Erschienen in Ausgabe: No. 24 (1/2006) | Letzte Änderung: 27.01.09 |
Daniel C. Dennett: Sweet Dreams. Philosophical Obstacles to a Science of Consciousness. Cambridge, MA und London: MIT Press (2005). 199 Seiten. ISBN 0-262-04225-8
von Patrick Spät
Daniel
Dennett – Professor für Philosophie an der Tufts
University und Direktor des hiesigen Center for Cognitive Studies –
ist der Leonardo da Vinci der Philosophie. Das verbindende Element
ist nicht nur, dass beide Linkshänder sind und das Bild eines
echten Homo Universalis verkörpern, sondern auch ihre
präzise Federführung, ihr Gespür fürs Elegante
und ihr scheinbar endloser Esprit. Doch allen Lobeshymen zum Trotz,
ist es natürlich stets angebracht, ihre Entwürfe auf Herz
und Nieren zu überprüfen.
Das neueste Produkt aus der Dennettschen Erfinderstube ist eine
Sammlung von acht Aufsätzen, die in den Jahren 1999 bis 2005
entstanden sind. Die Intention ist klar: Nachdem Dennett mit seinem
Consciousness Explained1
eine wahre Lawine von kritischen Artikeln, Büchern und Reden ins
Rollen gebracht hatte, sei es an der Zeit, zum Gegenangriff
auszuholen und im selben Atemzug „some revision and renewal“
(S. ix) der alten Theorie des Bewusstseins anzubieten. Da Dennett die
Grundpfeiler seiner Theorie allerdings nicht immer rekapituliert, ist
es ratsam, Consciousness Explained gelesen zu haben, bevor man
sich den süßen Träumen widmet. Dennetts Prosa ist wie
immer erfrischend, präzise und leichtfüßig, und auch
seiner Methode ist er treu geblieben: Alles, was sich nicht mittels
funktionalistischer Termini erklären lässt, quint2
Dennett rigoros weg. Ein Blick in den Index verrät sofort, wer
die üblichen Verdächtigen sind: Zombies und die
vieldiskutierten Qualia3.
Beide stehen stellvertretend für die Forderung von David
Chalmers und Co., dass wir unsere derzeitige, mechanistische Physik
dahingehend erweitern müssten, dass sie diesen Qualia gerecht
wird. Dennetts Diagnose lautet, dass sich diese Herrschaften vom
Zombic Hunch haben einwiegeln lassen, denn zum einen basiere
die Annahme von Qualia auf bloßen Intuitionen, die sich
jederzeit als Trugschluss entpuppen könnten (genau so wie unser
Gefühl, dass sich die Erde nicht drehe), zum anderen lasse sie
sich weder mittels wissenschaftlicher Methoden beweisen, noch bringe
sie irgendeinen Nutzen für die gegenwärtige Diskussion
mit sich:
Only a theory that proceeds in terms of how the parts work together in larger ensembles has any hope of shedding light on the topic question, and once theory has ascended to such a high level, it is not at all clear what use the lower-level physical sophistications would be. [S. 11f. Dennetts Hervorhebung]
Dennetts zentrale Behauptung ist nicht, wie es ihm oft nachgesagt
wird, dass es keine Gefühle oder ähnliches gebe – „I
can feel the tug as well as anybody“ (S. 14) – sondern
vielmehr, dass Philosophen ihnen soviel Beachtung schenkten, denn
schließlich würde eine funktionalistische Lösung des
hartnäckigen Leib-Seele Problems alles erklären, wonach wir
derzeit fragen.
Im Anschluss an seine Qualia-Kritik bietet Dennett dem Leser seine
eigene Alternative an, die heterophenomenology. Diese
Methode basiert darauf, alle erdenklichen Daten, die von
Personen gewonnen werden können (via verbalen Äußerungen,
Herzschlagfrequenzen, Veränderungen der Mimik,
bildgebenden Verfahren usw.) zu sammeln, um eine befriedigenden
Erklärung von Bewusstseinszuständen liefern zu
können4.
Allen geneigten Lesern, die reflexartig einwenden wollen, dass solche
Methoden irgendetwas ausließen, weil mit ihnen noch lange nicht
der besondere Charakter mentaler Zustände erklärt sei,
erklärt Dennett gebetsmühlenartig, dass sie dabei stets dem
Zombic Hunch in die Hände fielen. Wie leicht das
vonstatten geht, erklärt Dennett mit Hilfe seines
Lieblings-Werkzeugs, der Analogie: Wenn wir einem Magier beim Zaubern
zusähen, dann seien wir meist derart durch seine Zauberkünste
benebelt, dass wir leicht vergäßen, dass sich hinter
dem ganzen Hokuspokus simple, technische Handgriffe verbergen, die
sich ebenso simpel und technisch erklären ließen.
