Erschienen in Ausgabe: No 60 (2/2011) | Letzte Änderung: 31.01.13 |
von Rainer Westphal
Mit
Befremden ist zur Kenntnis zu nehmen, dass sich gewisse Politiker und selbsternannte
Ökonomen rühmen, die richtigen Entscheidungen zwecks Überwindung der
Finanzkrise getroffen zu haben. Dieses betrifft insbesondere die Verfechter des
Neoliberalismus, welche immer noch nicht zugeben können, dass dieses Konzept
als endgültig gescheitert angesehen werden kann, zumal Deregulierungen der
Finanzmärkte als eine der Hauptursachen für das eingetretene Desaster anzusehen
sind.
Als
besonders merkwürdig kann diese Verhaltensweise angesehen werden, da keineswegs
davon auszugehen ist, dass die Finanzkrise überstanden ist. Es fehlen wirksame
Maßnahmen zur Eindämmung der Spekulationen, was zu einer neuen Finanzblase
führen kann. Eine erneute Krisensituation dürfte dann wohl nur noch mit einer
drastischen Währungsreform und den damit verbundenen Abwertungen zu be-
wältigen sein.
Politiker,
die hier nicht genannt werden, waren es,
welche vehement die Thesen von Keynes als Teufelswerk bezeichnet haben, um sich
dann plötzlich in der Krisensituation auf diese zu besinnen und dreistellige
Milliardenbeträge in das System pumpten, um den Zusammenbruch zu vermeiden. Dass
wir es wohl in naher Zukunft mit einer Staatsverschuldung von 2 Billionen Euro
zu tun haben werden, wird unter den Tisch gekehrt.
Die
Ereignisse dürften Grund genug sein, sich einmal mit Keynes und seinen Erkenntnissen zu befassen.
John Maynard Keynes, der
Brite (1883-1946),veröffentlichte
1936 seine Lehre mit dem Titel „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des
Zinses und des Geldes.“ Bei den meisten Wirtschaftstheoretikern löste das Werk
eine Glaubenskrise aus. Der ehemalige Wirtschaftsminister Karl Schiller hatte beim
Lesen des Werkes das Gefühl, ein Erdbeben zu erleben. Anfangder siebziger Jahre konnte dieser mittels praktischer Anwendung
der Erkenntnisse von Keynes das Nullwachstum in der Deutschen Wirtschaft
innerhalb von 3 Monaten auf 7 % Zuwachs bringen.
Verdienst
von Keynes war es, die „hochheilige“ Theorie von Adam Smith (1723-1790), die
als Grundlage der damaligen klassischen Nationalökonomie galt, einfach auf
den Müll zu werfen. Das merkwürdige Dogma von Smith lautete, dass freie
Konkurrenz in der Wirtschaft einer natürlichen Ordnung gehorcht, d. h., wie
sich das Wetter nach einem Sturm verhält und ohne Zutun wieder beruhigt.
Demnach soll der Markt nach einer Störung aus eigner Kraft wieder zu einem
Gleichgewicht gelangen, was den sogenannten Liberalen als Vorwand diente, und
teilweise immer noch dient, jegliche
staatliche Eingriffe abzulehnen. Offenbar ist es diesen bis heute nicht
gelungen, den Begriff „Markt“ näher zu durchleuchten, um Erkenntnisse darüber
zu gewinnen, welche Grundlagen für ein erwünschtes Gleichgewicht erforderlich sind.
Keynes
bestritt die Theorie von Smith, dass sich ein aus den Fugen geratenes
Wirtschaftssystem von selbst ausbalanciert, also eine Automatik gegeben sei. Keynes behauptete vielmehr, das es ein
Glücksfall wäre, wenn ein ideales Gleichgewicht, zu dem die Vollbeschäftigung
der Menschen und Maschinen gehört, existiert. Deshalb müsse der Staat, also
eine außerhalb des Systems vorhandene Kraft, gegebenenfalls genügend Arbeit
beschaffen. Die damaligen Ökonomen und „Praktiker“ bezeichnete er kurzerhand
als Sklaven eines verblichenen Ökonomen.
