Erschienen in Ausgabe: No. 21 (1/2005) | Letzte Änderung: 27.01.09 |
Der Lebensbegriff und seine Implikationen bei Theodor W.Adorno
von Robert Lembke
Daß es Adorno bei allem Philosophieren wesentlich um das Leben ging, macht der Beginn der Zueignung der Minima Moraliai allzu deutlich:
Die traurige Wissenschaft, aus der ich meinem Freunde einiges darbiete, bezieht sich auf einen Bereich, der für unvordenkliche Zeiten als der eigentliche der Philosophie galt, seit deren Verwandlung in Methode aber der intellektuellen Nichtachtung, der sententiösen Willkür und am Ende der Vergessenheit verfiel: die Lehre vom richtigen Leben. (MM, 13)
Das hierin ausgedrückte
Bedauern bezeugt, daß die Rede von Leben und Lebendigkeit in
seinem Werk nichts Zweitrangiges oder gar Nebensächliches
ist, sondern im Gegenteil als ein Hauptimpuls seiner Philosophie
anzusehen ist.
Bevor man mit dem
ersten Aphorismus der Minima Moralia beginnt, wird man noch das
vorangestellte Wort Ferdinand Kürnbergers lesen, das da heißt:
„Das Leben lebt nicht“ (MM,20).ii
Ich
möchte mit einigen Überlegungen dazu beginnen, denn hieran
bereits läßt sich das Motiv, um das es im folgenden gehen
soll, exemplarisch vorführen. Einerseits könnte der Satz
bedeuten –
und das liegt nahe, stellt man ihn sich als Kurzzusammenfassung
der nachfolgenden Seiten vor –,
daß das Leben tot ist, nicht mehr lebt, zwar weitergeht, aber
entleert gegenüber seinem Begriff, weil es nicht mehr lebendig
ist. Die’ Minima Moralia, deren Untertitel das Leben
‚nur‘ als beschädigt ausweist, zeigen also, daß
und wie es nicht mehr lebt, zumindest aber beschreiben sie seine
erstarrte, beschädigte Form.
Andererseits ist zu
sehen, daß einem solchen allgemein formulierten Satz in Adornos
Sicht nicht unmittelbar Wahrheit zukommen kann, da er erstens
undialektisch, positiv eine Aussage macht, zweitens dem Begriff des
Lebens selbst ja kein Leben zukommt, da er eben ein Allgemeines ist,
das nicht leben kann, leben können nur wirkliche Menschen (oder
andere Lebewesen). Was also hat dann der Satz genauer zu bedeuten? Er
enthält, in äußerst komprimierter Form, Adornos
Diagnose, daß das, was einmal emphatisch Leben genannt wurde,
beschädigt und tendenziell gar nicht mehr ist, während
gleichzeitig dieser Zustand durch einen leeren Begriff des Lebens
verdeckt wird.iii
Während die Minima
Moralia in der äußersten Nähe zum Material,
gleichsam „mikrologisch“, aufweisen, daß und wie
das Leben beschädigt ist, liegt es an der Negativen
Dialektik, die übergeordneten Perspektiven darauf zu
entfalten, wie sich das Leben dem kritischen Auge Adornos darbietet.
In den den Abschluß des Werkes bildenden „Meditationen
zur Metaphysik“ geht es vor allem um das problematische
Verhältnis von Immanenz und Transzendenz, in das Adorno das
Leben gestellt sieht, genauer, dessen Aushaltbarkeit und mögliche
Überwindung.
Beginnen will ich mit
der historischen Vergewisserung, die sich seit Kants Was heißt
Aufklärung? in der Frage artikuliert: In welcher Zeit leben
wir? Sie stellt sich auch für Adorno unabweisbar dringlich durch
die Realität der in Auschwitz symbolisierten geschichtlichen
Katastrophe (I). Der Suche nach dem emphatischen
Lebensbegriff, der den Kontrast bildet und den Ausweg weist aus der
Reflexion auf Leben und Tod nach Auschwitz, gilt der zweite Teil
(II). Im dritten und letzten Teil schließlich wird der
Versuch unternommen, die eigenen, ‚lebensphilosophischen‘iv
Intentionen Adornos gegen ihre spätere Vereitelung durch ihn
selbst zu verteidigen und dabei zugleich das Wesentliche seiner
Einsichten zu retten. Dabei wird eine mögliche Gestalt
kritischer Theorie heute, die in Lebenskunst zu überführen
vielleicht möglich wäre, skizziert (III). Es geht im
Ganzen nicht – wenigstens vordergründig nicht –
darum, Adornos Lebensbegriff im Zusammenhang seines Gesamt- oder
eines Einzelwerks herauszuarbeiten, sondern, darin hoffentlich eher
seiner Intention folgend, ihn kritisch anzueignen aus der veränderten
Sicht von heute.
Die Perspektive, in die
Adorno das Leben stellt, ist die fundamentale Frage nach seiner
Möglichkeit überhaupt. „Ob nach Auschwitz noch sich
leben lasse“ (ND, 355), angesichts dessen, was der durch
Verwaltung vollstreckte Tod auch denen antat, die überlebten,
ist zu verstehen als Frage nach der Qualität, dem Wert eines
Lebens nach der Katastrophe. Es geht hier nicht um die rein physische
Existenz, sondern um einen emphatischen Lebensbegriff, der dem
kritischen, der ansonsten die Analyse dominiert, entgegengesetzt ist.
Natürlich ging das physische Leben weiter, denn Auschwitz bot ja
nicht die Drohung eines völligen Endes der Gattung Mensch, wie
sie kurze Zeit später in der Kuba-Krise dann real wurde. Jedoch:
„Daß in den Lagern nicht mehr das Individuum starb,
sondern das Exemplar, muß das Sterben auch derer affizieren,
die der Maßnahme entgingen.“ (ND,355) Was hier
diagnostiziert wird, ist „die Gleichgültigkeit des
Lebens jedes Einzelnen, auf welche Geschichte sich hinbewegt“
(ebd.). Adorno ist überzeugt, daß Auschwitz nur deswegen
möglich war, weil das Individuum, als dieser besondere Einzelne,
durch die historisch-gesellschaftliche Entwicklung nur so wenig
noch wert war. Es ist seine „Fungibelität“, d.h.
Eignung für eine besondere, im Voraus feststehende Funktion,
unter der es zunehmend nur noch in den Blick gerät. Gerade im
Angesicht des Todes aber hat alles Funktionsdenken notwendig ein
Ende, denn jeder stirbt allein und noch niemand konnte die Erfahrung
weitergeben, demzufolge ist auch jeder gleich unvorbereitet und
weder geeignet noch das Gegenteil. Es scheint daher moralisch
geboten, den Menschen im Moment seines Todes in seiner Besonderheit
zu ehren, ihr zu gedenken, damit sein Leben ihm nicht vergeblich
erscheint. Für Adorno hat Auschwitz den Prozeß besiegelt,
in dem der Tod mit dem Leben unvereinbar geworden ist, die
Menschen „empfinden [...] den Tod einzig noch als ein ihnen
Äußerliches und Fremdes, ohne Illusion seiner
Kommensurabilität mit ihrem Leben“ (ND,362). Dieses
Mißverhältnis von Tod und Leben gründet jedoch
umgekehrt auch im Leben selber: „Je weniger die Subjekte
mehr leben, desto jäher, schreckhafter der Tod.“ (ND,363)
„Sie können sich nicht einverleiben, daß sie sterben
müssen.“ (ND,362) Die Erinnerung an den Tod muß
verdrängt werden, denn an ihm werden sie „ihres
permanenten Todes, der Verdinglichung inne, der von ihnen
mitverschuldeten Form ihrer Beziehungen“ (ND,363).
