Erschienen in Ausgabe: No 58 (12/2010) | Letzte Änderung: 24.11.10 |
von Shanto Trdic
Wenn es klappt, dann wird der vitale Greis
auch noch mit über Neunzig Jahren um den Erdball rasen, vor Ort recherchieren
und, wieder im heimischen Exil angelangt, unermüdlich die unvermeidliche
Katastrophe, den Schlamassel prophezeihen – so, und nur so musste es schließlich wieder kommen: so kam es immer schon. Grimmig und grantig
gebärdet sich der Alte dann, und wenn ihm irgendwelche Schönredner dazwischen
funken, kann er schon mal richtig böse werden. Man hat einen Heidenspaß, wenn
Scholl-Latour in den diversen öffentlichen Gesprächsrunden, von politisch
korrekten Nachbetern eingekeilt, langsam die Geduld verliert und endlich
Alterszorn vor Milde walten lässt. Dann kocht er über und poltert forsch
drauflos. Das neue Jahrtausend bot Anlässe zuhauf. Kostproben gefällig? Am
Vorabend des dritten Golfkrieges saß er bei Christiansen im Ersten, wo wie
üblich um den heißen, gärenden Brei herumgekocht wurde; ihm zum Verdruss. Da
saß er also und litt, Statement um Statement, Satz für Satz: meistenteils
altkluge, zeitgeistige Phrasen einer verlogenen Stress- und Spaßrotte, die ihre
Dogmen und Heilssätze bequem den jeweils gängigen Trends angleicht und
entsprechende Sprüche wie Staffelstäbe weiter reicht. Endlich kam die Reihe
auch an ihn, der sich das alles anhören musste. Sein erster Satz glich dem
berühmten Schlag vor´s Kontor: „Saddam Hussein wird umgebracht.“ Jawoll. Das
klang martialisch genug und diente wohl zuoberst der eigenen Beruhigung;
innerer Befreiung nach all dem leeren, lausigen Wortgeklingel. Einspruch
zwecklos, Kassandra hat immerRecht.
Oder später bei Friedman, dessen dialektische Haarspaltereien viel frischen
Wind in das geschwätzige Metier brachten: hier ging dem Scholl die Galle über.
Dieses Mal unterbrach er den
forschen ´Gesprächspartner´, als dieser vom israelisch-palästinensischen
Friedensprozess zu sprechen wagte– „Ist
doch tot…ist ab sofort tot!“Einem
amerikanischer Propagandisten bellte er entgegen: „Ihr Präsident ist nicht der
liebe Gott!“ Dessen Ausführungen bewertete der zornige Greis als „Bullshit“.
Er, der in seinen Büchern Stil und Takt zu wahren versteht, lud öffentlich gern
einen Kübel nach dem andern aus. Die Leiden des alten S. zeitigten mit
zunehmendem Alter eine erfrischend eifernde, derb-sprachliche Melange, die man
dem elder journalist ob seiner enormen Lebenserfahrung gern verzieh. War Scholl
aber besser drauf, dominierte ein schelmisches Frohlocken, einem in Ehren
ergrauten, weitgereisten Zyniker durchaus angemessen. Dann kicherte er keck
hintendrein und war sich wohl bewusster denn je, welch Kluft, ja: welcher
Abgrund ihn von den kultivierten Tapezierern einer verfehlten Humanitas
trennte.
In den diversen Talkshows wurde und wird
deutlich, mit wem man es im Falle Scholl-Latour eigentlich zu tun hat: ein
einsamer, in Würden gealterter Wolf ist er; aber einer, der nicht mit der Meute
sondern mit Kassandra um die Wette heult: das Nachfiedeln notorischer, platt
erklügelter Weisen überlässt dieser Recke gern solchen, denen er sich ohnehin
grenzenlos überlegen weiß. So einer mag nirgends wirklich zuhause sein, am
allerwenigsten im pseudohumanitären Europa unserer Tage. Vielmehr: die ganze
weite Welt war sein Heim, da fühlte er sich wohl, da kannte er sich aus. Und
wenn er, hektisch von Tatort zu Tatort eilend, das menschliche Elend ins Visier
nahm, Hunger, Mord und Totschlag – dann schien es ihm richtiggut zu gehen; da blühte er auf. Noch
an den entlegensten Orten dieser Welt stillte er seine ungebrochene,
kindlich-naive Neugier, die ihn Zeit eines langen, wechselvollen Lebens
unermüdlich umtrieb. Das forsche, ungestüme Herz des Entdeckers pocht bis auf
den heutigen Tag in seiner Brust, trägt ihn, den Rast, - und Ruhelosen, in alle
Richtungen fort. Jahrzehntelang hat er das so gehalten; jetzt ist der Scholl zu
alt, um freiwillig Verzicht leisten zu wollen.
