Erschienen in Ausgabe: No. 20 (2/2003) | Letzte Änderung: 27.01.09 |
von Andreas Blessing
Besteht die Möglichkeit, dass unser Bewusstsein das Rätsel seiner eigenen Existenz lösen wird, oder muss uns diese tiefste Erkenntnis vorenthalten bleiben aufgrund der unzureichenden Kapazität unseres Gehirns.
Eine Einführung in grundlegende Probleme der Bewusstseinsforschung wird gegeben, daraufhin wird ein sprachliches Modell des Bewusstseins vorgestellt. Die Schwierigkeiten sprachlicher Modelle sowie verschiedener alternativer Erklärungsansätze werden zusammengefasst und eine naturalistische Position der Unerklärbarkeit des Phänomens Bewusstseins für uns Menschen wird vorgestellt.
First I will give an introduction to the basic problems of the
science of consciousness followed by explaining a verbal model of
consciousness. Than, I will continue to summarise issues concerning
verbal and other models of consciousness. At last, I will explain a
naturalistic point of view stating that for humans consciousness is
inexplicable.
Die Fähigkeit der
Neurowissenschaften, das Rätsel des menschlichen Bewusstseins zu
lösen, wird von einigen führenden Neurobiologen
pessimistisch eingeschätzt (z.B.:Gunther Stent 1978). Obwohl es
sich beim Problem, das menschliche Bewusstsein zu erklären, um
ein Problem des Geistes großer Tragweite handelt und im
besonderen in jüngster Zeit Anstrengungen diesbezüglich
unternommen worden sind, ergibt sich aus den bisherigen Befunden kein
kohärentes Bild. Die Erforschung des Geistes befinde sich in
einem primitiven Zustand, wird gelegentlich behauptet, was angesichts
der bahnbrechenden Erkenntnisse in anderen Bereichen, wie etwa der
Evolutionstheorie in der Biologie oder der Relativitätstheorie
in der Physik und der Anfälligkeit der Psychologie für
Moden, wenig verwunderlich erscheint. Lässt unser
Erkenntnisvermögen, das durch die Leistungsfähigkeit
unseres Gehirns begrenzt wird, ein Verstehen des Bewusstseins zu bzw.
kann unser Gehirn sich selbst erklären? Diese Frage soll im
folgenden thematisiert, auch sollen Perspektiven aufgezeigt werden.
Zunächst soll versucht werden, anhand von Beispieldefinitionen
den Bewusstseinsbegriff einzugrenzen. Das Problem des Bewusstseins
soll als transdisziplinäres Problem erkannt werden, daraufhin
sollen verschiedene Methoden der Erforschung aufgezeigt werden. Ein
sprachliches Bewusstseinsmodell soll vorgestellt und kritisiert
werden. Anschließend sollen eine Bilanz der bisherigen
Erkenntnisse und Kritik der verschiedenen Modelle einen Ausblick
ermöglichen auf die zukünftigen Erfolgsaussichten
wissenschaftlicher Bemühungen, die sich dem Thema zuwenden. Die
Position des antikonstruktiven Naturalismus soll abschließend
vorgestellt werden.
Zunächst
müssen wir feststellen, wovon wir sprechen, wenn wir sagen,
jemand besitze Bewusstsein. Der Begriff Bewusstsein hat verschiedene
Bedeutungen in unserem Sprachgebrauch. Was bedeutet es, sich eines
Verhaltens bewusst zu sein? Wird damit einzig das Wissen um ein
bestimmtes Verhalten bezeichnet? Intuitiv haben wir alle ein
Verständnis vom Begriff des Bewusstseins, das sich nicht leicht
in eine exakte Definition fassen lässt. Wir alle kennen die
inneren Zustände, die unser subjektives Erleben
charakterisieren. Für uns Menschen beinhaltet Bewusstsein eine
emotionale Komponente, ein Gefühl der Einheit und
Individualität. Eine Definition zu erarbeiten, die alle
Eigenschaften einbezieht, die wir dem Bewusstsein zuschreiben wollen
und dennoch eine Abgrenzung von anderen Zuständen erlaubt, ist
ein schwieriges Unterfangen. Da sich die Eigenschaften, die wir mit
dem Begriff des Bewusstseins verbinden nicht leicht in eine
Definition fassen lassen, kann eine Einführung anhand von
Beispielen und Gegenbeispielen nützlich sein. Wenn wir schlafen
oder im Koma liegen, ist die Abwesenheit von Bewusstsein
festzustellen. Gegenbeispiele von Bewusstsein sind leicht zu finden;
Beispiele von Bewusstsein lassen sich dagegen schwer von
Gegenbeispielen abgrenzen. So kann der Wachheitszustand nicht
uneingeschränkt als bewusst bezeichnet werden. Eigenschaften von
Bewusstsein scheinen durch Gegenbeispiele leider nicht deutlich zu
werden, was sich an den aufgeführten Beispielen der Abwesenheit
von Bewusstsein offenbart.
Zahlreiche
Wissenschaftler haben sich trotz der Schwierigkeiten um eine
Definition bemüht. Eine weit gefasste Definition von dem
Philosophen Chalmers schreibt jedem Objekt, das Informationen
verarbeitet, Bewusstsein zu, wobei die Komplexität der Erfahrung
von der Komplexität der Informationsverarbeitung abhängt
(Chalmers 1995). Auch ein Thermometer besitzt folglich Bewusstsein.
Penrose (1997) beschreibt den Standpunkt, „ein System sei sich
einer Sache bewusst, wenn es in sich ein Modell dieser Sache habe,
und ein System werde selbstbewusst, sofern es in sich ein Modell von
sich selbst trage" und führt diesen Standpunkt ad absurdum,
denn dieser Sachverhalt würde auch für eine auf einen
Spiegel gerichtete Kamera gelten, der niemand Selbstbewusstsein
zuschreiben will. Crick beschreibt Bewusstsein als die Fähigkeit
des Gehirns, sich auf eine bestimmte Anzahl der Phänomene
konzentrieren zu können, die auf uns einwirken (Crick 1997).
