Erschienen in Ausgabe: No. 20 (2/2003) | Letzte Änderung: 27.01.09 |
von Stefan Groß
Johann Wolfgang Goethe (1749-1832)
zeigt zeit seines Lebens ein reges Interesse an der Thematik der
Gartenkunst und an Gartenanlagen. Dies beweisen seine
botanisch-naturwissenschaftlichen Studien. Sowohl im dichterischen
Werk als auch in den kunsttheoretischen Schriften finden sich viele
Verweise zur Gartenkunst und zu ihrer Einordnung in den
ästhetisch-kunstgeschichtlichen Kontext des ausgehenden 18.
Jahrhunderts. Goethe kennt nicht nur die von England ausgehende
„Gartenrevolution“, sondern er versteht sich seit 1776
selbst als Gartengestalter und Gartentheoretiker. Goethe setzt sich
1765-1768 in Leipzig intensiv mit der neuen Gartenmode englischen
Stils auseinander. Ausgehend vom Studium Winckelmanns und der
Antikenrezeption, durch die das klassische Ideal der griechischen und
römischen Welt gebildet wird, beschäftigt er sich mit der
Ganzheit und Fülle der Natur. Darüber hinaus fasziniert ihn
das nahe gelegene Dessau und die Reformpolitik des kleinen
Fürstentums. In Anhalt-Dessau sieht er eine schöne „durch
Kunst verherrlichte Gegend, in einem wohl administrierten und
zugleich äußerlich geschmückten Lande“. Nicht
nur in Leipzig sondern auch in Straßburg (1770-1771) macht er
intensive Naturerfahrungen und studiert Hirschfelds Werk „Das
Landleben“ (1767). Ihm geht es in dieser Zeit darum, die
„Reitze des Landlebens, in Prosa und Versen aufmercksamer zu
machen, trutz Hirschfelden dem Anatomicker der Natur [...]“.
Ein Jahr nach seiner Ankunft in Weimar
bezieht Goethe im April 1776 das ehemalige Börnersche Anwesen.
In einer Briefstelle vom 17. Mai 1776 heißt es: „Hab ein
liebes Gärtgen vorm Thore an der Ilm schönen Wiesen in
einem Thale. Ist ein altes Haus drinne, das ich mir repariren lasse.“
An einer anderen Stelle bemerkt er: „Da lass ich mir von den
Vögeln was vorsingen, und zeichne Rasenbäncke, die ich will
anlegen lassen [...].“
Die Flucht aufs Land dient Goethe –
wie später Wieland in Oßmannstedt – als Rückzug
in die Intimität der Natur. Die Abkopplung von der höfischen
Etikette und die damit verbundene bürgerliche Freiheit läßt
sich zurecht als Strukturwandel der damaligen Zeit begreifen. Nicht
nur das Bürgertum flieht – nach dem Vorbild englischer
Aristokraten – auf das Land, sondern auch der Adel sucht nach
privater Intimität. Das „Borkenhäuschen“
(Louisenkloster) im Ilmpark, das Georg Melchior Kraus 1788 zeichnet
und das „Gothische Haus“ in Wörlitz (Kolorierte
Radierung 1790 von Johann Friedrich Nagel [1765-1825]) stehen für
das Bedürfnis der Zeit, nach Freiheit und ungezwungener
Lebensführung zu suchen. Geprägt von der Naturphilosophie
Shaftesburys und Rousseaus steht die Landschaftserfahrung für
ein reines Naturerlebnis.
Goethes erste Versuche als
Landschaftsgestalter und Gartenarchitekt sind überliefert. Zu
den Gartengestaltungsmaßnahmen sei hier kurz vermerkt: Als
jugendliche Spielerei und als Kritik an der traditionellen
Gartenkunst werden am 26. Mai 1777 die Ruinen in Belvedere „ruinirt“.
