Erschienen in Ausgabe: No 65 (7/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Wolfgang Ockenfels
Aus
der Bibel kennen wir den naturalen Rhythmus von sieben mageren und sieben
fetten Jahren. Auch die Erfahrung mit der modernen Wirtschaftswelt scheint die
ewige Wiederkehr eines Konjunkturzyklus zu bestätigen, der sich aber nicht auf
die geheiligte Zahl sieben festlegen läßt und sich überdies verläßlicher
Berechnung entzieht. Diese Unberechenbarkeit ist eine Frechheit, die sich der
Geschichtsverlauf gegenüber den politökonomischen Technokraten herausnimmt. Mit
den Konjunkturen und Strukturen wird man einfach nicht fertig. Wegen der
„Imponderabilien“, hätte Bismarck gesagt. Und der war eher ein
preußischer Staatssozialist als ein liberaler Kapitalist.
Ob
Sozialist oder Kapitalist, beide Typen kamen und kommen ohne Staatsverschuldung
nicht zurande, wenn sie Investitionen für eine „gedeihliche Zukunft“, ob durch
militärische Aufrüstung oder Industriepolitik, tätigen. Dafür gibt es ja
schließlich private Banken und das staatliche Geldmonopol. Mit denen läßt sich
prächtig „Zukunft gestalten“: Wenn man nur wüßte, wie diese Zukunft aussehen sollte.
Und wie sie tatsächlich aussehen wird, wenn man so weitermacht.
Immer
noch, Gott sei Dank, unterscheidet sich das persönlich verantwortliche
„bürgerliche“ Verhalten von dem des öffentlichen Zugriffs auf eine Zukunft, für
die kein demokratischer Politiker persönlich haften will. Aber es gibt ihn
noch, dentreu sorgenden Familienvater
und verantwortlichen Eigentumsunternehmer (die weibliche Form ist eingeschlossen),
der in fetten Zeiten vorsorgt, um in mageren wenigstens überleben zu können,
ohne von staatlichen Subsidien abhängig zu sein. Zugegeben: eine aussterbende
Gattung, die sich nicht durch finanzielle Anreize des Staates korrumpieren
läßt. Vielen Privaten, die sich in ihrer Konsum- und Expansionsgier nicht
zügeln können, weil sie ihre Schulden nicht „bedienen“ können, droht der
Offenbarungseid, der unserem Staat einstweilen (wie lange noch?) erspart
bleibt.
Diese
Drohung wirkt leider nicht mehr auf die Inhaber der Staatsgewalt, egal wie sie
sich parteipolitisch zusammensetzt. Es soll Zeiten unter Adenauer gegeben
haben, in denen der Staat wie ein guter Hausvater Vorräte für magere Zeiten
ansammelte. Fritz Schäffers „Juliusturm“ ragt aus einer versunkenen Welt
hervor und ist nun bei Wikipedia als symbolisches Relikt zu bestaunen. Hier
erfährt man ganz nebenbei, daß die acht Milliarden Mark, die der Finanzminister
Schäffer damals ansparte, „nach heutigem Wert“ ca. 35 Milliarden Euro
ausmachen. Der Zusammenhang von Wertewandel und Inflation, von
geistig-moralischen und finanziellen Werten bedarf einer Klärung, soviel ist
wenigstens sicher.
Seit Helmut
Schmidt, dem immer noch unermüdlichen Weltökonom, gehört die
Schuldenmacherei zur deutschen Staatsräson. Sie erinnert an das „deficit
spending“ des J. M. Keynes, auf den sich heute immer noch, aber
mißbräuchlich, die politisch-ökonomischen Wunderheiler berufen, wenn sie ihr
schuldenfinanziertes Wachstum betreiben. Jetzt mehren sich die Zweifel, ob
permanentes Wirtschaftswachstum notwendig zur Marktwirtschaft vulgo
Kapitalismus gehört - und ob es ausgerechnet der Staat zu garantieren habe. Der
Staat verdirbt die guten Sitten seiner Bürger. Wer ihm nacheifert, landet im
Schuldenturm. Oder bei der Schuldenberatung einer Nanny im Fernsehen.
