Erschienen in Ausgabe: No 69 (11/11) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Shanto Trdic
Es war einmal...
...ein Kreuzritter von der traurigen Gestalt.
Der saß mit schlaffen Schultern und trübe verhangenem Blick auf einem lahmen,
lustlos wiederkäuenden Ross; ein müder, matter Gaul. Das Tier hielt mürrisch
Hof, und je fahriger unser Held an den Zügeln zerrte und zog, umso zweckloser
schien es: der Rappe, einst ein echter Heißsporn, nun aber recht klapprig auf
den Beinen und an den Hufen ganz wund, wich nicht mehr vom Fleck. Das olle
Zugpferd zog eine Schnute und der Reiter tat´s ihm gleich. Ganz verbittert und
erbost gab sich unser Recke, rüde schnaubend wie sein störrischer Zosse, Gott
und die Welt verfluchend, endlich vom Geiferkoller zum Heulkrampf wechselnd,
und es kotzte ihn alles nur noch an. Doch war da weit und breit keiner, der
seinen Gram, seine Verzweiflung noch zur Kenntnis nahm. Niemanden interessierte
die pubertäre Raserei. Die alten Tiraden taten´s nicht mehr. Der Parcour stand
in lichte Leere gebettet, einsam und verloren ragten lausige Requisiten aus der
Tristesse; wie letzter Sperrmüll. Gräben und Hindernisse, das sah man jetzt,
waren nur billige Staffage, Zierat von der Stange, für ärmliche Anfänger ins
Feld gesetzt. Ein lahmer Esel hätte sie im Trab überwunden. Mit Ach und Krach
auch dieser Klappergaul, aber wer hätte das schon sehen mögen? Nicht länger bot
sich ein blödes Publikum. Unser stolzer, störrischer Ritter verzieh es nicht.
Er, der seine Einsamkeit stets öffentlich zelebrierte, indem er maulte, muckte
oder schrie, parlierte nun im Vakuum – im luftleeren Raum. Ihm ward die
Aufmerksamkeit entzogen, die öffentliche welche. Das machte ihn fertig. Voll
von der Rolle war der Peter Handke, weil er selbst keine mehr spielte und die
altbewährte geriet zur schreienden Nullnummer. Der heroisch im Verborgenen
harrende Asket hatte, was die öffentlichen Offerten betraf, so richtig fertig.
Man kaufte ihm die mühselig ins Bild gesetzten Manierismen nicht mehr ab. Sein
genialisches Getue hatte sich längst als fortgesetzte Zwangsneurose eines
verzogenen, adoleszenten Trotzkopfs entpuppt, und das war, eingedenk seines
Alters, pupsig bis peinlich: einfach nur dumm. Endlich begriff er, dass es aus
war. Akzeptieren konnte er es kaum. Den über Fünfzigjährigen marterte die Pein
derer, die um Publicity buhlen und dabei irgendwann zu kurz kommen; heute
schneller denn je. Dieser Entzug geriet auch ihm zur gärenden Durststrecke. Er
hatte sich doch zeitlebens für einen Denkerfürsten im Elfenbeinexil gehalten:
einen, den es interessiert zu beäugen galt, aus weitester Entfernung – aus den
Niederungen schnöder Existenz heraus, über welche einer wie er stets erhaben
blieb, ohne je Haltung wahren müssen. Wozu auch und für wen denn?Muffig und abweisend, stolz und starr harrte
er der Reaktionen, der Kommentare, seine Ergüsse betreffend, um endlich aus dem
Gehäus fahren zu können, in tobsüchtiger Erregung über sie her zu fallen, diese
Nichtswisser, Nichtsnutze – Nichtse vor dem Herrn. Das war nun aus und vorbei.
Das Geschmeiß schiss drauf. Niemand mochte mehr den entlegenen bis abwegigen
Tagträumereien des Denkerdichters Handke folgen. Er hatte sich überlebt, war
nicht mehr ´ in´ und auch nicht mehr out: nur noch weg vom Fenster. Ironie der
Geschichte: das Medienungeheuer war endlich auch über einen wie ihn schier
gleichgültig hinweggebraust. Auf fiese Weise beiläufig, wie es schien; aber
gründlich genug. Das mit Nachdruck forciertes ´Popstar meets Poet´ Gehabe, zu
Beginn seiner Laufbahn als klägliches Kalkül kultiviert, war als Steilvorlage,
von der sich zehren ließ, längst nicht mehr zu gebrauchen. Bockig und bärbeißig
gab er sich seither; denn keiner konnte oder wollte noch verstehen, was er
trieb. Keiner mehr, der ernsthaft Interesse heuchelte: das meuchelte unsern
Handke in Schüben, sägte an den Nerven dieses Dünnhäuters aus Instinkt. Klar,
das er sich beschissen fühlte in dieser ´Scheißwelt´ (O-Ton Handke). Das
Klischee vom unverstandenen Künstler wusste dieser schon immer unters
blöde Volk zu nörgeln; so, das es auch nie überhört werden konnte. Seine Blasiertheit
trieb stets wilde, wendige Blüten, bei seiner Arroganz bogen sich sämtliche
Balken. Aber das Gros seiner Ergüsse war Schnee von Gestern; der rieselte sang-
und klanglos von den Zinnen und Fluchten eines verqueren, schiefwinkligen
Gemäuers herab, aus dem beleidigt ein Misanthrop hervorlugte:“ Wo seid ihr,
elendes Pack?“
Aber sie hörten ihn nicht. Nun konnte er gar
niemanden mehr von seiner Einzigkeit überzeugen. Schimpf und Schande! Er wollte
doch immer, dass man ihn für tief und unergründlich halte, doch ´man´ kümmere
sich längst um Andere(s). Und wenn er sich als hehren Außenseiter empfand, ein
Lord Byron im Trantütenverschnitt, dann musste er nun zur Kenntnis nehmen, das
dies keinen mehr sonderlich interessierte. Die schnöde, blöde Welt hatte ihn
abgebucht unter der Rubrik ´Relikt aus der 68er Gruft´, und dieses
Missverständnis gab ihm erst Recht den letzten, lausigen Rest. Fortan litt er
noch unsäglich mehr an sich und dieser Welt. Dieser Scheißwelt.
Scheiße, sagte er also, zum wer weiß wie
vielten Male.
Und dann sagte er sich in Gedanken (denn er
begriff sich ja als einen Menschen der Gedanken): ich brauche, Scheiße noch
eins, dieses Mal einen Verbündeten. Nicht einen, nicht zwei – nein: mehr, nur
mehr von ihnen…
…oha! Da waren sie ja schon, die ebenfalls
von aller Welt so missverstandenen Serben, dieses Mythenumrankte Volk mit
seiner dunklen Amselfeldhistorie und den dazu gehörigen raunenden Runen und
maroden Metaphern. Auch denen nagte – ach so sehr! – ein böses Omen an der
zarten Seele; der düstren, darbenden. Auch sie schleppten so manche Erblast mit
sich herum, auch sie hieben wie toll nach allen Seiten aus; auch sie also
Leidende vor dem Herrn. Apropos Leid: unser Ritter von der bräsigen Gestalt
meinte seines, nicht ihres – erst recht nicht das der Kosovaren oder sonstiger
gepeinigter Völkerschaften, deren Schicksal ihn bis dato nicht sonderlich
aufregen wollte (woran sich auch null und nichts ändern sollte). Er hatte schon
eisern zu den Vorgängen in Kroatien oder dem benachbarten Bosnien geschwiegen;
das Hauen und Stechen focht ihn kaum an. Pünktlich zum US - amerikanischen
Hallali aber fand unser sensibler Spätling, jäh erwacht, zu seiner alten,
bewährten Sprache zurück: dem selbstgerechten Zetern. Das verstockte Gestotter,
sein Markenzeichen seit je, geriet schnell zur peinlichen Posse, und je mehr
die Medien über ihn herfielen, umso lebendiger (also: beleidigter) gab er sich;
alles wie gehabt.