Die vielen, vielen Reisen bestätigten stets
seine schlimmsten Befürchtungen: die Welt war Abgrundtief schlecht, das Leben
meist ein Jammertal, und der Mensch, dieses Raubtier im falschen Gewande, war
nicht zu erziehen, stürzte sich und andere stets von neuem ins Unheil -
Armageddon in aeternitas est. Er sah dann, mit eigenen Augen, wie sich alles im
Leben wiederholte und wie nie etwas wirklich Gutes dabei heraus kam; und das
zynische Spiel der Mächte schien ihm stets Recht zu geben. Von diesem stark
religiös inspirierten Dogma einmal abgesehen, das die Welt auf immer schlecht
sei, war der Alte von keinem weiteren Ismus beseelt, vor keinen inflationären
Karren zu spannen – unabhängig im eigentlichen Sinne des Wortes; allen
Zeitläufen und schnellen Moden abhold: altmodisch im allerbesten, im
vornehmsten Sinne des Wortes. Er darf als einer der letzten wirklich freien,
kritisch-unabhängigen Geister gelten. Sein reges, waches Gemüt, stolz und unerschütterlich,
dazu der freundliche, höfliche Snobismus in Ton und Gebärde, den die genannten
Ausfälle nur umso trefflicher betonen - wo finden wir das heute noch? Fest
steht: so einer ist für keine Seite, keine Parteiung zu haben. Auf kein
Klischee, das man uns gern als gesicherte Tatsache verkaufen möchte, würde der
noch hereinfallen; dazu hat er auch einfach zu viel erlebt. Die
Taschenspielertricks kennt er auswendig;sie ziehen nicht. Manches hat er kommen und – schleichend oder unter
Getöse– wieder (unter)gehen sehen;
nichts hatte Bestand außer dem Verfall selbst. Den eruptiven Erscheinungen
einer solchen Endzeit, die selbst nie an ihr Ende gelangt, hat Scholl-Latour in
allen Winkeln der Erde hinterher gefahndet. Das aber, was aus den Trümmern immer
wieder keck emporwuchs, war der Mythos: Glaube und Erweckung. Einst, wusste
Scholl, würden sie neue Trümmerlandschaften hinterlassen; immer wieder – stets
von Neuem.
Vielleicht trifft auch auf den Peter
Scholl-Latour zu, was Nietzsche einst vom Schopenhauer sagte; das er nämlich,
in Wirklichkeit, ein moralisches Genie gewesen sei. Warum umkreist auch im
Falle Scholl die Kompassnadel immer wieder den religiösen Nullmeridian? Wenn er
einer der letzten Romantiker ist, als einer, der die jugendliche Abenteuerlust
bis ins höchste Alter perpetuiert, dann ist er auch ein Chronist verfehlter
Heilsgeschichte; die negativen Gottesbeweise dominieren. Geprägt haben ihn hier
die frühen Jahre im Schweizer Exil; davon, kann man sagen, ist er bis ins Mark
geprägt, geläutert worden. Die Religion aber, sie gilt im heutigen europäischen
Umfeld nicht mehr viel. Was ihn, den ewigen Nörgler, wiederum mit fast schon
boshafter Freude dazu animiert, gerade diesen Aspekt immer wieder, mit geradezu
notorischer Besessenheit, zu betonen; als wolle er sagen: jawohl, auch ihr, die
ihr euch für aufgeklärt und vernünftig haltet, auch ihr werdet dereinst zu
Kreuze kriechen, wenn euch die lausigen Felle davonschwimmen, auch in euch tobt
noch ein Abgrund – bald ist es wieder so weit. Dann triumphiert Kassandra
erneut, dann steht auch bei uns das Inferno wieder vor der Türe und der
Untergang des Abendlandes kurz bevor. Den Verheißungen der Moderne, so sie die
fortschrittlichen, nutzbringenden Aspekte feiert, misstraut er zutiefst; ihre
gestalterischen Möglichkeiten stellt er nicht in Abrede, misst ihnen aber
gerade jenen Fußbreit zu, der noch einen letzten Funken Licht ermöglicht, der
sich wieder im endlosen Dunkel verlieren muss.
Der Scholl im Fernsehen, im öffentlichen
Zirkus, ist das eine; ein weiteres der Autor zahlreicher Bücher – der
unermüdliche Chronist. Man vergleiche doch einmal seine Betrachtungen,
Recherchen und Notizen mit denen seiner Kollegen; der Pleitgen, Ruge oder
Bednarz. Hier der lange, weite, hehre Atem – dort das brave, kleinbürgerliche
Stochern im Trivialen, dem sich die Gegenwart auf unterschiedliche Art und
Weise längst ausgeliefert hat. In seinen Büchern, jedes Jahr ein Neues, schöpft
Scholl auf seine Weise aus dem Vollen. Es ist das pralle, trächtige, oft triste
Leben, dem er geduldig nachforscht; freilich immer aus höherer, mitunter
entrückter Warte heraus. Sein roter Faden ist, wie anders, eine pessimistische,
jedem Heil abholde Betrachtungsweise, die sich in der Beschwörung zahlreicher
Miseren gefällt und genießt. Allerorten wittert er Verrat und Verschwörung, Lug
und Trug, Umsturz und Verfall, und das ewig Gleiche, niemals Ruhende, immerfort
rabiat und ruchlos Waltende ist Tortura, die wie eine trächtige Schlange
täglich neue Brut gebiert. Dabei klingt seine Sprache kraftvoll und
erfrischend, was insofern frappiert, als das derlei Weltuntergang üblicherweise
eher müde und gerädert tönt. Scholl klagt nicht, er beschreibt. Mag das, was er
sieht, noch so abgründig, ja abstoßend sein: es geschieht einfach. Nicht, das
der greise Chronist seine eigene Meinung ganz in Schweigen hüllte; er geht aber
nicht mit ihr hausieren, hält vielmehr, ein nobler Zug, nötigen Abstand, wahrt
Distance. Und findet, was heute selten gilt, die richtigen, die rechten Worte.
