Erschienen in Ausgabe: No 60 (2/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Steffen Dietzsch
Es seien, hörten wir, Wege zum
Kommunismus zu beschreiten, um zu wissen, ob das, was man Kommunismus nennen
sollte, möglich sei. Hat er sich also vom unbedingten Glaubensbekenntnis – entweder ER oder Barbarei – von ehedem auf
diese empiristische Metapher zurückgezogen? Aber auch sie hilft kaum weiter,
sie behindert eher klares – kognitives – Verstehen dieses Großidols.
Kommunistisch – was heißt dass? Das
Problem, das er sich stellt, ist es, die sogenannte soziale Frage zu lösen, und zwar endgültig! Endgültig, d. h. radikal, d. i. an die Wurzel gehen:
damit war nichts Geringeres gemeint, als die Aufhebung des Privateigentums
zugunsten des Gemeineigentums in Gang zu setzen. Dadurch soll etwas passieren,
was noch nie gemeinschaftlicher guter Wille oder entschlossene Insurrektion
zustande gebracht hatten, weder mit Gottesfurcht noch aus Rechtsbegriffen,
nämlich daß Menschen satt und sicher, damit freundlich und frei leben könnten
auf Erden. Gerade das verkündete und begründete (nach Französischer Revolution
und deutschem Vormärz) die Sozialtheorie des Kommunismus. – Der Kommunismus
versprach also, sogar noch hundert Jahre später, während der Praxis der
Lenin/Stalinschen Sowjet[=Räte]Gesellschaft
– etwas entscheidendes, nämlich alle sozialen Ungerechtigkeiten strukturell zu
zerstören bzw. zu beheben, um so den Neuen (Kommunistischen)
Kategorischen Imperativ zu erfüllen, demzufolge alle Verhältnisse umzustürzen seien, in denen der Mensch ein geknechtetes, beleidigtes und erniedrigtes
Wesen ist (Marx). – Es galt also die Macht ein für alle mal zu erringen, um
genau dieses Programm zu erfüllen, nämlich alles
umzustürzen, und mit ‚alles’ war auch
‚alles’ gemeint, d.h. alles
abzuschaffen, was offensichtlich den Menschen von seinesgleichen unterscheidet,
sprich: entfremdet (und was diese Entfremdung ideell verklären würde), allem
voran die Eigentums-, Kapital- und Geldverhältnisse[1], die
damit überkommene Rechtsprechung[2],
Handel, Administration, Parlamentarismus[3],
natürlich die Kultur dieses ‘Alten’, gleichermaßen das Persönlich-Familäre[4],
Alltagskultur wie auch Religion, Kunst oder Philosophie.
Nun sollte allerdings das bis
heute verbreitete vegetative
Wachhalten des Programms jener sog.
sozialen ‘Befreiung’ gar nicht, gewissermaßen nebenbei, zum kognitiven Abusus beim Erinnern an jene
gigantischen Bluttaten des ‘Befreiens’ führen. Und es sollte auch nicht – wie
es allerdings Stéphane Courtois seit der Veröffentlichung des ‘Schwarzbuches’
gerade in Deutschland erleiden mußte – zur intellektuellen Diskreditierung
derer führen, die sich der deprimierenden Erinnerungsarbeit stellen.
Gänzlich ‘schief’ wäre
schließlich jede ‘eindämmende’, ‘historisierende’ Argumentation seitens der
Freunde des Verewigten (Kommunismus), das ganze Unternehmen der Kommunismuskritik
mit einem Hinweis auf die weltweiten Toten des kolonialen, imperialen &
globalen Kapitalismus überhaupt in frage stellen zu wollen. Das viele nun auf
jene Verbrechen verweisen werden, ist eben leider kein entlastender Hinweis für den Kommunismus. Denn der Kommunismus
wollte doch nicht etwa bloß die zweitschlechteste, ‘zweitblutigste’
Menschenordnung sein, sondern eben alle menschengemachte Menschenfeindlichkeit
von ehedem gerade überwinden. Was dort zur Kapitallogik und zur Profitmacherei gehören
mag, könnte hier doch nur zynisch in Anschlag gebracht werden – Wo gehobelt wird fallen Späne. Die
Marktwirtschaften – Wenn jeder für sich
gut sorgt, ist schon gut für alle gesorgt – wollten im übrigen auch nie die
soziale Ungerechtigkeit beseitigen, sondern höchstens mildern. Gerade mit
diesen ‘halben Sachen’ aber konnten sich Kommunisten aller Länder nie abfinden.