Ach, er war nicht länger allein. Nun hatte er
einen Waffenbruder, einen Gefährten – ein kollektive Wuchtbrumme, einen
bequemen Querschläger sozusagen. Das ´Leid des serbischen Volkes´ war ihm
Anlass genug, nur mehr das eigene– sein
eigenstes! – neu zu ermessen und dabei in tobsüchtiger Entzückung bis zur nimmer
endenden Neige auszukosten. Selbstgerecht und ignorant wie eh und je, tobte er
den eigenen Frust aus, indem er sich den eines ganzen Volkes zueigen machte. Er
schöpfte sozusagen aus dem Kollektiv, schamlos einen verqueren Archetypus
ausschlachtend, der ihm gerade recht kam. Die entsprechenden Ergüsse waren als
kompakt geschnürte, Kunstvoll verzierte Zeitkritik gedacht, aber heraus kam
dabei doch nur die übliche, geistreichelnde Dünnsuppe aus der miefenden
Garküche. So nahm denn der öffentlich praktizierte Selbstmord des
Dichterfürsten Peter Handke seinen ärmlichen, unseligen Verlauf; als verspätete
Fortsetzung sozusagen. Er verabreichte sich damit einen weiteren Gnadenstoß.
Der geriet, treffsicher wie nie, zur öffentlichen Farce; glich einer üblen
Groteske, die einen zunächst noch verärgert, dann belustigt – endlich auch nicht mehr interessiert hat.
Handkes serbophile Senilismen waren Realsatire pur, andererseits aber auch
sehr, sehr ärgerlich. Sie konnten und durften einem schon weh tun, bedachte man
den Hintergrund. Hier ging es ja, setzt man nur zeitig genug an, um
Menschenleben; echte Schicksale, die wie eh und je hinter nackten Zahlen und
der entsprechenden Betroffenheitsrhetorik verschwanden. Vukovar und Banja Luka,
Sarajewo oder Srebrenica: Orte, die früh für sich selbst sprachen und den unerträglichen
common sense einer satten, selbstgerechten Peripherie offenbarten, die dauernd
zu allem etwas zu sagen hat und ums Verrecken nichts tun kann oder möchte oder
will. Derlei Elend zur besten Sendezeit focht auch unseren Empörer nie wirklich
an. Er hatte sich dazu nie vernehmen lassen, hatte vornehm geschwiegen, als die
Panzer rollten, Kirchen brannten, Frauen schrien. Nun blökte er wie ein
tattriger Schulmeister herum; wahrlich wie ein Schaf, in fette, feiste Wolle
gehüllt. Schicksale interessierten unseren Helden seit je nur in eigener Sache.
Aus einer unangenehmen Erscheinung war jetzt, für jeden sichtbar, eine gänzlich
unerträgliche geworden. Darauf werden wir, abschließend, noch zurückkommen
müssen. Der letztgültigen Verabschiedung soll indes ein kleiner Rückblick voran
gehen; es geht auch gar nicht ohne.
I.
Peter Handke erblickt am 6. Dezember des
Jahres 1942 im idyllischen Kärntner Bergland das Licht der Welt – drum herum
sind die Lichter längst ausgegangen.Als
der Zweijährige ein Jahr vor Kriegsende mit der Mama nach Großberlin muss, hat
sich das dortige Umfeld krass gewandelt. Ganze Wohnblöcke sind bereits in
Trümmer gesunken und das Todbringende Flammenmeer wütet in nie gekannter, kaum
für möglich gehaltener Geschäftigkeit. Der kleine Peter erlebt dann die Stunde
Null im Stadtviertel Pankow. Männer mittleren Alters sind kaum zugegen;
hauptsächlich Mütter, Alte und lauter streunende, Vaterlose Rotzlöffel
bevölkern die gespenstische Szenerie. Aus den Ruinen steigt frischer Rauch
empor; der Wonnemonat Mai hat just begonnen. Die ersten zweieinhalb Jahre
liegen nun hinter ihm. Eine Zeit, die der bewussten Erinnerung weitgehend
abhold bleibt. Dennoch muss sie ihn nachhaltig geprägt haben. Der Ortswechsel,
von einer beschaulichen Wald- und Wiesenlandschaft in das reizüberflutete, vor
Menschen überbordende, hektische Durcheinander einer gewaltigen Metropole, die
dann zusätzlich vom Krieg heimgesucht und massiv versehrt wird, mag das
Instinktschema des Kleinkindes durcheinander gewirbelt haben; hat sich, so
steht zu vermuten, tief in sein Gemüt gegraben. Im Berlin der frühen
Nachkriegszeit herrscht ein eigentümliches Chaos. Die Menschen kehren langsam
an die unsäglich versehrte Oberfläche zurück und zeigen sich bemüht, die
heillosen Zustände irgendwie zu meistern, das Beste draus zu machen. Die Stadt
und ihre Bewohner erwachen aus einem wüsten, bangen Traum. Gleich einem mächtig
niedergestreckten, gleichsam aufatmenden Organismus, der unter schweren Wehen
langsam zu sich kommt, gebärdet sich der Koloss, den der soeben abgetretene
Gebieter zum zukünftigen Achsenpunkt der Welt erklärte. Nun liegt Germania am
Boden, Gröfaz hat fertig und keiner weiß, was werden soll. Noch liegt die
Zukunft im Ungewissen und die Überlebenden sind vollauf damit beschäftigt,
irgendwie über die Runden zu kommen. Der Historiker pflegt Übergangsstadien wie
diese als anomale Zeiten zu bezeichnen. Auch in denen brodelt, kocht und gärt
es. Vielleicht ist das schon der wesentliche Vorrat, eine Art Urquell, den
Handke später, als Autor, immer wieder anzapft; kaum, das er dies bewusst zur
Kenntnis nähme. So mancher seiner Generation mag aus der ´Urkatastrophe´, dem
totalen Krieg, immerfort geschöpft haben, ohne selbst dabei Verdacht zu
schöpfen. Der Biograf Haslinger irrt aber, wenn er, Handke folgend, einzig das
traumatische Erlebnis fortgesetzten Fliegeralarms deutend ins Feld führt. Die
Auswirkungen des totalen Krieges, der ganze gnadenlose, unausgesetzte
Bombenterror, die vielen Toten und Verletzten wirkten wohl eher wie ein zusätzlicher
Verstärker. Der kleine Handke, ein Wald, - und Wiesenkind, muss erst einmal den
Moloch selbst verarbeiten, eine unruhige, nie zur Ruhe kommende Metropole, das
quirlige Großberlin, dessen schillernde Fassaden dann in Trümmer sinken. Das
Kärntner Land, dem der kleine Handke entspringt, hat ein ganz anderes Spektrum
an Gefühlen, Empfindungen begünstigt, derer er hier schnell verlustig geht.
Salopp gesprochen: das Hinterwäldlerische weicht der Dampframme einer
überkochenden, schier an sich selbst erstickenden Großstadt. Das dämonisch –
funktionale Prinzip steht dem archaisch – ganzheitlichen gegenüber, und ein
empfindsames Füllen wird über Nacht in eine völlig neue, sicher auch auf, - und
anregende Szenerie geworfen, die ihre eigenen Dämonen gebiert. Ein Kind spürt
mehr und begreift weniger: wie in einem Traum. Ein Teil seiner selbst mag sich
in Berlin ´verloren´ haben; so sicher, wie ein anderer auf dem Land geblieben
ist. Darob verteidigt er wohl ganz früh, im Ungesonderten – den Untiefen der
eigenen, trunkenen Seele – den einen Part gegen den anderen und wird dessen nie
froh. Hineingeboren in ein gebirgiges Idyll, verschlägt es ihn in die
Schluchten der Großstadt, deren Fluchten bersten und zu Boden sinken. Dem folgt
das späte, ungläubige Erwachen – die Anomalie des Neubeginns.