Ebenfalls auf Aufmerksamkeitsprozesse bezogen definiert Pöppel
„`Bewußt` ist jener Zustand, bei dem für jeweils
wenige Sekunden aufgrund eines intergrativen Mechanismus des Gehirns
`Mentales` repräsentiert ist, d.h. im Fokus der Aufmerksamkeit
steht." (1989, S.30). Nach Euan Macphail (1998) ist für
Bewusstsein ein Selbstkonzept notwendig, die Fähigkeit zwischen
sich und der Umwelt unterscheiden zu können, allein sei nicht
ausreichend und nicht möglich. An Vorschlägen, wie
Bewusstsein definiert werden kann, und was zu berücksichtigen
ist, mangelt es nicht; eine einheitliche Definition ist aus diesen
unterschiedlichen Perspektiven nicht abzuleiten. Das Unvermögen,
den Bewusstseinsbegriff genau zu bestimmen, sollte uns nicht
resignieren lassen. Bei der Betrachtung der verschiedenen Theorien
und Modelle sollte die jeweilige Definition von Bewusstsein
berücksichtigt werden, um falschen Schlussfolgerungen und
Kritiken vorzubeugen.
Alle Ansätze,
die versuchen, Bewusstsein zu erklären, haben sich mit solchen
grundlegenden Problemen wie dem Definitionsproblem von Bewusstsein
auseinander zusetzen. Herrschende Uneinigkeit über die
Definition von Bewusstsein, muss zu unterschiedlichen Vorstellungen
und Modellen führen; dies dürfen wir keinesfalls vergessen
bei der Betrachtung verschiedener Theorien.
Die
verschiedensten Disziplinen sind an der Erforschung des Bewusstseins
beteiligt:
Psychologie,
Psychiatrie, Neurowissenschaft, künstliche Intelligenz,
Chaostheorie, Physik, Philosophie und viele andere.
Interdisziplinäres Arbeiten rückt zunehmend mehr in den
Fokus der Aufmerksamkeit; es soll helfen, aus den Erkenntnissen der
verschiedenen Disziplinen ein einheitliches Bild zu gewinnen. Der
Versuch, durch interdisziplinäre Bemühungen Fortschritte zu
erreichen, stellt sich als Flickwerk heraus, das die
Unzulänglichkeiten disziplinären Denkens und Problemlösens
aufzeigt. Bei der Lösung der Rätsel des Bewusstseins
handelt es sich eigentlich um ein Problem das transdisziplinär
zu lösen ist, es kann keiner wissenschaftlichen Disziplin
zugeordnet werden und sollte jenseits fachlicher Grenzen definiert
und gelöst werden. Wir werden feststellen, dass sich fast alle
Ansätze einer Disziplin zuordnen lassen, sei es die bearbeiteten
Fragestellungen betreffend oder die erarbeiteten Lösungen.
Aus der prall
gefüllten Pralinenschachtel der Antworten, die uns die
verschiedenen Disziplinen bieten, wollen wir uns in diesem Kapitel
nur eine herauspicken, die uns am wenigsten unbekömmlich
erscheint, um sie genauer zu betrachten. Bei der genaueren
Betrachtung von Modellen des Bewusstseins sollen zahlreiche Modelle
unberücksichtigt bleiben, um den Rahmen nicht zu sprengen; dafür
soll das vorgestellte Modell besonders detailliert ausgeführt
und anschließend kritisiert werden.
Die Sehnsucht
nach spiritueller Erfahrung zahlreicher Menschen führt zu einem
Drang nach Selbsterkenntnis und Selbsterfahrung.
Die ersten
Ansätze, die sich mit dem Bewusstsein auseinander setzten,
beruhten auf der Methode der Introspektion, die dem Bedürfnis
nach Selbsterfahrung nachkommt. Leider ist diese Methode der
Untersuchung sehr kritisch zu betrachten. Die Informationen, die sie
uns bieten kann, sind nicht sehr zuverlässig, was sich an einem
einfachen Beispiel leicht zeigen lässt. Hören wir absolut
nichts, so kann diese Erfahrung als die Abwesenheit von akustischer
Wahrnehmung beschrieben werden oder als eine Wahrnehmung von Stille,
je nachdem was für eine Theorie wir zugrunde legen (Baddeley
1997). Verschiedene Personen mit unterschiedlichen Theorien über
die Wahrnehmung kommen deshalb zu verschiedenen Ergebnissen und
Schlussfolgerungen. Eine kritische Frage für den
Erkenntnisgewinn durch Introspektion ist folglich, warum erleben wir
die Welt so, wie wir es tun?
Unsere
persönliche Erfahrung ist zum Teil illusorisch. Ein
farbenblinder Mensch nimmt eine rote Rose sicherlich anders wahr als
jemand, der Farben sehen kann. Gadenne und Oswald (1991) stellen in
einem der Problematik der Introspektion gewidmeten Kapitel fest: „
Wenn man davon ausgeht, dass alle Personen mentale Zustände
erleben, so folgt daraus noch nicht, dass sie dazu in der Lage sind,
diese Zustände bei sich selbst genau zu beschreiben, so dass die
entsprechenden Berichte als wissenschaftliche Daten verwertet werden
können."
Noch kritischer
zu betrachten sind bewusstseinserweiternde Methoden zur Erforschung
des Bewusstseins. Die Erfahrung der durch Meditation oder Drogen
erreichten Bewusstseinszustände ist subjektiv und kann nicht mit
wissenschaftlichen Methoden erfasst werden; außerdem handelt es
sich um Ausnahmezustände in unserem Gehirn, die kaum auf dessen
normale Funktionsweise rückschließen lassen.
Die moderne
Neurowissenschaft lässt andere Methoden außer der wenig
erfolgversprechenden Introspektion zu. Bei der Erforschung des
Bewusstseins sollten wir uns zunächst auf bekannte, insbesondere
neurophysiologische Methoden verlassen; diese Ansätze haben sich
bewährt, die Funktionsweise des Gehirns aufzuklären.
Dennoch werden sich mit diesen Methoden nicht alle Aspekte
befriedigend erforschen lassen, was viel Raum für Spekulationen
lässt.
Verschiedene
Ansätze versuchen unterschiedliche Fragen zu beantworten und
geben unterschiedliche Antworten. Warum wir die Welt erleben, wie wir
es tun, kann mit den physiologischen Betrachtungsweisen nicht
vollständig erklärt werden, aber die Funktionsweise und die
Funktion des Bewusstseins können wie andere komplexe biologische
Phänomene untersucht werden. Die Bewusstseinsforschung steckt
noch in den Kinderschuhen, deshalb ist es nicht verwunderlich, dass
die bisherigen Bemühungen kein konsistentes Bild ergeben. Es
besteht die Möglichkeit, dass grundlegende Fragen vielleicht für
immer unbeantwortet bleiben.
