Erschienen in Ausgabe: No 63 (5/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Jörg Bernhard Bilke
Da steht er nun in einer Reihe mit den entmachteten
Vertretern der DDR-Nomenklatura: mit MfS-Generaloberst Markus Wolf, mit Hermann
Kant, dem Präsidenten des Schriftstellerverbands 1978/90, mit den parteitreuen
Schreibern Eva Strittmatter und Erik Neutsch, mit SED-Politbüromitglied Hans
Modrow, dem letzten Ministerpräsidenten einer nichtgewählten DDR-Regierung!
Der Interview-Band mit Friedrich Schorlemmer ist der achte
innerhalb dieser Buchreihe, die von Markus Wolf 2007 programmatisch eröffnet
wurde und die im DDR-Nostalgie-Verlag „Das Neue Berlin“ erscheint. Beide
Autoren, den General und den Pfarrer, hatte ein Mann zum Gespräch gebeten, der
1948 in Ohrdruf/Thüringen geboren wurde und heute in Haartracht wie Bartwuchs
den jungen Karl Marx aus den wilden Jahren vor 1848 imitiert. Zu DDR-Zeiten war
Hans-Dieter Schütt Chefredakteur der
FDJ-Zeitung „Junge Welt“ und wurde im Herbst 1976 auch hierzulande bekannt, als
er in der SED-Zeitung „Neues Deutschland“, wo er heute als Kulturredakteur
arbeitet, einen schlimmen Schmähartikel gegen Wolf Biermann veröffentlicht und
damit die ideologische Munition zur Ausbürgerung des „Liedermachers“ geliefert
hat. In den zwei Jahrzehnten nach dem Mauerfall von 1989 soll er in sich
gegangen sein und dem SED-Staat
abgeschworen haben, so beschreibt er es jedenfalls in seinem Buch „Glücklich
beschädigt“ (2009), aber noch heute sprießt ihm der untergegangene
DDR-Sozialismus aus allen Knopflöchern. Seine verquollene Einleitung zu diesem
Buch ist jedenfalls unlesbar, man kann
das getrost überblättern!
Wer sich als neugieriger Leser nun dem in sechs Kapitel
aufgegliederten Interview-Text zuwendet, sieht sich auch hier in seinen
Erwartungen getäuscht. Gehofft hat er auf ein fruchtbares Streitgespräch
zwischen einem atheistisch erzogenen DDR-Funktionär und einem, trotz aller
Verfolgung, standhaft und friedfertig gebliebenen Theologen, der eine Menge zu
erzählen hätte von den Nachtseiten des SED-Staats. Geboten aber wird
seitenweise eine fruchtlose, vom Blatt abgelesene Fragerei , auf die der
Befragte dann oft nicht einzugehen bereit ist.
Wer die Lebensdaten Friedrich Schorlemmers studiert, kann
sich ausrechnen, dass er von Kindesbeinen an behindert wurde am Fortkommen in
der Schule und in der Berufswahl. Als ältestes von sieben Kindern wurde er 1944
in Wittenberge/Prignitz geboren und wuchs in Werben/Altmark auf. Nach der
zehnten Klasse wurden ihm der Besuch der „Erweiterten Oberschule“ und somit das
Abitur verweigert, das er dann mühselig in zwei Jahren an der Volkshochschule
nachholte, um in Halle 1962/67 Theologie zu studieren. Der Berufsweg „Pfarrer“
war damit vorgezeichnet, obwohl er gerne auch Germanistik studiert hätte. Von
1978 an, ausgenommen die sieben Jahre als Studentenpfarrer in Merseburg, bis
zur Pensionierung 2007 war er ununterbrochen in Wittenberg, der Stadt Martin
Luthers, tätig: als Dozent am „Evangelischen Predigerseminar“, als Pfarrer an
der Schlosskircheund als Studienleiter
der „Evangelischen Akademie“. Dass die „evangelischen Pfarrhäuser wahrlich Kulturträger“
waren, wie er bekennt, und damit auch Auffangstationen für kritische
Intellektuelle, hat sein Vater ihm vorgelebt. Damit freilich kann sein
Widerpart Hans-Dieter Schüttnichts
anfangen. Als der Befragte Gedichte Gottfried Benns (1886-1956 ) zitiert, auch
er ein Pfarrerssohn, dessen lyrisches Werk im SED-Staat verboten war , muss er
passen. Das Buch Albrecht Schönes „Säkularisation als sprachbildende Kraft. Studien
zur Dichtung deutsche Pfarrerssöhne“ (1958), auch auf die Pfarrhäuser in
Mitteldeutschland anwendbar, ist dem
studierten Theaterwissenschaftler völlig unbekannt.