Drei Jahre nach Kriegsende geht’s ein letztes
Mal in das Traumland frühester Verinnerlichung zurück. Der Spuk der großen
Stadt, der schon seelische Wachsabdrücke gezeitigt haben mag, ´enthuscht´ - und
bleibt doch immanent: das Phantom Berlin hat einen Zwiespalt begründet, eine
symbolische Verdichtung, die der Dichter dann fortlaufend verarbeiten wird,
ohne je damit fertig werden zu können. Warum soll übrigens, wie das ein früher
Biograf unterstellt, Handkes Farbenblindheit Anlass einer bedrückenden
Grundstimmung gewesen sein? Da wäre eher zu fragen, wie diese ´Besonderheit´ im
vorgefundenen Spannungsgefüge weiter wuchs; weiter wirkte. Oder sich gleich
blieb. Mit einer Entfremdung, wie unterstellt, hat das weder absolut noch relativ
etwas zu tun: hätte er plötzlich gesehen, wie wir sehen, dannwäre
das schon eher der Fall gewesen. Kein gestörtes Verhältnis hat er; ein anderes
bloß. Aber weil ihm dabei eben bestimmte Eindrücke verwehrt bleiben (irgendwann
kommt man dahinter), wird oder ist er vielleicht schon sensibler für andere,
abwegige Spitzen und Nuancen; ohne bereits auf Abwege zu geraten. Dafür sorgen
erst die Menschen, mit denen er nicht kann; nicht will. Die gehören schon eher
zu seinem Andersein, das er später so penetrant und zunehmend platt kultiviert,
bis ein uncooles ´Andersein – Wollen´ dabei herauskommt. Jenseits
narzisstischer Überhebung bleibt sein Werk aufgrund früher Irritationen betont
auf das Befremdliche, schlicht Andere oder Abwegige ausgerichtet: es stammt von
jemandem, der eben anders sieht als die Masse, obschon er fest in derselben
Ordnung steht wie diese.
Halten wir fest: der besagte Stadt – Land
Wechsel hat zu einer ersten, ganz wesentlichen Grundsteinlegung im
inneren Gefüge beigetragen. Das merkt man dem späteren Handke auch im Privaten
an: dessen Reisewut, - oder lust deutet auf eine innerer Unruhe, auf latentes
Erregtsein hin. Er fühlt sich nirgends wirklich zuhause, pendelt zwischen den
Gegensätzen (die er früh kennen lernte) rast, - und ruhelos hin und her. Das
Gefühl, dauernde fort zu müssen zwingt Handke, eine Art Dünkel zu kultivieren,
den er dann sorgsam perpetuiert: er reist; wahllos, ziellos – hin und her.
Handke lebt dann auch, hält er mal inne, auf dem Land oder in der Stadt;
mit dem Alter scheint er eher der Scholle zuzuneigen. In den Biografien ist
immer wieder vom Unbehagen an der dörflichen Enge die Rede. Aber was soll den
kleinen Knirps denn da eingeengt haben? Derlei Beschränkungen, die hier wohl
gemeint sind, empfindet man im wesentlichen doch erst später, als
Heranwachsender; in der Pubertät. Im dauerbeschossenen Berlin war an
Bewegungsfreiheit kaum zu denken. Es hat übrigens den Anschein, als habe Handke
mittlerweile eine Art Kompromiss gefunden: er weilt heute in der Nähe von Paris
in einer beschaulichen, quasi urbanen Idylle; zwischen großer Stadt und weitem Land.
Wir sind dankbar für die wenigen Aufnahmen,
die uns vom Kleinkind erhalten geblieben sind. Tatsächlich: ein auffallend
fröhliches, lustiges, vor allem lebhaftes, lebendiges Kind. Ein echter
Wonneproppen. Dazu das selige Antlitz einer stolzen, glücklichen Mutter, zu der
Handke die wohl innigste und aufrichtigste Beziehung seines Lebens aufbauen
wird.
Schauen wir uns jetzt den Knaben an; den, der
die Schulbank drückt und langsam zu sich selbst findet.
Nach dem Besuch der Hauptschule in Griffen
verschlägt es ihn anno 54 in die zweite Klasse des humanistischen bischöflichen
Knabenseminars zu Tanzenberg bei Klagenfurt, wo er, nach Auskunft seines
Biografen Henning Falkenstein, kaum Anschluss bei den Mitschülern findet. Er
muss ganz hinten in der letzten Reihe sitzen, steigt aber rasch zum
Klassenprimus auf. Trotzdem wird er weder von der Klasse noch von der Mehrzahl
seiner Lehrer sonderlich zur Kenntnis genommen. Eine Ausnahme bildet sein
Deutschlehrer Musar, der zu einem väterlichen Freund wird und sogar mit dem
Jungen Spazieren geht. Das ist kein Ausgleich für die in diesem Alter
obligatorische Clique und es wirkt sich nachhaltig auf die Psyche dessen aus,
für den das eventuell schon einer Stigmatisierung gleichkommt – warum soll
gerade Handke da eine Ausnahme erleiden? Auch der Dichter Rimbaud hatte ein
ähnliches Verhältnis zu einem seiner Lehrer. Auch er eignete sich früh einen
blasierten, peinlich überspitzten Ton an.
Möglich, das dem Jungen die gewinnenden, die
einnehmenden Züge fehlen, das er irgendwie linkisch rüber kommt und das eben
keiner was mit ihm zu tun haben will. Er weiß halt nicht zu gefallen. Folglich
muss er, der um Bestätigung seiner Person buhlt, nach möglichen Alternativen
Ausschau halten. Weil nun keiner mit ihm will, will er erst recht nicht mit
denen – und wenn in Zukunft mal doch einer mit ihm will, dann will ihn das
automatisch misstrauisch stimmen.
Weil er nicht dazu gehören kann und das
irgendwann auch gar nicht mehr möchte, muss er es denen, die er vielleicht
schon hasst (hassen will und möchte und muss) unbedingt zeigen - um jeden
Preis. Früh sucht er sich ein Reich, wo ihm keiner mehr was kann und wo er mehr
kann, als die andern alle können. Kein Biograf versäumt, darauf hinzuweisen:
der Schüler Handke bezieht ein beschauliches Turmzimmer und schmökert sich
durchs Oevre der Faulkner oder Greene, was mitunter zu tief erregenden
Erlebnissen geführt haben soll. Daneben geht er weiterhin lang und ausgiebig mit
dem Deutschpauker flanieren, was den Rechercheur Falkenstein nicht davon
abhält, auch die Zeit im Internat als beengendes, von zu viel Zucht
gezeichnetes Erlebnis abzutun. ´Abgetan´ hat Handke hier vermutlich eher sich
selbst – von den andern Schülern. In diesem Alter ist das ja so: erst leidet
man entsetzlich unter dem Ausgestossensein, weil man unbedingt dazu gehören
will. Dann wird daraus schnell eine Art ´Anders sein Wollen´, auf das man sich,
gerade in der Phase eifernden Pubertierens, mächtig was einbildet. Später weiß
Handke diese Haltung mit subtiler Inbrunst nebst studierter Gebärde noch um
etliches aufzumotzen; fein zu überpinseln. Die elitäre Attitüde zimmert er sich
zu einem Instrument nach Maß, wie die berühmte erste Geige, die er bei jeder sich
bietenden Gelegenheit in Anspruch nehmen wird um das Publikum mit derlei
nervenzersägenden Stakkati auf ganz unterschiedliche Art und Weise zu
beeindrucken oder zu verschrecken – je nach dem. Handke beherrscht derlei
Handgriffe: von den pseudospontanen Crescendi (Ende 60er schon ein Muß), über
grimmige Scherzi (kommt immer gut) bis hin zu der peinlich durchbuchstabierten
Groteske (in Interviews geraten ihm Erklärungen zu wirren Monologen, hinter
denen er die eigene Ratlosigkeit versteckt). Lauter lähmende, in summa
langatmige Attacken.
