Erschienen in Ausgabe: No 63 (5/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Bernd Ehlert
Willigis Jäger, geboren 1925, trat 1946 als
Benediktinermönch in die Abtei Münsterschwarzach ein und studierte Philosophie und
Theologie. Auf seinen Reisen im Rahmen kirchlicher Tätigkeiten kam er in Japan
mit dem Zen in Kontakt, woraufhin er 6 Jahre in Zen-Klöstern verbrachte. 1996
erhielt er die volle Lehrerlaubnis als Zen-Meister, genauer als 86. Nachfolger
des Buddhas, und gründete seine eigene Zen-Linie. Ein von ihm in Deutschland
wiederaufgebautes und als „Zentrum für spirituelle Wege“ genutztes ehemaliges
Kloster steht heute für „eine Spiritualität, die unter Berücksichtigung des
zeitgenössischen Weltbildes und der modernen Wissenschaften Antworten auf die
Fragen des heutigen Menschen geben will“.
Die schlüssigen „Antworten auf die Fragen
des heutigen Menschen“ werden einfach dadurch ermöglicht, weil Jäger dasjenige
in der Religion konsequent relativiert oder eliminiert, was für viele Probleme
verantwortlich ist: die religiöse Dogmatik und das damit verbundene
anthropozentrische Selbst- und Weltverständnis. Auch die personale
Gottesvorstellung ist für Jäger nicht mehr haltbar (vgl. Titel Nr. 2 des Literaturverzeichnisses,
S. 14). Dabei beruft er sich neben seiner eigenen Meditationserfahrung auf
alte, undogmatische christlich-mystische Traditionen, die vom dogmatischen
Christentum stets verfolgt und unterdrückt wurden - so hat auch Jäger umgehend
für diese Thesen ein (von ihm nicht beachtetes) kirchliches Rede- und
Lehrverbot erhalten.
„Der Gott im Himmel, zu dem wir als Kinder beteten,
zerbricht“ (1, 50). Die gängige personale Gottesvorstellung sieht Jäger als
„kindliche Religiosität“ (3, 120) an, die zum einheitlichen, wahren Göttlichen
hin zu überwinden ist. So liegt die Bedeutung von Jesus für Jäger „nicht in
seinem Sühnetod am Kreuz für eine sündhafte Menschheit, sondern dass er uns
einen Weg in die Erfahrung der Einheit mit dem göttlichen Urprinzip wies“ (1,
20). Wie schon bei dem griechisch-alexandrinischen Kirchenvater Origenes ist
Jesus nicht Erlöser sondern Vorbild und Wegweiser - und darin kein personaler
Gott.
Die Überwindung des personalen Gottesbildes betrifft
umfassend das Erlösungs- und das Weltverständnis: „Das Jenseits ist nichts, was
irgendwann im Laufe der Zeit einmal kommen wird, sondern es ist das Jenseits
der Zeit: die Zeitlosigkeit. Hat man sich das einmal klar gemacht, wird man
nicht umhin können, seine Vorstellung von Auferstehung und einem Leben nach dem
Tod zu ändern. Denn nun zeigt sich, dass Auferstehung sich nicht zu einer
anderen Zeit an einem anderen Ort vollzieht, sondern hier und jetzt. Gott
vollzieht sich als Hier und Jetzt. Und Religion ist nicht der auf künftige
Belohnung schielende Dienst an einem jenseitigen Gott, sondern der Vollzug des
Hier und Jetzt – der Vollzug Gottes in unserem konkreten, täglichen Leben“ (1,
93). Damit ist „die Vorstellung vom Jüngsten Gericht obsolet“ (1, 93). Auch die
moralischen Regeln werden hier nicht direkt von einem personalen, weltlich
handelnden Gott vorgegeben: „Im mystischen Erleben ist das, was wir 'böse'
nennen, aus der göttlichen Wirklichkeit nicht herauszunehmen“ (1, 96). Die
Strukturen von Welt und Jenseits sind strikt getrennt.
Jäger verabschiedet sich so vom Urtraum
des Menschen, den der Mensch in der Religion zu erreichen sucht, nämlich die
ewige Fortdauer des eigenen personalen Seins nach dem Tod. Die Religionen
„garantieren, dass dieses Ich auf die eine oder andere Weise fortleben wird.
Streicht man dieses Heilsversprechen aus ihnen heraus, verlieren sie ihr
Wesentliches. Die Mystik hingegen befreit von dem Wunsch nach Dauer des Ich“
(1, 97). Es gibt keine „Perpetuierung des Ich im Jenseits“ (1, 114). Jäger
durchschaut den Versuch des Menschen sein personales Ich vor dem Tod zu retten,
es zu verewigen und damit auch zu vergöttlichen, als reinen Egoismus in der
heutigen Zeit: „Was der Mensch 'Person' nennt, ist eine falsche Person. Diese
Person ist nichts anderes als unser Egobewusstsein, das sich als absolute
Individualität erlebt und darin verdeckt, dass es sich von der Urwirklichkeit
des göttlichen Lebens abgespalten hat. Zugänglich wird ihm die Urwirklichkeit
erst dann, wenn sich das Egobewusstsein in der spirituellen Erfahrung transzendiert
und in das kosmische Bewusstsein des göttlichen Lebens übergeht“ (1, 111).