Ebenfalls – vor dem Hintergrund der Kritik am überlieferten
Gestaltungsprinzip französischer Manier – wird am 23. Juli
1777 „die Mauer vom Welschen Garten eingeworfen“. Der
Selbstmord der Hofdame Christel v. Lasberg veranlaßt Goethe im
Januar 1778 eine empfindsame Partie zu gestalten, die an den
tragischen Tod erinnern soll. Am 17. Januar 1778 „[...] ward
Christel v. Lasberg in der Ilm vor der Felsenbrücke unter dem
Wehr von meinen Leuten gefunden.“ Mit Johann Ernst Gentzsch
erfindet Goethe „ein seltsam Plätgen wo das Andencken der
armen Christel verborgen stehn wird“. Ein „gut Stück
Felsen [...] in höchster Abgeschiedenheit“ zu schaffen, um
ihre letzten „Pfade und den Ort ihres Todes“ zu
dokumentieren, entsteht die sogenannte Felsentreppe im „Nadelöhr“,
die ein Zeichen für Goethes Interesse an der damals
nachempfundenen sentimentalen Parkgestaltung ist. Ein weiterer
Höhepunkt der aktiven Landschaftsgestaltung ist der Namenstag
der Herzogin Luise am 9. Juli 1778. Durch den Schloßbrand von
1774 veranlaßt, zieht die Hofgesellschaft ins Ilmtal, „wozu
die verschiedenen wohleingerichteten Lustschlösser, besonders
auch das heitere Ilmtal bey Weimar und dessen ältere Zier- und
Nutzgartenanlagen, die schönste Gelegenheit boten.“ Mit
dem Gärtner Gentsch schafft Goethe innerhalb von drei Tagen die
kleine Einsiedelei – das schon erwähnte „Luisenkloster“.
Dabei wird „[...] ein altes Pulvertürmchen [...] in einen
Glockenturm verwandelt und bildete gemeinsam mit einer strohgedeckten
Holzhütte und einem ruinenartig dekorierten Mauerstück die
Kulisse für ein heiteres, höfisches Verkleidungsspiel“.
Im Rahmen der Festivitäten kommt es zur Aufführung von
Goethes „Triumph der Empfindsamkeit“. Goethe kritisiert
im vierten Akt des „Triumphes“ die „neumodische
Parksucht“, d.h. er distanziert sich bereits zu einer Zeit, in
der er selbst noch sentimentale Partien anlegt, von diesem Typ des
Landschaftsgartens. Er schreibt: „Denn, Notabene“ In
einem Park / Muß alles Ideal sein, / Und, Salva, Venia, jeden
Quark / Wickeln wir in eine schöne Schal‘ ein. / So
verstecken wir zum Exempel / Einen Schweinestall hinter einem Tempel;
/ Und wieder ein Stall, versteht mich schon, / Wird geradeswegs ein
Pantheon.“ Weiter heißt es: „Wir haben Tiefen und
Höhn, / Eine Musterkarte von jedem Gesträuche, / Krumme
Gänge, Wasserfälle, Teiche, / Pagoden, Höhlen, Wiesen,
Felsen / Und Klüfte, / Eine Menge Reseda und andres Gedüfte,
/ Weimuthsfichten, babylonische Weiden und Ruinen, / Einsiedler in
Löchern, Schäfer im Grünen, / Moscheen und Thürme
mit Kabinetten, / Von Moos sehr unbequeme Betten [...].“ Diese
Kritik wird durch die Reiserfahrungen, die Goethe mit Herzog Carl
August in den Jahren 1776 und 1778 macht, vervollständigt. Durch
seine Reisetätigkeit lernt Goethe bereits 1776 die
undomestizierte Natur kennen. Diese frühen
Landschaftserfahrungen werden später durch die Harzreisen, die
Reisen in die Schweiz und durch den zweijährigen Aufenthalt in
Italien (1786-1788) vervollständigt. Bereits 1776 berichtet
Goethe an Charlotte von Stein von seinen Landschaftserfahrungen. Die
Schilderungen, die er aus Stützerbach, Manebach, Eisenach,
Wilhelmsthal gibt, weisen darauf hin, daß Goethe bereits in den
frühen Weimarer Jahren das Erlebnis der Naturerfahrung über
eine rein künstlerische Gartengestaltung stellt. Aus Elbingerode
im Harz berichtet Goethe z. B. von „der ungeheuern Natur“.
Neben den Landschaftsbeschreibungen sind es aber auch seine Studien
zu Wetter, Geologie, die ihn in die Baumannshöhle und in die
Hermannshöhle im Thüringer Wald führen.