Hier nämlich hätte eine Diskussion einsetzen müssen über
protestantische DDR-Pfarrer im Widerstand oder als inoffizielle Zuträger der
„Staatssicherheit“ oder schließlich auch als hauptamtliche Offiziere, die im
„Klassenauftrag“ Theologie studierten, um die Kirche von innen zu zersetzen.
Material für eine solche Diskussion liefert Friedrich Schorlemmer in rauhen Mengen:
wie seine Mutter im Januar 1946 von marodierenden „Rotarmisten“ überfallen
wurde; wie er schon als Kind immer wieder mit Verhaftungen in Nachbarschaft und
Freundeskreis“ konfrontiert wurde; welchen Konflikten er ausgesetzt war, weil
christliche Eltern ihre Kinder nicht konfirmieren lassen wollten, um ihnen den Berufsweg
nicht zu verbauen; wie seine Tochter in der Schule eine Hausarbeit über „Rosa
Luxemburg und die Demokratie“ schrieb und dann Schwierigkeiten bekam; wie noch
im September 1989 die „Staatssicherheit“ ein „Zersetzungsprogramm“ gegen ihn
ausarbeitete, „dessen Kälte einen gefrieren lässt“.Hier hätte überall gezielt nachgefragt werden
müssen, aber der ND-Redakteur unterbricht den Redefluss mit dummen Fragen wie:
„Empfinden Sie sich als Kleinbürger?“
Die Kritik an diesem Pfarrer, der durch die Verhältnisse
gezwungen wurde, als Politiker zu agieren, muss an seinem Verhalten nach dem
Mauerfall vom 9. November 1989 einsetzen. Den Untergang des SED-Staates hat er
zweifellos begrüßt und die damit verbundene Demokratisierung der
DDR-Gesellschaft, nicht aber die Wiedervereinigung. Für ihn wie für Christa
Wolfsollte damals der „Aufbruch in eine
neue DDR“ beginnen. Den Aufruf vom 26. November 1989 „Für unser Land“ hat er
mitunterzeichnet. Wie das freilich in der Praxis aussehen sollte, blieb
ungeklärt, spätestens am 18. März 1990 haben die DDR-Wähler, die eine rasche
Wiedervereinigung wollten, diesen Träumen ein schmerzloses Ende bereitet. Ging
man wirklich davon aus, die reiche Westrepublik finanzierte noch einen zweiten „Traum
vom Sozialismus“?
Hans-Dieter Schütt/Friedrich Schorlemmer „Zorn und
Zuwendung“, Verlag „Das Neue Berlin“, 240 Seiten, Euro 16.95, Berlin 2011
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Dammi 16.05.2011 17:42
Der Versuch des Rezensenten einen Verriß des Buches zu verursachen weckt das Interesse der potentiellen Leserschaft. Wer also mit Hans Dieter Schütt spricht ist also nach Lesart des Herrn Bilke schon verdächtig, wer aber einer erneuerten DDR das Wort redet ist fast schon ein Spinner oder noch gefährlicher.Hier habe zwei Persönlichkeiten gemeinsam ein Buch verfasst. Wer möchte das mit Herrn Bilke tun ohne in die rechte Ecke der "Jungen Freiheit" und anderen ewig Gestrigen zu gelangen?
Simnie 11.05.2011 19:18
aber solch eine Buchverzerrung wird keine Verachtung für Herrn Schorlemmer bringen. Wer seine vielen Veröffentlichungen gelesen hat, wer Schorlemmer in Talkrunden erleben durfte, der weiß den Pfarrer zu schätzen, der in christlicher Tradition auf Gerechtigkeit und Menschlichkeit setzt. Schorlemmer kennt die DDR, ihre Menschen, ja auch einige ihrer Funktionäre. Er weiß was DDR-Bürger gewonnen und verloren haben mit der Rückkehr des Kapitalismus. Herrn Bielke dagegen scheint die Sicht auf die DDR aus der Ferne (Gefängniszelle, Sicht aus der BRD) geprägt zu haben. Das ist verständlich, aber untauglich für eine ausgewogene Betrachtungsweise. Herr Schorlemmer, Sie haben in der DDR und später zum kleinen Mann gestanden. Bleiben Sie weiter standhaft, trotz Bielke und co.