies in folgender Weise
statt: infolge der Wendung gegen den verabsolutierten Funktionalismus der
Moderne und deren internationale Gleichmacherei ergibt sich eine Bejahung der
gestalterischen Vielfalt und eine Aufwertung des Ästhetischen. Um der kritisch
bemerkten modernen Vernachlässigung menschengemäßer Bedürfnisse und Maßstäbe
entgegenzuwirken, versucht die Postmoderne Freiräume für die individuelle
Entfaltung zu schaffen. Weiterhin soll eine neue Erlebbarkeit urbaner Räume
erreicht werden, durch die Erkennbarkeit verwendeter Materialen, als auch durch
eine Widerherstellung baulicher Beziehungen zum geschichtlich Gewachsenen und
einer Architektur nach menschengemäßen Bedürfnissen. (Vgl. Beitmann 2009a:161)
Infolge des als Mangel empfundenen postmodernen Verlustes der Natur, welche die
eigentliche Basis des individuellen Ichs darstellt, kommt der Gartenkunst auch
eine identitätsstiftende Aufgabe in einer Zeit der Identitätssuche zu. (Vgl.
Beitmann 2009b:100) Doch wie werden die postmodernen Anforderungen an eine
künstlerische Gestaltung der Natur nun umgesetzt? Wichtig hierfür ist es zu
bemerken, dass sich durch die Entwicklung einer ästhetisierten Lebenswelt die
Grenzen zwischen hoher Kunst und Popkultur vermischt haben. Bezogen auf die
Gartenkunst bedeutet das, dass sie nicht mehr als eine eigenständige
Kunstgattung verstanden wird, weil ihre Ausdruckssprache dem zeitgenössischen
Verständnis nicht mehr zugänglich ist. Dafür wäre ein neues Naturverständnis
nötig, dass sich infolge der Industrialisierung und der Entfremdung von der
Natur noch nicht entwickeln konnte. Hoffnung dafür besteht jedoch in den
postmodernen Projekten, die einstige Standorte der Industrie und Kultur wieder
in einen naturähnlichen Zustand versetzen wollen. Es ist zu vermuten, dass der
geistige Gehalt hinter solchen Gestaltungen darin besteht, den Betrachter zu
einer Reflektion über die Folgen der Zerstörung der Natur anzuregen und
Möglichkeiten einer Verbindung von Industrie und Natur zu schaffen, um wieder
einen engeren Bezug zum Ursprung zu finden. Die bereits benannten Forderungen
der postmodernen Kunst sollen nun in ihrer Umsetzung bei der Gartengestaltung
näher beschrieben werden. (Vgl. Koppe 2004:192)
Die Bejahung der gestalterischen
Vielfalt mündet in einem Rückgriff auf historische Stilelemente, welche
collageartig im Sinne eines historischen Eklektizismus verwendet werden. Dabei
wurden häufig Motive des Mittelalters, des Barocks und der Renaissance, des
englischen Landschaftsgartens, sowie des Naturgartens aufgegriffen. Bis auf die
Naturgärten ist allen eine relativ strenge Gestaltung nach klassisch
ästhetischen Aspekten gemein, die insbesondere auf Harmonie und Proportion
ausgerichtet sind. Da die postmoderne Ästhetik nun geprägt ist von einer
Erweiterung des Ästhetikbegriffs über die Schönheit hinaus, kommt es stärker auf
die sinnliche Wahrnehmung der Natur durch den Garten an. Diese sollte angeregt
werden durch das Aufgreifen des Wertes eines Ortes, d.h. seine natürlichen
Gegebenheiten und die darauf wirkenden Einflüsse in Form historischer Spuren
sollen sichtbar gemacht werden. Dabei erfolgte eine kulturelle
Weiterentwicklung des Standortes durch die Schaffung fragmentarischer
Beziehungen, die auf die Gegenwart Bezug nehmen. Dies wird erreicht durch
verschiedene Kommunikationsebenen, d.h. das Gelände, die Elemente und ihre
Anordnung bei der Hinzufügung zur ursprünglichen Landschaft erlauben es, den
Ort aus einer neuen Perspektive zu sehen, in Abhängigkeit von den individuellen
Bedürfnissen. Dem Nutzer bzw. Betrachter wird dabei die Möglichkeit eines
eigenen Eingreifens in die Gestaltung offen gelassen. (Vgl. Beitmann 2009a:
161ff.) Zusammengefasst kann man sagen, dass die künstlerische Idee hinter der
postmodernen Gartengestaltung eine Hinwendung zum Individuellen beschreibt, die
durch den Rückbezug auf historische Naturvorstellungen und dem sinnlichen
Erleben dieser Gartenräume dem Subjekt die Möglichkeit bieten will, die
Wirklichkeit erfassen zu können, wenn auch nur über einen vom Gestalter
interpretierten Ausschnitt dieser, und dabei über die Reflexion zu einer neuen Sichtweise
zu gelangen. (Vgl. ebd.) Von
„der
Kunst wird erwartet, dass sie ihre jeweilige Gesellschaft auf ihre Weise zu
neuen Orientierungswerten anregt, sie zu neuen Wahrnehmungsparadigmen führt
[…]. Der Hintergrund jeder ästhetischen Wahrnehmung ist deren Aufnahme über
unsere Sinne. Ausschlaggebend für die Kunst als solche sind also ihr geistiger
Gehalt und die Form, in der dieser gebracht wird. Für die Gartenkunst bedeutet
dies, dass bewusst oder unbewusst überhaupt ein geistiger Gehalt vorhanden ist.“
(Beitmann 2009b:63)
In den folgenden Beispielen soll
aufgezeigt werden, wie sich die postmoderne Gartengestaltung darstellen kann.