Ein zweites Moment
tritt hinzu, was den historischen Abstieg des Individuums verstärkt,
die physische Erfahrung der Masse, wie sie ihren schrecklichsten
Ausdruck in den von Raupen weggeräumten Fleischbergen toter
Körper fand. Adorno notiert: „Die Schuld des Lebens, das
als pures Faktum bereits anderem Leben den Atem raubt [...], ist mit
dem Leben nicht mehr zu versöhnen.“ (ND,357) Das heißt:
Was da geboren wird, ist nur ein weiteres, eigentlich nutzloses
Exemplar der Gattung Mensch, das für die Aufrechterhaltung des
Funktionszusammenhangs nicht mehr benötigt wird.
Drittens führt die
Erfahrung des Todes, jedenfalls des natürlichen alter Menschen,
zum Abfall eines Unsterblichkeitsglaubens im traditionellen
Sinne. Sie zerfallen noch, geistig wie körperlich, ehe sie
sterben. „Der Rest von Vertrauen auf ihre transzendente Dauer
schwindet gleichsam im irdischen Leben, was an ihnen soll es
sein, daß nicht stürbe.“ (ND,364) Deshalb
sympathisiert Adorno mit der christlichen Auferstehung des Leibes,
die den Menschen in einem würdigen Zustand wiederherstellen
würde.
Die Frage nach der
Beschreibung des den Menschen Umgebenden findet ihre kürzeste
Antwort in einem Diktum Max Webers, der „verwalteten Welt“.
In ihr erscheint das Leben zunehmend nicht nur beschädigt,
sondern ganz und gar hinfällig, sinnentleerte Fortpflanzung
physischer Existenz, „einzig um der Produktion willen in Gang
gehalten“ (ND,369). Es ist der gesellschaftliche
Funktionszusammenhang, der den Subjekten als reale Macht
gegenübertritt. Dieser hat sich zu einem Mißverhältnis
der Gesellschaft zum Subjekt ausgeweitet, das bei letzterem ein
ständiges Bewußtsein der Ohnmacht hervorruft, indem es
sich als untergeordnet, machtlos, letztlich als ersetzbares
Exemplar erfährt. Für dieses Verhältnis des Menschen
zur Welt hat Adorno verschiedene Ausdrücke, die je verschiedene
Aspekte jenes Verhältnisses zum Ausdruck bringen: Die Rede vom
„Bann“ betont das Schreckhafte, Übermächtige
jenes „Draußen“, die „vergesellschaftete
Gesellschaft“ (ND,362) lässt etwas davon ahnen, das sie
nicht mehr begriffen werden kann als Zusammenschluss der
Subjekte, sondern sich gegenüber diesen verselbständigt
hat; als blinde, gesichtslose Macht, die ihr Leben bestimmt. Am
„ausweglos dichten Gewebe der Immanenz“ (ND,362) wird der
Verlust von Freiheit offenbar, die als „formale“,
verfassungsrechtlich zugesicherte immer auch den Aspekt des
Gleichmachens beinhaltet. Das repressive Moment jener Objektivität,
das die Lebensäußerungen der Subjekte durchwirkt, führt
dazu, daß jede ihrer Regungen vermittelt ist durchs Allgemeine,
überformt und damit nicht authentisch. Sie erfüllen ihre
Funktionen in der Gesellschaft und im kargen Rest des Privaten,
der dann noch bleibt, machen sie sich zum Medium des Allgemeinen. Was
die universale Vermittlung alles Seienden, dessen Vergleichbarkeit
und Austauschbarkeit erst herstellt, ist die Einrichtung der
kapitalistischen Gesellschaft. Dadurch, daß der Tausch,
ursprünglich ein rein ökonomischen Faktum, im entfalteten
globalen Kapitalismus zum herrschenden gesellschaftlichen
Prinzip wird, durchzieht er ausnahmslos alle menschlichen Handlungen
„in der Welt, deren Gesetz der universale individuelle Vorteil
ist“ (ND,355). Hierin wie nirgendwo anders folgt Adorno Marx in
der Diagnose, daß vom Gebrauchswert der Ware, ihrem ‚Sinn‘,
abgesehen wird zugunsten des Tauschwerts, dem Index ihrer
ökonomischen Verwertbarkeit. Adorno geht jedoch in der Analyse
über Marx hinaus, indem er das in allem ökonomischen Denken
waltende Prinzip der Identität herausstellt, kritisiert und
dessen Entstehung zurückverfolgt.
Neben dieser aktuellen
Bedrohung der realen Herrschaft des Tausches, in der auch das
Individuum Gefahr läuft, zum ersetzbaren Ding zu werden, droht
ihm von anderer, gleichsam historischer Seite Unheil. Adorno
beschreibt den Geschichtsverlauf, grob gesagt, folgendermaßen:
Herrschaft über die Natur wandelt sich in Herrschaft über
Menschen, diese wiederum in Herrschaft der Menschen über ihre
eigene Natur. Am Grunde dieser Unheilsgeschichte liegt das Faktum der
Selbsterhaltungv,
das Adorno bis zum Anfang der abendländischen Geistesgeschichte
zurückverfolgt.vi
Odysseus ist der erste Bürger, der mit Hilfe der List, durch
Entdeckung einer „Lücke im Vertrag“, „technisch
aufgeklärt“ (DA,66) vorüberfahren kann, ohne zu
sterben. Gefesselt an den Mast erlebt er zwar den Gesang, doch durch
das Moment des Zwangs kommt es zu jener „Verarmung der
Erfahrung“ (ND,18), die wie folgt charakterisiert wird: „Die
Sirenen haben das Ihre, aber es ist [...] schon neutralisiert zur
Sehnsucht dessen, der vorüberfährt.“ (DA,67)
Sie greift im fortgeschrittenen Zivilisationsprozess immer weiter um
sich bis sie zum nahezu völligen Vergessen desjenigen führt,
was Adorno dann versucht, im Begriff der metaphysischen Erfahrung
wieder zu erinnern.
Die Selbsterhaltung,
die wie im Falle des Odysseus verbunden ist mit der Ersetzung des
Opfers durch den Tausch (denn er gibt sich nicht hin, sondern
trickst, verhandelt), produziert ein Bewußtsein, das sich auf
die Herausforderung metaphysischer Fragen gar nicht mehr einlässt,
sondern sich mit dem Status quo zufrieden gibt. Die ständige
Sorge um das Selbst entwöhnt den Menschen der Hoffnung auf ein
anderes Leben. Dieser Bewußtseinszustand des ‚die Welt
ist alles, was der Fall ist‘ und nichts darüber hinaus,
wird von Adorno radikal der Ideologie verdächtigt: „Nur
muß die Selbsterhaltung argwöhnen, das Leben, in dem sie
sich festmacht, werde zu dem, wovor ihr schaudert, zum Gespenst,
einem Stück der Geisterwelt, die das wache Bewußtsein als
nicht existent durchschaut.“ (ND,357) An der
Selbsterhaltung hat sich erst das starre, mit sich selbst identische
Ich herausgebildet, das dazu außerdem „der Kälte,
des Grundprinzips der bürgerlichen Subjektivität“
(ND,356) bedurfte.