Nach
der Krise ist vor der Krise. Auf diese bange Prognose stellen sich viele
Zeitgenossen derzeit ein. Denn die Ereignisse der letzten Jahre sind noch
längst nicht abgeschlossen und ausgestanden. Kommt nach der Finanz- und
Wirtschaftskrise eine übergreifende Währungs- und Schuldenkrise der Staaten?
Diese Frage überschreitet bei weitem den nationalen Horizont eines Thilo
Sarrazin. „Deutschland schafft sich ab“ ist gewiß eine beachtenswerte
These, die den „Migrationshintergrund“ auszuleuchten versucht. Aber ob die Deutschen
als Volk
und Kulturträger aussterben, ob sie überhaupt noch an einer eigenen
wettbewerbsfähigen „Volks“-Wirtschaft interessiert sind, müssen vor allem die
Deutschen mit sich selber ausmachen. Und mit jenen, die als weniger produktive
Migranten im Hintergrund stehen, aus welchen Gründen auch immer.
Aber
eine weltbewegende, die katholische Soziallehre betreffende Ordnungsfrage ist
das nicht. Völker kommen und gehen im Lauf der Jahrhunderte – und sie
vermischen sich. Die Weltgeschichte hat den eingeborenen Deutschen keine ewige
Bestandsgarantie verheißen. Es gibt kein Naturrecht, keinen nationalen Anspruch
auf ewiges Wachstum in einem paradiesischen Wohlfahrtsstaat. Die Ludwig
Erhard’sche Verheißung „Wohlstand für alle“ setzte noch die Geltung von
Werten und Tugenden („Maßhalten“) voraus, die heute bei uns kaum noch im Umlauf
sind. So könnte die Wohlstandsverheißung jetzt auch mal in anderen, bisher
darbenden Erdteilen in Erfüllung gehen. Ist das etwa ungerecht? Geht es unter
dem Aspekt der Leistungsgerechtigkeit mit rechten Dingen zu, wenn vormalige
Hungerleider nun in den Wohlstand aufrücken und „uns“ überflügeln?
Anscheinend
wirtschaften die alten Industrienationen zunehmend ab – und neue Wettbewerber
betreten die Weltwirtschaftsbühne. Hier wird unsere Aufmerksamkeit auf eine globale
Wirtschaftsordnung gelenkt, die eine universale Geltung beanspruchen kann. Soll
das der notorisch krisenanfällige „Kapitalismus“ sein?
Als Finanzfachmach hätte Sarrazin vielleicht besser ein Buch schreiben
sollen mit dem warnenden Titel „Der Kapitalismus schafft sich ab“. Noch besser
unter dem Titel der Zukunftsfrage: „Was kommt nach dem Kapitalismus?“
Auf
diese Frage erhielt ich von einem internationalistischen Nationalökonomen die
Antwort: „Natürlich der Kapitalismus!“ Nach wie vor scheinen diese Leute keine
blasse Ahnung zu haben von dem, was im ethischen Sinne „natürlich“ ist -
und was ordnungspolitisch sein sollte. Dazu gehört nämlich die
Unterscheidung der Geister, die Unterscheidung zwischen realen und nominalen
Werten und Wertbegriffen. Schön wäre es ja, wenn es eine ethisch akzentuierte
soziale Marktwirtschaft im Weltmaßstab geben könnte, für die Benedikt XVI. plädiert.
Aber dazu müßten wir sie erst einmal bei uns neu entdecken. Einschließlich
einer Politik, die auch das Migrations- und Integrationsproblem zu lösen sucht.
Die
neue Ordnung, 5/2010, S. 322-323. (http://www.die-neue-ordnung.de)
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