Erschienen in Ausgabe: No 57 (11/2010) | Letzte Änderung: 25.10.10 |
von Guido Horst
Allerheiligen steht vor der Tür. Wir haben uns
also einen Begriff vorgenommen, der in unserer schönen durchsäkularisierten
Gesellschaft ein Fremdwort geworden ist. Was Missbrauch ist, weiß jeder –
leider! Doch wenn es um Heiligkeit geht, herrscht allgemeines Analphabetentum.
Da
ist auch ein wenig die deutsche Sprache schuld. Die alten Griechen kannten noch
drei Begriffe (hagios, hieros, hosios), um deutlich zu machen, was „heilig“
ist. Bei den Lateinern waren es noch zwei, wobei „sanctus“ das Heilige und
Göttliche meinte, das Wort „sacer“ hingegen das, was mit dem Heiligen in
Überseinstimmung steht. Unsere europäischen Urahnen hatten eben noch einen
differenzierteren Blick, wenn es um das ganz Große geht. Aber auch heute noch
kann man „heilig“ in dreifacher Hinsicht verstehen: als das, was von Gott her
kommt, was zu Gott hin führt und was bei Gott ist.
Und
jetzt kommt es: Geht es um die Kirche, sind alle drei Bedeutungen miteinander
vereint. Denn sie kommt von Gott, sie führt zu Gott und ist als mystischer Leib
Christi und in ihren Seligen und Heiligen schon mit Gott vereint. Das – dachten
wir – sollte man einmal laut und deutlich sagen. Selbst wenn die Kirche hier
auf Erden nur aus sündigen Menschen bestünde, und so sah es für viele
Zeitgenossen in letzter Zeit ja leider aus, so wäre sie dennoch ganz heilig.
Sie ist kein weltliches, sondern ein göttliches Ding!
Sichtbar
wird das in der Liturgie, wo im Zelebranten der (sündige) Mensch ganz
zurücktreten und dem wirkenden Heiland Platz machen soll. Sichtbar wird das in
den Heiligen, die nicht nur moralische Vorbilder, sondern tatsächlich bei Gott
sind. Unzählige Menschen haben in den vergangenen Wochen und Monaten über die
Kirche gesprochen, als sei sie ein reparaturbedürftiger Notstandsbetrieb, das
aus den Augen verloren hat? Dass die Glieder der Kirche immer wieder gerufen
sind, der Würde ihrer Kirche gerecht zu werden, aber dass diese auch so und
auch ohne sie und schon immer und in Zukunft heilig ist.
Woher kommt der
merkwürdige Minderwertigkeitskomplex, der sich selbst bei leitenden Häuptern
der Kirche eingeschlichen hat, der sich erst einmal entschuldigt, dass es
Kirche überhaupt gibt, und dann verspricht, irgendwie doch so sein zu wollen
wie alle: nett, menschlich und gesetzestreu. Es geht nicht darum, dass Christen
das Bewusstsein, der einen und heiligen Kirche Gottes anzugehören, wie eine
Keule auf ihre armen Mitmenschen nieder krachen lassen. Sondern es geht darum
zu wissen, dass man von etwas getragen wird, das einen an Barmherzigkeit und
Güte völlig übersteigt, das einen auffängt, wenn man selber mit seinen
Schwächen und Mängeln nicht mehr so recht weiter weiß.
Kirche ist also kein
irdisches System, das repariert oder an die jeweils heutige Zeit angepasst
werden müsste. In ihr stellt sich auch nicht die Machtfrage, denn in ihr hat
keiner Macht, sondern nur die Vollmacht, im Auftrag eines Anderen etwas zu tun
(das gilt auch für den Papst!). Da gibt es auch keine Strukturen, die nicht
mehr zeitgemäß sind. Wenn von einer Krise in der Kirche die Rede ist, und
schwere Zeiten gab es für sie oft, dann kann das nur bedeuten, dass es zu Verkrustungen,
Geschwüren oder bürokratischen Engführungen gekommen ist, die man entfernen
muss, damit die wahre Kirche wieder zum Vorschein kommt. Reform der Kirche
bedeutet immer, etwas wegzunehmen, damit ihre Heiligkeit wieder strahlt. Der
menschliche Faktor ist es, der die dreifache Heiligkeit der Kirche verdunkelt.
Was aber nicht bedeutet, dass diese Heiligkeit aufgehoben oder im Nichts
verschwunden wäre. Sie ist da und will wirken. Liebe Theologen und
Kirchenbürokraten: Gebt sie bitte wieder frei! Versperrt nicht länger die Tür.
Geht aus dem Weg.
Guido Horst ist
Chefredakteur des Vatikan-Magazins (www.vatikan-magazin.de)
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