Diese Organisation des
individuellen Bewußtseins ist es, die auch im Konkreten das
‚gelingende Leben‘ quasi-apriorisch vereitelt. Selbst
wenn die Vorherrschaft der objektiven gesellschaftlichen Mächte
weggenommen würde, könnte man nicht bruchlos die Versöhnung
erwarten, denn auch die persönlichen Beziehungen der Individuen
sind nur schwer aus der „Verblendung“ zu befreien.vii
Allerdings spricht auch Adorno davon, daß „freilich erst
in der richtigen Gesellschaft die Möglichkeit richtigen Lebens
aufginge“ (ND,388). Sowohl die sprachlich abgeschwächte
Form des Konjunktivs als auch das Ungesicherte im Wort „aufgehen“
belegen die Unverbindlichkeit dieser Perspektive. Daß etwas
aufgeht, heißt ja noch lange nicht, daß es auch ergriffen
werden kann. Das Unversöhnte am Bewußtsein wird an einem
klassischen Beispiel aufgewiesen: „Wohl sind die Menschen
ausnahmslos unterm Bann, keiner zur Liebe schon fähig, und darum
meint ein jeder sich zu wenig geliebt.“ (ND,356) Auch die
Erfahrung der Liebe, der bürgerlichen Kälte
entgegengesetzt, ist nicht unverzerrt möglich unter der
Herrschaft des festgefügten Ichs der Selbsterhaltung. Die
Liebe, wie sie m.E. Adorno hier vorschwebt, hat ein Moment der
zwanglosen Entäußerung in sich, die nicht im Voraus mit
Gegenleistung rechnet. Das es dazu gar nicht erst kommt, ist der
totalen Herrschaft des sese conservare zuzuschreiben. Man kann
sich schließlich nur soweit entäußern, wie man
glaubt, daß es die eigene Existenz nicht gefährdet.
Ein weiteres Beispiel
für „falsches Leben“ ist die im Verhältnis zur
Welt gründende Wahlmöglichkeit des Menschen, entweder
„mitzutun“ oder sich des Handels überhaupt zu
begeben: „Unterm Bann haben die Lebendigen die Alternative
zwischen unfreiwilliger Ataraxie – einem Ästhetischen aus
Schwäche – und der Vertiertheit des Involvierten.“
(ND,356) Durch Mitmachen gerät man sowieso unvermeidlich in
dieselbe Mühle des Denkens wie alle anderen, jedoch ist die
Seelenruhe und Leidenschaftslosigkeit, die in der Tradition die
Vorbedingung zur Glückseligkeit darstellt, nur noch als
Karikatur möglich, denn auch ein sich Enthalten ist keine
Lösung: „Geist, der bei sich selbst bleibt [...], macht
sich, als derart kontemplativ tätiger, gleichsam mitschuldig am
Elend, daß es mit der Kultur so bestellt ist, wie es nun einmal
der Fall ist.“viii
Im Lichte solcher
Aporien scheint es mitunter, daß Adorno die Perspektive der
vollendeten Negativität so unversöhnlich vertritt, daß
es kein Entrinnen mehr gibt. Wo findet sich die Lücke im
totalen „Verblendungszusammenhang“, der „bis
ins Innerste falsche[n] Welt“ (ND,41)? Daß man bei
einer totalen Negativität nicht stehen bleiben kann, ist klar,
will man eine auch noch so schwache Ahnung eines unbeschädigten
Lebens artikulieren: „Denn dieses [das Leben] bedarf eines
Minimums solcher spontanen Bezüge, um nicht [...] jede das
Werden tragende Hoffnung zu verlieren.“ix.
Die totale Negativität gibt es schon, sie offenbart sich im Tod,
der immer das letzte Wort zu haben scheint: „Wäre der Tod
jenes Absolute, [...] so ist alles überhaupt nichts, auch jeder
Gedanke ins Leere gedacht, keiner lässt mit Wahrheit irgend sich
denken.“ (ND,364). Es muß also etwas geben, daß
nicht ganz verurteilt ist und darum geeignet, die Aussicht auf
Transzendenz zu illustrieren, soll nicht die Verzweiflung an der
Immanenz das letzte Wort sein. Dies wird von Adorno so erläutert:
„Bewußtsein könnte gar nicht über das Grau
verzweifeln, hegte es nicht einen Begriff von einer verschiedenen
Farbe, deren versprengte Spur im negativen Ganzen nicht fehlt. Stets
stammt sie aus dem Vergangenen, Hoffnung aus ihrem Widerspiel, dem
was hinab mußte oder verurteilt ist“ (ND,370). Aus dieser
versprengten Spur „liest [...] begierig und unmittelbar
die Gegenwart eines Transzendenten heraus“, „wer
aufatmet, wenn Leben einmal Ähnlichkeit mit Leben zeigt“
(ND,369). In diesem Satz sind endlich beide Lebensbegriffe
gegenüberstellt: Der erste ist nichts weiter als das sich blind
selbst erhaltende physische Dasein, das „einzig um der
Produktion und Konsumtion willen in Gang gehalten wird“ (ebd.),
der zweite das emphatische, vom universellen Tauschprinzip nicht
zugerichtete Leben, das aber nur aufblitzt, und dem ersteres
maximal noch sich nähern kann, ohne es doch unverfälscht
erreichen zu können.
Der emphatische Begriff
des Lebens ist der mit Blick auf etwas, aus dem es seine Gesamtheit,
seinen Sinn erst erhält, eben jenem Transzendenten, das
fortlebt in den metaphysischen Kategorien (vgl. ebd.), wofür man
sicher getrost die kantischen regulativen Ideen von Gott, Freiheit
und Unsterblichkeit einsetzen könnte. Das Bedürfnis nach
„metaphysischer Erfahrung“ äußert sich, wenn
auch entstellt, in der Frage nach dem Sinn des Lebens, die jedoch als
solche von Adorno als falsches Bewußtsein hingestellt wird:
„Leben, das Sinn hätte, fragte nicht danach; vor der Frage
flüchtet er.“ (ebd.) Sinn kann nicht gestiftet werden,
sondern muß eher gefunden, entdeckt werden, unter völliger
Ausschaltung der Ansprüche des erkennenden Subjekts, dessen
Aufgabe es ist, ihm zu einem möglichst unverfälschten und
damit objektiven Ausdruck zu verhelfen. Sein Begriff „involviert
Objektivität jenseits allen Machens“ (ebd.), im Gegensatz
zum Idealismus, der durch sein vorgängiges Begriffsschema
tendenziell immer schon dasjenige der Sache imputiert hat, was er
dann in der Analyse herausholt.
Die Frage ist nun,
welche Verfaßtheit des Subjekts der beschriebenen
erkenntnistheoretischen Haltung entspricht, in der es sich, den
Gegenständen durch Mimesis anschmiegend, zu ihrem
Ausdrucksmedium macht. Diese sollte wiederum zumindest ähnlich
sein einem ‚richtigen‘ Zustand, in dem die ideologische
Verfälschung durchbrochen wäre. In der Kritik an Kant, der
in der Kritik der reinen Vernunft die Ideen eben nur noch
regulativ, ‚als-ob‘ gelten lässt, deutet Adorno
auf das hin, was den Ausbruch aus dem Bann verhindert:
Die Gefangenschaft in der Immanenz, zu der er [Kant], so redlich wie grausam, den Geist verdammt, ist die in der Selbsterhaltung, wie sie dem Menschen eine Gesellschaft auferlegt, die nichts konserviert als die Versagung, deren es schon nicht mehr bedürfte. Wäre die käferhaft naturgeschichtliche Sorge einmal durchstoßen, so wäre die Stellung des Bewußtseins zur Wahrheit verändert. (ND,381f)
Die dauernde Angst vor
dem Verlust des Lebens, die freilich von der gesellschaftlichen
Einrichtung durch Herrschaft aufrechterhalten bzw. sogar geschürt
wird, obwohl sie angesichts fortgeschrittenster Technik widersinnig
geworden ist, führt zu einer ebenso dauernden „Versagung“,
Unterdrückung der Triebnatur im Menschen, die wiederum zur
Verarmung von Erkenntnis (Erfahrung) führt. Folgerichtig setzt
Adorno die „Selbstbesinnung der Natur in den Subjekten“
(ND,389f) dagegen. Es bleibt jedoch nicht bei dieser Andeutung,
sondern sie wird überführt ins Konkrete: „Die
ideologische Unwahrheit in der Konzeption von Transzendenz ist die
Trennung von Leib und Seele, Reflex von Arbeitsteilung. [...]