Viele Spekulationen wurden bereits angestellt um das Bewusstsein aufgrund der Ergebnisse neoropsychologischer Untersuchungen in unserem Gehirn zu lokalisieren. Mit Sicherheit kann festgestellt werden, dass nicht alle Gehirnteile beteiligt sind am Zustandekommen von Bewusstsein. Evolutionsgeschichtlich ältere Gehirnteile sind an niedereren Prozessen beteiligt, wie das Kleinhirn, das an der Bewegungssteuerung beteiligt ist. Dennoch wurde als Zentrum für das Bewusstsein früher gelegentlich in der Formatio reticularis lokalisiert, die den Wachheitszustand reguliert ( Moruzzi und Magoun 1949). Der Wachheitszustand hänge mit Bewusstsein zusammen. Diese evolutionsgeschichtlich sehr alten Gehirnteile sind mit Sicherheit nicht der Sitz des Bewusstseins, üben lediglich durch die Steuerung der kortikalen Aktivität auf dieses ihren Einfluss aus. Der Kortex, Sitz der komplexesten Operationen im Gehirn und evolutionsgeschichtlich jüngster Gehirnteil, ist auch für das Bewusstsein verantwortlich, da es sich beim Bewusstsein um eine komplexe Funktion handelt. Für diesen Standpunkt spricht auch die nicht unbegründete Vermutung, sprachliche Prozesse seien von wesentlicher Bedeutung für das Bewusstsein. Sprachliche Fähigkeiten zeichnen die menschliche Spezies aus wie keine andere und ermöglichen uns zu beschreiben, was wir fühlen denken und erleben und vieles mehr, vermutlich auch, dass wir uns selbst sowie der Außenwelt bewusst sind. Unsere Großhirnrinde ist für sprachliche Prozesse verantwortlich, wobei sehr weite Bereiche beteiligt sind und nicht, wie manchmal fälschlicherweise angenommen wird, nur die als Brocasches und Wernickesches Areal bezeichneten Gebiete, die sogenannten Sprachareale (Pinel 1997). Die Bedeutung sprachlicher Prozesse wird in einem von uns vorgestellten Modell offensichtlich, das diese als grundlegend für Bewusstsein betrachtet.
Als eine
wesentliche Eigenschaft des Bewusstseins gilt die Erfahrung seiner
Einheitlichkeit. Diese wirft Fragen auf, denn es muss erklärt
werden können, wie unser Gehirn eine einheitliche bewusste
Erfahrung hervorbringt. Es besteht keine zentrale Struktur, in der
alle Informationen zusammen laufen; wenn wir etwas betrachten oder
hören, sind unterschiedliche Strukturen an der Verarbeitung
beteiligt. Wie aber setzt sich aus der Aktivität der
verschiedenen beteiligten Regionen eine einheitliche Wahrnehmung
zusammen? Dieses Problem wird als Bindungsproblem bezeichnet und als
ein Schlüsselproblem zur Erklärung von Bewusstsein
betrachtet. Manche Wissenschaftler schlagen vor, die verschiedenen
Neuronen entladen sich mit derselben Frequenz und würden auf
diese Weise eine Art Einheit bilden; eine solche Oszillation wurde
nicht in allen Untersuchungen beobachtet. Quantenmechanische Ansätze
erklären, Bewusstsein sei eine Eigenschaft, die entstehe durch
das gemeinsame gleichzeitige Feuern einer unbestimmten Zahl von
Neuronen. Die Gleichzeitigkeit des Feuerns, das sich über das
Gehirn ausbreite, werde durch quantenphysikalische Vorgänge
erreicht. Endet das Feuern, würde es durch ein neues ersetzt,
und dieses wiederum durch ein neues und so weiter. Die Mikrotubulie,
die das Zytoskelett der Zellen bilden, sollen dabei eine wesentliche
Rolle spielen. Die Verbindung zwischen der Bewusstseinsfunktion des
Gehirns und den Mikrotubulie wurde zunächst hergestellt durch
Untersuchungen an Betäubungsmitteln, die zu einem Zustand der
Bewusstlosigkeit führen. Die Funktionsweise zahlreicher
Betäubungsmittel ist noch unklar, ihre chemische Zusammensetzung
ist sehr unterschiedlich, und sie sind in der Lage, selbst Amöben
zu betäuben, die Einzeller sind und kein Nervensystem besitzen.
Hameroff und Watt (1983 in Penrose 1991) behaupten, die Fähigkeit
von Betäubungsmitteln, Bewusstsein auszuschalten, entstehe durch
ihre Eigenschaft quantenphysikalische Phänomene in den
Mikrotubulie zu stören. Die Evidenz für diese Annahmen ist
bislang gering, doch durch die Annahme der Kontrolle synaptischer
Aktivität durch das Zytoskelett und einige Zusatzannahmen könnte
das Bindungsproblem gelöst werden.
Die
in meinen Augen wahrscheinlichste Lösung des Bindungsproblems,
die sich derzeit abzeichnet, hängt mit der Vernetzung der
verschiedenen Hirnregionen zusammen. Es handelt sich um das Reentry
Prinzip oder Prinzip der Informationsvertiefung (Kolb &Whishaw,
1996, S.142). Die verschiedenen Regionen, die unterschiedliche
Aspekte von Stimuli verarbeiten, sind miteinander in einer Weise
verknüpft, die es ermöglicht, dass Informationen gemeinsam
zugänglich sind. Eine Verarbeitungsregion kann durch den
Mechanismus des Reentry Kortexregionen beeinflussen, aus denen sie
Informationen erhält. Modifikationen der Information sind
bereits möglich ehe die Informationen weitergeleitet wurden. Mit
Hilfe von Computermodellen konnte gezeigt werden, dass möglicherweise
das Bindungsproblem durch die Verknüpfungen und Reentry gelöst
werden kann. Die Aktivität der Kortexareale wird korreliert, es
kann ein einheitliches Wahrnehmungsmuster entstehen.
Der im Folgenden
dargestellte Ansatz betrachtet das Problem des Bewusstseins von einer
völlig anderen Perspektive und liefert uns weniger zweifelhaft
anmutende, wenn auch keine exakte Antworten. Neuropsychologische
Erkenntnisse werden berücksichtigt, die evolutionspsychologische
Perspektive wird miteinbezogen, dennoch handelt es sich um kein
ausgereiftes, dafür aber verständliches Modell.