Salopp formuliert: der Scholl kann noch schreiben, hat einen eigenen,
unverwechselbaren Stil;überzeugt
mittels frischer, forscher Diktion. Was nicht heißt, das einen alles überzeigen
muss, was zwischen den Buchdeckeln lauert. Doch wenn sich der Kämpe in
historische Details verrennt, seinen Gesprächspartnern die eigene, maßgebliche
Meinung in den Mund legt oder etwas zuausdauernd in den Gebetshäusern
und Ordensburgen verweilt: wir fühlen uns doch stets aus der Enge
schablonenhafter Meinungsmache in die Weite weltläufiger Gelehrsamkeit
entführt. Scholl weiß, wovon er schreibt. Was Wunder, das ihm, dem ewig
Unzeitgemäßen, die Lieblingsgestalten und Vorbilder aus fernster Vergangenheit
in den Sinn kommen – Ibn Batutta oder jener Heilige von Clairvaux; ein
Schlächter vor dem Herrn. Der finstre Timur Lenk steht ihm näher als die Gandhi
oder Mandela unserer Tage. Zwiespalt verpflichtet. „Irgendwie,“ befand Scholl
im Blick auf weiland Saddam Hussein, „imponiert dieser Tikriter Gewaltmensch
auch.“ Indes: „Ich wein´ dem keine Träne nach.“ Wohl auch ganz gut so.
Gerne wurde und wird der Islamexperte bemüht,
der Kenner muselmanischer Selbstbehauptung, aber das reichte dem unersättlich
Ausschau haltenden, rastlos rudernden Weltumsegler nie. Sohat er ein Leben lang sämtlichen kulturellen
Rudimenten nachgestöbert und einer uralten, überzeitlich waltenden, beinahe
blind ins Aktuelle reichende Stoßkraft via Schrift und Bild Tribut gezollt;
diesem Ungeheuer aus Kraft, das in längst tot geglaubten Ruinenlandschaften
heimlich schlummert und einer unheilvollen Initiation harrt. Das Vergangene
blieb so auf wundersame Weise präsent, gegenwärtig - stark, die Geschichte bot
keinen Fortschritt, nur wieder und wieder machtvolle, meist blutige Äußerungen
eines Lebenstriebes, der fortlaufend schöpfte, schuf und doch wieder zerstörte.
Klar, das unseren Chronisten gerade jene alttestamentarisch anmutende, auf
Gehorsam und Unterwerfung bauende Erweckung, Islam genannt, zeitlebens
beschäftigte und zu immer neuen, mitunter ermüdend gleichlautenden Orakeln veranlasste.
Den zeitgenössischen Orientalisten war er stets suspekt, dabei hatten beide,
immerhin, eines gemein: sie waren, auf je eigentümliche, ehrfürchtige Art und
Weise, in ihr Studienobjekt vernarrt, ja verliebt. Objektivität im letzten, das
Reale zur Gänze auslotenden Sinne hatte Scholl-Latour sowieso nie im Sinn. Er
misstraute der Wahrheit; die Wirklichkeit, so schien es, blieb wahr genug. Ihm
stand das persönliche, intensive, mitunter existentiell fordernde Erlebnis über
allem, und er hat diesem Credo konsequent Rechnung getragen, hat es gelebt bis
ins hohe, höchste Alter hinein. Irgendwie scheint ihn das jung gehalten zu
haben. Respekt. -
Wer, so möchte man abschließend fragen, wird
ihn einst beerben, den alten, wackren Scholl? Die traurige Wahrheit lautet: den
kann man gar nicht ersetzen. Mit ihm scheidet dann endgültig eine Ära dahin,
die ohnehin längst verblichen, vergangen ist. Freuen wir uns also auf seine
nächste, fette Schwarte, hoffen wir, dass er weiter reisen kann, reisen darf –
wer soll´s ihm denn verbieten? Es hat ihn bis jetzt noch nicht umgehauen; da
soll, das darf man hoffen, der prophezeite Schiffbruch (nach de Gaulle) noch
möglichst lange ausbleiben.
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