Hoffnung aber heftet sich [...] an den verklärten Leib.“
(ND,393) Damit hat der Prozeß, in dem sich die Metaphysik
immer mehr entsubstantialisierte, seinen äußersten
Fluchtpunkt erreicht (vgl. ND,358). Das letzte, was nicht ganz
im Begriff aufgeht, ist das Somatische bzw. Materielle, zusammen eben
das, was noch bei Kant das bloß Empirische war.
Doch kann der Einzelne
sich noch so sehr besinnen, denn wie schon erwähnt, erst in der
„richtigen Gesellschaft“ geht „die Möglichkeit
richtigen Lebens“ auf (ND,388). Erst wenn auch objektiv das
Moment von Herrschaft verschwunden ist, kann subjektiv ein
Anderes sich herstellen: „die Möglichkeit metaphysischer
Erfahrung“ ist „verschwistert der von Freiheit, und ihrer
ist erst das entfaltete Subjekt fähig“ (ND,389). Die
gegenwärtige Unfreiheit der Menschen zeigt sich nicht zuletzt in
ihrer Unfähigkeit zu einem Bewußtsein von Transzendenzx,
denn „subjektiv vergönnt das soziale Gespinst und die
permanente Überforderung durch den Druck zur Anpassung ihnen
weder Zeit noch Kraft mehr, darüber nachzudenken“
(ND,387). Doch damit nicht genug. Weiteres unerfreuliches Kennzeichen
ist „die Bosheit des auf die eigene Borniertheit stolzen
gesunden Menschenverstandes, die heute die Welt erfüllt“
(ND,376). Diese hat Adorno einmal, in einer Antwort auf den
Resignationsvorwurf der 68er-Bewegung, psychologisch interpretiert –
als die unreflektierte Wut, die das Repressive des Bestehenden nicht
durchschaut und sich statt dessen gegen den kehrt, der es
ausspricht.xi
Die Vorsichtigkeit
dieser wenigen Andeutungen eines richtigen Lebens gründet in der
von der universalen Vermittlung und Durchdringung alles Denkens
bewirkten Schwierigkeit, aus dem gegenwärtigen Zustand heraus
etwas wie ein richtiges Leben zu imaginieren. „Kein
unreflektiert Banales kann, als Abdruck des falschen Lebens, noch
wahr sein.“ (ND,45) Darüber hinaus droht einem
positiven Begriff des Lebens noch von anderer Seite Gefahr: Seine
unkritische Einsetzung führt zur Enthumanisierung, wo der
Kult des gesunden, kräftigen Lebens beschworen wird. In seinem
universalen Anspruch auf alles Erlebbare schwingt gleichsam ein
Moment von Herrschaft, von Unterdrückung des Schwächeren
mit. Schon die Idee einer Fülle des Lebens kann „nicht
getrennt werden von der Gier, von dem, was der Jugendstil sich
Ausleben nannte, einem Verlangen, das Gewalttat und Unterjochung in
sich hat“ (ND,371). Erst das Mitleid enthebt den Menschen
recht eigentlich der Naturverfallenheit.xii
Den Kultus des Lebens, der im Grunde einer der Natur, ihrer
Gesundheit und Kraft ist, sieht Adorno auch schon bei de Sade
realisiert,xiii
und von dort führt ein direkter Weg zur Beschwörung von
Blut, Boden und Rasse bei den Nazis. Im Aphorismus 48 der Minima
Moralia ist dasselbe auch schon präsent:
Der
Begriff des Lebens in seiner Abstraktion ist gar nicht zu trennen vom
dem Unterdrückenden, Rücksichtslosen, eigentlich
Tödlichen und Destruktiven. Der Kultus des Lebens an sich läuft
stets auf den jener Mächte heraus. Was so Äußerung
von Leben heißt [...], all das hat, absolut gefaßt, etwas
davon, dem anderen, Möglichen das Licht wegzunehmen in blinder
Selbstbehauptung. (MM,86f)
In einer Kontroverse
über Adorno von 1973 werfen ihm die Autoren Koch/ Kodalle vor,
seine hypernegative Beschreibung der Geschichte und der Welt würde
keinen Raum mehr lassen für Hoffnung und Perspektiven des
Weiterlebens.xiv
Es ist der linguistic turn, der Adorno hier einholt. Wo das Band
zwischen Sprache und Welt einmal durchschnitten ist, Sätze sich
nur auf Sätze beziehen lassen und nicht auf die Welt, wird eine
solch negative Beschreibung als ‚unnötig‘ empfunden,
denn dadurch wird die Theorie auch nicht wahrer im Sinne ihrer
Widerspruchsfreiheit. Adornos Apologet Schweppenhäuser,
sprachphilosophisch uneinsichtig, reagiert denn auch entrüstet,
es sei doch nicht Adornos Beschreibung der Geschichte, die so negativ
sei, sondern der Gang der Geschichte selbst!xv
Er folgt eben auch hierin den sprachphilosophischen Intentionen
Adornos, die zwar in eine ähnliche Richtung gehen, sich aber in
einem entscheidenden Punkt abheben. Zwar ist auch Adorno
keineswegs verbürgt, daß die Sprache die Wahrheit über
die Welt ausspricht, aber es ist, bei entsprechender Anstrengung und
Geschick, nicht a priori unmöglich. Sein Modell ist das des
mimetisch sich anschmiegenden Ausdrucks, der sein Vorbild in der
Benennung des Gegenstandes hat: „Idiosynkratische Genauigkeit
in der Wahl der Worte, so als ob sie die Sache benennen sollten, ist
keiner der geringsten Gründe dafür, daß der
Philosophie die Darstellung wesentlich ist.“ (ND,62)
Die emphatische
Wahrheitsauffassung Adornos und die wissenschaftliche, die
Wahrheit durch Widerspruchsfreiheit ersetzt, sind letztlich
unvereinbar. Beiden gemeinsam ist die Überwindung der
ontologisch-scholastischen Korrespondenzvorstellung adaequatio rei
et intellectus – während jedoch die eine von dort aus
fortgeht zu Kohärenz und schließlich zu Konsens, beharrt
Adorno emphatisch auf Wahrheit. Eindrücklich kritisiert er
die der „szientifischen“ Auffassung innewohnende Tendenz
zur Überbewertung der (wissenschaftlichen) Form und der damit
verbundenen Indifferenz gegenüber dem Inhalt: „Die
Funktion von Sicherheit in der Philosophie schlug um. Was einmal
Dogma und Bevormundung durch Selbstgewissheit überholen wollte,
wurde zur Sozialversicherung einer Erkenntnis, der nichts soll
passieren können. Dem Einwandfreien passiert tatsächlich
nichts.“ (ND,45) Adorno klagt hier erneut die „Verarmung
der Erfahrung“ ein; daß man sich bestimmter Möglichkeiten
durch Methodenzwang schon im Voraus begibt, führt dazu, daß
Philosophie sich tendenziell der Tautologie nähert.
Am Grunde dieses
Streits darum, was Philosophie sei und was nicht, liegt die
politische Ausrichtung beider Theorien. Während die analytische
Sprachphilosophie unbewußt den Relativismus der liberalen
Demokratie theoretisch zu untermauern sucht, und deshalb sich an dem
ausrichtet, was, zumindest prinzipiell, allen vermittelbar sein muß,
kommt Adornos Theorie, nicht umsonst sich auch auf Nietzsche
zurückbeziehend, elitär daher. Sie reklamiert für
sich, weiter bzw. tiefer einzudringen als die nur an der Oberfläche
schwimmende relativistische Philosophie: „Die angeblich soziale
Relativität der Anschauungen gehorcht dem objektiven Gesetz
gesellschaftlicher Produktion unterm Privateigentum an den
Produktionsmitteln.“ (ND,47) Auf das
widerspruchsvoll-elitäre Gebärden Adornos werde ich später
noch einmal zurückkommen.