Bis zu diesen Standards ist es gar nicht mehr
so weit. Er steht gegen Ende seiner Schulzeit schon knapp vor den Toren eines
ersten Sturm und Drang, den eine interessierte Öffentlichkeit kommentieren
wird, womit er wiederum gar nicht gerechnet haben mag. Bevor wir uns dieser
Dekade widmen, muss noch kurz der Frust in Sachen Sippschaft gestriffen werden;
eine Suppe, an der er, wie viele seiner Generation, schwer zu löffeln hat.
Mit seiner Familie ist der Peter Handke ganz
gewiss nie fertig geworden, und wir dürfen vermuten, dass ihn dieses
unvollendete Kapitel bis heute so richtig schafft. Da ist der alles und jeden
überragende Großvater, den wir uns als eine Art ländlichen Patriarchen, als
urbanes Urgestein denken wollen. Darob der Stiefvater, den er nicht achten noch
ehren mag; den leiblichen dito. Im Kontrast dazu seine Mutter, die er wirklich
liebt und die im familiären Umfeld nicht hinreichend oder gebührend respektiert
wird, die früh wie eine seltene, vernachlässigte Blume welkt, unter Seufzern
und leisen Klagen langsam verdorrt und nur im Stillen, Heimlichen wirkt und
waltet und dann später freiwillig aus dem tristen Leben scheiden wird. Die
Mutter steht für Wärme, Geborgenheit – Innigkeit. Aber auch für eine trübe,
resignative Grundstimmung, die sich bei Handke infolge Ohnmacht zu echtem Hass
steigern wird, den er – was so richtig erst im Alter zur Geltung kommt – auf
seine Weise sowohl schriftstellernd wie auch im öffentlichen Gespräch austobt
um sich selbst besser spüren zu können. Der Protest gegen die Autoritäten, dem
sich seine Generation mit Haut und Haaren verschrieben hat, ist bei ihm wohl
zum Teil ein verspätetes Aufbegehren gegen die Männer in der Sippe; damit
verteidigt er auch die sensible Mutter, der sein Herz gilt. Ihr zartes, ständig
gefährdetes Gemüt will er gegen ein übermächtiges Patriarchat verteidigen, das
auch sein eigenes Künstlertum bedroht. Im Grunde fehlt auch ihm die leitende
Vatergestalt, nach der es allen Söhnen verlangt: die, zu der man aufschauen mag,
die man bewundern kann, die den eigenen Stolz spiegelt, einen bestätigt – an
der man sich aber auch abarbeitet. Fehlanzeige: der richtige Papa ein kleiner
Nazi, der andere bloß Uffz bei der Wehrmacht gewesen. Passt nicht. Nichts
Halbes und nichts Ganzes bieten ihm diese Typen, was er wohl immer wieder mit
leiser Verachtung quittiert. Ruhen lässt es ihn sicher nicht. Die gebeutelte
Mutter aber ist ihm alles; ihr fühlt er sich verpflichtet, hier spürt er wohl
auch so etwas wie Verantwortung. Manch einer mag vor diesem Hintergrund in dem
Peter Handke lediglich ein verqueres Mamasöhnchen erblicken. Wer weiß, wie er
sich entwickelt hätte, wenn die Mutter stark und gebieterisch gewesen wäre. Das
war sie ganz gewiss nicht. Also musste der Sohn selbst stark sein, um emotional
über die Runden kommen zu können. Darob ist er irgendwie beides geworden: ein
Durchbeisser und ein Rockschössling. Die Gründe für den späten
Selbstmord der Mutter kennt er; in ihnen erkennt er sich selbst wieder. Es ist
seine eigene Verzweiflung, die Angst vor steter Missachtung und trister
Lebensführung, die in dieser Tat zum Ausdruck kommt. Die Mutter wirft ihr Leben
weg, weil man selbiges nicht einmal mehr beiläufig zur Kenntnis nahm;
geschweige denn, dass es in Ansätzen gewürdigt worden wäre. Sie verwirkte die
eigene Existenz im trüben Muff häuslicher Routine; wie eine unbezahlte Magd.
Handke ahnt, das ein Mensch im tätigen Leben sehr schnell zur beliebigen
Fußnote degradiert wird, zum lausigen Bestandteil einer protokollarischen
Auflistung verkommt, die selbst nur am Rande wahrgenommen wird; davor graut ihm
gewaltig. Die Verinnerlichung rettet ihn, immer wieder; bis auf den heutigen
Tag. Das Innere, als ein selbstherrliches Exil, baut Handke schon früh mit
Sorgfalt und Bedacht aus. Es ist ihm mehr als nur Refugium oder Fluchtpunkt:
ein Bollwerk, seine starke Burg.
II.
Wir sind nun in der Mitte des
Sechzigerjahrzehnts angelangt. Peter Handke hat acht Semester Jura an der Uni
Graz hinter sich und steht kurz davor, dieses Studium endgültig zu kippen. Die
Juristerei scheint ihn weder auszulasten noch zu befriedigen. Er findet in
dieser Zeit häufig Gelegenheit, längere Auslandsreisen zu unternehmen
(Jugoslawien, Rumänien), hängt in Kinos und Beatschuppen herum und gibt erste
literarische Würfe zum Besten. Für eine Zeitschrift liefert er kleinere
Beiträge ab und bei Radio Klagenfurt erbarmt man sich einer frühen Erzählung.
Handke nimmt diese Sachen sehr ernst, und wehe denen, die ihm dann die Nächsten
sind. Seine Halbschwester erinnert sich mit Graus an einen Aufenthalt im
heimischen Haus zu Griffen, wo er „herrisch die Familie zwang, seine
Selbstzweifel und Arbeitsqual mitzuleiden.“ Da nimmt es nicht Wunder, dass er
sich schon jetzt mit dem Drama befasst – nebenher verfasst er Feuilletons über
Fußball, die Beatles und so weiter.
1965. Der Roman DIE HORNISSEN, für den sich
Handke zwei Sommermonate auf der Adriainsel Krk als Auszeit geborgt hat,
bekommt dortselbst den letzten Schliff verpasst, bevor der Dichter das
Manuskript auf die Reise schickt. Ende Februar liest er; in Wien. Diesen Abend
bewerten die Leute ganz unterschiedlich. Sigrid Löffler spricht von einer
Blödelei, der Maler Josef Mikl will sich gelangweilt haben. Peter Handke
erinnert sich so:“ Ich bin durch blöde Fragen aus dem Publikum in eine
fürchterliche Wut gekommen; so groß, wie höchstens als Kind. Aus! Hab ich am
Schluss gesagt.“Handke, so scheint es,
kommt langsam in Fahrt. Es folgt ein Aufenthalt zu Paris und an der
Schwarzmeeküste. Dort erreicht ihn die Nachricht, das sein Roman – bis dahin
wollte den keiner haben – endlich angenommen worden ist; vom Suhrkampverlag.
Dem Verleger Unseld wird er noch im selben Jahr sein erstes Drama überreichen:
die PUBLIKUMSBESCHIMPFUNG.
III.
1966 wird zum Durchbruch für unseren Dichter,
der mittlerweile geheiratet hat: die Schauspielerin Libgart Schwarz. Mit ihr
zieht er nach Düsseldorf; das Grazer Studium hat sich endgültig erledigt. Für
seinen Roman will sich zwar ´kein Schwein´ interessieren (O-Ton Handke), aber
mit einem Vorschuss von 1200 Mark in der Tasche und der bevorstehenden
Uraufführung seines ersten Dramas wähnt er sich seiner Sache nun schon sicher
genug.
