Erschienen in Ausgabe: No 61 (3/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Heike Geilen
Woran erkennt man, dass der Mann ein Mathematiker ist?
* Er überlegt lange.
* Seine Antwort ist wahr.
* Seine Aussage ist zu nichts zu gebrauchen.
„Ein Mathematiker ist ein Mensch, der lieber eine halbe Stunde nachdenkt,
als fünf Minuten zu arbeiten.“
Jede Menge Witze kursieren über diese Wissenschaft. Die Erinnerungen an das
Schulfach Mathematik zählen allerdings bei den meisten nicht zu den besten: zu
trocken, zu abstrakt, zu unverständlich. Ihre stark normierte, karge
Darreichungsform hat etwas Hermetisches und Unzugängliches. „Wenn es auch am Beginn des 3. Jahrtausends
zunehmend schwieriger wird, ihre großen Errungenschaften zu leugnen, so
erscheint sie ihren Gegnern doch emotional frugal, intellektualistisch,
vollwertig furchterregend und als Beschäftigung in etwa so spannend wie die
Besichtigung frischer Farbe beim Antrocknen.“, schreibt Christian Hesse im
Vorwort zu seinem Buch. Mathematik, so die Meinung der meisten, sei eine
Wissenschaft, die von Profis für Profis produziert wird, und nur diese können
in ihr ein grandioses Abenteuer sehen.
Doch unsere Welt und unser Alltag stecken voller Mathematik, nicht nur als
fester Bestandteil bei der Erschließung des Großen (Weltall) oder der Analyse
des ganz Kleinen (Elementarteilchen). „DieHeizung heizt, der Flieger fliegt, die Brücke
trägt nur dann, wenn Mathematik im Spiel ist.“, so der promovierte Autor
und Professor für Mathematik an der Universität Stuttgart. „Darüber hinaus ist die Mathematik eine Quelle nachhaltig spürbarer
Schönheit.“ Ein bisschen von dieser ästhetischen Qualität will er mit
seinem Buch dem geneigten Leser mitteilen, ihn mitreißen und ihm deren
Präzision, kristalline Klarheit und Eleganz vermitteln.
Dieses als ausweglos erscheinende Unterfangen ist Christian Hesse
allerdings hervorragend gelungen. Er holt die Mathematik „hinter dem Ofen
hervor“ und platziert sie als illustres Tisch- und Partygespräch. Was ist das
optimale Verhalten bei Warteschlangen? Wie kann man einen Kuchen unter drei
Personen neidfrei aufteilen? Kann man beim Glücksspiel zwei Verluststrategien
zu einer Gewinnstrategie kombinieren? Warum haben Tiger Streifen, Dalmatiner
Punkte und Elefanten nichts von beidem? Ist es günstiger, beim Italiener Pizza
„Groß“ oder vielleicht doch lieber Pizza „Klein“ + Pizza „Medium“ zu bestellen?
Dies sind nur einige Fragen, die der Autor anspricht und mathematisch
beantwortet.
Er öffnet die sieben Siegel mit Leichtigkeit, Eleganz und vor allem Humor
und zeichnet ein lebendiges Bild der Mathematik. Auch ein Leser mit geringen
mathematischen Grundkenntnissen kann an diesem Buch Freude finden. So wird man
zwar nicht alle Formeln und Ausführungen verstehen und nachvollziehen können,
aber Hesse gelingt es immer wieder, die Klippen des Unverständnisses gekonnt zu
umschiffen. Seine „Fallbeispiele“ und Erläuterungen erinnern eher an Jon Bon
Jovis Gitarrenspiel, als an Anne-Sophie Mutters Violinenakkuratesse. In kurzen,
knappen Intermezzi „in Feiertagslänge“, versucht der Autor „Schweres unschwer leichter zu sagen.“, eine Art flanierendes
Denken, kunterbunt zusammengewürfelt. Vielleicht gerade dadurch so munter und
erfrischend. „Nicht Kleinkunst habe ich
im Sinn, sondern tiefer gehängte Hochkultur, bis hinunter auf Verstehbarkeit in
Echtzeit.“, verspricht Hesse.
Und recht hat er. Seine Sammlung an mathematischen Fallbeispielen, seine
immer wieder eingestreuten lustigen Bonmots, erweisen sich so witzig und
aberwitzig wie das Leben. Nach der Lektüre dieses Buches, das man - so meine
Empfehlung - häppchenweise genießen sollte,wird man sich vielleicht nicht gerade zum nächsten Mathematik-Kurs an
der Universität einschreiben wollen und auch nicht glücklicher sein, als zuvor,
aber um einige anstrengend-schmunzelnde Erfahrungen reicher. Voller Freude legt
man diese „exaltierte Querbeet-Kompilation von Mathematik und Leben“ in
Buchform zurück, mit dem Bedürfnis, sie jederzeit wieder aufzuschlagen und
darin zu „schmökern“. Die „Gefahr“, dabei vielleicht doch noch ein Mathematiker
zu werden, besteht nicht. Denn wer will schon „ein mythologisches Wesen, halb Mensch, halb Stuhl“ sein.
Eine Leseempfehlung meinerseits kann ich ohne Zögern aussprechen und mit
einem mathematischen Countdown zum Schluss kommen: 4, π, e, √2, 0.9̅, 0, i².
Nichtmathematiker zum Mathematiker: "Ich finde ihre Arbeit ziemlich
monoton."
Mathematiker: "Mag sein! Dafür ist sie aber stetig und nicht
beschränkt."
„Mathematiker sein bedeutet, kompliziert leben müssen zu wollen, wenn nicht
gar kompliziert leben wollen zu müssen.“ (Christian Hesse)
Christian
Hesse
Warum
Mathematik glücklich macht
C.H.
Beck Verlag, München (Dezember 2010)
346
Seiten, Gebunden
ISBN-10:
3406606083
ISBN-13:
978-3406606083
Preis:
14,95 EURO
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Warszawski 08.02.2011 18:57
Ein Mathematiker ist ein Mensch, der lieber eine halbe Stunde nachdenkt, als fünf Minuten zu arbeiten.------------------------------------------- Ein Philosoph ist ein Mensch, der eine Stunde nachdenkt, um fünf Minuten nicht zu arbeiten.