Gemäß Jäger „braucht das Christentum eine vollkommen
neue Interpretation“ (1, 114). Dabei gilt: „Das Weltbild der modernen
Naturwissenschaft entspricht weitestgehend den spirituellen Erfahrungen der Mystik“
(1, 104). Das zeigt sich besonders im „'Idealismus' in der modernen
Naturwissenschaft“ in der Quantenphysik (vgl. 1, 19), bei dem die scheinbar
absolute Trennung zwischen Beobachter und dem Beobachteten bzw. der Messung
aufgehoben wird. „Die Materie allein existiert nicht“ (1, 19), d.h. sie erweist
sich letztlich wie bei Kant nur als eine Erscheinung, hier bei Jäger als
Erscheinung eines einheitlichen Urgrundes – genau wie der Mensch selbst.
Dieser einheitliche Urgrund der weltlichen Erscheinungen
als das wahre Göttliche hinter den vorstellbaren Gottesbildern entspricht
besonders der negativen Theologie des mittelalterlichen Dominikanermönchs
Meister Eckhart, der für solche Auffassungen ebenfalls schon der Inquisition
zum Opfer fiel. „Das Christentum versteht unter Gott per definitionem ein
Gegenüber“ (1, 49), doch das ist nicht nur ein Grunddogma des Christentums,
sondern schon des Judentums und des nachfolgenden Islams. So schreibt H.-J.
Störig in seiner „Kleine[n] Weltgeschichte der Philosophie“: „Die Vorstellung
einer weiten Kluft zwischen Gott und Mensch [ist] besonders den Religionen der
semitischen Völker eigen; sie stammt aus dem alten Judentum“ (4, 213). Dieses
Grunddogma setzt Jäger genau wie schon Eckhart außer Kraft, indem er wie im
griechischen Neuplatonismus und der asiatischen Religiosität anstelle der
gegenüberstehenden personalen Gottesvorstellung den nicht personalen,
einheitlichen Urgrund setzt, auch als letztes und höchstes Ziel des
Menschseins.
Jäger vollzieht hier eine grundlegende Wende vom
Dualismus zum Monismus. „Gott und Mensch verhalten sich zueinander wie Gold und
Ring“, „sie sind Nicht-Zwei“ einer mystischen Einheitserfahrung, „in der es
kein Ich und Du mehr gibt“ (vgl. 1, 49). Die Tiefe dieser Erfahrung bringt „die
Erfahrung der Einheit mit allen Wesen“ (3, 114) und kein separates und darin
elitäres Erlösungsverständnis einer in Ewigkeit bestehenden absoluten Trennung.
„Und darum finden wir in unserem tiefsten Wesen den ganzen Kosmos und erfahren
in der Mystik die Einheit mit ihm“ (1, 110). Das ist im Grunde die unmittelbare
Erfahrung dessen, was die naturwissenschaftliche Evolutionstheorie bzw. darin
unser Verstand zum Werden und Sein des Menschen aus der Materie nur
theoretisch, abstrakt und in der Dualität vermitteln kann.
Diese Auffassung als Verbundenheit mit allem Sein hat
dann allgemein und unmittelbar etwas mit unserem nicht mehr angepassten Selbst-
und Weltverständnis, unserer Lebenswirklichkeit und und gerade heute mit
unserer Zukunft zu tun: „Unser Ich-Bewusstsein hat sich in einen Egozentrismus
hinein entwickelt, der den Untergang der Spezies homo sapiens bedeuten
kann, wenn wir uns nicht rechtzeitig in Richtung eines kosmischen Bewusstseins
entwickeln“ (3, 111). Es geht so nicht nur um die Erleuchtung einiger weniger
Individuen, sondern auch „um eine vollkommen neue Sicht von Welt und Mensch
[...], ein anderes Menschen- und Weltverständnis [...], das an die Stelle eines
naiven Homozentrismus und Geozentrismus treten könnte“ (3, 32).
Literaturverzeichnis:
1. Willigis Jäger, „Die
Welle ist das Meer“, Freiburg im Breisgau 2007
2. Willigis Jäger,
„Westöstliche Weisheit“, Stuttgart 2007
3. Willigis Jäger, „Das
Leben endet nie“, Freiburg im Breisgau 2010
4. H.-J. Störig,
„Kleine Weltgeschichte der Philosophie“, Frankfurt/M. 1988
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