Im Frühjahr kommt es in Princeton/USA während
einer Tagung der Gruppe 47 zur kühl kalkulierten Provokation, die dem Peter Handke
endlich die ersehnte, satte Aufmerksamkeit beschert, nach der er so besoffen
ist. Der junge Autor ist in dieser Runde eine Art Beisitzer, ein Gast, der auch
Eigenes vorlesen darf. Mehr nicht. Unseld hat ihm diesen Platz freigehalten und
Handke weiß das Privileg zu nutzen. Seine Lesung aus eigenen Werken beeindruckt
keine der anwesenden Eminenzen; das feuert ihn so richtig an. In einem
langatmigen, mitunter flapsigen Monolog kritisiert er die
´Beschreibungsimpotenz´ derer, die ihm Lob und Huld versagen. Öd, dumm und vor
allem läppisch (dieses Wort gebraucht der Beleidigte über Gebühr) sei das, was
man von den Altvorderen geboten kriege. Diese hören ihm, der so frech wird,
geduldig zu; das irritiert ihn zusätzlich. Er muss erst in die unterste Schublade
langen und Auschwitz ins Spiel bringen, sich darob dauernd wiederholen, bis dem
Oberaufseher Richter langsam aber sich sicher der Geduldsfaden platzt; dann
findet dieses Trauerspiel endlich ein Ende. Egal: das täppische Getue wird
umgehend unsäglich aufgebauscht: die richtige, die erwünschte Overtüre für
diesen jungen Spund. Denn jetzt kann er auch seine andere, gedruckte
Publikumsbeschimpfung stilgerecht unter das Volk nölen (lassen) und darob
entsteht endlich eine Eigendynamik, die keiner mehr aufhält.
Die damals heiß diskutierte
PUBLIKUMSBESCHIMPFUNG ist eigentlich nichts weiter als ein frisierter
Stinkefinger, der Versuch, eine Reaktion um jeden Preis zu erwirken; wir
erinnern uns an den traurigen Hinterbänkler, der allen egal war. Und wenn er
sich ein Jahr nach der Uraufführung dieser durchschaubaren, schwachen Posse zum
Bewohner des Elfenbeinturmes erklären wird, dann ist das nur noch ein Witz: er
hat es sich ja längst auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten bequem gemacht und
sitzt da in einer Art Glaskasten herum; das ihn jeder beglotzen kann.
Handke der Beatnik. Optisch macht er einen
auf Dandy mit Pilzkopf, und er muss sich beeilen, weil jetzt schon die
Verwegeneren mit Matte und Mittelscheitel daherkommen. Hat er dann auch bald.
Was das öffentliche Posieren anlangt, da kann ihm zu dieser Zeit von den
Konkurrenz - Literaten keiner das Wasser reichen. Ob schüchtern oder
verschlagen, blasiert bis gelangweilt, zwischen Aggressivität und Zurückhaltung
unruhig hin und her pendelnd: er kommt an – die Anderen schlafen noch. Auf
allen möglichen Hochzeiten tanzt er nun, und die Blitzlichternde
Journalistenbagage ist wie ein trotteliger Wanderzirkus dauernd zur Stelle.
Handke ist ein Meister der Show, wie sein Biograf Haslinger betont; sieht aber
mit seinem lichten Oberlippenflaum posthum eher wie ein verspäteter, linkisch
lauernder Oberschüler aus. Und so gebärdet er sich auch ständig, und heute
wirkt das alles nur noch total aufgesetzt und verkrampft, auf peinliche Weise
gestelzt.
Genaugenommen reitet er damals eifrig auf der
beginnenden APO – Welle mit. Handkes dadaistisch angehauchte ´Aktionen´ lassen
eine deutliche, wenig originelle Verwandtschaft erkennen. So berichtet etwa die
Süddeutsche Zeitung von einer Lesung, die der Dichter solcherart bestreitet,
das er via Tageslichtprojektor Kreuzworträtsel, eine Mannschaftsaufstellung des
1. FC Nürnberg und derlei Besonderheiten mehr offeriert; von populärer Musik
begleitet. Dem folgt – toller, origineller Einfall – das obligatorische ´Macht
mal alle mit´ Happening. Was heute altbacken bis komisch herüberkommt ist
damals, da noch der Muff der braven Gründerzeit aus allen Ritzen mieft,
annähernd unverschämt. Handke macht eifrig Gebrauch von derlei spielerischen
Möglichkeiten, die schon Ende der 20er Jahre Schnee von vorgestern waren und
jetzt doch wieder originell wirken (sollen). Unser Dichter kommt bei seinen
Auftritten zumeist äußerst arrogant herüber. Seine Überheblichkeit, die elitäre
Gegrinse, das leidig lässige Gehabe – es wirkt mehr ätzend als provozierend und
reicht vollkommen, um als Protesthaltung gegen die Etablierten, die Altvorderen
missverstanden zu werden. Von der Presse wird er ständig hofiert. Das zahlt
sich auch zunehmend aus. Bald ist es so weit, das er für zwanzig Minuten
Vorlesen tausend Mark einstreicht, was ihn aber nicht davon abhält, zeitgemäß
zu politisieren (schon 1967 gibt er, anlässlich einer öffentlichen Ehrung, ein
politisches Lied zum Besten; aus Anlass des Todes von Benno Ohnesorg). Er wird
nun innerhalb kürzester Zeit einen ganzen Batzen an Preisen und Lobhuldigungen
einheimsen und richtig fett abkassieren. Die Medien haben sich voll auf ihn
eingeschossen, sein blasser Jünglingsschädel wird zur Ikone und der Aufwand,
den sie um seine Person treiben, geht ins Lächerliche. Das ist heutzutage bei
den gecasteten Statisten einer sich blähenden Unterhaltungsbranche ganz was
Normales, obschon der schnelle Absturz nicht lange auf sich warten lässt und
die Persönlichkeit derer, die von Null auf Hundertachtzig und wieder zurück
gedreht werden, irreparable Schäden zeitigt. Handke wird noch bis in die frühen
Siebziger hinein auf der langsam verebbenden Erfolgswelle mitrudern. Im
privaten Bereich hingegen erleidet er schon früh Schiffbruch, aber auch das ist
bei Popstars ja häufig der Fall.
IV.
Die Siebziger werden für Handke zu einem
Jahrzehnt der Krise. Das trifft auf die Mehrzahl derer zu, die als Wortführer
und Helden ihrer Generation einst forsch voran marschierten und dann
unversehens in den Steppen und Tälern der Wirklichkeit Hof hielten. Sie mögen
als Schreiberlinge, Agitatoren oder Unterhaltungskünstler gestartet sein: dem
großen Rausch folgt nun die Ernüchterung, der Kater – das üble Erwachen.
Standen sie eben noch im Mittelpunkt, werden sie jetzt nicht einmal mehr als
Randfiguren wahrgenommen. Nicht länger zünden ihre Phrasen, ihr naiv –
narzisstischer Heißsporn hat sich totgelaufen und erlebt in anderer Verkleidung
seine nicht enden wollende Renaissance, dieweil gewisse restaurative Tendenzen
kaum auf sich warten lassen. Das er seinen Part als pöbelnder Publikumsliebling
langsam zuende spielt, weiß Handke noch nicht; vielleicht, das er was ahnt. Er
hat anfangs eine Menge wegzustecken und das beschäftigt ihn genug. Die Mutter
bringt sich um, seine Ehe zerbricht und er beschließt, die Aufzucht seiner
Tochter allein zu bestreiten. Er sieht jetzt aus wie ein früh in die Jahre
gekommener, leicht abgewrackter Hippie; ein Junkie auf Entzug. Die jugendliche
Unbekümmertheit ist härteren, verbitterten Zügen gewichen. Mehr denn je ist das
einer, dem das dünne Blut gefror; der Saft, der in den Reben lacht, ist hier
ins Stocken geraten, puckert kaum – staut sich unter der Oberfläche, ballt sich
dickflüssig in engen Äderchen zusammen. Bald wird er nur noch verbittert und
gequält in die Kamera lugen. Auf Lesungen steht er herum wie schlecht bestellt
und noch nicht abgeholt, seine Anmachen wirken halbherzig und genervt, der
Blick verrät Unmut, miese Laune; und allen Anwesenden wird deutlich, das es
nichts mehr zu zelebrieren, auszutoben gibt: da ist nur noch das klägliche,
kümmerlich zusammen gestrichene Pogramm, das er lustlos herunterspult, von
notorischem Frust begleitkommentiert, und nicht einmal der wirkt noch im
entferntesten bissig. Er, der seine verpfuschte Pubertät in den wilden Jahren
ausgiebig perpetuiert, mit Witz und Verve ausgespielt hat, weiß jetzt nichts
mehr mit der ihm noch verbliebenen Jugend anzufangen.
