Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 02.02.11 |
von Christoph R. Hörstel
Wundervoll: Seit
mindestens zehn Jahren diskutieren die Kenner der arabischen Region über den
gewaltigen Reformstau und die Risiken für die westliche Vorherrschaft - jetzt
fallen die alten Regimes im Wochentakt, und keiner wagt es, die USA damit
direkt in Verbindung zu bringen.
Allein die Erinnerung an den Sturz des „Schah“ in Iran
müsste doch ausreichen, um die Möglichkeit diskreter „Mitsteuerung“ wieder in
die Analyse einzubeziehen. Damals hätte der Iran auch in Richtung Sowjetunion
kippen können. Doch die USA entschieden sich heimlich für den als „kleineres
Übel“ erscheinenden Imam Khomeini. Dass der die riesige Spionage- und
Kommando-Zentrale in der Teheraner US-Botschaft nicht einfach mit übernehmen
und sozusagen „im Amt“, also weiterwirken, lassen wollte, ist ihm kaum zu
verdenken, ließ die US-Pläne künftigen Mitregierens in Teheran jedoch nahezu
scheitern. Heute sucht Teheran in einem meisterlichen Ritt auf Messers
Schneide, den Dauerkonflikt als „lauwarmen Krieg“ knapp unterhalb offener
Schießereien zu halten - und lebt damit nicht schlecht, wesentlich besser als
Cuba zum Beispiel.
Heute könnten die nordafrikanischen Staaten auch sämtlich
Richtung China kippen. Hoch intelligent, langsam, unspektakulär, auf lange
Sicht arbeitet der US-Herausforderer an seinen neuen Positionen im weltweiten
Domino-Spiel. Dem hatte der Westen bis zum Sturz von Tunesiens Diktator Ben Ali
nur die brachiale Methode einer unklugen Gebietsabtrennung im Sudan
entgegenzusetzen. Der Südsudan wird auf hundert Jahre ein schwaches Gebilde und
damit abhängig bleiben, exakt wie vom Westen gewünscht - aber das bietet eben
auch Raum für chinesische Manöver. Und selbstverständlich hat dies alles mit
den Wünschen und Plänen der Menschen, die da wie Schachfiguren verschoben
werden, nichts Wesentliches zu tun.
Wie kommt es denn, dass die Äußerungen der US- und
EU-Regierungen zur jeweiligen Entwicklung in Tunesien und Ägypten so samtweich
in die sich entwickelnde Lage passen? Ist nicht gerade Ägypten vollkommen und
„alternativlos“ (diesmal wirklich...) abhängig von Washingtons Wünschen? Wieso
darf das US-ausgebildete ägyptische Militär mit den Demonstranten kooperieren,
statt, wie an andere Stelle und/oder zu anderen Zeiten ohne Bedenken üblich,
die Straßen leerzuschießen? Wieso soll nach Obamas Wunsch denn plötzlich
Twitter etc. von Ägyptens Regime nicht angetastet werden?
Weil Washington laut WikiLeaks diese ganze Entwicklung schon
länger fördert, schon seit Bush. Obama zieht es nur jetzt anders auf, weniger
militärisch - aber selbstverständlich ganz „auf Linie“: Der Westen sichert sich
in einem neuen politischen Rahmen ab und bleibt obenauf. Der neue bürgerliche
Kompromiss-Herrscher El-Baradei, der dafür zunächst in Reserve gehalten wurde
und jetzt schrittweise aus dem Hut gezaubert wird, verfügt über glänzenden
Kontakte und lässt sich willig kontrollieren. Das tat er schon als IAEA-Chef -
und anders wäre er vermutlich auch kaum zum Nobelpreis gekommen: Ein Preis, der
mit dem Empfänger Obama jenseits der Grenzen des guten Geschmacks als
prowestliche Salon-Dekoration angelangt ist. Wenn gemeldet wird, dass Baradei
bei seiner letzten Anreise aus Wien zwar nicht von der Bevölkerung aber dafür „von
Reportern empfangen“ wurde, ist klar: Wir, der Westen, inthronisieren ihn mit
Geheimdiensten, Geld und willfährigen Medien. Die Zeit war reif, als Baradei im
vergangenen Sommer die Moslembruderschaft, auch eine CIA-Gründung, ganz
offiziell mit ins Boot holte. Wenn SWP-Chef Perthes (AA-Finanzierung)
ausdrücklich erklärt, das sei alles nicht gesteuert, heißt das nur: Wir sollen
es nicht sehen - und er darf es nicht nur nicht zugeben, sondern muss unter
allen Umständen das Gegenteil behaupten (die österreichischen Nachbarn haben
einmal mehr gute Arbeit geleistet...). Alles Andere wäre nämlich hoch
gefährlich, das weiß nicht nur der oben von der NYT-Autorin zitierte ex-Chef
des CFR (Council on Foreign Relations), Richard Haass. Die USA könnten als
wankelmütig, illoyal und als arrogant dastehen. Also raten alle: Obama soll
hinter den Kulissen Mubarak zum Rücktritt bringen. Das passiert vermutlich in
aller Kürze, eventuell schon morgen.
Diesen „Mechanismus der Geschichte“ beobachten auch eine
Reihe von Städten wie Minsk, Teheran oder Moskau sehr interessiert, da sie
derzeit ebenfalls durch gezielte westliche Einmischung („Förderung der
Zivilgesellschaft“) beaufschlagt werden.
Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung (FNS) hatte ein
„Marketing-Relaunch“. Sie trägt jetzt im Namen den Zusatz: „Für die Freiheit“.
FNS-fdF? Für den Faschismus? Der Historiker Götz Aly nannte Naumann jüngst
einen Wegbereiter des Nationalsozialismus. Außerdem: schreibt Wikipedia: „Und der
Reichstagsabgeordnete Friedrich Naumann erhielt wegen seiner Verteidigung der
Militärintervention in China (1900) den Spitznamen „Hunnenpastor“.
Wird Deutschland auf dem Wege zum ständigen Sitz im
Sicherheitsrat jetzt zum US-Franchise-Unternehmer in Sachen regime change? Wir
sind/waren jetzt von Washingtons Gnaden schon auf dem Balkan, in Afrika, am
Hindukusch, vor Libanons Küste, vor Somalia - überall dort, wo
Washington/London den bösen, alten Adolf nicht haben wollten. Hilft das unserer
schwach begründeten Souveränität auf die Sprünge? Hat die Welt etwas davon,
wenn Deutschland als US-Pudel im Sicherheitsrat sitzt? Oder ist das Pudeltum
nur übergangsweise geplant? Was käme dann danach?
Ratsam (und wesentlich preiswerter) wäre vielmehr eine
friedliche Politik laut „Grundgesetz“, ausschließlich und strikt innerhalb des
Nato-Vertragsgebietes, allseits vertrauenswürdig, langfristig ausgerichtet,
völkerverbindend, sozial und nachhaltig unternehmerisch - statt militärisch.
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