Dabei sollen die in Abschnitt 3.1 genannten Kriterien zur Erschaffung eines
Kunstwerks in der Natur für jedes Beispiel überprüft werden.
4.1 Bernd Tschumi - Parc de la Villette
Zwischen 1985 und 1997 wurde der
‚Parc de la Villette‘ auf dem Gelände des ehemaligen Schlachthofs „La Villette“
konstruiert. Das Gestaltungskonzept entwarf der schweizerische Architekt Bernd
Tschumi. Er errichtete einen Freizeit-, Kultur- und Technikpark mit dem
Anspruch eines urbanen Parks – der Prototyp eines Stadtparks im 21.
Jahrhundert. Neben dem Umbau des noch erhaltenen Schlachthofgebäudes zum
Theater und dem ehemaligen Viehmarkt zur „Cité des sciences et l’industrie“
(eine Art Museum für Wissenschaft und Industrie), wurden ein Planetarium, ein
Musikzentrum (Cité de la musique), ein Kino (La Geóde), mehrere Museen und
Galerien, eine speziell für die Kinder errichtete „Cité des enfants“, in
welcher Spielplätze und wissenschaftliche Experimente zu finden sind, sowie 10
Themengärten zu der halb-aufgegebenen Industriefläche hinzugefügt. Das
Designkonzept steht dabei in Verbindung mit dem postmodernen Zeitgeist und
greift das Konzept der Dekonstruktion von Derrida auf, welches in der
Architektur zu großer Bedeutung gelangte. Die Anwendung dessen zeigt sich bei
Tschumi in einer Überschneidung von Ereignis, Bewegung und Raum, die er an der
Überlagerung drei voneinander autonomer Systeme verdeutlicht. Das erste System
bezieht sich auf die industrielle Komponente und ist als ein Punkte-System
angelegt. So überzieht das Gelände ein regelmäßig angeordnetes Quadratraster,
an dessen Schnittpunkten insgesamt 26 sogenannte „Folies“ errichtet wurden.
Diese hellroten emaillierten Stahlbauten besitzen die Grundstruktur eines
Würfels, die verändert wird durch die Anwendung des „Nine-Square-Problem“, eine
Übungsaufgabe für Architekturstudenten, bei welcher durch die Kombination,
Addition oder Reduktion von Fläche und Rahmenstruktur eines quadratischen
Grundgerüsts verschiedenste Formen abgeleitet werden können. Die dabei
entstehenden Figuren wurden mit Treppen, Rampen und Aufgängen versehen und
bieten Raum für Cafés und Restaurants, Galerien und Ausstellungen. Tschumi
folgte dabei der pragmatischen Maxime an die baulichen Anforderungen im Park,
ein Minimum an Ausstattung ohne viel Baumasse zu erreichen. Das Linien-System
beschreibt die zweite Ebene der urbanen Komponente, in Form von 2 vernetzten
Wegestrukturen. Einmal sind die Hauptachsen des orthogonalen Wegekreuzes mit
überdachten Galerien versehen, die von Nord nach Süd und von West nach Ost
verlaufen und dabei eine jeweils charakteristische Bedachung tragen. Weiterhin
gibt es die „Promenade Cinématique“, ein geschwungener Rundweg, der durch die
verschiedenen Themengärten führt und dabei eine Serie von Einstellungen und
Perspektiven ablaufen lässt. Mitunter kommt es zu Kollisionen zwischen Punkt-
und Liniensystem, d.h. Galerien und „Folies“ stoßen aufeinander, was die
Gestaltung der Würfel beeinflusst. Die dritte Ebene der Fläche bezieht sich auf
die Natur als Komponente. Dabei ist die Oberfläche des Parks in einer fast
schon geometrischen Ordnung angelegt. Tatsächlich ist Tschumi inspiriert von
den Gärten des 18. Jahrhunderts. Dies bringt er zum Ausdruck durch die linear
angelegten Baumreihen, die die Grünflächen einrahmen. Auch die regelmäßigen
Abstände, beispielsweise bei den Folies, sind ein Ausdruck dessen. (Vgl.