In der Verkleinerung von Staffagen –
wie sie die sentimentale Gartengestaltung vornimmt – und in der
Idealisierung einer Landschaft, die ihre Schönheit nicht durch
sich selbst sondern aus der künstlichen Überformung
erlangt, sieht Goethe ein schlechtes Abbild ästhetischer
Nachahmung. Der „Triumph der Empfindsamkeit“ steht nicht
nur für die Kritik an einer übersteigerten Gartengestaltung
englisch-sentimentaler Prägung, sondern wird zum Wegweiser
klassischer Vorstellungen von der Gartenkunst. Das „Zuviel“
der Gartengestaltung begreift Goethe als ikonographische
Überfrachtung. Das Gekünstelte des Gartens und seine
Spielereien machen es letztendlich unmöglich, zu einem
unmittelbaren Erlebnis der Landschaft zu kommen. Im Unterschied zur
Parkgestaltung der frühen Wörlitzer Anlagen, d.h.
insbesondere zum „Schloßgarten“, „Neumarkschen“-
und „Schoch’schen“ Garten, wo die Staffagen die
Landschaft reglementieren, sieht Goethe in der freien Landschaft das
Ideal der Gartenkunst. Sein Unbehagen richtet sich gegen die
zeitgenössische Mode, den künstlich errichteten Garten als
Idealbild zu inszenieren. Die sich im „Triumph der
Empfindsamkeit“ äußernde Kritik am sentimentalischen
Garten wiederholt sich beim Besuch Goethes in Hohenheim. „Hohenheim
selbst, der Garten sowohl als das Schloß, ist eine merkwürdige
Erscheinung. Der ganze Garten ist mit kleinen und größeren
Gebäuden übersäet, die mehr oder weniger theils einen
engen, theils einen Repräsentationsgeist verrathen“. Das
Resümee Goethes ist bekannt: „[...] nur machen viele
kleine Dinge zusammen leider kein großes“. Der Idee eines
Landschaftsgartens ist nicht näher zu kommen, wenn man diesen
durch eine Vielzahl künstlerischer Staffagen ästhetisch
auszuschmücken sucht. Die Möglichkeit, den Garten im Lichte
der Natur zu begreifen, bedeutet für Goethe, der Natur einen
freien Raum zuzugestehen, der zugleich Ausdruck für ihre selbst
erschaffende Kreativität ist. Natur, so Goethe, ist einerseits
schaffende Natur – im Sinne der natura naturans –,
andererseits geschaffene Natur (natura naturata), die nach immanenten
Gestaltungskriterien arbeitet.
Im Anschluß an Plotin, der nicht
nur für die Naturphilosophie des 18. Jahrhunderts maßgebliche
Impulse liefert, versteht Goethe die Natur als schaffende Kraft.
Denken und Betrachten begreift er wie Plotin als Akt künstlerischen
Schaffens. Im Prooemion zu „Gott und Welt“ heißt
es: „Ihm ziemt’s die Welt im Innern zu bewegen, Natur in
sich, sich in Natur zu hegen. Sodaß, was in ihm lebt und webt
und ist, Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermißt“. Mit
der Auffassung, daß Natur, Betrachtung und Anschauung von ihr
eine Einheit bilden, greift Goethe auf Giordano Brunos
neuplatonisch-inspiriertes Denken zurück. Er begreift die Natur
als lebendig-harmonischen Organismus, der die Gesamtheit ihrer
partikularen Einheiten widerspiegelt. Die Natur ist kein totes
Produkt, sondern selbst geistiger Natur, die sich nach rationalen
Strukturen organisiert, d.h. die Selbstreproduktion ist ein
immanenter Akt derselben. Um das gestalterische Potential der Natur
nachzubilden, bedarf es einer Kunst, die den Gegenstand nicht dort
abholt, wo dieser bereits existiert, sondern wo sich dieser selbst in
die Erscheinung bringt. Im Unterschied zu Plotin geht es Goethe nicht
um eine Idealisierung der Natur im Sinne einer ontologisch-fundierten
Metaphysik des Einen. Goethe verfährt umgekehrt, wenn er die
sinnliche Erscheinung – nicht rückführbar auf ein
intelligibles Substrat – als Kern vernünftiger Entäußerung
begreift. Die Erscheinung ist Ausdruck einer Vernünftigkeit der
Natur und muß diese zur Darstellung bringen. Nicht die
Metaphysik steht am Ende Goethescher Reflexion, sondern die
Erscheinung als Einheit natureller und künstlerischer
Gestaltung. Im gestalteten Kunstwerk offenbart sich die
Selbstorganisation der Natur, denn das Kunstwerk versteht Goethe –
ähnlich wie Schiller – als Erscheinung des ideellen
Gehaltes in der Sinnlichkeit.