Grundsätzliches
Ziel der Theorie von Keynes war die Vollbeschäftigung, obwohl sich dieser
niemals mit dem Werk „Das Kapital“ von Marx auseinandergesetzt hat. Geleitet wurde
dieses Ziel davon, dass Massenarbeitslosigkeit die Demokratie ruiniert. Keynes
äußerte einmal, dass er sich im Klassenkampf auf der Seite der „gebildeten
Bourgeoisie“ befinden würde, denn die Konservativen würden weder Speise noch
Trank und Intellektuelle sowie spirituelle Lösungen bieten, was in der derzeitigen politischen Situation in der BRD wohl nicht einer gewissen
Ironie entbehrt. Demnach konnte man ihn nun wirklich nicht als „linken
Ökonom“ bezeichnen.
Keynes
wurde 1909 zum Lehrkörper des „Kings College“ ernannt, ohne jemals ordentlicher
Professor zu werden. Er las dort über Geld, Kredit und Preise. Er wurde
Redakteur der renommierten Zeitschrift „Economic Journal.“ Dieses veröffentlichte
1913 sein erstes Buch „Indian Currency und Finance“. Im gleichen Jahr berief man
ihn in die „Königliche Volkswirtschaftliche Gesellschaft“. Vor dieser Komission
vertrat er seine teilweise revolutionären Ansichten. Hierbei ging es u. a. um
die Abkehr vom Goldstandard im Jahre 1914. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges
übernahm er einen Posten im britischen Schatzamt. Dort dachte er trotz seiner
pazifistischen Grundhaltung über die Finanzierung des Krieges nach. Beim Auftreiben
von Devisen für Waffenkäufe zeigte er erstaunliche Fähigkeiten. Deshalb wurde
er von der britischen Regierung im Januar 1919 als Finanzbeauftragter zur
Friedenskonferenz nach Paris geschickt.
Drei
Wochen vor Abschluss des Versailler Vertrages warf Keynes das Handtuch. Er
hatte sich einen Einblick in die Wirtschaftskraft des Deutschen Reiches
verschafft, und ging davon aus, dass die Siegermächte das Deutsche Reich
rücksichtslos aus- pressen wollen, und die Möglichkeiten des besiegten Landes
völlig unbeachtet ließen. Aufgrund seiner Erkenntnisse schrieb er innerhalb von
zwei Monaten das Buch: „Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages“. In
diesem Buch wies er gnadenlos logisch nach, dass durch die Forderungen der
Siegermächte die wirtschaftlichen Säulen des Deutschen Reiches ins Wanken
geraten würden.
Bekanntermaßen
behielt Keynes recht. Die Ausbeutung des Deutschen Reiches schaffte die Voraussetzungen
zur Beendigung der Demokratie und somit zum 3. Reich mit allen negativen
Folgen. Eine gewisse Aktualität zur Situation in der EU ist erkennbar, wenn man
Sparmassnahmen fordert, welche die betroffenen Länder überfordern. Es dürfte
davon auszugehen sein, dass sich die Probleme aufgrund der Krise auf den
Finanzmärkten nicht auf Griechenland, Portugal und Irland beschränken werden.
Eine einheitliche Wirtschafts-, Finanz- und Fiskalpolitik der EU ist bisher
nicht erkennbar.
1925
traf Winston Churchill eine Entscheidung, die als eine der katastrophalsten
Fehler bezeichnet werden kann, die je einer Regierung in der Geschichte der
modernen Wirtschaft unterlaufen ist. Es handelte sich um die Rückkehr zum Gold-
standard, wodurch sich die Exportgüter extrem verteuerten, und die Importe sich
drastisch verbilligten. Dieses hatte prompt eine Massenarbeitslosigkeit zur
Folge, was Churchill veranlasste, per Gesetz die Löhne zu kürzen, um dadurch
die Preise zu senken.
Keynes
hatte in Vorträgen und Artikeln unermüdlich vor den Folgen der Wiederein-
führung des Goldstandards gewarnt. Erst 1931 gestand die britische Regierung
ihren Fehler ein und schaffte diesen wieder ab. Keynes glaubte bereits 1929,
vor der Welt- wirtschaftskrise, erkannt zu haben, dass der Kapitalismus die
Tendenz der Instabili- tät in sich birgt. Mit dieser Auffassung, die nur noch
von den Marxisten geteilt wird, hat er sich in den Gegensatz der zu der
damaligen Lehrmeinung gestellt aufgrund dessen man auch nicht geneigt war,
Rezepte zur Beseitigung akuter Krisen zu entwickeln. Zur langfristigen Selbstheilung
der Volkswirtschaften und des Marktes äußerte er einmal ironisch, dass wir alle
auf lange Sicht tot sind.
