Erschienen in Ausgabe: No 66 (8/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Gerd Ganteför
Jeder Angeklagte hat das Recht
auf einen Pflichtverteidiger. Auch die Kernenergie. Vielleicht bin ich der
Richtige für diese Aufgabe, denn ich hatte schon immer Sympathien für die
Kernenergie und ich ändere nicht leichtfertig meine Meinung.
Vier klassische
und vier grüne Energien
Folgenschwere Entscheidungen
wie der Ausstieg aus der Kernenergie und der Umstieg auf die regenerativen
Energien sollten auf einer nüchternen Analyse der Lage beruhen. Die
dringendsten Probleme der Menschheit sind die Bevölkerungszunahme um eine
Milliarde alle 12 Jahre, die Verknappung des Erdöls und die Klimaerwärmung. Die
Geburtenraten sinken, wenn das Bruttoinlandsprodukt steigt. Dafür sind
bezahlbare Energiequellen notwendig, von denen es vier gibt: Erdöl, Erdgas,
Kohle und Uran. Ihre Kosten liegen unter 5 cts/kWh und daher sind sie für die
armen Länder erschwinglich. Aber auch Deutschland hängt zu 90% von ihnen ab.
Erdöl wird in absehbarer Zeit knapp werden. Eine Alternative zum Erdöl wäre die
Kohle, aber sie verschlimmert die Klimaerwärmung. Wird der Ausstieg aus Kohle
und Uran umgesetzt, bleibt also nur das Erdgas als halbwegs saubere
Energiequelle übrig. Aber eine Beschränkung auf Erdgas allein wird ohne massive
Einsparungen im Alltagsleben nicht möglich sein. Auch der Status einer
Exportnation lässt sich so nicht aufrecht erhalten. Der Ausweg seien die
erneuerbaren Energien, so behaupten die Politiker.
Es gibt vier grüne Energien, die in der Gigawatt-Klasse
mithalten können: Wasser, Biomasse, Solarenergie und Wind. Die Wasserkraft hat
in Deutschland ihr maximales Ausbaupotenzial erreicht. Energiepflanzen haben
einen inakzeptablen Flächenbedarf und sind angesichts des Hungers in der Welt
nicht zu verantworten (Abb 1). Photovoltaik ist zwar "sexy", aber in ihrer heutigen
Form unbezahlbar, denn der Gesamtenergieverbrauch liegt in Deutschland bei 2500
Milliarden kWh und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei 2500 Milliarden Euro. Bei
einem Preis von 30 cts/kWh müsste die Volkswirtschaft also 30% des BIPs
ausgeben. Das würde massive Einsparungen im sozialen Netz, beim Rentensystem,
im Gesundheitssystem und bei der Bildung bedeuten. Auch beim Strom aus der
Sahara liegen die Kosten inklusive Transport und Abgaben an die Gastgeberländer
ähnlich hoch. Es bleibt also nur die Windkraft als ausbaufähige und bezahlbare
neue Energie. Das ist aber zu wenig, um Erdöl, Kohle und die Kernenergie zu
ersetzen. Weltweit kann daher nicht auf Kohle und Uran verzichtet werden.
Kernenergie: Katastrophen und Innovationen
Tschernobyl und Fukushima sind
der Grund für den Ausstieg aus der Kernenergie. In Tschernobyl stand ein graphitmoderierter
Kernreaktor. Ein Moderator ist eine Art Katalysator, ohne den die
Kettenreaktion sofort stoppt. Neuere Reaktoren nutzten das Kühlwasser
gleichzeitig als Moderator, so dass ein Ausfall der Kühlung zum Abbruch der
Kettenreaktion führt. Bei einem graphitmoderierten Reaktor läuft die
Kettenreaktion aber mit voller Leistung weiter. Der Tschernobyl-Reaktor
explodierte. Die wassermoderierten Reaktoren in Fukushima sind bereits während
des Erdbebens abgeschaltet worden. Allerdings wird auch nach dem Abschalten der
Kettenreaktion noch Wärme frei. Diese Restwärme entsteht durch die
Radioaktivität der Zerfallsprodukte, also dem "Nachglühen" der Asche
der Kernspaltung und diese Reaktoren müssen unbedingt
weiter gekühlt werden. Moderne Reaktoren sind daher mit passiven
Notkühlsystemen ausgestattet, die auch dann noch funktionieren, wenn die
Stromversorgung zusammengebrochen ist. Die Reaktoren in Fukushima hatten keine
solchen passiven Kühlsysteme. Es kam zur Kernschmelze und eine hochradioaktive
Masse bohrte sich durch den Boden des Druckgefäßes und womöglich weiter ins
Erdreich. Für diesen Fall haben moderne Reaktoren einen "Corecatcher"
(Kernfänger). Der geschmolzene Kern wird in ein Auffangbecken geleitet und kann
dort gekühlt werden. Auch über diese letzte Sicherheitseinrichtung verfügte
Fukushima nicht. Weiterhin sollten Kernreaktoren nicht an erdbeben- und
tsunamigefährdeten Standorten gebaut werden. Jede einzelne dieser modernen
Sicherheitsmaßnahmen hätte die Katastrophe verhindert. Die Deutschen schließen
aus diesen beiden Katastrophen, dass Kernenergie grundsätzlich unsicher ist.