Hinter die
sprachphilosophische Belehrung der Sprachabhängigkeit von
Wahrheit kann man nicht zurück. Will man gleichwohl die
Philosophie Adornos nicht als negativistische Zumutung abtun, weil
man sie dafür erachtet, vieles richtig zu beschreiben, verfährt
man am besten nach dem Modell der ‚immanenten Kritik‘, in
dem man die Theorie mit den eigenen Ansprüchen konfrontiert und
Widersprüche bzw. Übertreibungen ausweist.xvi
Wenn es Adornos
Intention ist, durch alle Negativität hindurch dem richtigen
Leben, der Versöhnung zuzuarbeiten, ist zu fragen, wo ihm jene
zur Absolutheit gerät und das Leben dadurch tendenziell
entwertet wird. Am auffälligsten zutage tritt das in der sein
Werk durchziehenden Kulturkritik, die in einer zur Verzweiflung
gesteigerten Aporie gipfelt. Es beginnt mit der Diagnose: „Alle
Kultur nach Auschwitz, samt der dringlichen Kritik daran, ist Müll.“
(ND,359) Auffällig undialektisch und pauschal schlägt
Adorno alles, was da erscheint, mit Vergeblichkeit. So wie der Satz
formuliert ist, trifft er auch auf alles zu, was da noch kommen wird,
alle Kultur wird vorverurteilt, das Anmaßende des
Vorher-Bescheid-Wissens befördert nur die Hoffnungslosigkeit.
Ein Satz von Habermas, mit dem er eigentlich Hegel kritisiert, läßt
sich ohne große Verzerrung auf auch Adorno anwenden: „Am
Ende nimmt die Philosophie ihrer Gegenwart das Gewicht, zerstört
das Interesse an ihr und spricht ihr die Berufung zu selbstkritischer
Erneuerung ab.xvii
Es ist dies nicht das Einzige, was Adorno mit Hegel gemeinsam hat.
Auch das Problem des Verhältnisses von Dynamik und
Abgeschlossenheit, wiewohl er es an ihm, hat Adorno zwar an Hegel
kritisiert, hat er in gewissem Sinne mit ihm gemeinsam.
Skurrilitäten wie die Hegel immer wieder vorgerechnete, die Weltgeschichte sei im preußischen Staat vollendet, sind weder bloße Abberationen zu ideologischem Zweck noch irrelevant gegenüber dem Ganzen. An ihrem notwendigen Widersinn zerfällt die beanspruchte Einheit von System und Dynamik. (ND,38)
Während es bei
Hegel den Anschein hat, als wäre in seiner Philosophie der Geist
zu sich selbst gekommen, sei an und für sich, zeigt das
Komplementärereignis Auschwitz gerade das Scheitern der
Vernunft, alles Geistigen überhaupt. Ein weiteres Mal wird ein
Ende der Geschichte beschworen. Man kann m.E. hier eine
psychologische Deutung plausibel machen. Das schlechte Gewissen
Adornos, als Jude einer derjenigen, die zufällig entkamen und
rechtens hätten umgebracht werden müssen (vgl. ND,355)
drückt sich aus in seinem Willen zur Verzweiflung, der über
das Ziel des Aufscheinens eines Positiven durch „bestimmte
Negation des Bestehenden“ hinausschießt. Eigentlich
sind wir alle in Auschwitz gestorben, und was überlebt, ist
gespenstisches, sinnentleertes Fortwesen der Gattung. Solche
Verzweiflung drückt sich auch in der Aporie der Kultur aus: „Wer
für Erhaltung der radikal schuldigen und schäbigen Kultur
plädiert, macht sich zum Helfershelfer, während, wer der
Kultur sich verweigert, unmittelbar die Barbarei befördert, als
welche Kultur sich enthüllte.“ (ND,360) Alles, was
ernsthaft den Namen Kultur verdiente, ist untergründig mit dem
vermischt, was zu Auschwitz geführt hat, deshalb die Rede von
„Kultur als Deckel überm Unrat“ (ND,361).
Mindestens genauso schlimm allerdings ist der Versuch, sich der
Tradition zu verweigern. Dieses unreflektiert-geschichtslose Denken
versinkt von sich aus im primitiven Zustand. Und, als ob das nicht
hinreichen würde, wird die Verzweiflung hermetisch gemacht,
totalisiert: „Nicht einmal Schweigen kommt aus dem Zirkel
heraus; es rationalisiert einzig die eigene subjektive
Unfähigkeit mit dem Stand der objektiven Wahrheit und
entwürdigt diese dadurch abermals zur Lüge.“
(ND,360) Nirgends ist hier jenen „versprengten
Spuren“ Rechnung getragen, die doch die Verzweiflung am
Bestehenden erst ermöglichen sollten. Warum kann nicht auch
in der Kultur,xviii
bisweilen abseits vom Mainstream der „Kulturindustrie“,
etwas aufscheinen, das nicht ganz identisch ist und dessen Bild
Versöhnung verheißt? Der Fatalismus in der Ansicht der
Kultur ist der Sache nicht angemessen. Er will die Verzweiflung um
der Verzweiflung willen, darin artikulierend, daß die Erfahrung
von Auschwitz für die, die sie erlebt haben, nicht zu
verarbeiten ist. Sich mit ihnen solidarisierend, wird Adornos Verdikt
unnachvollziehbar für diejenigen, die nicht gegenwärtig
waren: die Nachgeborenen. Die Erfahrung von Auschwitz „lässt
nicht theoretisch sich prolongieren“ (ND,15). Sie wird
schwächer, je weiter die Zeit sie von uns entfernt. Deshalb muß
sie erinnert und darf nicht vergessen werden, „daß
Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe“
(ND,358) Es darf jedoch nicht dazu führen, das Leben hermetisch
abzudichten gegen alle gesellschaftliche Veränderung
befördernden Impulse im Sinne des mit erhobenem Zeigefinger
Beschworenen: ‚Denkt daran, was damals passiert ist.‘
Jener Fatalismus äußert sich auch in der Sicht
lebenspraktischen Handelns bei Adorno. In der Moralphilosophie
doziert er:
Ich
möchte fast sagen, noch der scheinbar harmloseste Kinobesuch
[...] müßte dann zumindest mit dem Bewußtsein
davon gepaart sein, daß ein solcher Besuch [...] eigentlich
bereits ein Stück Verrat an dem ist, was wir erkannt haben, und
daß er uns wahrscheinlich in eben das nur weiter
verstricken kann, wozu wir gemacht werden sollen und wozu wir, um
überleben zu können, um uns anzupassen, offenbar in immer
weiterem Maß auch uns selber machen.xix
Egal wer man ist, was
man sonst tut, von jedem Kinobesuch kommt man dümmer zurück,
und das ist unvermeidlich. Das Subjekt wird dabei so weit entmündigt,
daß nur die Verweigerung als Möglichkeit bestehen bleibt.
