Erschienen in Ausgabe: No 63 (5/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Guido Horst
Was
ist für die Kirche auf Erden, die sich seit zweitausend Jahren durch „das Tal
der Tränen“ müht, schon ein halbes Jahrzehnt? Wenig, sehr wenig. Irgendwie also
ist das „Santo subito“ beim Requiem für Johannes Paul II. dann doch wahr
geworden: Fünf Jahre sind eine außergewöhnlich kurze Zeit, um eine Dienerin
oder einen Diener Gottes zur Ehre der Altäre zu erheben. Für Rom, für die
Katholiken in Europa oder Amerika und für die ganze Kirche ist diese
Seligsprechung wie eine Portion Sauerstoff. Man kann es nicht von der Hand
weisen: Auch für Papst und Kurie gab es in den vergangenen beiden Jahren manche
schlechte Schlagzeilen, noch zu Ostern vergangenen Jahres sprachen Journalisten
von einer „schwarzen Woche“ im Vatikan. War der „Fall Williamson“ 2009 auch zu
einem guten Teil mangelnder Sorgfalt der zuständigen vatikanischen Stellen
geschuldet – wofür Benedikt XVI. in seinem Brief an alle Bischöfe der Welt die
Verantwortung auf sich nahm, obwohl er der Letzte war, den hier eine Verantwortung
träfe –, so war es beim Missbrauchsskandal im vergangenen Jahr nicht mehr so
einfach, den Finger nur auf andere, insbesondere auf die Medien zu richten. Der
Papst gestand uneingeschränkt ein, dass die Sünde im Inneren der Kirche der
letzte Grund für diese Krise war.
Doch
nun, zur Seligsprechung des Papstes, „der aus dem Osten kam“, zeigt die Kirche
ein anderes Gesicht: das eines großen Heiligen – und hunderttausende Gesichter
einer neuen Generation von Katholiken, die es gerade Johannes Paul II. und
seinem Charisma zu verdanken haben, dass sie den Weg zum Glauben und zur Kirche
gefunden haben.
Papst
Wojtyla hat die Kirche ins 21. Jahrhundert geführt. Und nach Abschluss des
Heiligen Jahres, mit seinem Apostolischen Schreiben „Novo millennio ineunte“
vom Januar 2001, schrieb er eine Art geistliches Testament. Hinaus auf die hohe
See, das war das große Stichwort dieses Briefs, mit denen er vor allem die
Jugend antreiben wollte – er, der selber kaum noch gehen konnte: „Jetzt müssen
wir nach vorn blicken, ,hinausfahren auf den See’, getreu dem Wort Christi: Duc
in altum! Was wir in diesem Jahr getan haben, darf nicht als Rechtfertigung
für ein Gefühl der Selbstzufriedenheit dienen.”
Und
das Programm für jenes „Hinaus“? Der Antrieb für den Aufbruch? Der Kern jeder
Dynamik in der Kirche? Es gehe nicht darum, schrieb der alt gewordene Papst in
diesem Brief, „ein neues Programm zu erfinden. Das Programm liegt schon vor:
Seit jeher besteht es, zusammengestellt vom Evangelium und von der lebendigen
Tradition. Es findet letztlich in Christus selbst seine Mitte.“
Viele
sahen Johannes Paul II. als „politischen Papst“, manche machten um ihn einen
Kult wie um einen religiösen Guru. Doch nichts lag Karol Wojtyla ferner. Er
wollte auf einen Anderen verweisen. Nochmals „Novo millennio ineunte“: „Wir
wollen Jesus sehen (Joh 12,21). Diese Bitte wurde von einigen Griechen, die als
Pilger zum Paschafest nach Jerusalem gekommen waren, an den Apostel Philippus
gerichtet. In diesem Jubiläumsjahr ist sie auch uns geistig in den Ohren
geklungen. Wie jene Pilger vor zweitausend Jahren, so bitten die Menschen
unserer Zeit, wenn auch nicht immer bewusst, die Gläubigen von heute, nicht nur
von Christus zu reden, sondern ihnen Christus zu zeigen, ihn
gleichsam sehen zu lassen. Ist es nicht Aufgabe der Kirche, das Licht
Christi in jeder Epoche der Geschichte widerzuspiegeln,
sein Antlitz auch vor den Generationen des neuen Jahrtausends erstrahlen zu
lassen?”
Doch
wie kann man Jesus Christus den Suchenden zeigen? Unser Zeugnis für den Menschensohn,
schrieb Johannes Paul II. in seinem Vermächtnis-Brief weiter, „wäre jedoch
unerträglich armselig, wenn wir nicht zuerst Betrachter seines Angesichtes wären.
Das Große Jubiläum hat uns sicherlich geholfen, tiefer in diese Betrachtung
hineinzufinden. Während wir nach Abschluss des Jubiläums den gewöhnlichen Weg
wieder aufnehmen und dabei den Reichtum der in diesem ganz besonderen Jahr
erlebten Erfahrungen im Herzen tragen, bleibt der Blick mehr denn je auf das
Antlitz des Herrn
gerichtet.”
Dafür,
dass die Saat dieses großen Papstes und Seligen aufgehen kann, kann jeder etwas
tun: Auf das Antlitz Jesu Christi schauen. Das ist das „Programm“, das ist der
tragende Grund für jede Reform. Und die Lehre, die der selige Johannes Paul II.
gerade in den Wochen und Monaten seines bittersten Leidens allen erteilte.
Guido Horst ist Chefredakteur des "Vatican-Magazin" www.vatican-magazin.de
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