Tschumi 1987: 4ff.) Die Oberfläche des Parks verbindet also Natur bzw.
Landschaft mit Aktivitäten, wodurch diese entsprechend gestaltet wurde. Tschumi
macht keine konkreten Aussagen über Konzepte zu Pflanzungen oder ähnlichem.
Einzig die Themengärten können Auskunft über die Auseinandersetzung mit der
Natur geben. Grundsätzlich werden natürliche Vegetation und moderne Materialen,
insbesondere der Natur entstammende bearbeitete, in Verbindung gebracht. So verbindet
im „Jardin des Îles“ ein marmorner Weg kleine bewaldete Hügel. Ein Nebel aus
Wasser überdeckt eine Granitplatte, die reflektiert wird von im Boden
installierten Lichtern. Im „Jardin des Équilibres“, dem Garten des Gleichgewichts
fallen besonders farbliche Wechselspiele und metallische Drachen auf, die z.T.
durch die Vegetation überdeckt werden. Der „Jardin des Voltiges“ spielt mit
seinem Namen in erster Linie auf ein Turngerät an. Dahinter steht jedoch der
Versuch Gleichgewicht und Bewegungsspiele zu verbinden. Weiterhin befindet sich
hier ein Theater des geheimen Dialoges, mit Sprechrohren, durch die man eine
Unterhaltung über mehrere Meter führen kann. (Vgl. http://www.villette.com/fr/)
In den eben beschriebenen
Beispielen werden also Farben, Pflanzen, Wasserspiele, verschiedene moderne
Materialien, aber auch Musik bzw. Töne verwendet, um die Sinne der Besucher
anzusprechen. Bei der Gestaltung der Themengärten fällt auf, dass Architektur
für Tschumi die Zusammenbringung von Raum und Event, als dem Geschehen im Raum
bedeutet. Da er seinen Park als eine eigene kleine Stadt versteht, wird die
Natur immer wieder in Verbindung gebracht mit dem Urbanen. Dennoch lässt sich
an der experimentellen Gartenarchitektur vermuten, dass für Tschumi die
Verbindung von Natur und Stadt unbedingt notwendig ist genauso wie ihre offene
Weiterentwicklung. (Vgl. Knauer 2002: 226)
Das Gestaltungskonzept des ‚Parc
de la Villette‘ ist darauf ausgerichtet, anhand der künstlerischen Themengärten
die domestizierte Natur zum Ausdruck zu bringen, verbunden mit der Begegnung
und dem Entdecken der Gegenüberstellung von scheinbar Natürlichem und
Kunstgegenständen menschlichen Ursprungs. Das Ziel dabei ist es, Kultur und
Architektur zu verbinden, wobei durch das Erreichen einer Einheit von
Architektur und Landschaft zur Reflexion über Urbanismus, Vergnügen und
Experimentieren angeregt werden soll. Darin sieht er die Ansprüche der
postmodernen Gesellschaft nach Erholung, Unterhaltung und kulturellen
Veranstaltungen repräsentiert.