Goethe kritisiert englische Gärten
und die ihnen zugrunde liegende Ästhetik auch vor dem
Hintergrund, daß diese letztendlich, statt auf das Orginal
abzuzielen, nur die Kopie unendlich produzieren. Anstatt produktiv
mit der Idee der Natur zu arbeiten, verliert sich die gestalterische
Praxis in der bloßen Nachahmung – ein überzeugendes
Argument –, das Goethe in dem mit Schiller und Meyer gemeinsam
verfaßten Aufsatz „Über den Dilettantismus“
noch 1799 vertreten wird. Von Seiten der Naturphilosophie aus gesehen
bedarf es einer ursprünglicheren Sicht auf die empirische
Wirklichkeit. Getreu der Maxime, man soll nicht hinter den
Phänomenen suchen, geht es Goethe um ein Naturkonzept par
excellence. Er nimmt mit seiner Kritik am sentimentalen Garten
bereits im „Triumph der Empfindsamkeit“ die Kritik von
Ludwig Heinrich Hermann von Pückler (1785-1871) vorweg, die
dieser in seinen 1832/33 geschriebenen „Andeutungen über
Landschaftsgärtnerei“ niederlegt. Pückler-Muskau legt
vor dem Hintergrund seiner Englandreise, die er in den Jahren 1814/15
vornahm und als praktischer Landschaftsgestalter ein Theoriestück
der Gartenkunst vor, das mit sentimentalen Gartenvorstellungen
radikal bricht. Ausgehend von der klassischen Landschaftsgestaltung
Lancelot Browns (1716-1783) kritisiert er jede Form sklavischer
Nachahmung. Wie Goethe weist Pückler auf den Genius des Ortes
hin und fordert eine künstlerische Gestaltung, die diesem Ort
angemessen ist. „Wird die Sache noch ernstlicher und in einem
größeren Maßstabe betrieben, so erweitert man wohl
auch den, nur unsichtbar fließenden, Abzugsgraben zu einem
prätendierten Bache, baut in formidablen Bogen über das
bescheidene Wässerchen eine Riesenbrücke von rohen
Birkenstämmen, haut, um Fernsichten zu gewinnen, zwei bis drei
steife Flügel durch den Wald, und stellt hie und da die
beliebten Tempelchen und Ruinen auf, wovon gewöhnlich die
ersteren bald das wirklich werden, was die andern vorstellen sollen.“
Des weiteren moniert Pückler-Muskau, daß in vielen
deutschen Gärten, die nach englischem Vorbild entstanden, das
Praktische oder rein Nützliche fehle. „[...] Künstliche
Verkleinerung der Größe“, d.h. Staffagebauten, die
als Parkkopien an südländische oder gotische Vorbilder
erinnern, verringern das ästhetische Landschaftserlebnis. Vor
der gängigen Manier, mit Hilfe von Inschriften die
Einbildungskraft zu erhöhen, distanziert sich Pückler-Muskau
ebenfalls. Durch diese stilisierte Methode ist es unmöglich, zu
einer Erfahrung wahrhafter Innerlichkeit zu kommen. Inschriften wie
in Wörlitz, im Ilmpark und in Tiefurt und „wären sie
selbst von Göthe, wie in Weimar“ haben „ohnfehlbar
in seinen Schriften einen besseren Platz.“
Während die sentimentale
Gartenkunst die Natur idealisiert und das Naturerlebnis künstlich
inszeniert, ist es, so Goethe, das Gefühl des Erhabenen, das es
erst ermöglicht, sich als Teil des Kosmos zu begreifen. „Das
Erhabene giebt der Seele die schöne Ruhe“, es ermöglicht
das reine Gefühl, die Landschaft unmittelbar zu genießen,
ohne von künstlichem Zierrat abgelenkt zu werden. Das
unmittelbare Erhabene fasziniert, erschreckt und überrascht, wie
Goethe schreibt. Edmund Burke war es, der auf die Unterscheidung
zwischen Schönheit und Erhabenheit in seinem Werk Philosophische
Untersuchungen über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und
Schönen aufmerksam gemacht hat. Sie läßt sich
aber auch beim vorkritischen Kant in modifizierter Form nachweisen.
Goethe kennt sowohl Burke als auch Kant und ist mit den einschlägigen
Werken vertraut. Zumeist stellt sich das Gefühl des Erhabenen,
so Burke, ein, wenn man einem übergroßen, übermächtigen
und Schrecken und Angst einflößenden Objekt gegenüber
steht. Die Erhabenheit setzt die räumliche Distanz sowie
überdimensionale Größenverhältnisse und
Proportionen – Schmerz und Gefahr inbegriffen – voraus.
