Erschienen in Ausgabe: No 65 (7/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Nathan Warszawski
Der australische Philosoph Peter Singer erhält den Ethik-Preis
der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs). Der Festakt zur Preisverleihung findet am
Freitag, 3. Juni 2011, in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main
statt. Peter Singer wird für sein engagiertes Eintreten für Tierrechte
ausgezeichnet, insbesondere für die Initiierung des Great Ape Project. Die
Auszeichnung hat bereits im Vorfeld erbitterte Kontroversen ausgelöst, vor
allem unter Menschen, die dem durchschnittlichen physischen und psychischen Ideal
nicht entsprechen.
--- Der Utilitarismus
ist der zum Scheitern verurteilte Versuch, die vom Menschen erkannten
Naturgesetze auf eine menschliche Ideologie zu übertragen. ---
Die gbs ist eine atheistische Gesellschaft, die sich als
humanistisch bezeichnet. Mit Peter Singer teilt sie die Ansicht, dass der
Mensch nicht die Krone der Schöpfung ist. Singer schließt daraus, dass Menschen
mit gravierenden Einschränkungen ein geringeres Lebensrecht haben als manche Primaten.
Zusammen mit der Kosten-Nutzen-Analyse für die Gesamtgesellschaft leitet er das
Tötungsrecht (Tötungsgebot?) dieser als Menschen bezeichneten Lebewesen ab.
Als atheistische Gesellschaft erkennt die gbs keine
transzendente Ethik an. Ethik und Moral sind Menschenwerk, die die Religionen
zu ihrem Nutzen als göttliche Gebote überhöhen. Somit ist der Humanist
verpflichtet, eine Ethik zu erstellen, die idealerweise allen Menschen nützt,
zumindest der großen Mehrheit. Doch der Utilitarismus ist nicht notwendigerweise
auf Menschen beschränkt. Modifikationen an der menschlichen Ethik sind
erwünscht, wenn der wissenschaftliche Fortschritt diesen für notwendig erachtet.
Der Unterschied zwischen transzendenter und humanistischer
Ethik besteht nach Auffassung der Humanisten also nicht darin, dass sie
göttlichen oder menschlichen Ursprungs sind – sie haben beide einen
menschlichen Ursprung -, sondern darin, dass die religiöse Ethik vorgibt,
göttlichen Ursprungs zu sein, und sie im Laufe der Jahrhunderte nur geringe
Veränderungen zulässt.
Genau hier liegt die Schwachstelle des Utilitarismus.
Während die Religion äußerst behutsam und langsam ihre Moral den Gegebenheiten
anpasst, ändert sich die menschliche Ethik entsprechend den gesellschaftlichen
und technischen Veränderungen rasant und verweigert ihren Anhängern den festen
Halt.
Der Nachteil der transzendenten Ethik tritt scharf in
Erscheinung, wenn Menschen verschiedener Religionen zusammenleben müssen. Die Anhänger
der älteren Religion empfinden die Moral der Anderen als rückständig
fundamentalistisch, mit ihren fortschrittlicheren Moralvorstellungen nicht zu
vereinbaren. Die progressiven atheistischen Moralvorstellungen der
Utilitaristen lassen sich mit keiner europäischen Religion in Einklang bringen.
Somit herrschen in Deutschland verschiedene Ethiken mit
großer Anhängerschaft. Diese Ethiken widersprechen sich in grundlegenden
Punkten. Religiöse Organisationen versuchen vergeblich die Unterschiede zu
kaschieren und die Gemeinsamkeiten hervorzuheben. Das friedliche Nebeneinander verschiedener
Vorstellungen ohne Angleichung erscheint nicht möglich, da über jede Ethik das
staatliche Gesetz steht, welches für alle gilt, ob Fundamentalisten, Atheisten,
Deisten oder Agnostiker.
Aus der Geschichte weiß die Menschheit, dass viele
humanistische Ideologien das Gegenteil von dem brachten, was sie versprachen. Mao
unternahm den Versuch, Nutztiere im Kommunismus einzuordnen, nebenbei
verendeten Millionen von Chinesen. Unter den Segnungen des Sozialismus leiden
derzeit nur wenige Völker, der Faschismus ist virulent, die Ideologie des
sozialen Kapitalismus kommt dem utilitaristischen Ideal am nächsten. Auch
religiöse Menschen, die einer transzendenten Ethik anhängen, wollen frei,
glücklich, reich und gesund leben. Jeder Einzelne ist in einem bestimmten
Ausmaß Utilitarist. Wenn der Teil-Utilitarist das Recht seines Nächsten
akzeptiert, ebenfalls Teil-Utilitarist zu sein, dann wird sich der humane Weizen
von der inhumanen Spreu trennen. Dann werden Frauen und Männer gleichberechtigt
sein, dann werden Menschen mit gravierenden Behinderungen leben dürfen, dann
wird die Moral Lebenshilfe statt Unterdrückung sein. Bis es soweit ist, werden
die Anhänger der verschiedenen Ethiken diejenigen auszeichnen, die ihren
Glaubensvorstellungen am nächsten kommen. Und die Anderen werden sich bitter
beschweren, um anschließend dasselbe zu tun.
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