In der Dialektik der Aufklärung gab es noch einen anderen
Ausweg. In der Interpretation von Odysseus’ Vorbeifahrt an den
Sirenen wurde eine andere Lösung zumindest angedeutet: „Er
versucht [...] nicht, etwa auf die Überlegenheit seines Wissens
zu pochen und frei den Versucherinnen zuzuhören, wähnend,
seine Freiheit genüge als Schutz.“ (DA, 66) Mag für
die Verführung der Sirenen die „Freiheit als Schutz“
nicht genügen, da Odysseus realisiert, „daß er,
wie sehr auch bewußt von Natur distanziert, als Hörender
ihr verfallen bleibt“ (ebd.), sollte doch die geistige
Unabhängigkeit des kritisch belehrten Intellektuellen allemal
genügen, den Kinobesuch unbeschadet zu überstehen. Es ist
die Dialektik von Verweigerung und kritischer Beschäftigung, die
hier zu Tage tritt. Wirklich rein ist nur, wer sich enthält von
allem, was den Keim zur Verfälschung des Bewußtseins in
sich trägt. Da das aber bei Adorno wie gesehen praktisch alles
umfaßt, läuft die Kritik Gefahr, zu dem werden, vor dem
ihr schauerte als Abbild bürgerlicher Kultur: Die Wiederkehr des
Immergleichen, die Beteuerung, daß im Grunde „alles
Scheiße ist“ (Bloch). Auf der anderen Seite setzt eine
ambitionierte Kritik eben die Bekanntschaft mit ihren
Gegenständen voraus, läuft damit allerdings immer Gefahr,
sich mit ihnen zu vermischen, unkritisch zu werden, sich anzupassen.
Aus diesem Zirkel führt dann wirklich nur noch der Selbstmord
heraus, der dauerhaft entbindet vom Insistieren auf der Kritik sowohl
wie vom Zwang der Anpassung. Adorno hat selbst diesen Widerspruch
wohl gesehen, daraus aber nicht die negative Konsequenz gezogen,
sondern, wie angedeutet, eine Beziehung auf Transzendenz hergestellt.
Seiner eigenen Kritik am Nihilismus entgeht er trotzdem, wenn
überhaupt, nur haarscharf: „Wer das Seiende
unterschiedslos und ohne Perspektive aufs Mögliche der
Nichtigkeit zeiht, leistet dem stumpfen Betrieb Beihilfe.“
(ND,390) Welches Seiende kommt also für ihn noch in Frage (denn
der erste Teilsatz beschreibt ganz genau seine Art von Kritik, daß
‚alle Kultur Müll sei‘ – unterschiedslos und
ohne Perspektive aufs Mögliche!)? „Kein Licht ist auf den
Menschen und Dingen, in dem nicht Transzendenz widerschiene.“
(ND,396) Bezogen auf die „Dinge“ lässt sich
zumindest erahnen, was gemeint ist: Das, was bei Kant das An-sich
hieß, ihr objektives Moment, ihr „Nichtidentisches“,
ist durch Philosophie im Sinne Adornos erst hervorzukehren. Innerhalb
dieser Denkfigur bestimmt sich dann auch die Funktion negativer
Dialektik: „Womit negative Dialektik ihre verhärteten
Gegenstände durchdringt, ist die Möglichkeit, um die ihre
Wirklichkeit betrogen hat und die doch aus einem jeden blickt.“
(ND,62) Die Philosophie wird also selbst zu dem Licht, das
Transzendenz verheißt, indem sie, gegen den voreingenommenen,
realitätsgerechten Blick gerichtet, beständig an das
utopische Potential erinnert und sich dadurch am Leben erhält,
nachdem „der Augenblick ihrer Verwirklichung versäumt
ward“ (ND,15). Das Moment, das einer Erstarrung entgegengesetzt
ist, ist das der Spontaneität. Als somatischer, vor-ichlicher
Impuls und Drang steht sie für das „Lebendige“ des
Kindes, dessen freies Spiel das Gegenbild zum geregelten Alltag
bildet.
Bezogen auf die
Menschen ergibt sich dagegen ein ambivalentes Verhältnis.
So, wie die geschichtliche Diagnose Adornos ausfällt, gerät
er in ein weiteres Dilemma, eine weitere Aporie hinein: Er muß
um der Menschen willen gegen sie denken und sich elitär
gebärden. Denn –
noch einmal –
„subjektiv vergönnt das soziale Gespinst und die
permanente Überforderung durch den Druck zur Anpassung
ihnen [den Menschen] weder Zeit noch Kraft mehr, darüber
[Transzendenz] nachzudenken“ (ND,387). Hierin
ausgesprochen ist die Klage über das Verschwinden des
revolutionären Subjekts, das bei Marx einmal Proletariat
hieß und das in der 68er-Bewegung die Studenten sein wollten.
Wer noch da ist, sind die Intellektuellen, die vor allen anderen
ausgezeichnet sind durch geistige Widerstandskraft: „Geistig
können nur die dagegen an, die sie [die verwaltete Welt]
nicht ganz gemodelt hat.“ (ND,51) Mit dieser Beschreibung ist
die Elite begründet. Sie hat fortan folgende Aufgabe:
An denen, die das unverdiente Glück hatten, in ihrer geistigen Zusammensetzung nicht durchaus den geltenden Normen sich anzupassen [...], ist es, mit moralischem Effort, stellvertretend gleichsam, auszusprechen, was die meisten, für welche sie es sagen, nicht zu sehen vermögen oder sich aus Realitätsgerechtigkeit zu sehen verbieten.xx (ebd.)
Das Aporetische der
Konstruktion liegt nun darin, daß sich im Namen aller über
ihre Köpfe hinweggesetzt wird. Für sie, die anderen, gilt:
Entweder sie können nicht erlöst werden, weil ihr
Bewußtsein zu rückständig ist, oder sie wollen nicht
erlöst werden, weil sie sich kraft ihrer Selbsterhaltung
krampfhaft an die Realität klammern. In einem weiterem Schritt
wird nun mit psychoanalytischer Hilfe ihre Willensäußerung
als unecht entlarvt. „Hoffnung aber heftet sich [...] an den
verklärten Leib.“ (ND,393) In dessen Regungen und
Leidensäußerungen zeigt sich die Falschheit dessen, was
geäußert bzw. gewollt wird. In dieser Konstruktion liegen
gleich mehrere Gefahren: Abgesehen von der, sich über das, was
die Subjekte als ihr Eigenstes, ihren Willen, betrachten,
hinwegzusetzen und sie damit für unmündig zu erklären,
vor allem die Frage, ob dessen, was als erlöster Zustand
imaginiert wird, überhaupt alle fähig sind –
im gegenwärtigen Zustand ja sowieso keiner, aber wie soll
der denn verlassen werden? Noch einmal: In Adornos Perspektive geht
erst in der richtigen Gesellschaft die Möglichkeit richtigen
Bewußtseins auf. Von der falschen zur richtigen Gesellschaft
käme man jedoch nur durch ein verändertes Bewußtsein
(denn verändernde Praxis ist sowieso verstellt), das aber in der
bestehenden dauerhaft verhindert, ja von dessen letzten Spuren sich
sogar zunehmend immer weiter entfernt wird (z.B. durch Kinobesuche).
Wie kann man also noch von hier nach dort kommen? Die Antwort liegt
nahe: gar nicht, außer durch einen deus ex machina. Der
müßte die Qualität haben, den Bann der
Selbsterhaltung und die damit verbundene Versagung zu brechen. In
dieser ausweglosen Konstruktion der Geschichte ist die Präsenz
des Benjaminschen Messianismus zu spüren, der die Hoffnung
auch explizit an ein äußeres Eingreifen zediert, den
„Engel der Geschichte“xxi.
Während man nun auf diesen deus ex machina wartet, von
dem keineswegs, wie noch von Marx’ klassenloser Gesellschaft,
verbürgt ist, daß er jemals kommt, stellt sich von neuem
eklatant die Frage, was bis dahin zu tun, wie fortan zu leben sei.
