Erschienen in Ausgabe: No 60 (2/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Heike Geilen
Es
waren die Griechen, denen wir das Sprichwort „Oinis kai aletheia“verdanken. „In vino veritas“ machten
die Römer daraus. Wein und Wahrheit gehen schon immer eine enge Symbiose ein. „Der Wein sollte auf einen gut gefüllten
Magen treffen und sich gleichsam als Diskurs darauf erheben.“ Das wiederum
sagt Roger Scruton, der Autor dieses philosophischen Weinverführers. Scruton,
Jahrgang 44, lehrt Philosophie am American Enterprise Institute Washington und
in Oxford und ist bekennender Liebhaber der vergorenen Trauben. Er stimmt Horaz
bei, der schrieb, dass „caelum non animum
mutant qui trans mare currunt“, was nichts anderes bedeutet, als dass
Reisen den Horizont einengt, „und je
weiter man reist, desto enger wird er. Es gibt nur eine Methode, eine Gegend
mit offenem Herzen und offenem Geist zu besuchen und zwar im Glas.“
Auf
einen ausschweifenden Weg nimmt Roger Srcuton seine Leser mit. Dabei handelt es
sich bei diesem Buch keineswegs um einen Weinführer, deren es sicher unzählige
auf dem Markt geben dürfte, sondern der Autor philosophiert über das Denken,
das Nachdenken über Wein und dessen Tugenden. Wein, so Scruton, vernebelt nicht
den Blick auf die Dinge, so wie es jedes Rauschmittel tut, sondern nach dem
stilvollen Genuss sehen wir die Welt „in
einer neuen, gleichsam idealisierten Form.“ Für ihn ist Wein eine
Bereicherung der menschlichen Gesellschaft, „vorausgesetzt,
er dient zur Anregung des Gesprächs, und dieses bleibt zivilisiert und im
Allgemeinen.“ Scruton erörtert den Wein als Begleiter der Philosophie und
die Philosophie als ein Nebenprodukt des Weins. Denn neben seiner vorzüglichen
Eignung als Speisenbegleiter, macht er sich noch besser als Gefährte des
Gedankens. „Wer Wein beim Denken genießt,
lernt nicht nur das gefasste Denken, sondern auch das Denken in Fässern.“,
so der Autor. Und weiter: „Wein, zur
rechten Zeit, am rechten Ort und in passender Gesellschaft genossen, weist den
Weg zur Meditation - ein Vorbote des Friedens.“ Dieses am wenigsten
berechenbare Getränk ist zweifelsohne nicht nur ein Objekt der Sinne, sondern
auch der Erkenntnis, denn ein sinnliches Vergnügen hängt unbestritten von der
Erkenntnis ab. Vergorener Traubensaft bietet dem genießenden Kenner „ein kompliziertes und vielschichtiges Arrangement,
das sich wie ein Schachspiel nach dem ersten Eröffnungszug entfaltet.“
Und
so werden wir in die Studienzeit des Briten versetzt, in der er erstmals
Kontakt mit diesem philosophischen Lebenselexier aufnahm und seither nicht mehr
loskommt.Scruton philosophiert über
Sinn und Unsinn der heutigen Weinkunde und gibt einen kurzen Überblick über die
belegbaren Anfänge der Genusskelterei, die bei den Griechen und Römern ihren
kulturellen Höhepunkt erfuhr. Dionysos und Bacchus sind die göttlichen Zeitzeugen.
Roger
Scruton widmet ein großes Kapitel „la Tour de France“, dem Weinland
schlechthin, das er sich während seines Studiums „trinkend“ erschloss. Von
Frankreich aus macht er sich danach völkerverbindend in andere große
Weinnationen wie Italien oder Spanien, bis über den großen Teich nach Nord- und
Südamerika und Neuseeland auf, ein kurzes Naserümpfen beim Vorbeisegeln am
australischen Kontinent inklusive. Und immer hat er einige Empfehlungen
besonders genussvoller Sorten parat. „Wein
erlaubt uns einen Blick auf die Welt ,sub specie aeternitatis‘, eine Welt, in
der die guten Dinge ihren Wert haben, egal wer sie besitzt.“ Sein
Erzählstil ist flott und charmant, zuweilen sogar recht direkt und
unkonventionell, aber daher authentisch und nicht abgehoben.
