Erschienen in Ausgabe: No 61 (3/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Rainer Westphal
Wenn
man den Aussagen unseres, durch seine stets kompetenten Äußerungen auffallenden
Außenministers folgt, dann handelt es sich beim Volksaufstand in Ägypten
lediglich um die Forderung nach Demokratie und Freiheit, wobei Vorsicht
angebracht wäre, dass sich nicht die „Moslembrüder“ als Trittbrettfahrer
erweisen.
Offensichtlich
fehlt Herrn Westerwelle das Demokratieverständnis dahingehend, dass sich in
einer Demokratie alle politischen Parteien zur Wahl stellen können, die sich
der bestehenden Verfassung unterwerfen. Leider ist festzustellen, dass es
gerade Personen, die auf eine Verfassung vereidigt wurden, sind, die gegen
diese ver-stoßen.
Dass
es sich bei den Unruhen in erster Linie darum handelt, dass die Masse der
Bevölkerung die Armut, Arbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit ihrer Lage nicht mehr
ertragen kann, wird als solches nicht erwähnt. Die Kluft zwischen Arm und Reich
in Ägypten ist unbeschreiblich. Das System unterdrückt deshalb jeglichen
Widerstand um die Privilegierten zu schützen, und die Macht zu sichern. Es ist
zu befürchten, dass sich in Europa bei Fortsetzung der neoliberalen Politik
ähnliche Erscheinungen einstellen.
Dass
die protestierende Bevölkerung über die neuen Medien, wie zum Beispiel Internet
und Fernsehen, weitaus besser als in der Vergangenheit, über die Situation
ihres Landes und der Länder im arabischen Raum informiert ist, und dadurch auch
das Bildungsniveau anstieg, dürfte nicht zu bestreiten sein. Von einer neuen
Regierung erwartet man deshalb als erstes eine Verbesserung ihrer
wirtschaftlichen Situation; den Abbau der Arbeitslosigkeit und der sozialen
Ungerechtigkeiten. Allerdings dürfte sicher sein, dass man in eine
demokratische Entwicklung und entsprechender Strukturen große Hoffnungen setzt.
Dieses schließt jedoch eine andere Entwicklung nicht aus.
Agypten
dürfte bereits über 7O Millionen Einwohner haben, wovon sich ca. 90 % zum sunnitischen
Islam bekennen.Der Außenhandel ist
defizitär. Die Auslandsschulden betragen ca. 160 Milliarden US $, was einen BIP
von ca. 80 % beinhaltet.
Ohne größere
Nahrungsmittelimporte (ca. 20 %) dürfte die Bevölkerung offensichtlich derzeit
und künftig nicht ausreichend zu ernähren sein. Die Situation wird immer prekärer, zumal
sich die Nahrungsmittelpreise auf den Weltmärkten aufgrund der Spekulationen
extrem verteuern.
Eine
derartige Situation führt dazu, dass sich dieses Land immer mehr in
Abhängigkeit zu den USA begibt, die offensichtlich erhebliche Summen
investieren, um das System aus Gründen, die einer Einzelbetrachtung bedürfen,
stützen. Agypten hat fast die 3fache Größe der Bundesrepublik und ist
hochgerüstet. Die Armee, wobei es sich um eine Armee von Wehrpflichtigen
handelt, unterhält über 400.000 Mann. Eine derartige Armee bedurfte und bedarf
erheblicher Waffenimporte, um ein Gleichgewicht gegen einen vermeintlichen Feind darzustellen. In
der derzeitigen Situation dürfte es sich als Vorteil herausgestellt haben, dass
es sich nicht um eine Berufsarmee handelt. Seitens der Armeeführung wurde offensichtlich
alles getan, um ein größeres Blutvergießen zu vermeiden.