Will man an Adornos Prämisse: „Es gibt kein richtiges
Leben im falschen“ (MM,43) festhalten und dennoch nicht
alle Hoffnung fahren lassen, muß stärkeres Augenmerk auf
die Einrichtung eines so wenig wie möglich falschen Lebens
gelegt werden. Eine kritische Theorie müßte m.E.
konsequent elitär verfahren und nicht länger, nach dem
linguistic turn (s.o.), ihre Kritik im Namen aller artikulieren.
Ihre soziale Prägung ließe sich höchstens noch für
gedachte, virtuelle Subjekte retten. In jedem Fall kann das Gesagte
wegen seiner Sprachabhängigkeit nicht länger
Wahrheitsstatus behaupten und verliert damit auch den Anspruch auf
Verbindlichkeit, den die philosophische Methode der Dialektik dem
eigentlich literarischen Verfahren Adornos sichern sollte. Er steht
am Scheideweg zwischen einem Denken für alle und einem Denken
für sich. Von den zwei Herzen in seiner Brust schlägt eins
für Nietzsche und den elitären Künstler, das andere
für Marx’ soziales, das Leiden der Menschen negierende
Bewußtsein. Dazwischen hin und her oszillierend wie zwischen
Immanenz und Transzendenz, lässt sich die Spannung nur in der
einen oder der anderen Richtung auflösen. Die eine Richtung,
soziologisch fundiert und politisch verantwortlich (Habermas),
optiert neuerlich für das Wohl aller, wird dadurch natürlich
um einiges unkritischer und fällt letztlich darin zurück,
an der Erhaltung des Bestehenden mitzuarbeiten. M.E. authentischer
ist es, wie gesagt, Allgemeinheit und Verbindlichkeit fahren zu
lassen, nicht aber den subjektiven Ausdruck und die Kritik.
Dem entspricht im Stil
der Übergang von Sarkasmus zur Ironie. Adorno spricht beinahe
immer unversöhnlich, gleichsam mit dem Pathos der Wahrheit im
Rücken, sarkastisch sein Urteil übers Bestehende aus, das
stets ihrer Verwirklichung spottet.xxii
Dagegen nimmt Ironie Distanz zu den Dingen, zeigt darin ihre
Unaufgeregtheit. Vor allem aber ist sie ihrer eigenen Kontingenz und
Vermitteltheit eingedenk und somit zum großen Teil auch
Selbstironie. Das nimmt der Forderung Adornos, Dialektik müsse
„in einer letzten Bewegung sich noch gegen sich selbst kehren“
das Bedrückende und den eigentümlichen Willen zur
Verzweiflung. Rorty sagt, konsequent elitär, über den
Ironiker: „Diese Zweifel [...] hat er [an seinem Vokabular,
seinen Wünschen und Überzeugungen], weil aus dem einen oder
anderen Grund keine vollständige Sozialisation stattgefunden
hat.“xxiii
Die Ironie nimmt die untragbare Last der Verantwortung für die
Gattung von denen, die „das unverdiente Glück hatten
[…]“xxiv.
Außerdem wandelt der radikale Kritiker sich so zum Liberalen,
ist damit gefeit gegen Terrorismus (auch geistigen), denn er ist (im
Prinzip) von jedwedem Inhalt gleich weit entfernt, nämlich
mindestens um den Betrag seiner ironischen Distanz.
G. Schweppenhäuser
urteilt hellsichtig, eine verändernde Praxis sei heutzutage
„vielleicht noch blockierter als zu Adornos Zeit“xxv.
Das nötigt, nach 40 Jahren im falschen Leben, dazu, der
Einrichtung des Lebens mehr Aufmerksamkeit zu schenken, d.h.
pragmatischer zu sein, als es der unversöhnliche Adorno jemals
hätte sein können und wollen. Das aber auch ihm solch ein
Gedanke nicht völlig fremd war, belegt eine Stelle aus der
Moralphilosophie, wo er von einem „stellvertretenden Leben“
im Privaten spricht, dessen zarte Einrichtung vielleicht doch, bis zu
einem gewissen Grad, gelingen könnte.xxvi
Eine Kultivierung des Privaten bewahrt außerdem vor zu viel
Politisierung und Verwissenschaftlichung, von denen heute
möglicherweise größere Gefahr droht als von den
Produkten der Kulturindustrie, die ihre Traditionslosigkeit und
strahlende Positivität inzwischen ja schon selbst
ironisieren. Alles hängt somit von der Wahrung oder besser noch
Kultivierung jenes freiheitlichen Bewußtseins ab, das, sollte
die Geschichte doch unglücklich enden, bis zu dem vielleicht
nicht allzu fernen Tage währt, an dem es unverhofft durch ein
‚technisch vervollkommntes‘ obsolet geworden sein
wird.
Theodor W.
Adorno, Gesammelte Schriften, 20 Bde., hg. v. Rolf Tiedemann,
unter Mitwirkung v. Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus
Schultz, Frankfurt/M. 19
DA Bd. 3:
Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente
MM Bd.
4: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten
Leben,
ND Bd. 7:
Negative Dialektik
Ders.,
Probleme der Moralphilosophie (1963), hrsg. v. Thomas
Schröder, Frankfurt/M. 1996.
Ders.,
Resignation, in: Hermann Schweppenhäuser (Hg.), Theodor
W. Adorno zum Gedächtnis, Frankfurt/M. 1971, S. 9-13.
Walter
Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, in: ders.,
Gesammelte Schriften, Bd. I/2, hg. v. R. Tiedemann und H.
Schweppenhäuser, Frankfurt/M. 1974, S. 693-704.
Detlev
Claussen, Theodor W. Adorno. Ein letztes Genie, Frankfurt/M.
2003.
Jürgen
Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt/M
31986.
Traugott
Koch/Klaus-M.Kodalle/Hermann Schweppenhäuser, Negative
Dialektik und die Idee der Versöhnung: eine Kontroverse über
Theodor W. Adorno, Stuttgart 1973.
Richard
Rorty, Kontingenz, Ironie und Solidarität, Frankfurt/M
1992.
Gerhard
Schweppenhäuser, Theodor W. Adorno zur Einführung,
Hamburg 1996.
Lothar
Zahn, Der Ausklang der Negativen Dialektik. Adornos Variationen
zur ‚Metaphysik‘ nach Kant, Hegel und Nietzsche. Zum
dritten Teil der Negativen Dialektik (354-400), in: Jürgen
Naeher (Hg.), Die Negative Dialektik Adornos, Opladen 1984, S.
273-290.
iDieses
Buch steht am reinsten ein für Adornos eigene Vorstellung von
Philosophie: „Philosophisches Ideal wäre, daß die
Rechenschaft über das, was man tut, überflüssig wird,
indem man es tut.“ (ND, 58).
iiAus
dem Roman Der Amerikamüde (1855) des österreichischen
Schriftstellers und Feuilletonisten Ferdinand Kürnberger
(1821-1879); Adorno befand sich zur Zeit der Abfassung im
(ungeliebten) amerikanischen Exil.
iiiVgl.
dazu eine Stelle der soeben erschienenen Adorno-Biographie Detlev
Claussens, in der er einen Brief Adornos an Leo Löwenthal, in
dem eben jene Diagnose noch einmal deutlich zum Ausdruck kommt,
zitiert: „Im Grunde geht es dabei darum, daß der Begriff
des Lebens selber als einer aus sich selbst entfaltenden und
sinnvollen Einheit gar keine Realität mehr hat, so wenig wie
der des Individuums, und daß die ideologische Funktion der
Biographien darin besteht, daß an irgendwelchen Modellen den
Menschen demonstriert wird, daß es noch so etwas wie ein Leben
gebe, mit all den emphatischen Kategorien von Leben, und zwar gerade
in empirischen Zusammenhängen, welche die, die kein Leben mehr
haben, mühelos für die ihren reklamieren können.