Ein Versuch,
Bewusstsein zu erklären, der von der kognitiven
Neurowissenschaft beeinflusst wurde, stammt von Eduard T. Rolls, der
sich an der Oxford Universität mit der Erforschung neuronaler
Netzwerke beschäftigt. Der Ansatz versucht zu bestimmen was für
Anforderungen ein neuronales Netzwerk erfüllen muss, damit
Bewusstsein möglich wird; die konkrete Realisierung solcher
Netzwerke wird von Rolls außen vor gelassen. Es handelt sich um
eine vorläufige Annäherung, und Modelle dieser Art werden
sicherlich noch einige Modifikationen durchlaufen, bis alle
Erklärungslücken geschlossen werden können, wenn dies
überhaupt möglich ist. Eine Definition des
Bewusstseinsbegriffs wird von Rolls nicht gegeben, doch er schreibt
(1997), der definierende Aspekt des Bewusstseins für den
aktuellen Zweck sind die subjektiven Gefühle. Viele
Verhaltensweisen laufen nach Rolls automatisch ab ohne bewusste
Kontrolle. Evolutionsbiologisch alte Gehirnteile übernehmen
diese Aufgaben praktisch vollständig, nachdem sie vom Kortex die
Anweisung erhalten haben, diese auszuführen, ohne den Kortex
Arealen von denen sie ihren Input erhielten, Rückmeldung zu
geben. Im Gegensatz dazu weisen Teile des Gehirns, die für
Funktionen wie das episodische Gedächtnis oder Emotionen
verantwortlich sind, Rückprojektionen auf zu den höheren
Kortexarealen, von denen sie Input erhalten. Das episodische
Gedächtnis ist für unsere Fähigkeit verantwortlich,
Informationen zu speichern und sie mit uns und unserer Umwelt in
Beziehung zu setzen. Über diese Funktionen können wir
verbal berichten. Evolutionsbiologisch neuere Gehirngebiete, wie der
präfrontale Kortex und die Sprachareale, scheinen an der
Kontrolle von nicht automatischen Verhaltensweisen beteiligt zu sein,
die mit Hilfe eines Sprachsystems geplant werden. Die
Assoziationskortizes im Frontallappen sind für das Setzen von
Prioritäten, Treffen von Entscheidungen, Zukunftsplanungen und
mit dem temporalen Kortex auch für andere höhere kognitive
Funktionen verantwortlich. Sprachareale umfassen weite Teile dieser
Gebiete. (Für die Entscheidung, ob Informationen ins
Langzeitgedächtnis gespeichert werden sollen, sind ebenfalls
assoziative Gebiete des Temporalen Kortex verantwortlich.) Es scheint
viele Routen zum Verhalten im engeren Sinn bzw. beobachtbarem
Verhalten zu geben; die sprachliche Route ist vermutlich für
geplantes Verhalten aufgrund der syntaktischen Manipulation
semantischer Einheiten verantwortlich.
Wenn wir eine
Idee zur Lösung eines Problems haben, muss sie bewusst
verarbeitet werden, indem sie in eine serielle sprachliche Form
gebracht wird. Erst dann können wir unsere Vorstellungen
verbalisieren. Mit Hilfe eines semantisch syntaktischen Systems
können Problemstellungen gelöst werden. Verhalten kann
durch ein solches sprachliches System über mehrere Stufen hinweg
flexibel geplant werden, und Folgen des Verhaltens können im
voraus bewertet werden. An semantischen Repräsentationen von
realen Objekten und Zuständen in der Welt werden syntaktische
Operationen ausgeführt, um potentiell mögliche
Verhaltensweisen auf ihre Funktionstüchtigkeit in Bezug auf die
Zielerreichung zu überprüfen. Sprache bezeichnet hier nur
ein semantisch syntaktisches System, für das die menschliche
Sprache nur ein Beispiel ist. Ein solches System kann auf
verschiedenste Weisen realisiert werden.
Wenn andere in
die Planung miteinbezogen werden müssen, aber auch wenn es
notwendig, ist über ähnliche vergangene Situationen
nachzudenken, spielen Gedanken zweiter Ordnung eine bedeutende Rolle.
Gedanken zweiter
Ordnung sind Gedanken über sprachliche Gedanken. Sprachlich
bedeutet in diesem Zusammenhang nur, dass syntaktische Manipulationen
an Symbolen ausgeführt werden.
Bewusstsein
entsteht nach Rolls, wenn ein System über seine eigenen Gedanken
nachdenken kann, wenn es also Gedanken zweiter bzw. höherer
Ordnung aufweist. Selbstbewusstsein ist die bewusste Fokussierung auf
die eigenen mentalen Zustände.
Denken wir einen
Gedanken höherer Ordnung über einen Gedanken niederer
Ordnung, so wird uns der Gedanke niederer Ordnung bewusst. Der
Gedanke höherer Ordnung ist unbewusst und könnte nur durch
einen Gedanken noch höherer Ordnung bewusst werden.
Bei den Gedanken
zweiter Ordnung handelt es sich zwangsläufig auch um sprachliche
Gedanken, da diese an die sprachlichen Elemente des ersten Systems
anknüpfen können müssen, um die syntaktische
Information zu verarbeiten. Die gleichen Gehirnareale, die für
sprachliche Prozesse zuständig sind, ermöglichen demnach
auch Bewusstsein.
Der Vorteil, den
der Mensch durch ein solches System von bewussten Gedanken erworben
hat gegenüber anderen Lebewesen, ist offensichtlich. Gedanken
höherer Ordnung können Gedanken niederer Ordnung überwachen
und Fehler korrigieren. Die Reflexion von Ereignissen ist für
Lernprozesse von großer Bedeutung. Die eigenen Gedanken in
verschiedenen Situationen zu kennen, ermöglicht es uns, die
Gedanken anderer in Situationen, die uns bekannt sind, besser
einzuschätzen und ihr Verhalten besser vorhersagen zu können
(siehe Humphrey 1980 in Rolls 1997). Bereits Nietzsche erkannte, dass
es sich beim Bewusstsein um einen sozialen Prozess handelt.
Bewusstsein eigener Gedanken ist für den sozialen Kontakt mit
anderen nützlich, um das Verhalten anderer besser vorhersagen zu
können. Es zeigt sich besonders deutlich die soziale Komponente
des Bewusstseins an Schimpansen, die einzeln, ohne Kontakt zu anderen
aufgezogen wurden; diese entwickelten nicht die Fähigkeit ihr
eigenes Spiegelbild zu erkennen. Die Sozialisation in Gemeinschaften
scheint Bewusstsein nicht nur erforderlich gemacht zu haben, sie ist
auch an dessen Entwicklung beim einzelnen Individuum (Onthogenese)
beteiligt.
