Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 01.02.11 |
von Alexander Kissler
Lieber Bruder Norbert,
ich nehme mir die Freiheit, den Präsidenten des Deutschen Bundestages
zu duzen; nicht an ihn nämlich ist dieser Brief gerichtet, sondern an
den „engagierten katholischen Christen“, der gerade eine Kampagne für
die Zulassung katholischer verheirateter Männer zur Priesterweihe
gestartet hat. Ich schreibe Dir, weil ich derselben Kirche angehöre,
und ich schreibe Dir öffentlich, weil auch Du den öffentlichen Weg
gewählt hast, um an die deutschen Bischöfe eine „Bitte“ heran zu tragen:
Sie mögen sich „vor allem in Rom mit Nachdruck“ dafür einsetzen, dass
„viri probati“ Priester werden dürfen.
Du, lieber Bruder Norbert, schreibst, Du seiest
ebenso wie Deine Mitstreiter aus der CDU getrieben von „lebenslanger
kirchlicher Verbundenheit, tiefer Sorge und wachsender Ungeduld“.
Dass letztere nicht eben ein starkes Motiv ist – auch ich bin zum
Beispiel wachsend ungeduldig, wann es endlich einen ausgeglichenen
Staatshaushalt geben wird –, kannst Du mir gewiss zugestehen. Ungeduld
ist eine Temperatur des Inneren, die sich auf törichte ebenso wie edle
Ziele richten kann. Persönliche Ungeduld ist manchmal nahe am Trotz und
somit an der Unreife und also ganz gewiss in diesem weltkirchlich
brisanten Konflikt nicht maßgebend.
Tiefe Sorge treibe Dich um, lese ich. Worüber bist
Du tief besorgt? Über die „besorgniserregende Zunahme des
Priestermangels“ in Deutschland, über die „Not vieler priesterloser Gemeinden“,
aus der ein „seelsorgerischer Notstand“ resultiere. Du verweist darauf,
dass die Zahl der „Geistlichen in der Pfarrseelsorge“ seit 1960 in
Deutschland von 15.500 auf 8500 zurückgegangen sei, also um 45 Prozent.
Du sagst nicht, dass in derselben Zeit der Anteil
der sonntäglichen Gottesdienstbesucher unter den Katholiken von 46 auf
13 Prozent kollabierte, also um 70 Prozent einbrach. Der Rückgang an
praktizierenden Katholiken war also wesentlich stärker als der Rückgang
an Priestern. Sollte uns das nicht stärker umtreiben? Ist die
Verdunstung des Glaubens nicht der dramatischere Befund als die
wachsende Entfernung zwischen den Stätten sonntäglicher
Eucharistiefeier?
Das nämlich, lieber Norbert, scheint Dich vor allem
zu beschweren: Dass Gläubigen, die das „Recht auf die sonntägliche
Messfeier“ wahrnehmen wollen, dieser Wunsch oft „unverhältnismäßig erschwert“ werde. Von der Sonntagspflicht sprichst Du nicht, aber von den erschwerten Bedingungen, sonntags zur Messe zu gelangen.
Verhältnismäßigkeit ist ein Begriff aus der
Jurisprudenz. Er meint die Angemessenheit staatlichen Verhaltens
gegenüber dem einzelnen Staatsbürger und ist also in einer theologischen
Erörterung fehl am Platz. Ist es in Zeiten fast maximaler Mobilität
„unverhältnismäßig“, fünf oder zehn oder mehr Kilometer zurückzulegen?
Ist es „unverhältnismäßig“, vielleicht gemeinsam sich aufzumachen zum
Höhepunkt kirchlichen Lebens, zur Feier von Wochenanfang und
Auferstehung, zur persönlichen Begegnung mit dem Herrn der Geschichte
und des Kosmos, dem Erlöser? Sind Christen Menschen, die nur zu
„verhältnismäßigen“ Einschränkungen ihrer Bequemlichkeit bereit sind,
nicht aber zur Liebestat, die auch opfernd sich verschenkt? Das
Kriterium der Verhältnismäßigkeit hilft uns nicht weiter.
Im Ganzen, lieber Norbert, argumentierst Du
soziologisch und ergo quantitativ und strikt säkular. Darf eine Kirche,
die Kirche sein will und der Du Dich lebenslang verbunden fühlst, sich
solchen Argumenten öffnen? Du erwähnst eine Umfrage, der zufolge 87
Prozent der Deutschen das „Eheverbot für das Priesteramt“ für „nicht
mehr zeitgemäß“ halten. War Jesus zeitgemäß? Hätte man vor 2000
Jahren eine Umfrage im Heiligen Land gemacht, wofür die Menschen ihn
hielten und ob man seiner Botschaft folgen solle, hätten gewiss mehr als
87 Prozent ihn außer Landes gewünscht, den „Störenfried“. Und war das
„zeitgemäße“ Christentum nicht zu allen Zeiten ein von Christus
möglichst weit entferntes Christentum, das mit der Macht kungelte, mit
dem Staat, mit Kaiser, Zar und Führer?
Außerdem verblüfft mich, lieber Norbert, der leicht
anmaßende Ton, mit dem Du den „seelsorgerischen Notstand“ allein an der
hie und da ausgedünnten Zahl der Eucharistiefeiern meinst festmachen zu
können. Sind wirklich nur geweihte Priester Seelsorger? Bist Du noch nie
Diakonen begegnet, wie es sie gottlob reichlich gibt? Traust Du keinem
anderen gemeindlichen Mitarbeiter zu, seelsorgerisch zu wirken, als nur
dem Priester?
Schließlich hat mir noch niemand – auch Du nicht, lieber Norbert – die Frage beantwortet, warum es in jenen evangelischen, altkatholischen oder sonstigen christlichen Gemeinschaften,
die den Zölibat nicht kennen, keineswegs boomt, sondern der Glaube noch
weit rascher sich verzieht. Auch um den Nachwuchs steht es dort
keineswegs leuchtend bestellt.
Katholische Priester folgen Christus auch insofern
nach, als sie dessen Ehelosigkeit sich zur eigenen Lebensform erwählen.
Sie setzen dadurch, im Unterschied etwa zu Politikern, die sich qua
Pressekonferenz selbst zum Privatier erklären können, radikal und mit
Haut und mit Haar und ganz freiwillig lebenslang auf diesen Christus.
Manchmal denke ich, der Zölibat wird nur deshalb von nicht-zölibatär
lebenden Menschen angegriffen, weil sie es nicht ertragen, dass es in
unserer Gesellschaft Menschen gibt, die leibhaft beweisen, dass es auch
im 21. Jahrhundert lebenslange Treue, lebenslange Eindeutigkeit geben
kann. Jeder katholische Priester ist ein wandelnder Einspruch gegen die
Allmacht der Diesseitigkeit.
Du, lieber Norbert, trägst nun leider dazu bei,
diesen Einspruch um Christi Willen herabzusetzen, aus persönlicher
Ungeduld und in soziologischer Perspektive. So aber relativierst Du
Christus selbst. Darum habe ich Dir geschrieben.
In brüderlicher Verbundenheit,
Alexander Kissler.
www.alexander-kissler.de
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