The “magic” of consciousness, like stage magic, defies explanation only so long as we take it at face value. Once we appreciate all the nonmysterious ways in which the brain can create benign “user-illusions” […], we can begin to imagine how the brain creates consciousness. [S. 75. Meine Hervorhebung]
Ginge es nach Dennett, dann reicht es aus, die Frage zu beantworten, wie bzw. auf welche Weise Bewusstsein entsteht, was Dennett allerdings beständig quint, ist die Fragestellung, was Bewusstsein überhaupt ist. Der allbekannte Kritikpunkt an Dennetts Position ist, dass er Qualia und anderen Eigenschaften des Bewusstseins vollständig ihre Bedeutsamkeit abspricht, bloß weil diese charakteristischen Eigenschaften sich nicht beweisen ließen oder auf zweifelhaften Konzeptionen beruhten. John Searle trifft den Nagel auf den Kopf:
In any case, several recent attacks on consciousness, such as Dennett´s, are based on the mistaken assumption that if we can show that there is something wrong with the doctrine of incorrigibility or introspection, we have shown that there is something wrong with consciousness. [Searle, R. J.: The Rediscovery of the Mind. Cambridge, MA und London: MIT Press (1992). S. 149]
Sicherlich ist Dennetts Methode der heterophenomenology nicht
falsch, da er sich ja damit weitgehend an den sicheren Ufern der
Naturwissenschaft bewegt. Die Gretchenfrage lautet, ob sie auch
ausreicht? Infolge der bewussten Auslassung solcher Fragen wundert es
nicht, dass Dennett abermals Frank Jacksons Mary zu
desillusionieren versucht, und schließlich in den letzten
drei Kapiteln sein Multiple Drafts Model reaktiviert; diesmal in
Gestalt der „fame in the brain“ Analogie. Beide
Phänomene, sowohl Bewusstsein als auch Ruhm, teilten nach
Dennett die Eigenschaft, dass sie weder intrinsisch noch
dispositional seien. Wenn ich ein Grand Slam Turnier gewinne, dann
sei nicht der Ruhm dafür verantwortlich, dass ich in aller Munde
bin, denn erst dadurch, dass ich in aller Munde bin, ist überhaupt
der Ruhm da; ja, es ist schon der Ruhm. Gleiches gelte nach
Dennett für das Bewusstsein: Es ist nicht so, dass das
Bewusstsein eine metaphysische Extrawurst darstellt – wie wir
wissen, sind zahlreiche, hirnphysiologische Effekte für das
Phänomen Bewusstsein verantwortlich. Und auf dieselbe Art und
Weise, wie der Rummel um die eigene Person nicht den Ruhm auslöst,
sondern schon der Ruhm ist, so sind diese Effekte schon
per se Bewusstsein. Die Vorstellung, dass Ruhm oder Bewusstsein
irgendwelche übergeordneten, mit besonderen
Eigenschaften versehene Entitäten seien, ist schlichtweg eine
Illusion, die wir entzaubern müssten.
Wer Dennetts Schreibstil schätzt und inhaltliche Parallelen
auszumachen vermag, der wird hier voll und ganz auf seine Kosten
kommen – nirgendwo sonst in der Fachliteratur wird eine
naturalistisch-funktionalistisch orientierte Neurophilosophie
mit derartiger Virtuosität vertreten und verteidigt. Aber auch
dem dualistisch veranlagten Leser kann das Buch ans Herz gelegt
werden, bietet es ihm doch allerlei harte Nüsse, die es erst
einmal zu knacken gilt. Kurzum, Sweet Dreams ist eine
Pflichtlektüre für jeden, der sich für die aktuelle
Debatte in den Kognitionswissenschaften und der Neurophilosophie
interessiert.
1
Dennett, C. D.: Consciousness Explained. New
York & Boston: Little Brown (1991).
2
Das Verb “to quine” leitet sich vom Namen des vehementen
Naturalisten Willard v. O. Quine ab und wird in Dennett, D. C.
(Hg.): The Philosophical Lexicon. [Privater
Druck, erhältlich bei der American Philosophical Association]
(19878 ) wie folgt definiert: “To deny resolutely
the existence or importance of something real or significant.“,
vgl. auch Dennetts Aufsatz „Quining Qualia“ in Marcel,
A. und Bisiach, E. (Hg.): Consciousness in Modern Science.
Oxford: Oxford University Press (1988). Wiederabgedruckt in Lycan,
W. (Hg.): Mind and Cognition: A Reader. Cambridge, MA und
London: MIT Press (1990).
3
Zombies sind Wesen, die eine exakte materielle Kopie eines Menschen
darstellen, dabei jedoch kein Bewusstsein haben. Qualia
beschreiben das Gefühl, das mit dem Erleben mentaler
Zustände einhergeht: wie es ist bzw. wie es sich anfühlt,
die Farbe Rot zu sehen, eine Mango zu schmecken etc.
4
Vgl. Dennetts Consciousness Explained, S. 72ff.
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