4.2 Landschaftspark
Duisburg-Nord – Peter Latz
Der deutsche Landschaftsarchitekt
Peter Latz konstruiert auf dem Gelände eines ehemaligen Stahlwerks in
Duisburg-Meiderich einen Landschaftspark, der die bisherigen „Vorstellungen von
Natur, Landschaftspark und Garten“ (Mazzoni 2005:262) durch die Verbindung von
Industrie und Natur neu interpretiert. Die Betonung des Ortes in seiner
Identität bedeutet dabei, „das natürlich Künstliche dieses aufgegebenen
Industriestandortes hervorzuheben“ (Mazzoni 2005: 263). Dies geschieht in
erster Linie durch die Ästhetisierung der Vergangenheit, in Verbindung mit dem
Erhaben-Werden von ehemals als hässlich empfundenen. So wird die Geschichte des
Ortes durch die vorhandenen Elemente des ehemaligen Stahlwerkes erzählt. Infolge
der Gestaltung erschließt sich dem Betrachter dabei eine zuvor verschlossene,
fremde Welt. Latz‘ Anspruch ist es dabei, „die vorhandenen Strukturen
aufzugreifen und durch gezielte Manipulation einer neuen Wahrnehmung zu
erschließen“ (ebd. 264), anstatt das Vorhandene zu überdecken. (Vgl. ebd) Dabei
bedient er sich der aktuellen Sprache zeitgenössischer Kultur, sowie Elementen
historischer Gartenkunst, beispielsweise bei der Anlage formaler Gärten und
einem Hortus Conclusus. Es soll jedoch kein fester Zustand fixiert werden, d.h.
durch eine Mischung aus spontan gewachsener Vegetation und gestalteten Grün-
und Gartenanlagen entsteht eine neue Dimension der Naturwahrnehmung. Infolge
von Land- und Plant-Art-Konzepten entwickelt sich eine Kunstlandschaft, die
Natur wird dabei zu einer künstlerischen Installation. (Vgl. Beitmann 2009b: 23)
„Das
Bild der Oase in unwirtlichen Räumen ist mein Idealtyp, meine
Auseinandersetzung mit Natur:
Diese kann sich selbst überlassen bleiben und aus den belassenen Formationen berauschende Bilder für die Zukunft
entwickeln. So können Werte zwischen Kunst und Natur entstehen, wie sie weder ein Künstler noch die
Natur alleine jemals hervorbringen würden.“ (Behr/Nickig 2005:198)
Die Gestaltung des Parks kann
dabei insofern als postmodern verstanden werden, dass sie das traditionelle und
moderne verbindet, durch das Aufgreifen der bestehenden Betriebsanlagen und
deren Umwandlung zu Orten für Freizeitaktivitäten oder zu Kunstobjekten, als
auch zu Flächen für Vegetation und Gärten. Auch die individuelle Herausstellung
des Standortes, seiner Gegebenheiten und die auf ihn wirkenden Einflüsse werden
in fragmentarischen Beziehungen dargestellt. Die Vermischung verschiedener
Stile und Epochen, in Form historischer Gartengestaltungen, als auch durch die
Kombination von Architektur und Design verweisen auf den für die Postmoderne
typischen Pluralismus und Eklektizismus. Für die Gartenkunst bedeutsam ist
Latz‘ Werk dahingehend, dass der Garten als ein kultureller Auftrag verstanden
wird, der in seiner gesteigerten Komplexion Gartenkunst bedeutet. Die Kunst
wird dabei als Interpretationssprache verstanden. (Vgl. Beitmann 2009a:
161/162) Bezogen auf das ästhetische Verständnis der Postmoderne lässt sich
hier das Erhabene aufzeigen, insbesondere anhand der Ästhetisierung von
Industrieanlagen durch Natur bzw. natürliche Elemente. Durch den künstlerischen
Umgang mit Naturmaterialien, wie es die Land-Art anstrebt, wird hier
insbesondere die Zeit als Teil der Natur dem Menschen zugänglich gemacht. Dabei
wird versucht, die Natur wieder als einen Wahrnehmungsraum zu entdeckenim Sinne
eines Naturverständnisses, das auch Sinnlichkeit und Gefühl ausgerichtet ist,
indem die Landschaft gleichzeitig Material und Kunstwerk ist. (Vgl. Beitmann
2009b: 17ff.) Der geistige Gehalt, der hinter dem Garten steht, ergibt sich
dabei aus den Überlegungen, wie im Umbruch vom Industrie- zum
Informationszeitalter der empfundene Mangel an Natur behoben und dabei
gleichzeitig die Geschichte erhalten werden kann. Dabei wird hier ein neues
Verständnis der Landschaft als eine periphere verdeutlicht, welches sich aus
Prozessen der Individualisierung, Globalisierung und Industrialisierung ergeben
hat, wodurch die Grenzen zwischen Stadt und Land fließend werden und hier eine