Lieber war man doch Totengräber der alten Ordnung, als ‘Arzt am Krankenbett des
Kapitalismus’.
Die Notwendigkeit, die für die
Menschen neu anbrechende Leidenswelt des alltäglichen ökonomischen und
kulturellen Scheiterns der Befreiung durch eine alltägliche Lügenwelt
(binnensprachlich: ideologische Arbeit) zu überdecken, gehört seither zur
Alltagsarbeit jedes sich sozial
alternativ zum Kapitalismus verstehenden Lebensversuchs, vom Kriegs- zum
Eurokommunismus (von Nordkorea ganz zu schweigen). Kommunismus als übergreifenden Begriff für so unterschiedliche (und
sich auch politisch bekämpfende) politische Strömungen wie Bolschewismus,
Pol-Potismus, Maoismus, Titoismus, ‘Resozismus’ oder ‘Leuchtender Pfad’ ist
erlaubt aus dem einen Grund: Es geht allen
um eine Lösung der sozialen Frage unter der Voraussetzung der Negation des
Privateigentums. Diese kommunistisch
zu nennende Fluchtlinie ins Gemeineigentums aber hat eben immer die Abschaffung
der Gesellschaft (als einer auf
juristisch gestützten Austausch von Individuen begründeter Lebensform)
zugunsten der Gemeinschaft (als einer
auf Verteilung beruhenden Lebensform) zur Folge. Diese Abschaffung der
(Markt-)Gesellschaft aber ist das, was man kommunistischerseits die Beendigung der Vorgeschichte der Menschheit
genannt und betrieben hat. Die Verlaufsformen dieser Radikalen Gesellschaftskritik sind, schon weil sich viele der
‘alten Adame’ wehren werden, genuin mit Taten verbunden, die wir herkömmlich
als Verbrechen gegen Sachen, Leib und
Leben bezeichnen dürfen.
Die Klage (und das Leiden)
angesichts der jüngsten Hinweise auf die – unfaßbaren – Verbrechen des
Kommunismus ist bei den Gebildeten unter seinen Anhängern natürlich emotional verständlich. Wird man uns,
befürchten sie, die wir gerade auch heute angesichts einer schreiend
ungerechten Welt radikale soziale Alternativen ermöglichen wollen, mit Hinweis
auf Verbrechen jener blutigen Befreier von einst nun auch Verbrecher nennen
dürfen? Das wird zumal im politischen Gerangel umständehalber gewiß geschehen,
wäre aber doch praktisch folge- und belanglos. Es gibt im übrigen, und das
müssen jene ertragen lernen, mindestens seit der Französischen Revolution, kein
Recht auf Revolution, nur durch einigermaßen sichtbar
zivilisierte (Rechts-)Folgen ist sie, wenn überhaupt, praktisch-geistig zu rechtfertigen.
[1] Im
Kriegskommunismus (bis 1921) wurde in Sowjetrussland das Geld abgeschafft: „Das
Geld verlor allmählich jede Bedeutung (…) die neugedruckten Geldzeichen hießen
einfach Verrechnungszeichen der Sowjetrepublik.“ (L. Kritsman, Die heroische Periode der Grossen Russischen
Revolution [1924], Wien/Berlin 1929, S. 183).
[2] Vgl. Jurij Dombrowskij, Die Fakultät unnützer Dinge [1978],
Frankfurt/M. 1990.
[3] Mitte
Januar 1918 wurde das russische Parlament, die Allrussische Konstituierende Versammlung [die ‚Konstituante’] aus dem Taurischen Palais in St. Petersburg
herausgejagt.
[4] „Alle
bolschewistischen Ehe- und Erziehungstheoriensind in erster Linie gewaltige Schaltwerke, denen die Aufgabe zufällt,
Liebesinstinkte in soziale Energien umzusetzen“, mit der Konsequenz, dass „die
starke einzelne Familie mit der proletarischen Klassenherrschaft für
unvereinbar gilt.“ (Fedor Stepun, Das
Problem der Liebe und die Kulturpolitik Sowjet-Russlands, in: Frank Thiess,
Wiedergeburt der Liebe. Die
unsichtbare Revolution, Berlin/Wien/Leipzig 1931, 194).
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