1972 erscheint dennoch ein kleines, ziemlich
unbeachtet gebliebenes Meisterwerk: der Band ALS DAS WÜNSCHEN NOCH GEHOLFEN
HAT. Die in diesem schmalen Büchlein versammelten Gedichte gehören ganz gewiss
zum Besten, was er je geschrieben hat und wiegen die üblichen Mängel und
Ärgerlichkeiten um Längen auf. Gewiss: sie finden sich auch hier wieder, die
ewigen Selbstbespiegelungen und umständlichen Verrenkungen, allesamt auf
narzisstischem Grund gestapelt. Aber am Beispiel des einleitenden Poems wird
deutlich, was sich daraus machen lässt. Denn hier ist er einmal von Herzen
aufrecht, ganz selbstlos vor seinen Gefühlen gewesen, und der müde Stolz zerbricht
mit jeder Zeile, die nur Wehklage, müdes Raunen ist.
´Leben
ohne Poesie´. Über allem ruht eine so zauberhafte, ´kuschelnde´ Atmosphäre oder
Grundstimmung, dass man fast geneigt ist, vom vielleicht letzten lyrischen
Ereignis nach 45 zu sprechen. Ich habe eine Empfindsamkeit wie diese im
Deutschsprachigen Raum bislang nicht entdecken können. Das erzählende, völlig
unpathetische Versatzstück geht über bewährte Stimmungs- oder Bekenntnislyrik
weit hinaus. Hier werden Gegensätze geeint, ohne vorher vergewaltigt worden zu
sein, Gram und stilles Sehnen reichen einander, unmerklich fast, die Hand:
scheu und verstohlen, abwehrend und werbend zugleich. Handke hat hier seine
Ratlosigkeit, die Verzweiflung, sein Melancholia so unaufdringlich – freundlich
fast – in ein streichelndes, zartes Gewand gehüllt, das man rückblickend
beinahe von einem stilistischen Bruch sprechen kann: später bläht sich seine
Sprache nur noch, breit und bausch, bis zum Platzen. Hier aber geschieht alles,
als sei nichts geschehen, da bewegt sich was, als regte sich nichts. Ob er
diesen Traum in Worten nun eher beiläufig fabriziert hat oder auch nicht: soll
uns nicht weiter interessieren. Die Sätze, sacht aneinander gereiht, leben ganz
aus sich selbst heraus; nicht gewollt wortgewaltig, sondern wortselig ohne
jeden Kitsch. Es ist dies ein Abschied, ein sehnsüchtiges ´Ich weiß nicht mehr´
- und mehr als das. Ein Fragment, das doch ganz und gar vollständig und in sich
geschlossen wirkt. Dass dennoch etwas fehlt, merkt man daran, dass hier wirklich
jemand sucht, der im Herzen längst gefunden hat und dabei traurig bleiben muss.
Da klingt jeder Satz so, als sei er dem Dichter auf den Wogen einer lauen,
spätsommerlichen Brise zugeflüstert worden. Vielleicht kann man nur einmal so
etwas schreiben und dann nie wieder. Salopp gesprochen: mit diesem Werk hat
sich der Peter Handke von seiner eigenen Jugend verabschiedet; der Schmerz
verharrt in Andeutungen und gerät noch nicht zur angestrengten Pose.
In
der letzten Hälfte des Siebzigerjahrzehnts hört der Dichter endlich auf, eine
öffentliche oder gar zeitgemäße Person zu sein; er kann auch gar nichts dagegen
machen. Da in den Redaktionen und Fernsehstudios noch lange Personen sitzen
werden, die derselben Generation angehören wie er, wird man sich gelegentlich
seiner annehmen, seiner erinnern. Deren halbherzige Avancen müssen ihm ein
Graus sein. Er würde auch nie zugeben können, sein Wesentlichstes bereits
gesagt, geschrieben zu haben. Mit der LINKSHÄNDIGEN FRAU versucht er noch
einmal, halbherzig, ins Geschehen einzugreifen. Aber er beginnt bereits, sich
zu verzetteln. Man merkt jetzt sehr deutlich, dass ihm der frühe, rasche Ruhm
nicht bekam. Wen soll das wundern? Voreilig setzte eine beachtliche Fülle an
Literatur über ihn ein. Die Biografien stammen fast alle aus den Siebzigern und
kommen einem heute wie eilig erstellte Nachrufe vor. Haslinger nennt ein anno
92 erschienenes Buch ´Jugend eines Schriftstellers´. Biografisch endet es in
etwa dort, wo schon die ersten Handke – Deuter Schultz und Falkenstein einen
vorläufigen Punkt setzten. Das waren in Wahrheit alles Schlussstriche.
Das
ihm das Älterwerden gründlich missrät und er Gefahr läuft, zur Karikatur seiner
selbst zu verkommen, spürt jeder, der sich Interviews aus dieser Zeit zu Gemüte
führt. Handke, der es verstanden hat, jung zu sein, gefällt sich nun bloß noch
im nuschelnden ´Altklug – Sein´. Was in frühen Jahren wenigstens in Ansätzen
cool und kontrovers rüber kam, gerät jetzt zusehends zur völligen Farce. Wenn
er nun bei Lesungen genervt drauflos näselt und sich schnell gestört fühlt
(durch Kleinigkeiten, wie man annehmen darf), dann merkt auch der letzte, dass
ihm etliches mehr als diese lausige Pflichterfüllung zum Halse heraushängt; das
er Vorwände braucht, um seinen Frust los zu werden. Das man ihn nicht verstehe,
blind und blöd sei: das ist nur ein Taschenspielertrick. Einst brauchte er
derlei Verachtung, um sich selbst mit Haut und Haaren spüren zu können; jetzt
dient ihm das großkotzige Getue hauptsächlich dazu, den eigenen Schmerz gnädig
zu betäuben. Die Schelte als Downer. Endlich wird deutlich, dass da jemanden
die Pubertät nur schlecht bekam. Schlimmer noch: sie will nicht enden. In
Gebärde, Tonfall, feinster Mimik mischt der Peter Handke sein Publikum auf. So
frischt er auch die alten Leiden wieder auf, fällt er wieder in früheste
Verbitterung zurück, kommt er aus der Nummer einfach nicht raus. Die Katharsis
missrät im fortgesetzten Taumel tödlichen Beleidigtseins. Aber er braucht das,
er hat diese kindischen Verhaltensmuster derart verinnerlicht, dass er ohne
nicht mehr kann. Den infantilen, griesgrämigen Großkotz wird er ins reife Alter
herüber retten, wobei seine Art zu reden – gehemmt, zögerlich, tattrig bis
zittrig, zickig oder zartbitter – dem ganzen die gewohnt parodistische Note
verleiht. Das, was Mick Jagger einmal über seinen Kollegen John Lennon zu
Protokoll gab, trifft so auch auf Handke zu: das man in seiner Nähe nie
wirklich locker sein konnte, das er immerfort auf der Lauer lag, gespannt bis
zum Zerreißen, stets bereit, einen sofort fertig zu machen. Handke wird denn in
Gesprächen oft genug von der Möglichkeit Gebrauch machen, den eigenen Terror am
jeweiligen Gegenüber auszutoben, mitunter so aggressiv und verbissen, als gelte
es, einen Feldzug zu starten. Ticken aber mal die anderen durch, macht er auf
lässig; so in einem Streitgespräch mit Franz Xaver Kroetz, wo es ihm nur mit
Mühe gelingt, das eigene Unwohlsein zu verbergen. Wird er vom anderen
solcherart überrumpelt, reagiert er feige: duckt sich und druckst rum.
Halten
wir fest: der Dichter wird älter – und sieht dabei schon ziemlich alt aus.
V.