Neuinterpretation der Landschaft auch Ausdruck für das Ungültig werden
herkömmlicher Definitionen und dem damit verbundenen unsicherem Umgang mit
einem neuen Typ von Landschaft ist. (Vgl. Zerjatke 2008: 47)
4.3 Little Sparta – Ian
Hamilton Finlay
Die Art und Weise, wie Finlay in
seinem Garten eine Verbindung von Kunst, Literatur und Hortikultur schafft,
gilt als eines der bedeutendsten Beispiele postmoderner Gartenkunst. Sein
Anspruch war es, spezielle Landschaften mit individuellem Charakter und
Stimmungen zu gestalten. Dabei greift er Themen wie die Vorsokratik, die
Französische Revolution und den Zweiten Weltkrieg auf, welche er stets in eine
Verbindung mit der Natur stellt. (Vgl. Sheeler 2003: 25f.) So werden der
Epikureismus und der Stoizismus (Abbildung 20, siehe Anhang) hinsichtlich ihrer
erkenntnistheoretischen Praktiken aufgegriffen. Dabei werden speziell die
Aspekte der Wahrnehmung und Empfindung angesprochen, bei welchen Naturerscheinungen
eine große Rolle spielen. Vor allem die Erklärung der Stoa zur Entstehung neuer
weltanschaulicher Deutungsmöglichkeiten, die eine entsprechende Reflexion über
deren Konsequenzen für die individuelle Lebensausrichtung als notwendig
erachtet, kann hierbei als Ausdruck eines postmodernen Denkens verstanden
werden. (Vgl. Sheeler 2003: 81)
Weiterhin werden mit Gewalt
verbundene Ereignisse, wie die Revolution oder der Zweite Weltkrieg kritisch
besprochen. Dabei bezieht sich Finlay beispielsweise auf britische
Kriegsschiffe, welche mitunter Pflanzennamen trugen, wodurch eine Verbindung
zwischen Macht und Beherrschung auf der einen Seite, Vergänglichkeit und
Zerbrechlichkeit auf der anderen ergeben. Auch der ironische Vergleich zwischen
Handgranaten und einer Ananas deutet die Verbindung von Tragödien der
Geschichte und dem Bezug zur Natur an. Im Zusammenhang damit findet man in
„Little Sparta“ auch immer wieder Alltagsgegenstände, bei denen Finlay das
Einfache und Unauffällige regelrecht zelebriert. Damit will er zeigen, wie sich
rohe Natur in Kunst transformieren lässt. (Vgl. ebd. 26) Auch verschiedene
Epochen der Gartenkunst werden aufgegriffen, dabei besonders der englische
Landschaftsgarten, der mittelalterliche Hortus Conclusus oder auch der
Renaissancegarten, aufgrund der verschlüsselten Weltbilder, die er enthält. (Vgl.
Sheeler 2003: 16) Dabei wird auch immer wieder ein kritischer Bezug zu den
Weltbildern genommen, um eine Reflexion des Betrachters anzuregen. So kann der
Garten in Anlehnung an Rousseaus‘ Novelle „Julie où le nouvelle Heloise“
einerseits als Ausdruck seiner Forderung nach einem „Zurück in die Natur“
verstanden werden, oder auch als Symbol für den Menschen als Einzelgänger,
welcher sich im Naturzustand befindet und dem mit dem Leben in einer
natürlichen Ordnung, aus welcher sich eine primitive Gesellschaft entwickelt,
Gleichheit und Freiheit ermöglicht wird. Eine andere Vorstellung über die
Gesellschaft findet sich in den Verweisen auf Louis Antoine de Saint Just, der
ein sozialistisches Staatsmodell anstrebte, bei welchem der Gesamtwille der
Gesellschaft herrschen und entscheiden sollte. (Vgl. ebd. 11). Letztlich birgt
auch der Name „Little Sparta“ ein kritisches Potential. (Abbildung 27, siehe
Anhang) So wird einerseits in Anlehnung an die Feindschaft zwischen Sparta und Athen
der Kampf Finlays‘ mit den Behörden wegen verschiedener Installationen in
seinem Garten thematisiert, anderseits bringt er damit sein Verständnis der
Kunst zum Ausdruck, für welche es notwendig sei, Konflikte zu akzeptieren,
indem sie das Chaos durch Ordnung ersetzt. (Vgl. ebd. 16) Infolge der
Verbindung von Literatur und Hortikultur finden sich in Little Sparta immer
wieder Elemente konkreter Poesie. (Abbildung 28a, siehe Anhang) Finlay
experimentiert dabei mit der Struktur des Textes im Sinne ihrer Auflösung und
der damit einhergehenden Bedeutungsveränderung, mit visuellen und verbalen
Effekten und der Art der Darstellung. Weiterhin verwendet er „One-Word-Poems“
als eine Art Bildunterschriften, die in die Natur eingebunden werden. (Vgl.