Im
Gesamtzusammenhang sollte man auch die neuere Geschichte des Landes einer kurzen
Betrachtung unterziehen. Die Landung der Franzosen unter Napoleon beendete zunächst
die Osmanische Herrschaft. Unter Ali Pascha erlangte das Land bis 1822 eine
gewisse Selbständigkeit unter osmanischer Oberhoheit, um danach bis 1922 unter
britischer Hoheit zu fallen. 1922 entstand das Königreich Ägypten, und war
bereits weitgehend selbständig, um 1936 die Souveränität zu erhalten. An die
Besetzung durch Italiener, und das Wirken des DAK wird erinnert. Des weiteren
an die Kriege mit Israel, insbesondere die 1956 vorgenommene Besetzung durch
Frankreich, England und Israel im Zuge der Sicherung des verstaatlichten Suez-Kanal.
Aus
der neueren Geschichte geht hervor, dass Ägypten in der Vergangenheit, und
offensichtlich auch in der Gegenwart, im Focus der Interessen Europäischer
Länder und der USA stehen. Es dürfte demnach nachvollziehbar sein, wenn sich
dieses Volk gegen jegliche Einmischung und Bevormundung westlicher Länder
verwahren wird. Es bleibt zu hoffen, dass die Revolution in den arabischen
Ländern als solches friedlich vor sich geht, und zu demokratischen Strukturen
führt.
Es
wird an den arabischen Aufstand, der von T. E. Lawrence, der 1916-1918 diesen asymmetrisch
gegen das Osmanische Reich anführte, erinnert. Max von Oppenheim, auf der Seite
der Osmanen, erinnerte eindringlich an die gemeinsame Religion der Araber und
daran, dass imperialistische Interessen der Briten das Motiv sind, die
arabischen Stämme mit Geld und Waffen zu versorgen. Das Versprechen Frankreichs
und Großbritanniens hinsichtlich einer Selbständigkeit der Araber nach
siegreicher Beendigung der Kampfhandlungen, bezeichnete er als unrealistisch.
In
der Tat, bereits im Jahre 1916, wurde das geheime Sykes-Picot-Abkommen abge-
schlossen, welches eine Aufteilung der Region zwischen Frankreich und Groß-
britannien beinhaltete. Von einer politischen Freiheit und Selbstbestimmung der
Araber konnte demnach nicht ausgegangen werden. Die Vision einer Vereinigung
aller arabischen Stämme wurde brutal zerstört; willkürlich wurden Grenzen von
Frankreich und Großbritannien gezogen. Diese Entwicklung entbehrt nicht einer
Tragik für die arabischen Menschen in dieser Region, die ihr Leben für die
Freiheit gegeben haben.
Glaubwürdig
ist, dass T. E. Lawrence seine arabischen Freunde nicht betrogen hat, da er von
diesem Vertrag keine Kenntnis hatte. Er setzte sich mehr oder weniger erfolglos
1919 für deren Selbständigkeit ein. Es ist
wohl so, dass in der arabischen Region ein tiefes nachhaltiges Misstrauen gegen
Europäische Länder oder der westlichen Zivilisation herrscht.
T.
E. Lawrence schrieb in „Die sieben Säulen der Weisheit“:
„Empörung
ist für den Politiker der schwerste Schritt, den er unternehmen kann, und der
arabische Aufstand war ein so gewagtes Hasardspiel, dass man über Erfolg oder Misslingen
nichts vorhersagen konnte. Diesmal begünstigte jedoch das Glück den kühnen
Spieler, und das arabische Heldendrama durchlief seine stürmische Bahn von
Beginn über Schwäche, Not und Versagen hinweg bis zum strahlenden Sieg. Es war
das rechte Ende für ein Abenteuer, das so Hohes gewagt hatte. Aber nach dem
Sieg kam eine trübe Zeit der Enttäuschung, und darauf eine Nacht, da die
Kämpfenden erkennen mussten, dass alle Hoffnungen sie im Stich gelassen hatten.
Nun mag vielleicht der Friede der letzten Ruhe über sie gekommen sein, in dem
Bewusstsein, etwas Unsterbliches hinterlassen zu haben: eine leuchtende Idee
den Kindern ihres Volkes.“
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