Ein
sprachverarbeitendes System ist für Bewusstsein notwendig, aber
nicht hinreichend. Denken über die eigenen sprachlichen Gedanken
ist erforderlich. Ein Sprachsystem erster Ordnung ist in der Lage,
konditionale Schlussfolgerungen zu ziehen (der Form: wenn A dann B,
nun aber A, also B). Eine Kette folgender Art: „wenn x durch a
hervorgerufen wird, kann y durch b hervorgerufen werden, daraufhin
wird z durch c hervorgerufen....“ kann verwandt werden, um
reale Probleme zu lösen, wenn die Symbole a,b,c,x,y,z für
wahre Sachverhalte oder Objekte in der Welt stehen. Das heißt,
die Symbole müssen eine semantische Bedeutung haben. Bei
komplexen Gedanken auf niederer Ebene ist es sinnvoll, diese
Überlegungen auf einer höheren Ebene zu überprüfen,
um in einer Schlussfolgerungskette wie der oben dargestellten
Schwachstellen und Fehler zu lokalisieren und Pläne zu ändern.
Es ist nicht mehr nötig, Ziele durch Versuch und Irrtum zu
erreichen, wenn ein Plan gescheitert ist. Einzelne Aspekte eines
Planes können als fehlerhaft erkannt und für sein Scheitern
verantwortlich gemacht werden. Diese Funktion übernehmen die
Gedanken zweiter Ordnung. Dieser Prozess sollte ein Gefühl
hervorrufen, wenn sich die Symbole auf die Welt beziehen, die vom
System erster Ordnung verarbeitet werden, diesem Informationen über
die Ergebnisse der Operationen zur Verfügung stehen und das
Kontrollsystem höherer Ordnung versteht, was das niederere
System versucht zu erreichen.
Bewusste
Empfindungen werden von Philosophen häufig Qualia genannt.
Verschiedene Arten von Qualia können unterschieden werden:
emotionale, sensorische und motivationale. Warum empfinden wir
beispielsweise ein Gefühl der Freude nach einer anerkennenden
Bemerkung? Für die Handlungsplanung, an der auch das Bewusstsein
beteiligt ist, erlangt die Informationsverarbeitung der sensorischen
Systeme Relevanz. Im planenden System müssen diese Inputs
repräsentiert sein, damit Umweltstimuli und deren Beurteilung in
unseren Planungen berücksichtigt werden können.
Informationen aus den primären sensorischen
Verarbeitungsregionen dienen der Feststellung der Art der Stimuli und
deren Intensität. Die sekundären Verarbeitungsregionen
liefern Informationen, die notwendig sind, um zum Beispiel zu
beurteilen, ob ein Stimulus angenehm ist. Einen bewussten Gedanken
über die Lage unseres Körpers erlauben die
Assoziationskortizes des Parietallappens, in denen somatosensorische
Informationen und Informationen aus Hör- und Sehzentren
integriert werden. Die Erklärung von Rolls für Qualia ist
demnach, dass sie bewusst erlebt werden, weil sie von einem
spezialisierten linguistischen Manipulationssystem bearbeitet werden,
das Teil eines Denksystems höherer Ordnung ist, welches Inhalte,
die in niederen Levels beteiligt sind, reflektiert und korrigiert zum
Beispiel zur flexiblen Verhaltensplanung (das Verhalten der meisten
Tiere wird eher durch Regelverfolgung und Verstärkungsprinzipien
gesteuert). Die Beobachtung der eigenen Emotionen besitzt einen hohen
Anpassungswert. Kummer kann dazu führen, dass wir die
Langzeitkonsequenzen eines Verlustes betrachten und daraufhin
beispielsweise die Attraktivität anderer potentiell belohnenden
Stimuli steigt sowie die Identifikation derselben erleichtert wird.
Linguistische
Prozesse ohne Gedanken höherer Ordnung sind nach langer Einübung
ziemlich starr und ihr Erfolg in neuen Situationen kann nicht
bewertet werden, es gibt keine Korrekturmöglichkeit. Dafür
ist der Abruf der bisher ausgeführten Schritte sowie der Abruf
von ähnlichem episodischem Gedächtnismaterial erforderlich.
Mit diesen Informationen ist es schließlich möglich, das
schwächste Glied in einer Schlussfolgerungskette zu
identifizieren.
Unsere begrenzte
linguistische Kapazität erklärt nach Rolls, dass wir
Bewusstsein als einen einheitlichen Prozess wahrnehmen. Die
Leistungsfähigkeit unseres Gehirns reicht nicht aus, mehrere
Bewusstseinsströme gleichzeitig zu erzeugen. Parallel ablaufende
Bewusstseinsströme würden zu Konflikten bei der
Handlungssteuerung führen, wenn unsere Gedanken ursächlich
daran beteiligt sind. Nach Edmund T. Rolls sind bewusste Prozesse
tatsächlich kausal an der Steuerung unseres Verhaltens
beteiligt.
Die Theorie der
sprachlichen Gedanken höherer Ordnung bietet gegenüber
anderen Modellen den Vorteil, auch die Funktion des Bewusstseins
genau zu spezifizieren. Das vorgestellte Modell erscheint
einleuchtend, doch ergeben sich einige Schwierigkeiten, wie sich
zeigen wird. Nach diesem Modell hat unser Bewusstsein eine exekutive
Funktion bei der Steuerung unseres Handelns. Wir können uns
zwischen verschiedenen Verhaltensstrategien entscheiden aufgrund
eines speziellen sprachverarbeitenden Systems, das Handlungsplanung
ermöglicht und Bewusstsein erzeugt, durch die Überprüfung
seiner Operationen. Dieses System beruht auf neuronalen Netzwerken in
unserem Gehirn in denen die verschiedenen Operationen repräsentiert
sind. Diese Netzwerke unterliegen Gesetzmäßigkeiten, durch
die ihre Informationsverarbeitung determiniert wird.
Nach der
ausführlichen Darstellung des Modells von Rolls soll ein
ebenfalls sprachliches Modell von Bewusstsein Platz finden, das
weitere Perspektiven aufzeigt. Das Modell von Macphail (1998) wird
sehr verkürzt umrissen und soll die Verbindung von Bewusstsein
und sprachlichen Prozessen zusätzlich verdeutlichen.
Macphail
erklärt, dass wir, wenn wir eine Aussage machen, grundsätzlich
etwas sagen über etwas. Das Prädikat, eine Eigenschaft
werde in Beziehung gebracht mit dem Subjekt, in der Form, dass das
Prädikat sich auf das Subjekt bezieht. Wir beziehen uns auf
etwas. Diese Form des über etwas Aussagen Treffen bezogen auf
internale Repräsentationen sei eine grundlegende Voraussetzung
für den Spracherwerb. Macphail führt den Philosophen Fodor
an, der behaupte, mentale Zustände, die an der Kognition
beteiligt seien, wären intentional und könnten als das
Ergebnis einer logarithmischen Verarbeitung gesehen werden. Alle
mentalen Zustände im Bereich der Kognition würden auf
Subjekt-Prädikat Ausdrücken beruhen. Das Problem der
Intentionalität wird gelöst, indem es als grammatikalische
Angelegenheit betrachtet wird.