Sie wären aber mit modernen Methoden leicht zu verhindern gewesen. Deshalb ist
es übrigens auch falsch, die Laufzeiten alter Reaktoren zu verlängern, statt
neue und bessere zu bauen.
Wie groß ist die Gefahr, die
von Fukushima ausgeht? Referenzwert ist die natürliche Strahlenbelastung von 2
Millisievert pro Person und pro Jahr. In einigen Regionen der Erde, z.B. in
Indien und Brasilien, kommt Monazit in großen Mengen vor. Monazit ist ein uran-
und thoriumhaltiges Mineral und in diesen Regionen liegen die Strahlenwerte bei
200 Millisievert. Es werden aber keine Gesundheitsschäden beobachtet. Die
natürlichen Abwehrmechanismen des Körpers sind offenbar stark genug, um auch diesen
erhöhten Pegel abzuwehren. Abb. 2 zeigt eine Karte der Strahlenbelastung in der
Sperrzone um Fukushima. Die Strahlung erreicht 30-100 Millisievert und liegt
damit unter den höchsten Pegeln in den Monazitregionen. Der Strahlung ist also
so niedrig, dass auch langfristig niemand zu Schaden kommen wird. Allerdings
ist der Boden um Fukushima mit radioaktiven Zerfallsprodukten wie Jod verseucht
und Landwirtschaft ist ohne eine Entseuchung nicht möglich. So lange wird die
Region unbewohnbar bleiben.
Heute gibt es neue und bessere
Typen von Kernkraftwerken. Der Europäische Druckwasserreaktor besitzt ein
vierfaches passives Notkühlsystem und einen Corecatcher. Ein solcher Reaktor
wird zurzeit in Finnland gebaut. Ein weiterer neuer Reaktortyp ist der
Hochtemperaturreaktor, dessen Entwicklung in China vorwärts getrieben wird. Der
Reaktorkern besteht aus Graphit und verträgt Temperaturen bis über 2000 0C.
Bei so hohen Temperaturen erlischt die Kettenreaktion, denn dann verhält sich
das 238Uran wie ein Neutronenabsorber. Auch bei einem Totalausfall
der Kühlung und einem absichtlichen Herausfahren der Steuerstäbe, wie es
Terroristen vielleicht versuchen würden, explodiert der Reaktor nicht. Er
schaltet sich ab, erhitzt sich durch die Restwärme auf maximal 16000C
und kühlt dann ab. Beide Reaktortypen hätten die Katastrophen überstanden.
Bei der Endlagerung ist das
Hauptproblem das Grundwasser, das Radioaktivität an die Oberfläche
transportieren könnte. Ein Konzept der Schweiz sieht die Lagerung in einer
Tonschicht in 600 Meter Tiefe vor, die wasserdicht ist. Entsteht ein Riss,
durch den Wasser einsickert, quillt der Ton und dichtet sich selbst ab. Zunächst
wird der hochradioaktive Müll in flüssiges Glas eingerührt, das eine
zusätzliche Barriere gegen eindringendes Wasser darstellt. Der erstarrte
Glasblock wird mit einer Hülle aus Edelstahl und Kupfer versehen und
eingelagert. In 600 Meter Tiefe liegt der strahlende Müll sicher, denn ohne
eine fortgeschrittene Bohrtechnik ist er nicht zu erreichen. Die Behälter
können an die Oberfläche zurückgeholt werden, sollte in der Zukunft eine
Methode zur Neutralisierung des radioaktiven Materials zur Verfügung stehen.
Deutschland im Rückwärtsgang
Während der kommenden
Jahrzehnte brauchen die ärmeren Länder noch viel mehr bezahlbare Energie, um
ihren Lebensstandard auf ein akzeptables Niveau anzuheben. In der Folge sinken
dann hoffentlich die Geburtenraten. Die Menschheit kann heute auf keine einzige
Energiequelle verzichten. Im Gegenteil, die Industrieländer werden nach neuen,
noch stärkere Energiequellen suchen. Die Fusion könnte eine solche Energie der
Zukunft sein. Auch längerfristig werden starke Energiequellen gebraucht. Die
nächste Eiszeit, auf die die "Kleine Eiszeit" gegen Ende des
Mittelalters ein Vorgeschmack war, kann nur durch aktive Steuerung des Klimas
abgewendet werden. Dafür werden enorme Energiemengen benötigt. Aber Deutschland
geht einen anderen Weg. Allerdings nicht in eine neue Richtung, denn Biomasse,
Wasser und Wind waren bereits die Energieträger des Mittelalters. Die
Zukunftsvision Deutschlands ist die Rückkehr in die Vergangenheit.
Ein Langfassung des Beitrages mit Referenzen kann vom
Autor (gerd.gantefoer@uni-konstanz) oder bei www.faszinationphysik.ch
angefordert werden.
Der Text erschien in „Forschung und Bildung“, 7/2011.
Abbildung 1
,Für den Ersatz von sieben 1-Gigawatt-Kraftwerken
durch Bio-Strom aus Energiepflanzen werden rund 2500 km2 Ackerfläche
benötigt.
Abbildung 2
Strahlenbelastung in Fukushima im Millisievert pro Jahr (mSv/a),
hochgerechnet aus Messungen der heutigen Belastung
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