Nach
der reichlichen Hälfte wird der „weinhaltige“ Genusspfad verlassen und Roger
Scruton widmet sich seiner Profession, der Philosophie. Ist es zuvor beinahe
ein Muss, das Glas Wein zur Lektüre zu genießen, werden jetzt die Sinne
geschärft und erfordern höchste Aufmerksamkeit. Auf die Auswahl des
alkoholischen Begleiters sollte nun besonderes Augenmerk gerichtet sein. Der
Autor versucht dem bedeutungsschwangeren Inhalt seines Buchtitels auf den
Gaumen zu fühlen. Ganz im Sinne der Philosophie, die aus dem Nachdenken über
Vernunft, Bewusstsein und Sein entsteht - jene drei Vorstellungen, die in der
Reihenfolge der Worte „also“ „bin“ „ich“ zum Ausdruck kommen. Scruton geht
Fragen auf den Grund: Ist der Wein eher ein Tagtraum oder ein Kunstwerk?
Verweist er auf unsere subjektiven Eindrücke und Erinnerungen oder zeigt er
hinaus in die Welt - bringt also Ordnung in die Welt so wie Tintoretto oder
Mozart eine neue Ordnung erschufen, in dem sie die Gegenstände unserer
Wahrnehmung neu geformt haben? Dabei zieht er sich Vergleiche bei Richard
Wagner, Descartes, Edmund Husserl, Aristoteles, Heidegger oder Kant heran.
Letztendlich
versucht Scruton den „Meckerern“ und Moralaposteln, aber auch dem Missbrauch
von Alkohol die positive Gesamtbedeutung des Elixiers mit Namen Wein
entgegenzusetzen. Ein opulenter Anhang „Was man wozu trinkt“ gibt keineswegs
Weinempfehlungen zum Essen, sondern Vorschläge, welche Rebsorte zu welchem
Philosophen am besten passt. Sogar dem großen Pessimisten und bekennenden
Biertrinker Schopenhauer widmet er ein gutes Glas neuseeländischen Chardonnays,
„vielleicht den mineralisch butterigen
Muddy Water, um uns daran zu erinnern, dass andere diesen Ozean überquert
haben, ohne Glauben und Hoffnung zu verlieren, und nachdem sie an den
abartigsten Orten gelandet waren, bewahrten sie sich den Glauben und die
Hoffnung auf Wohltätigkeit, indem sie begannen, Weinstöcke anzubauen.“
Fazit:
„Ich
trinke, also bin ich“ ist ein wunderbares Buch für den weinliebenden,
philosophisch interessierten Leser, ein Genuss in doppeltem Sinne, eine
unbedingte Empfehlung, die ich mit den Worten Roger Scrutons bekräftigen
möchte: „Mir scheint, dass der Weingenuss
eine Wiederaneignung des ursprünglichen Kults des Sesshaftwerdens und der
Stadtgründung darstellt. Wir schmecken im Wein nicht nur die Frucht und die
Fermentierung, sondern nehmen auch das spezifische Aroma einer Landschaft wahr,
in der man die Götter zum Bleiben eingeladen hat und in der sie eine Heimat
gefunden haben. Nichts von dem, was wir zu und nehmen, ist dermaßen
bedeutungsschwanger. Wer nicht trinkt, ist nicht von dieser Welt.“
Roger
Scruton
Ich trinke, also bin. Eine philosophische
Verführung zum Wein
Diederichs
Verlag, München (Oktober 2010)
285
Seiten, Gebunden
ISBN-10:
3424350443
ISBN-13:
978-3424350449
Preis:
19,99 EURO
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