Nach Macphail
führt ein Selbstkonzept zur Entwicklung einer kognitiven
Struktur, die einige kognitive Prozesse kontrolliert und beobachtet.
Durch die Fähigkeit, Gedanken über Repräsentationen zu
formulieren, könne zwischen Selbst und nicht Selbst
unterschieden werden; der Organismus besitze eine neue kognitive
Struktur, ein Selbst. Das Gedächtnis sei ein Prozess von
zentraler Bedeutung, den das Selbst kontrolliere. Es ermögliche
ein bewusstes Überwachen des Kurzzeitgedächtnis und könne
dessen Inhalte beeinflussen. In Kleinkindern sei die Sprache noch
nicht weit genug entwickelt, um die Beziehung des „über
etwas" zwischen internalen Repräsentationen zu ermöglichen;
deshalb könnten Kleinkinder zwar Informationen aufnehmen und
wiedergeben hätten aber keine bewusste Erinnerung an
Lebensereignisse.
Ähnlich wie
Rolls argumentiert Macphail bezüglich der Frage, ob Maschinen
Bewusstsein besitzen könnten, die manipulierten Symbole müssten
für einen Computer etwas in der Welt repräsentieren.
Wenn ein
Computer einen wohlgeformten Satz sage, dann sage er nichts über
das Subjekt des Satzes, da er mit den durch die Worte bezeichneten
Gegenständen keine Erfahrung habe und nichts über sie
wisse. Eine internale Repräsentation erfordere ein
strukturiertes Modell der Welt. Die Maschine müsse wahrnehmen
und handeln sowie unterscheiden können zwischen Inputs von
außerhalb der Maschine und Inputs vom Inneren der Maschine
sowie Veränderungen des Inputs, die extern verursacht werden und
denen die durch das Verhalten der Maschine selbst verursacht werden,
um zwischen Selbst und nicht Selbst unterscheiden zu können. Für
die Entstehung von Gefühlen in einer Maschine seien zusätzlich
Ziele notwendig.
Die Funktion des
Bewusstseins sieht Macphail in der Steuerung von Aufmerksamkeit durch
die Manipulation der Inhalte des Kurzzeitgedächtnis, was unter
anderem auch die Berücksichtigung vergangener Erfahrung bei der
Suche nach Lösungen für aktuelle Probleme ermögliche.
Es erlaube eine Entscheidung, worüber wir nachdenken werden. Ein
zweiter wesentlicher Punkt sei die Möglichkeit, die eigenen
Denkprozesse zu verstehen und dadurch das Verhalten anderer besser
vorhersagen zu können.
Das vorgestellte
Modell von Rolls lässt die konkrete Beschaffenheit der
neuronalen Netze außen vor und umgeht dadurch ein schwieriges
Problem. Das Bindungsproblem wird nicht gelöst und die Erfahrung
der Einheit des Bewusstseins wird mit dem Verweis auf unsere
begrenzte linguistische Kapazität beiseite geschoben.
Sprachliche Modelle, wie das von Rolls, können grundlegende
Fragen nicht befriedigend beantworten und zahlreiche Befunde nicht
erklären.
Patienten mit
einer Aphasie, die Sprache nicht produzieren noch verstehen können,
zeigen Anzeichen von Bewusstsein und drücken sich auf andere Art
und Weise aus. Menschen, die von Geburt an stumm sind, können
mit anderen Menschen interagieren, und niemand würde ihnen
Bewusstsein absprechen.
Ebenfalls
problematisch für die sprachlichen Modelle von Bewusstsein ist
die Tatsache, dass Gehirnläsionen niemals das Bewusstsein einer
Person vollständig auslöschen, auch wenn sprachliche
Fähigkeiten gestört oder gar vollständig ausgefallen
sind (Kolb&Whishaw 1996). Die linke Hemisphäre ist im
wesentlichen für sprachliche Prozesse verantwortlich. Wird
einem Patienten die rechte Hemisphäre entfernt, berichtet er
während der Operation, die bei vollem Bewusstsein durchgeführt
werden kann, da im Gehirn kein Schmerz wahrgenommen wird, von keiner
Veränderung. Die an der Operation Beteiligten können
ebenfalls keine Veränderung des Bewusstseinszustandes
feststellen (Austin 1974). Der Schluss, das Bewusstsein sei
ausschließlich verbal und deshalb in der linken Hemisphäre,
scheint durch diese Beobachtungen gestützt zu werden.
Patienten, denen die linke Hemisphäre entfernt wurde, scheinen
allerdings weiterhin bewusste denkende Menschen zu bleiben, und ihre
nichtverbale Persönlichkeit scheint intakt zu bleiben. Nach der
Entfernung der ganzen linken Gehirnhälfte, z.B. bei
Tumorpatienten, konnte eine Verbesserung der sprachlichen Fähigkeiten
der rechten Hemisphäre festgestellt werden (Smith 1966), jedoch
handelt es sich meist um gebräuchliche Redewendungen.
Rolls schlägt
vor, dass unser Bewusstsein eine exekutive Funktion besitzt, um
planendes Handeln zu ermöglichen. Nach Daniel M. Wegner und
Thalia Wheatley ist unser Wille jedoch nicht ursächlich an
unserem Verhalten beteiligt. Der Wille sei eine bewusste Erfahrung,
die willentliche Verursachung von Verhalten eine Illusion.
Wollen wir
unseren Arm heben und denken an diese Handlung, woraufhin sich unser
Arm hebt, glauben wir, diese Handlung herbeigeführt zu haben.
Wir haben unseren Arm gehoben. Andere Ursachen, die unseren Arm
veranlasst haben könnten sich zu heben, werden nicht in Erwägung
gezogen. In diesem Punkt begehen wir vielleicht einen großen
Irrtum.
Wir benutzen
gewohnheitsmäßig bestimmte kausale Attributionen zur
Erklärung unseres Verhaltens. Unsere mentalen Operationen werden
für die Herbeiführung unsers Verhaltens verantwortlich
gemacht.
Der bewusste
Wille könnte sich nach Wegner und Wheatley aus dieser Theorie
ergeben, die geeignet ist, die reguläre Beziehung zwischen
Denken und Verhalten zu erklären. Zweifel an einer direkten
kausalen Verbindung sind nicht unbegründet.