ebd. 30)
Der postmoderne Gehalt „Little
Spartas“ zeichnet sich aus durch das Anknüpfen an Traditionen, um einem
allgemeinen Werteverfall im Zeitalter von Massenkonsum und Schnelllebigkeit
Widerstand zu leisten. Entstandene Spannungen zwischen Kultur und Natur sollen
kritisch reflektiert werden, wozu Zitate und Skulpturen anregen wollen. Die
Verwendung von mit Vergangenheit belasteten Symbolen spricht dabei soziale und
geschichtliche Probleme an. Finlay konstruierte einen literarischen Garten
mittels Symbolen und Texten, bei welchem der gegebene Standort als
Ausgangspunkt der Entwicklung verstanden und mit gärtnerischen Eingriffen
geformt wird. Die Natur wird dabei im Bezug auf historische Ereignisse als
sensibel und schutzlos dargestellt, was durch die Ästhetisierung natürlicher
Alltagsgegenstände zu einem neuen Umgang mit dieser anregen kann. Dazu trägt
auch die Verwendung literarischer und philosophischer Themen und Fragestellung
bei.
5. Fazit: Ästhetisierung der
Lebenswelt -Ästhetik – Kunst – Natur in der Postmoderne
In den vergangenen Kapiteln wurde
bereits aufgezeigt, wie sich anhand der Postmoderne die Bereiche der Ästhetik,
Kunst und Gartenkunst verbinden lassen. Grundlegend dafür war das wahrgenommene
Entfremdungsgefühl des Menschen von der Natur, welches mit Hilfe der Kunst
wiederhergestellt werden sollte. Die philosophischen Konzepte von Lyotard und
Welsch verdeutlichen dabei, wie einerseits mit dem Gefühl umgegangen wurde und
welche Folgen sich daraus ergaben. So erachten beide es für notwendig, den
Begriff der Ästhetik zu erweitern, damit im Zuge der manipulierten Natur
dennoch eine sinnliche Wahrnehmung erfolgen kann, welche bedeutsam für den
Menschen ist. Die Ästhetisierung der Lebenswelt kann dabei verstanden werden
als der Versuch, die Umwelt in ihrer Gesamtheit an sinnlichen Qualitäten
erfassen zu können. Dabei beschreiben das Erhabene bei Lyotard und das
Anästhetische bei Welsch die Besonderung des Alltäglichen, um der beginnenden
Abstumpfung der menschlichen Empfindsamkeit entgegenzutreten. Wie vielschichtig
dabei die Ebenen der Wahrnehmung, besonders im Zusammenhang mit der Natur sein
können, sollte an ausgewählten Beispielen postmoderner Gartenkunst aufgezeigt
werden. In allen drei Gestaltungen kam ein bestimmtes Gefühl zur Natur zum
Ausdruck. Die Lösungsansätze für ein neues Verhältnis zur Natur bestanden dabei
in der Verbindung von Landschaft und Industrie, wobei der natürlichen
Vegetation der Vorrang geben wurde. Durch den Mix verschiedener historischer
Stile sollte dabei an das einst harmonische Verhältnis zwischen Mensch und
Natur erinnert werden. Im Grunde wurde versucht, das alltäglich gewordene Bild
einer Natur, die ihren eigentlichen Zweck verloren hat, durch die
Ästhetisierung des Profanen wieder aufzuwerten. Insofern kann das hier
beschrieben nur ein theoretischer Lösungsansatz zur Überwindung der Entfremdung
sein und bleiben. Weiterhin ist auch in Frage zu stellen, ob sich aus einer
sensibilisierten Wahrnehmung und der Suche nach dem Undarstellbaren wirklich
eine Lösung für die in die Krise geratene Moderne ergibt. Denn es bleibt der
Eindruck, dass Erhabenes und Anästhetisches mehr der Ausdruck von Enttäuschung
über die Vermassung der Kultur sind, als dass sie tatsächlich zu einer neuen
Denkweise verhelfen.
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