Umgekehrt verhält es sich mit dem Schönen. Das Gefühl
der Schönheit, so Burke, stellt sich ein, wenn das Objekt aus
der Nähe betrachtet wird. Dabei sind die Proportionen desselben
harmonisch und symmetrisch geordnet. Der Miniaturcharakter und die
Kleinheit des Objektes verstärken das Gefühl der Schönheit.
Unterscheidet man zwischen dem Garten als idealem Raum und der
undomestizierten Natur, wie sie Goethe in seinen Naturaufzeichnungen
beschreibt, so überwiegt im Garten das Ideal der Schönheit,
während in der Natur das Gefühl der Erhabenheit zum
Ausdruck kommt. Gartenszenen, wie beispielsweise die Nachbildung des
Vesuvs im Wörlitzer Park (Karl Kuntz, Der „Stein“ zu
Wörlitz 1797 [Aquatinta koloriert]), kann Goethe nichts
abgewinnen, da es den naturspäßigen Staffagen nicht
möglich ist, das Gefühl der Erhabenheit hervorzubringen.
Auch die zwischen 1788 und 1794 als „Stein“ bekannte
Insel in Wörlitz, die als Italien-Reminiszenz erbaut wird, muß
Goethe – vom naturphilosophischen Standpunkt aus gesehen –
mißfallen. Der Versuch, die Natur durch die Nachbildung zu
vervollkommnen, um das Ideal in der künstlich-geschaffenen
Staffage zu fixieren, würde Goethe als Zeichen schlechten
Geschmacks deuten und ablehnen. Die Nachahmung, die sich nicht nur
auf die Kopie von Naturszenen beschränkt, sondern darüber
hinaus auf Bauwerke erweitert wird, stellen bereits andere Kritiker
der englischen Landschaftskunst in Frage. Durch die Kopie, so die
Kritik, ist eine unverfälschte Wiedergabe des Originals
unmöglich. Zwar wird durch die Gartenkunst und durch ihr
theoretisches Programm – die Ausführungen von Hirschfeld
belegen dies nachdrücklich – gezielt auf eine
Idealisierung des Landschaftsbildes hingearbeitet. Dennoch: Der
Garten vermag nicht, wie Goethe betont, die wahre Natur zu ersetzen,
da es sich bei ihm nur um einen begrenzten Raum handelt. Der Garten
bleibt nur ein kleiner Ausschnitt der Natur. Anders als Hirschfeld –
dem Gartentheoretiker schlechthin – entwickelt Goethe seine
eigene Ästhetik, in der die Gartenkunst keinen eigenständigen
mehr Platz hat. Er distanziert sich nicht nur von der Romantik seines
Werthers, sondern sucht verstärkt nach den objektiven
Kriterien der Kunst. Da sich aus der sentimentalen Gartenkunst heraus
kein objektives Gesetz der Kunst ableiten läßt, kann sich
diese auch keinen Platz innerhalb der Hierarchie der Künste
sichern. Statt in der Gartenkunst findet Goethe die gesuchte
Objektivität der Natur in der landschaftlichen Malerei Philipp
Hackerts und in der Baukunst, die nach den ästhetischen Idealen
antiker Gesetzmäßigkeit gestaltet wird. Es verwundert
daher nicht, daß Goethe bereits in den neunziger Jahren der
sentimentalen Gartenkunst den Rücken zukehrt und sich intensiver
mit einer Ästhetik beschäftigt, in der nicht mehr der
Gartendilettant im Mittelpunkt steht, sondern das Kunstgenie, das
nach dem Ursprung, d.h. nach dem Urphänomen sucht. Verliert die
Gartenkunst im ästhetischen Werk vollends an Boden, bleibt ihr
aber Goethe als praktischer Gartengestalter zeitlebens treu. Sowohl
die Gestaltung des „Römischen Hauses“ als auch die
Gartenerlebnisse, die Goethe bis ins hohe Alter hinein nicht
vermissen will, stehen diametral entgegengesetzt zu seinen
Überlegungen, die er als Wissenschaftler und Ästhet
bekundet. Die Faszination an der Landschaft oder am Garten findet
sich in vielen seiner literarischen Schriften. Dort wird ihm der
Garten – wie beispielsweise in den Wahlverwandtschaften
– einerseits zum Refugium sinnlich erlebter Idylle,
andererseits steht er für den Abschied aus derselben. An die
Stelle der Intimität tritt der Aspekt der Nützlichkeit, der
für Goethe ausschlaggebend ist, einen Garten zu gestalten, in
dem sich Schönheit und wissenschaftliches Forschen miteinander
verbinden.
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