Studien von
Libet (1985in Wegner u Wheatley 1999) belegen, dass wir uns
Entscheidungen erst bewusst werden, wenn unser Gehirn bereits weiß,
was wir tun werden. Das ist sicherlich überraschend für die
meisten Menschen, und viele werden sich fragen, wie Libet zu der
Annahme kommt, dass für unser Gehirn unser Verhalten schon
feststeht, ehe es uns bewusst geworden ist. Libet untersuchte
unbewusste cerebrale Aktivität bei willentlichen Handlungen.
Seine Experimente lassen vermuten, dass die gleichen Vorgänge in
unserem Gehirn, die unser Verhalten hervorrufen, auch unsere Gedanken
initiieren. Bei der Untersuchung spontaner intendierter
Fingerbewegungen stellte Libet fest, dass ein Bereitschaftspotential
des Gehirns (RP abgekürzt) bereits auftritt, bevor wir uns
unserer Intention bewusst sind. Erst etwa 350-400 Millisekunden nach
dem RP tritt die bewusste Wahrnehmung der Absicht auf. Das RP ist ein
negativer Ausschlag des EEG, der bis zu etwa einer Sekunde vor einer
spontan ausgelösten willentlichen Handlung auftritt. Ein EEG
oder Elektroencephalogramm leitet oberflächlich die elektrischen
Veränderungen ab, die durch die Aktivität in unserem Gehirn
entsteht. Die Absicht zu handeln tritt zwar vor der Handlung auf ,
aber erst nach den Vorgängen die das RP signalisiert. Welche
Vorgänge genau das RP signalisiert, ist noch unklar. Die
bewussten Gedanken über eine Handlung haben eine unbewusste
Ursache ebenso wie die Handlung. Es ist möglich, dass zwischen
diesen beiden eine kausale Verbindung besteht; diese ist jedoch für
die Erfahrung einer Verknüpfung zwischen bewussten Gedanken und
Handlungen nicht notwendig. Die Wahrnehmung einer kausalen
Verknüpfung scheint zumindest teilweise illusorisch zu sein.
Libets Beobachtungen sind für Bewusstseinsmodelle, die unserem
bewussten Denken eine exekutive Funktion zuschreiben, ein Problem;
Entscheidungen werden getroffen, bevor wir uns unserer Entscheidung
bewusst werden. Der Nutzen des Bewusstseins, den Rolls proklamiert,
wird dadurch in Frage gestellt.
Alle bekannten
Bewusstseinsmodelle erklären schwerlich alle Aspekte des
menschlichen Bewusstseins und beruhen auf zahlreichen Annahmen, die
nicht durch Beobachtungen gestützt werden. Spezifische
Fragestellungen, die einzelnen Disziplinen zuzuordnen sind, werden
vorwiegend thematisiert. Das grundlegende Problem der Qualia wird
unzureichend erklärt von den verschiedenen Modellen, wobei die
Ansätze der linguistischen Modelle intuitiv die beste Erklärung
bieten. Die linguistischen Modelle gehen im Gegensatz zu den
quantenphysikalischen Modellen nicht näher auf das
Bindungsproblem ein. Eine Synthese dieser Theorien ist durchaus nicht
von vornherein auszuschließen, der Erfolg einer vollständigen
Erklärung der Rätsel des Bewusstseins durch eine solche
Synthese bleibt jedoch Wunschdenken. Das wesentliche Problem der
Modelle ist ihre unzureichende Datengrundlage. Sollen zukünftige
Erklärungsversuche gelingen, muss die notwendige Evidenz geboten
werden. Die Frage der Erkenntnisgrenzen wird zu einer Frage der
Erfassungsgrenzen. Um quantenphysikalische Modelle zu bestätigen,
müssten beispielsweise die Vorgänge in den Mikrotubulie
großer Neuronenpopulationen gleichzeitig erfasst werden können.
Die neuen bildgebenden Verfahren sind nicht geeignet, die
Quantenebene der Teilchen in den Mikrotubulie zu erfassen. Die
Zusammenhänge zwischen den Mustern der vorgefundenen Aktivität
in den Mikrotubulie und der Erfahrung des Bewusstseins müssten
ergründet werden, etwa durch gezielte Läsionen der
neuronalen Netzwerke, was enorme ethische Probleme aufwirft und nur
indirekte Schlussfolgerungen zulässt.
Trifft die
Vermutung von Penrose (1991) zu, es handle sich bei unseren Gedanken
um Vorgänge, die nicht durch Algorithmen beschrieben werden
können, was aus der Tatsache geschlossen wird, dass Menschen
nicht algorithmische mathematische Probleme lösen können
und Intuitionen haben, würde die Entwicklung eines
Quantencomputers notwendig machen, um dieses Prozesse nachzubilden.
Die Nachbildung
der Prozesse die Bewusstsein ermöglichen, sofern sie
durchführbar ist, löst das Problem keineswegs, da in einem
solchen Fall festgestellt werden muss ob dieses Netzwerk oder dieser
Rechner tatsächlich Bewusstsein besitzt, der die Prozesse
nachbildet und nicht nur Reaktionen zeigt, die wir erwarten von einem
bewussten Subjekt. Alle bisher vorgestellten Methoden, um dies
festzustellen, bleiben fraglich. Der bekannteste Vorschlag stammt von
Turing, ein Mensch müsse in einer Unterhaltung mit dem Computer
den Eindruck gewinnen, dieser besitze ein Bewusstsein. Ein anderer
Vorschlag stammt von Macphail, es müsse festgestellt werden, ob
die Maschine in Konversationen unterscheide zwischen sich und dem
Rest der Welt und von sich Selbst als ein Ich denke und seinem
Gegenüber als ein Du.