„Wie
lange wird man uns diesen Autor noch andienen wollen?“ Das fragt anno 75 Peter
Handke, und gemeint ist der damals bereits achtzigjährige Ernst Jünger. Aber
komisch: derselbe Jünger dient dem nun in der Mitte des Lebens angekommenen
Schriftsteller als heimliches Vorbild, das er sorgfältig kopiert. In Sachen
´Lifestyle´ ist er dem Alten schon enorm auf der Spur. Dessen geistiges
Sezieren aber gerät ihm, der mit sich selbst so heillos beschäftigt ist, zu
einem Kuriosum; ein komisches. Er doktert ja im Grunde nur immer an sich selbst
herum. Vor allem geht ihm Jüngers hart erkämpfte Souveränität ab, weil ihn
immer noch die Geltungssucht treibt, die er mit einem anderen Klassiker – der
von ihm gleichfalls abgelehnte Brecht – teilt. Überflüssig zu erwähnen, dass
der Peter Handke mit dem Alter nicht diplomatischer werden kann; geschweige
denn in irgendeiner Weise einsichtig. Er bleibt auch weiterhin umpanzert: wie
in einer Festung gefangen, die er sich selbst mit Innbrunst zurecht gezimmert
hat. Er wirkt hölzern, argwöhnisch; immer mies drauf, stets in der bequemen
Abwehrstellung. Und leistet sich, als ständiger Müßiggänger, jede Menge Laisze
- fair; verkrampftes Dandytum. Von seinem Werk wird jetzt wirklich nur noch
brav am Rande Notiz genommen, dabei klingt hie wie dort noch die alte
Meisterschaft an: die Vergewaltigung des Gefühls, die keiner mit mehr
Besessenheit beschrieben (und betrieben) hat, als dieser düstre Herold der
klapprigen, unsicher taumelnden Worte. Er ist einer, der die Empfindung mit
zarter, kalter Hand würgt, um sie auf dem Altar der Chiffren, Metaphern und
Monstranzen wie heiligen Unrat zu opfern. Wie gesagt: lesen mag das keiner
mehr. Er wird es dann doch noch hinkriegen, das man ihn einmal wieder lesen muss – siehe WINTERLICHE REISE. Dafür
hat er aber auch die entsprechenden Konsequenzen zu tragen.
Nun
einiges in Sachen selbstverordneter Askese – des Dichters steigende
Verinnerlichung.
Noch
einmal: als man anfängt ihn zu vergessen, kommt mit Macht, aber unter
veränderten Vorzeichen, der ganz junge Handke umso kläglicher zum Vorschein:
rüpelnd, rotzig – rachsüchtig. Irgendwie schließt sich der Kreis. Er dient der
Abschottung. Im Innern ist Handke uneingeschränkt Regent. Er war und ist einer,
der die Ratlosigkeit, den Frust, die morbiden Monstranzen seelischen Befindens
ins Hohe, Hehre hebt, wo sie zwangsweise zu komischen Erscheinungen verkommen.
Gleichzeitig graust ihm vor der Realität, die zumeist als etwas Bedrohliches in
Erscheinung tritt: auch und gerade im Trivialen. Seine Schwäche, seine latente
Unsicherheit – die existentiellen Zweifel: er hebt sie in das Reich des frei
schwebenden, sich langsam emanzipierenden Ausdrucks, wo sie – als ein
jeweiliges ´Für sich´ - nicht mehr weh tun können. Weder ihm noch den anderen,
die das nicht kapieren. Mir fällt Nietzsche ein, der von der Rache der Zu kurz
Gekommenen sprach. Handke ist auch so einer. Nur im Innern ist´s getan. Dort
darf er, Handke, Herrscher sein;
einzig und allein. Die Gefahren sind bekannt. Auf Dauer ist das Gift für den
zwischenmenschlichen Bereich, über den unser Dichter wohl mehr gegrübelt als
nachgedacht hat.
Nietzsche
hat auch von der grenzenlosen Frosch- und Fliegenarmseligkeit des Einzelnen
gesprochen, die Handke früh begriff und die wohl im Internat die entscheidenden
Weichenstellungen zeitigte. Schuld waren die andern, die ´für sich quakten´.
Seither hat Handke also einen Horror davor, irgendwo irgendwie dazu gehören zu
müssen, überhaupt ´für etwas´ zu stehen – das milderte ja seine Einzigkeit, von
der er durchdrungen ist bis in die letzte offene Pore. Auf seine Einmaligkeit
aber pocht er, mit den Jahren immer rabiater und unbedingter. Allerdings: das
Kleinliche, Bornierte, Lächerliche, Menschlich-Allzumenschliche: es kichert uns
im Falle Handke doch immer wieder in entlarvender, ja entwaffnender
Deutlichkeit an. Der mühsam, qualvoll gewobenen Schleier des Unbestimmten mutet
dann wie falscher Plunder an. Ein aufgeputztes, ja geplustertes Ego mutiert zur
grotesken Fratze, deren verquere Zuckungen komisch wirken.
Und
das sind dann Handkes wesentliche Koordinaten: Schmerz, Hass und Ohnmacht
halten ihn in Gang; sind sein dauernder Auf- und Antrieb. Mittels Provokation
kommt es zur Bestätigung und das betont Entrückte, Unbestimmte seines Werkes
macht ihn, glaubt er, in letzter Instanz unangreifbar – so soll es sein. Es ist
aber alles nur wirre, wendige Fassade, auf morschem Grunde praktizierter
Mummenschanz, schlechter Schabernack. Der offenbart ein unendlich
zerbrechliches, wiewohl oft fein gewobenes Utopia.
Ist
er damit am Ende ins Hintertreffen geraten? Irgendeine Reaktion ist auch ihm
noch lieber als gar keine; aber die Reaktionen seitens der Beschimpften, sie
bleiben mit den Jahren immer öfter aus. Zum Schluss fällt ihm, man muss schon
sagen, nichts Halbes und nichts Ganzes mehr ein. Er bringt, was besser
unterblieben wäre, unsägliche Journalbände heraus, die vielleicht als kauzige
Fragmente durchgehen könnten; derlei dürftiges Gedöns sollte doch eher dem
Nachlass vorbehalten bleiben, da sähe man es noch in milderem Lichte.
AM
FELSFENSTER MORGENS ist einer dieser Wälzer betitelt. Das, was einen zwischen
den Buchdeckeln erwartet, könnte man vielleicht am schmeichelhaftesten als
improvisierte Situationsästhetik bezeichnen; eine freundlichere Umschreibung
will sich mir nicht andienen. Hier wird tausenderlei und nichts in ein
konzeptionsloses Korsett gezwängt, und das Korsett droht zu platzen: auf über
fünfhundert Seiten werden wir mit pseudophilosophischen Geistesblitzen mürbe
geschossen; das hält keine Festung aus. Ein Dichter im Notizentaumel.Handke hat wohl so etwas wie ein Lob der
Existenz im Sinne gehabt. Es hat aber bloß zu aufgeblasenen Kritzeleien im
Telegrammstil gelangt. Er verzichtet auf eine Nummerierung und irgendwelche
zeitlichen Angaben fehlen auch (was der Zettelkastenorgie wenigstens den
Anschein einer Form verliehen hätte). Dieser Chuzpe geht ohnedies jeglicher
Zusammenhang ab; so, wie etwa den verlorenen Schriften des Jim Morrison (zu
dessen Entschuldigung man sagen darf, das der die meiste Zeit ziemlich bedröhnt
gewesen sei). Ähnlich ging auch Klaus Kinski in seinen aufgebockten
Erinnerungen vor, doch kam hier ob der vulgären Sprache, nebst lüstern
ausgebreiteter Details nie Langeweile auf. Bei Handke aber ereilt einen die
Fieberstarre noch vor irgendeinem Anfall – die Temperatur bleibt konstant bei
Null. Das kriegt nur er hin. Wenn wir an früher denken, wo die sich bereits
abzeichnende, in schmale Bände gedrängte Vielfalt dem Willen entsprang, es
allen mit Allem – mit allem Möglichen – zu zeigen, so denken wir jetzt, in
Anbetracht dieser gedruckten Katastrophe, an ein ´Zu viel des Guten´. Was hat
er sich dabei gedacht? Wollte er sich mit diesem ´Kessel Buntes´ allen Ernstes
an die Fersen altgedienter Aphoristiker heften? Auf hunderten von Seiten faselt
er sich in den Club der toten Dichter; der mausetoten. Die aber leben längst
als Klassiker fort, während Handke sich mit jedem Satz um Kopf und Kragen
schreibt. Das tut er Zeile um Zeile so behäbig, altklug und schal, dass es
schnell anfängt, nur noch zu langweilen. Und das auf hunderten von Seiten. Tut
richtig weh. War es das also, was er beabsichtigte – uns allen weh zu tun? Die
Journale sind auf grandiose Weise gründlich daneben gegangen. Ich möchte ganz
simpel fragen: wie soll man das – das alles
– eigentlich zuende lesen? Wer will derlei beliebiges, völlig
unzusammenhängendes Gestammel lesen und wie soll er´s schaffen, das zu lesen?