Nach
Ansicht der klassischen Theoretiker reguliert das Gesetz von Angebot und Nachfrage
nicht nur die Warenpreise, sondern auch den Arbeitsmarkt. Diese machten aber
die Einschränkung, dass dieser Mechanismus nur dann funktioniert, wenn die
Bewegungen auf dem Warenmarkt möglichst syncron mit den Bewegungen auf dem
Arbeitsmarkt verlaufen würden. Deshalb verfolgen die Verfechter liberaler
Theorien eine größere Elastizität der Löhne und Gehälter nach oben und nach
unten. Zu Recht bezweifelte Keynes derartige, merkwürdige Vorstellungen.
Am
25. Oktober 1929 brach in New York der große Börsenkrach aus. Die damaligen Ökonomen
empfahlen den Regierungen abzuwarten, und ihre öffentlichen Ausgaben zu
beschneiden, da andernfalls der Staatsbankrott drohe. Keynes hingegen forderte
genau das Gegenteil. Der Staat solle sich Geld leihen, und mit diesem Geld
sinnvolle Arbeitsplätze schaffen (Deficit
Spending). Warum, argumentierte er, solle der Staat nicht Aufträge vergeben,
wenn auf Grund ungünstiger Gewinnerwartungen die Unternehmer wenig Neigung verspürten
Investitionen vorzunehmen. Das geliehene
Geld solle der Staat aber in der folgenden Boomphase zurückzahlen, da dann auch
das Steueraufkommen steige.
Eine
aktuelle Kernaussage von Keynes lautete, dass der Staat den Marsch in den wirtschaftlichen
Niedergang stoppen kann, indem er den Geldumlauf erhöht, und dadurch die Zinsen
senkt. Diese Politik kann jedoch keinen Erfolg haben, wenn die
Gewinnerwartungen auf dem Wertpapiermarkt höher sind als die zu erwartenden
Unternehmergewinne. Dann ist die Situation eingetreten, dass die Pferde zur
Tränke getrieben wurden, aber es versäumen zu saufen.
Am
21. April 1946 verstarb Keynes. Die „Times“, die ihn früher sehr scharf
kritisierte, schrieb in einem Nachruf: „Das Land hat einen großen Engländer
verloren“.
Angekratzt
wurde die Lehre Keynes vom „Deficit spending“ auch theoretisch, von den
sogenannten Neoklassikern, zu denen auch Milton Friedmann zu zählen ist. Sie
behaupten, dass staatliche Mehrausgaben keinen Einfluss auf die Konjunktur nehmen,
dass der Multiplikatoreffekt eine Legende, und der Wohlstand der Nachkriegszeit
allein auf die Liberalisierung der Weltwirtschaft zurückzuführen sei. Die
Neoklassiker schwören jeder aktiven staatlichen Wirtschafts- und
Beschäftigungspolitik ab, und setzen auf die Selbstheilungskräfte des Marktes,
die – auf lange Sicht – stark genug seien, eine Volkswirtschaft wieder ins
Gleichgewicht zu rücken.
Doch wie sagt der
Kurzzeit-Theoretiker Keynes? „Auf lange Sicht sind wir alle tot“.
Literaturhinweise:
Stern
Buch, Paul-Heinz Koesters, „Ökonomen verändern die Welt“
Robert Lekachman, „John Maynard Keynes – Revolutionär des Kapitalismus“
Duncker & Humblot.
John Maynard Keynes: „Allgemeine Theorie der
Beschäftigung,des Zinses und des
Geldes“
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Blomert 24.01.2013 18:11
Eine sehr gute Darstellung dessen, was Keynes heute bedeutet! Allerdings tut Herr Westphal Adam Smith ein wenig unrecht - der ist nämlich gar nicht so schwarz, wie man ihn oft malt (vgl, dazu auch mein Buch: "Adam Smiths Reise nach Frankreich", Die Andere Bibliothek 2012). Radikaler und damit auch ideologischer waren seine Nachfolger, Jean Baptiste Say. Keynes hat sich ja auch nie von Smith distanziert, sondern stets nur vom Sayschen Gesetz. Reinhard Blomert