Es gibt einen
naturalistischen Standpunkt, der die Beantwortung des
Bewusstseinsproblems als unmöglich betrachtet, aufgrund unseres
kognitiven Unvermögens das Phänomen des Bewusstseins zu
begreifen, obwohl es sich um ein natürliches Phänomen
handle. Dieser Standpunkt wird als antikonstruktiver Naturalismus
bezeichnet. Es wird demnach angenommen, dass intelligentere Lebewesen
durchaus in der Lage sein könnten, unser Bewusstsein zu
erklären, dass uns die Lösung dieses Problems vorenthalten
bleiben muss aufgrund der Unfähigkeit unseres Gehirns, sich
Selbst zu begreifen. McGinn (1991) vertritt diese Form des neuen
Mysterianismus, der zwangsläufig aus den Schwierigkeiten,
Bewusstsein in ein treffendes Modell zu fassen, erwachsen musste. Wir
können die Frage nach der Funktionsweise des Bewusstseins
stellen, die kognitive Fähigkeit, sie zu beantworten, besäßen
wir leider nicht und befänden uns aufgrund dessen in einer
frustrierenden Situation. Insekten besitzen nicht die Fähigkeit,
Wissenschaft zu betreiben und die Naturgesetze zu erforschen, dennoch
bestehen diese. Sie sind nicht in der Lage, die richtigen Fragen zu
stellen, und bemühen sich folglich nicht, Phänomene zu
erklären und zu verstehen. Menschen sind nach McGinn in der
Lage, die richtigen Fragen zu stellen; in Bezug auf das Bewusstsein
sind wir allerdings nicht in der Lage, diese zu beantworten, und
unser Drang nach Erkenntnis muss unerfüllt bleiben. Die
Tatsache, dass dieser Standpunkt ein naturalistischer ist, insofern
er annimmt, dass es sich beim Bewusstsein um ein natürliches
Phänomen handelt, ist besonders zu berücksichtigen.
Die Rätsel
des Bewusstseins und des subjektiven Erlebens sind weitgehend
ungeklärt, und die Konsequenzen, die daraus gezogen werden,
gehen oft weiter als die Vorstellungen des antikonstruktiven
Naturalismus. Bewusstsein müsste nach naturalistischen
Vorstellungen reduzierbar sein auf neuronale Prozesse. Da wir heute
noch nicht mit Sicherheit sagen könnten, ob dies gelingen wird
lasse sich nach dem agnostizistischen Standpunkt, der z.B. von Thomas
Nagel vertreten wird, diese Frage noch nicht beantworten, und
folglich dürfe weder angenommen werden, es handle sich bei
geistigen Ereignissen einzig und allein um neuronale Ereignisse, noch
dürfe angenommen werden geistige Ereignisse seien nicht auf
neuronale Ereignisse reduzierbar.
Die Fortschritte
der Bewusstseinsforschung sind zweifelhaft und führen dazu, dass
die Erklärbarkeit des Phänomens von einigen Forschern in
Frage gestellt wird. Die wissenschaftliche Forschung stößt
vielleicht an die Grenze ihrer Erkenntnismöglichkeiten.
Austin, G., Hayward, W., Rouhe, S. (1974). A
Note on the Problem of Conscious Man and Cerebral Disconnection by
Hemispherectomy. Springfield: Hemispheric Disconnection and Cerebral
Function
Baddeley, A. (1997). Human Memory. Revised Ed. Hove:
Psychology Press Ltd., 325-333
Chalmers, D. (1995). The Puzzle of Conscious Experience.
Scientific American 80-87
Crick, F. (1997). Was die
Seele wirklich ist. Die naturwissenschaftliche Erforschung des
Bewußtseins. Reinbek bei Hamburg
Damasio, A. R. (1994). Descartes'
Error.Emotion, Reason and the Human Brain. New York: G. P. Putnam's
Son
Fodor, J. A. (1975). The
language of thought. New York: Thoms Y. Crowell &; Co
Gadenne, V. (1996). Bewußtsein, Kognition und
Gehirn: Einführung in die Psychologie des Bewußtseins.
Bern: Verlag Hans Huber
Gadenne, V., Oswald, M. E. (1991). Kognition und
Bewußtsein. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag
Gazzangia, M. S. (1995).
Consciousness and the cerebral hemispheres.
In M. S. Gazzangia (Ed.), The Cognitive
Neurosciences (pp. 1392-1400). Cambridge, MA: MIT Press
Horgan, J. (2000). Der menschliche Geist: Wie die
Wissenschaften versuchen die Psyche zu versthen. München:
Luchterhand
Humphrey, N. K. (1980). Nature‘s
psychologists. In D. B. Josephson & V. S. Ramachandran
(Eds.), Consciousness and the
Physical World (pp. 57-80). Oxford: Pergamon
Kolb, B. , Whishaw, I. Q. (1996). Neuropsychologie.
Heidelberg; Berlin; Oxford: Spektrum Akademischer Verlag Gmbh
Libet, B. (1985). Unconscious cerebral initiative and
the role of conscious will in voluntary action. Behavioral and Brain
Sciences, 8, 529-566
Macphail, E. M. (1998). The Evolution of Consciousness.
Oxford, New York, Tokyo: Oxford University Press
McGinn, C. (1991). The problem of consciousness. Oxford:
Blackwell
Moruzzi, G., Magoun, H. W. (1949). Brainstem Reticular
Formation and Activation of the EEG. Electroencephalography and
clinical Neurophysiology, 1, 455-473
Nagel, T. (1979). What is it like to
be a bat? In mortal Questions. Cambridge:
Cambridge University Press
Penrose, R. (1991). Computerdenken : die Debatte um
künstliche Intelligenz, Bewusstsein und die Gesetze der Physik.
Heidelberg : Spektrum-der-Wissenschaft-Verlagsges.
Pinel, J. P. J. (1990). Biopsychology. 3rd. Ed. Allyn &
Bacon, 20-104, 411-420
Pöppel, E. (1985). Grenzen des Bewußtseins.
Zur Wirklichkeit und Welterfahrung. Stuttgart: Deutsche
Verlags-Anstalt
Rolls, E. T. (1997). Consciousness in
Neural Networks? Neural Networks, 10 (7), 1227-1240
Rolls, E. T. (1996c). The orbitofrontal cortex.
Philosophical transactions of the Royal Society, Series B, 351,
1433-1444
Rolls, E. T. (1997). Brain mechanisms
of vision, memory, and consciousness. In I. Masao, Y. Miashita &
E. T. Rolls (Eds.) Cognition, Computation and Consciousness
(pp.81-120). New York: Oxford University Press
Rychlak, J. F. (1997). In defense of
human consciousness. Washington, DC, USA: American Psychological
Association.
Smith, A. (1966). Speech and other functions after left
(dominant) hemispherectomy. Journal of Neurology, Neurosurgery and
Psychiatry, 29, 467-471
Smith, A., Burklund, C. W. (1966). Dominant
hemispherectomy. Science, 153, 1280-1282
Smith, A., Sugar, O. (1975). Development of above normal
language and intelligence 21 years after left hemispherectomy.
Neurology, 25, 813-818
Stent, G. (1978). Paradoxes of Progress. San Francisco:
Garden City
Turing, A. (1950). Computing machinery and intelligence.
Mind, 59, 433-60
Wegner, D. M., Wheatley, T. (1999).
Apparent Mental Causation. American
Psychologist, 54 (7), 480-492
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.