Leben selber, in einer sehr abstrakten Gestalt, ist zur Ideologie
geworden, und gerade die Abstraktheit, die es von den älteren,
gefüllteren Begriffen von Leben unterscheidet, macht es
praktikabel (der vitalistische und existenzphilosophische
Lebensbegriff sind schon Etappen auf diesem Weg)“ [Detlev
Claussen, Theodor W.Adorno. Ein letztes Genie,
Frankfurt 2003, S. 10 passim].
ivDas
Wort steht in Anführung, um es abzusetzen gegenüber der
philosophischen Richtung der Lebensphilosophie, die ihre
Hauptvertreter in Bergson, Dilthey und Simmel hatte und mit der
Adorno zwar im mehr oder weniger expliziten Dialog steht, gegenüber
der er sich jedoch klar absetzt, vor allem in Bezug auf die Frage
Rationalismus-Irrationalismus.
vDessen
anthropologische Fundierung Adorno letztlich nicht anerkennt:
„Trostlos die Perspektive, die Borniertheit aller Ideologie
ginge [...] auf eine Nezessität der Selbsterhaltung zurück
und müßte keineswegs mit einer richtigen Einrichtung der
Gesellschaft verschwinden“ (ND,388). Das Verzweifelte
der Formulierung zeigt die Kraft, mit der Adorno dagegen aufbegehrt,
daß die Selbsterhaltung das letzte Wort haben soll. Die
Trostlosigkeit einer Perspektive ist ja kein Argument gegen ihre
Wahrheit. An einer Stelle sagt Adorno über Kant: „Das
Geheimnis seiner Philosophie ist die Unausdenkbarkeit der
Verzweiflung“. Das gilt sicher auch für ihn selber. Es
kommt hier seine emphatische (paradoxe?) Wahrheitsauffassung ins
Spiel, wie in dem Satz: „Daß Carnap und Mieses wahrer
seien als Kant und Hegel, könnte selbst dann nicht die Wahrheit
sein, wenn es zuträfe“ (ND,377).
vi
Im Odysseus-Kapitel der Dialektik der Aufklärung,,
S.50-87, exemplarisch im der Geschichte von den Sirenen, S.
66f.
viiDeutlich
tritt hieran die Differenz zu Marx’ bewußtlosem
Materialismus zutage, für den die Heraufkunft des Kommunismus
eben ausschließlich an der Revolutionierung der
Produktionsverhältnisse hing.
viii
Gerhard Schweppenhäuser, Theodor W. Adorno zur Einführung,
Hamburg 1996, S.144.
ixLothar
Zahn, Der Ausklang der negativen Dialektik, in: Jürgen
Naeher (Hrsg.): Die Negative Dialektik Adornos, Opladen 1984,
S. 273-290, hier 283.
xHier
könnte man natürlich einwenden, daß Esoterik seit
Jahrzehnten Hochkonjunktur hat. Adorno hätte diese sicher, in
Ermangelung postmoderner Toleranz, mit dem Hinweis auf
Irrationalität abgetan.
xiVgl.
den Aufsatz Resignation, in: Hermann Schweppenhäuser
(Hg.), Theodor W. Adorno zum Gedächtnis, Frankfurt/M.
1971, S.9-13, hier 10.
xiiMit
Schopenhauer ist Adorno einig in der positiven Bewertung des
Mitleids, das eine wahrhaft menschliche Eigenschaft darstellt und
eine Solidarisierung unter Menschen erst ermöglicht.
xiiiVgl.
DA, 88ff.
xivTraugott
Koch/Klaus-M. Kodalle, Negativität und Versöhnung,
in: Koch/Kodalle/Schweppenhäuser, Negative Dialektik und die
Idee der Versöhnung: eine Kontroverse über Theodor W.
Adorno, Stuttgart 1973, S.7-54.
xv„Die
Kritiker [Koch/Kodalle] nennen das eine ‚rigoristische
Konzeption‘, die ‚keine Ausflüchte‘ erlaubt:
als käme es auf den Ausbruch aus einer Konzeption, nicht aus
der geschichtlichen Hölle an.“ (Hermann Schweppenhäuser,
Negativität und Intransigenz, in:
Koch/Kodalle/Schweppenhäuser, Negative Dialektik und die
Idee der Versöhnung: eine Kontroverse über Theodor W.
Adorno, Stuttgart 1973, S. 55-90, hier 67f).
xvi
Hier ist in Rechnung zu stellen, daß Adorno die Übertreibung
als rhetorisches Prinzip pflegt („wahr sind die Sätze als
Impuls“ [ND, 281] ); der Interpret kann, dessen zwar
eingedenk, sich jedoch nur an die Sätze halten, wie sie
formuliert sind.
xvii
Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne,
Frankfurt/M. 31986,
S.56.
xviiiIch
beziehe mich hier auf den verengten Begriff von Kultur, der auch im
Begriff Kulturindustrie gemeint ist, während die vorhergehenden
Sätze Adornos sich auf den weiteren Kulturbegriff als Gegensatz
zur Natur als Gesamtheit menschlicher Hervorbringung beziehen.
xixTheodor
W. Adorno, Probleme der Moralphilosophie (1963), hg. v.
Thomas Schröder Frankfurt/M. 1996, S. 249.
xx
Adornos Beschreibung erinnert frappierend an einen bekannten
Kinofilm. Die Intellektuellen sind die aus der Matrix
Herausgefallenen, die um der Menschen willen, die keine Ahnung
haben, was vor sich geht, gegen das falsche Ganze ankämpfen.
Nur das das Abgekoppeltsein hier nicht sauber nach technischem
Anschluß, also nach 0 oder 1 entschieden wird, sondern sich
wiederum im unübersichtlichen Bereich der Kultur abspielt, wo
jeder sich privilegierter wähnt als der andere.
xxiVgl.
Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, in:
ders., Gesammelte Schriften, Bd. I/2, hg. v. R. Tiedemann und
H. Schweppenhäuser, Frankfurt/M. 1974, S. 697f.
xxii
Auch das wird als (methodisches) Prinzip gerechtfertigt:
„Unversöhnlichem Denken ist die Hoffnung auf Versöhnung
gesellt, weil der Widerstand des Denkens gegen das bloß
Seiende [...] auch das am Objekt intendiert, was durch dessen
Zurüstung zum Objekt verloren ging.“ (ND,31) Und
bei Schweppenhäuser noch unversöhnlicher: „in der
vollendeten Negativität, Unerträglichkeit der Ausdruck der
Versöhnung unter der spiegelbildlich verkehrten Chiffre der
Hölle“ (Hermann Schweppenhäuser, Negativität
und Intransigenz, S.67) Der für mich befremdliche
Gedanke des Aufscheins der Utopie an der Hölle erinnert an den
frühen Marx, der den schlimmsten aller Zustände
bekräftigte als Vorbedingung der Revolution.
xxiii
Richard Rorty, Kontingenz, Ironie und Solidarität,
Frankfurt/M. 1992, S. 301f.
xxiv
S.o. S. 14.
xxv
Gerhard Schweppenhäuser, Adorno, S. 160.
xxvi
Adorno dachte an die Möglichkeit, „in den engsten
Beziehungen der Menschen so etwas wie Modelle eines richtigen Lebens
zu erstellen“, so, „wie man dem eigenen
Erfahrungsbereich sich vorstellen könnte, daß das Leben
von befreiten, friedlichen und miteinander solidarischen Menschen
beschaffen sein müßte“ (Adorno, Probleme der
Moralphilosophie, Vorlesung v. 29.11.1956; zit. nach: G.
Schweppenhäuser, Adorno, S. 161).
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