Erschienen in Ausgabe: No 63 (5/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Wolfgang Ockenfels
Zu Guttenberg
fällt mir nichts ein, was nicht schon andere gesagt haben. Sie einfach zu
zitieren, ist zu einfach, aber auch zu mühsam. Nach einem langen akademischen
Leben ist man das typisch deutsche Ritual mit den vielen Gänsefüßchen und
Fußnoten leid. Nach englisch-amerikanischer Gewohnheit, die nicht so
methodenversessen ist, lebt es sich leichter. Mein Doktorvater Arthur F. Utz
hat, je älter er wurde, immer weniger andere Autoren zitiert. Er konnte es
sich leisten, von sich selber abzuschreiben. Nach dem Motto: „Wie ich schon so
richtig sagte.“ Es soll auch ein Genie gegeben haben, das mit den Worten
zitiert wird:
„Wenn ich was Gutes lesen will, dann schreib’ ich mir was.“
In
unserem akademischen Leben sind Originalität und Kreativität höchst verdächtig
und lassen auf einen Mangel an Belesenheit schließen. Ein preußisch-akademisches
Beamtentum reagiert hierauf empfindlich, mit Sprüchen wie: „Da könnte ja jeder
kommen! Wo kommen wir denn da hin? Das war ja noch nie da!“ Also muß nach festen
formalen Regeln aus Werken zitiert werden, die meist wieder aus Zitaten
bestehen, um zu einer neuen Zitatensammlung zu kommen, die sich Doktorarbeit
nennt und nur noch Gähnen hervorruft. Doktorarbeiten sind Arbeiten, die keiner
mehr liest. Abgesehen natürlich von den wenigen Experten, die diesen Nachweis
für Fleiß, Disziplin und formale Korrektheit überprüfen.
Nichts
gegen diese preußischen Sekundärtugenden, wenn sie in den Dienst des Geistes
gestellt werden. Aber gerade in den Geisteswissenschaften, zu denen auch die
Theologie zählt, weht der Geist nicht, wo er will (Joh 3,8). Sondern er
verstaubt in Büchern, stapelt sich in Zettelkästen oder setzt sich auf
Festplatten fest. Von dort muß er mühsam geborgen werden – heute mit Hilfe
digitaler Rechner. Die aber sind ziemlich dumm und geben die Quellen nicht
exakt an. Noch dümmer sind hoch intelligente Politiker, die sich von Bremer
Professoren und anderen Suchmaschinen überführen - und sich die fehlenden
Quellenangaben links und besonders rechts um die Ohren hauen lassen.
Daß
ein Politiker überhaupt nach akademischen Würden strebt, ist schon fast strafwürdig.
Es gibt in der Politik schon zu viele Wissenschaftler, für die, nach dem Wort
eines Spaßvogels, die Wissenschaft nicht dazu da ist, Probleme zu lösen,
sondern zu vervielfältigen – durch permanente Differenzierung der Terminologie.
Was wir dringend brauchen sind tatkräftige Politiker, die komplexe Probleme
lösen, d.h. zunächst sinnvoll vereinfachen. Und da wäre vielleicht von Guttenberg
noch einiges zu erwarten. „Smoke
on the water“, der Rocksong von Deep
Purple, war sein Abschiedslied beim Großen Zapfenstreich. Wenn sich der Rauch
über dem Wasser verzogen hat, wird sich die politisch-moralische Qualität des
gefallenen Stars jenseits von Adels- und Doktortiteln und jenseits allzu früher
und flüchtiger Popularität überhaupt erst zu erweisen haben.
Das
„Helm ab zum Gebet“ gehört immer noch zum erstaunlichen Ritual des Zapfenstreichs
unserer säkularen Republik. Es ist eine Gebärde der Demut. Diese Tugend des
Dienens zeichnet weder unsere Politiker noch unsere Wissenschaft
(einschließlich der Theologie), erst recht nicht unsere technische Intelligenz
aus. Sie müssen aus allen Wolken der Fortschrittsgläubigkeit und der
Wachstumserwartung gefallen sein, als sie von den katastrophalen Ereignissen
hörten, die sich mit dem Erdbeben, dem Tsunami und dem anschließenden
kerntechnischen Desaster in Japan ereignet haben.
Von
modernen Theologen und auch Kardinälen sollte man keine endgültigen Antworten
auf Fragen der technischen Energieerzeugung und ihrer Risikoabschätzung
erwarten. Wenigstens aber, daß sie auf die klassische, stets aktuelle
Theodizee-Frage eine sinnvolle Antwort zu geben versuchen. Aber lieber lassen
sie diese Frage, warum ein ebenso allmächtiger und gerechter wie liebevoller
Gott so etwas zulassen kann, völlig offen, als daß sie wenigstens die
Möglichkeit einräumen, daß uns Gott, der die Geschicke und die Geschichte der
Menschen in Händen hat, uns gerade auch in Katastrophen etwas zu sagen hat.
Aber woher kann man geschichtstheologisch wissen oder glauben, daß es sich bei
solchen Ereignissen ausdrücklich nicht um Fingerzeige Gottes handelt?
Der
theologischen Entmächtigung Gottes folgt notwendig die geschichtliche Irrelevanz
der Theologie. Moderne christliche Theologen ignorieren gern die Allmacht und
Gerechtigkeit Gottes, erleiden dabei aber einen durch Liebe nicht
kompensierbaren Bedeutungsverlust. Dann stellt sich unweigerlich die Frage nach
Nutzen und Nachteil der Theologie für das Leben, besonders das der einfachen
Gläubigen. Denen sind die hochgestochenen theologischen Fachsimpeleien und
zeitgeistlichen Predigten gleichgültig, denn sie suchen in apokalyptischen
Zeiten nach spiritueller Kraftnahrung, die sie dort nicht finden.
Modernitätskritisch zugespitzt: Theologische Publikationen sind meist neu und
gut. Aber das Neue ist nicht gut - und das Gute nicht neu.
Vielleicht
hat die „deutsche Kirche“ zu viele Theologen, die einen Glauben systematisch
reflektieren, der ihnen inzwischen abhanden gekommen ist. In dieser
Kirchenregion geht es sehr abgehoben akademisch zu. Ihr Verkündigungsjargon ist
entweder zu banal oder zu abstrakt – oder beides zugleich, als daß er einen
erlösungsbedürftigen Atomphysiker erreichen könnte, der über seine und anderer
Leute Sterblichkeit und Moralität nachzudenken beginnt. Ihr fehlen mehr die
Gläubigen als die Theologen und Priester. Ihr fehlen mehr die Gemeinschaften,
in denen der Glaube eingeübt und praktiziert wird, als die theologischen
Fakultäten, die ihn oft bis zur Unkenntlichkeit interpretieren und verdrehen.
Die staatlich geprüfte und finanzierte Theologie entwickelt sich immer mehr zu
einer neutralen Religionswissenschaft, die nicht mehr zur Entscheidung drängt.
Die
Kirche muß von ihrem hohen akademischen Roß heruntersteigen, um die kleinen
Leute zu erreichen, die Jesus im Blick hatte. Das gehört zur christlichen Demut.
Wie auch der Abschied von anderen hohen Würden, Ansprüchen und Anstalten,
die dem kirchlichen Verkündigungsauftrag im Wege stehen.
DIE NEUE ORDNUNG. ... Jahrgang 65. Nr. 2/2011 April, S. 82-83. http://www.die-neue-ordnung.de
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