Nach welchem Schema kämpft man sich durch diese gärende Grütze? Na? Will er,
Handke, uns gewisse mürbe machende Höchstleistungen abverlangen? Nicht zuletzt
darf man fragen, wer für derlei unerhörte Geistreicheleien satte Sechzig Mark
hinblättern mag. Das ist auch damals schon eine Menge Zaster. Zu allem Ärger
spricht er, der sich Satz für Satz in öden Beschwörungen gefällt, hier ständig
mit verstellter Stimme und vergreift sich dabei an solchen, denen er das Wasser
nie reichen wird. Da kommt dann zum Beispiel so eine Art Kafka – Retro heraus
(„In der Sehnsucht leben, heißt, in der Gegenwart leben, heißt, in der
Erinnerung leben, heißt, im Raum leben“), ein ´Siebzig verweht´ frei nach
Jünger („Die letzten Robinienlippenblüten, greisenmäulig“), ein Kokettieren mit
dem Österreich Schmähenden Bernhard („Nein, Ö. ist nicht mein Land; und das
bläu dir ein wie deinem eigenem Hund“) und derlei blasiertes Blabla mehr. Auf
Seite 187 lesen wir:“ Ideal: Über mich ist endlich nichts mehr zu sagen.“ Das
wirkt erheiternd, weil erlösend. In der Vorbemerkung möchte Handke uns seine Ergüsse
gern als Reflexe verkaufen – das hätte er vielleicht noch einmal reflektieren
sollen.
*********
Es
war einmal...
...ein
Winterreisender. Dem wurd´s bald bitter kalt und er wurd bitterbös und dann
hat´s ihn nur mehr verbittert –
wollt´ ihn denn keiner mehr versteh´n?
Zu
Beginn habe ich mit Nachdruck der Vermutung Ausdruck verliehen, das Peter
Handke – heroischer Außenseiter aus Passion – sein gekränktes Ego mittels
serbischer ´Schützenhilfe´ aufzupäppeln gedachte; bis dato hatte die Rolle ´Ich
gegen den kläglichen Rest´ aus sich selbst heraus funktioniert. Immer weniger,
gewiss; aber immerhin.
Nun
ging er also auf Reisen; ins winterliche Serbien. Auf brennende Häuser,
süsslich faulende Menschenkadaver oder schwere, grollende Artillerie stieß er
unterwegs nicht, wohl aber stieß man dort, wo er lustwandelte, immer wieder den
groben Fluch ´Jebi ga´ (Fick ihn) aus. Warum der Dichter diese und ähnliche
Wichtigkeiten auch noch erwähnte?
Wir
können es eigentlich kurz machen. Es lohnt nicht mehr, auf die wirklich
ärgerlichen, mitunter schmierigen, meist schamlos schlechten und durch nichts
zu rechtfertigenden Äußerungen einzugehen, die wir ansonsten gerne einem
kranken, argen Hirn zuschrieben. Das Buch EINE WINTERLICHE REISE ist als Essay
Essig und für eine Veröffentlichung in irgendeiner Zeitung – das hat dann die
Süddeutsche besorgt – so schwülstelnd geraten, das es nur so trieft. Dieses
lausige bisschen Nichts, beinahe ein Etwas, hätte er uns zu gern als
überlegenen, souveränen Reisebericht verkauft. Er flieht damit aber wieder
einmal der Wirklichkeit und erfindet sie bei der Gelegenheit schnell neu. Auf
ein paar lausigen Seiten doziert er, mitunter den erhobenen Zeigefinger
bemühend (der ihm nicht zukommt), über Dinge, die er nicht oder nur zum Teil
begreift. Wenn Poeten über Politik plappern, pfeift einem der Wind schneidend
um die klirren, klappernden Ohren. Warum ist unser Dichter Jahre früher nicht
durch das schmucke Slawonien getrampt oder in den bosnischen Bergen auf
Besichtigungstour gegangen? Das wäre ihm, der anno 99 noch davon redete, den
´Bombenterror´ vor Ort miterleben zu wollen, wohl kaum möglich gewesen – er ist
stolz und gebieterisch, wenn es sein muss, aber nicht gerade lebensmüde, wenn´s
drauf ankäme. Keinen Mucks (der Empörung oder der beschaulichen Betrachtung)
haben wir damals von ihm, der Gerechtigkeit verlangt, vernommen – jetzt bricht
das alles zugleich und ohne Vorbehalt aus ihm heraus. In Interviews, Statements
oder etwa in diesem unsäglichen, dummdreisten Machwerk. Am Ende ist eine im Ton
schwerfällige, schlaumeiernde Tölpelei dabei heraus gekommen; und, peinlicher
noch, eine in Ansätzen altkluge, schlaumeiernde Amateurpolitik: als
Reiseschriftstellerei getarnt, die – erbarme! – Zeitkritik ihr Odium nennt. Wie
stets gefällt sich der Dichter in der Rolle des distanzierten Beobachters (der
er nicht ist), auf Seiten der Entrechteten und Beleidigten (die das noch viel
weniger sind). Er, der längst in Fehde steht mit der Welt, möchte denen, die
nun auch gegen den Rest der Welt stehen, nahe sein; etwa beim Schnapstrinken.
Das ihm die Welt, in der er ist, nicht passt, wird klar, wenn man sieht, mit
welch liebevollen Farbtönen er die archaisch anmutenden, dörflichen Idyllen
ausmalt (Griffen greift!). Derlei Szenen haben wenigstens etwas für sich und
bestechen – zum Teil – durch sprachliche Eleganz, mit der er sich immer so
schwer tat. Nur blöd, das einem der Agitator Handke (späte Erinnerungen an 68?)
mit seinen Generalattacken gegen das Pressegewürm schnell alles wieder madig
macht. Wir verstehen das: er kann ihnen nicht verzeihen, das sie ihn so schnöd
links liegen ließen – wie anders war das mal.
NachAbdruck des Berichts steht er noch einmal
ganz oben auf der (Abschuß)Liste. Die Veröffentlichung – die Provokation –
zeitigt Entrüstung, Empörung, Erstaunen; Aufmerksamkeit eben. Noch einmal
wenigstens. So hat er wieder um jeden Preis von sich Reden gemacht, bei den
unvermeidlichen Lesungen in bewährter Manier drauflos gezetert; alles wie
gehabt. Seither ist er in der Versenkung verschwunden. Manchmal sieht man ihn
an der Seite der Schauspielerin Katja Flint. Ab und an erscheint ein neues Buch
von ihm. Jetzt werkelt er, mehr denn je aus dem Verborgenen heraus, an seiner
Legende – das soll was werden. Zwecksdessen wird er sicher ein weiteres Mal die
Arena betreten. Aber egal. Auch der Dichter ist heuer nur mehr ein Zacken im
Getriebe. Oder Staub vom Staube. Oder so.
Es
war einmal; und Punkt.
(2001)
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